Von Thilo Baum, Frank Eckert, Patrick Nini und Dr. Ralf Winnen

Die Kritik an dem Schweizer Historiker Daniele Ganser ist laut: Er verbreite Verschwörungstheorien und sei „Verschwörungsunternehmer“. Doch was genau ist darunter zu verstehen? Und welche Rolle spielen Verschwörungsmythen für die Destabilisierung der westlichen Gesellschaften? Am 16. Januar 2024 hatte der Gedächtnistrainer Markus Hofmann Daniele Ganser in seinem „Brain-Talk“ zu Gast. Thema unter anderem: der russische Krieg gegen die Ukraine. Wir haben Teile des Gesprächs analysiert und geben unsere Einschätzung wieder – befragt haben wir dazu außerdem Prof. Klaus Gestwa, Osteuropahistoriker von der Universität Tübingen.

Zunächst einmal: Wir zitieren hier Auszüge aus dem „Brain-Talk“ von Markus Hofmann mit Daniele Ganser. Damit uns niemand vorwerfen kann, wir würden Zitate aus dem Zusammenhang reißen, finden Sie auf der YouTube-Seite von Markus Hofmann den vollständigen Talk inklusive Transkript mit Timecodes. (Auf dieses YouTube-Video beziehen sich alle im Folgenden genannten Timecodes.)

Alles, was wir dokumentieren, ist also bereits öffentlich. Wir verraten hier keine Geheimnisse. So ist auch in der YouTube-Version nachhörbar, dass Daniele Ganser bei Fragen nach Quellen auf seine kostenpflichtige Community verweist (ab 01:20:14). Auch dass Daniele Ganser die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland billigt und dass der Moderator Markus Hofmann nicht widerspricht (ab 01:11:18), verheimlichen beide nicht.

Beide Akteure legen Wert darauf, dass ihre Positionen öffentlich sind, sonst würden sie den Talk selbst nicht bei YouTube hochladen.

Wir bringen hier im Grunde nur den „fehlenden Part“, ergänzen also einige verschwiegene Kontextinformationen sowie die fehlende Einordnung der Gesprächsinhalte in die historische und völkerrechtliche Sachlage.

Da Daniele Ganser sich als Wissenschaftler präsentiert und Markus Hofmann eine journalistische Rolle einnimmt, dürften beide den wissenschaftlichen und publizistischen Gepflogenheiten folgen und ihren Talk durch die Veröffentlichung zur Diskussion stellen. Wie üblich unter Wissenschaftlern und Publizisten müsste ihnen Widerspruch willkommen sein, sie müssten also offen sein für Hinweise auf sachliche Fehler und unterschlagene Informationen.

Natürlich haben wir alle diese Punkte vor dieser Veröffentlichung an Markus Hofmann geschickt und ihn um Stellungnahme gebeten. So haben wir ihn gefragt, ob er die vielen falschen Darstellungen und Auslassungen gegenüber seinem „Brain-Talk“-Publikum korrigieren bzw. ergänzen wird. Wir haben mehrmals nachgehakt, aber keine Antwort in der Sache bekommen.

Wer ist Daniele Ganser?

Bevor wir starten, noch ein paar Takte zu Daniele Ganser. Kurzfassung: Der Historiker aus der Schweiz ist berühmt dafür, alles Übel dieser Welt bei den USA und der NATO zu verorten. So sieht er die Verantwortung für den Ukraine-Krieg und auch für die Anschläge am 11. September 2001 bei den USA.

In dem „Querdenker“-Film „Pandemned“ verweist Ganser bei der Frage, ob es in der Geschichte schon einmal eine solche Spaltung wie heute zwischen Geimpften und Ungeimpften gegeben habe (der Interviewer unterstellt diese Spaltung), unter anderem auf das Verhältnis zwischen Nationalsozialisten und Juden im „Dritten Reich“ – wohl wissend als Historiker, dass es sich hierbei nicht um eine gesellschaftliche Spaltung gehandelt hat, sondern um den Massenmord eines rassistischen, totalitären Regimes an einer Minderheit.

Wegen derartiger Behauptungen erfährt Ganser massive Kritik. So heißt es immer wieder, Ganser sei „umstritten“, und manche Städte verweigern ihm die Stadthallen.

Dieser NDR-Beitrag gibt einen guten Überblick für alle, die Ganser nicht kennen, ebenso der Eintrag zu Daniele Ganser bei Psiram, dem Nachschlagewerk für alles Irrationale und Obskure. Auch die Universität Innsbruck gibt einen guten Überblick über Daniele Gansers „Arbeit“.

Haben wir nicht alle unsere Meinungen?

Wir können uns vorstellen, dass viele von Gansers Anhängern nicht verstehen, was daran falsch sein soll, was Ganser verbreitet. Sie denken: Haben wir nicht alle unsere Meinungen? Und hier wollen wir auf einen wichtigen Punkt hinweisen: Falschbehauptungen – auch in Gestalt von Andeutungen – sind keine Meinungen. Wer etwas Falsches behauptet, kann sich dabei nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Die Unwahrheit ist auch keine Frage der Sichtweise.

Zugleich sind auch manche Meinungsäußerungen fragwürdig: Wenn jemand heutige Impfgegner als ähnlich verfolgt bezeichnet wie Juden im „Dritten Reich“, gefällt die darin versteckte Verharmlosung des Holocaust im Grunde nur Neonazis. Alle anderen müssten protestieren.

Vorwiegend operiert Daniele Ganser mit Andeutungen, Spekulationen, Scheinfragen und als Meinung getarnten Behauptungen („…  als Nordstream gesprengt wurde, meiner Meinung nach von den Amerikanern“; ab 00:16:38) – eine Arbeitsweise, die seriösen Wissenschaftlern eher nicht eigen ist.

Daniele Ganser selbst argumentiert, man gebe ihm Hallen wegen seiner Meinungen nicht. Das ist bei Äußerungen wie einer versteckten Holocaust-Verharmlosung auch verständlich – kein normaler Mensch will derlei Relativierungen eine Bühne bieten. Ansonsten schätzen wir, dass Ganser sich irrt: Nicht Meinungen wie jene, dass der Westen der Ukraine keine Waffen liefern sollte, sind der Punkt – solche Meinungen vertreten viele andere in viel größeren Formaten auch, beispielsweise Sahra Wagenknecht in öffentlich-rechtlichen Talkshows. Der Punkt dürfte eher sein, dass Ganser auf manipulative Weise die Wahrheit verdreht. Und das hat nichts mit Meinungen zu tun.

Meinungsfreiheit für Desinformation?

Darum ist ein entscheidender Punkt, um Daniele Gansers Bedeutung richtig einschätzen zu können, der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen: Wenn Daniele Ganser sagt, die Krim gehöre zu Russland, weil dort die russische Schwarzmeerflotte stationiert sei (ab 01:11:18), dann ist das keine Meinungsäußerung, sondern historisch und völkerrechtlich falsch. Es ist ein Narrativ der russischen Desinformation.

Die westlich-aufgeklärten Standards beim Thema Erkenntnisgewinn und Meinungsbildung spielen bei Ganser im Grunde keine Rolle – was Menschen mit der entsprechenden Bildung natürlich schnell durchschauen. Gansers krude Argumentationen sind ja öffentlich nachvollziehbar.

Im Folgenden legen wir dar, mit welchen Methoden Daniele Ganser auf die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit einwirkt: vor allem per Auslassung oder Verzerrung relevanter Informationen oder auch durch Falschbehauptungen.

Die Überschrift stellt das Thema dar, dann folgt Daniele Gansers O-Ton als Text, dann als Audio zum Nachhören – und dann folgen unsere und Prof. Gestwas Einschätzungen.

1. Die Legende von der Kriegsschuld des Westens

Daniele Ganser: „Also dann der Krieg in der Ukraine, da sehe ich eigentlich als Hauptursache, dass die NATO, das amerikanische, das von den USA angeführte Militärbündnis sich immer weiter ausgedehnt hat und dass die Russen dann irgend­wann gesagt hat also die Ukraine kommt auf keinen Fall in die NATO. Und dann haben die USA meiner Analyse nach 2014 die Regierung in der Ukraine gestürzt, um eben das Land in die NATO zu ziehen. Und das hat einen Bürgerkrieg ausgelöst, der acht Jahre ging von 2014 bis 2022 und das hat dann die russische Invasion ausgelöst.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:09:22):


Prof. Klaus Gestwa: „Das ist Unfug. Auf dem Bukarester NATO-Gipfel im April 2008 haben Deutschland und Frankreich ihr Veto gegen die Aufnahme der Ukraine eingelegt. Als Kompromissformel hieß es dann, die Ukraine könne später einen Aufnahmeantrag stellen, wenn sie die Beitrittskriterien erfüllt hätte. Damit war dieses Thema durch. Die Ukraine pochte weiter auf ihre baldige Zugehörigkeit zur NATO und verankerte dieses Ziel sogar in ihrer Verfassung.

Aber die NATO hat danach – jenseits der üblichen diplomatischen Floskeln – nichts unternommen, um eine NATO-Aufnahme der Ukraine wieder auf ihre politische Agenda zu setzen. Bei seinen Gesprächen mit Putin im Februar 2022 wies Kanzler Scholz immer wieder darauf hin, ein NATO-Beitritt der Ukraine stehe in nächster Zeit nicht zur Debatte. Wenn bei Staatsbesuchen der NATO-Beitritt der Ukraine angesprochen wurde, dann entsprach dies der diplomatischen Routine und blieb als politische Floskel folgenlos. Politikwissenschaftler:innen wissen um dieses politische Ritual.

Dass die USA mit dem Euromajdan einen Regierungssturz in der Ukraine herbeigeführt hätten, um die Ukraine in die NATO zu ziehen, ist eine Erzählung, die Ganser wie ein politisches Glaubensbekenntnis herunterbetet, die aber den politischen Tatsachen widerspricht. Zu den turbulenten Ereignissen des Protestwinters 2013/14 in der Ukraine gilt es mittlerweile zahllose wissenschaftliche Abhandlungen, deren Darstellung und Befunde Ganser konsequent ignoriert. Dafür bringt er sich in ein Zitatkartell ein, in dem die immer gleichen Falschaussagen und Fehlannahmen, Mutmaßungen und wilden Spekulationen wiederholt werden, die dadurch keinen Deut wahrer werden, aber in den einschlägigen digitalen Echokammern laut nachhallen.

Ganser greift hier zudem eine von der Moskauer Propaganda in Umlauf gebrachte Verschwörungserzählung ohne jegliche kritische Distanz auf und macht sich damit zum ‚Putin-Troll‘. Er setzt darauf, dass seine Klientel keine Ahnung vom Euromajdan hat und darum zu gern der Erzählung von der bösen US-Macht folgt, die überall ihre Strippen zieht. Er sollte sich erst einmal vernünftig informieren, bevor er mantraartig seinen Sermon herunterlabert.

Sein Verschwörungsgeraune zum Euromajdan als ein von den USA initiierten Putsch braucht er, um die russische Annexion der Krim und Moskaus Interventionskrieg im Donbass nicht als schwere Brüche des Völkerrechts, sondern als Form politischer Notwehr erscheinen zu lassen. So sieht er sein publizistisches Geschäftsmodell bestätigt.

Bei seiner Verzerrung der Geschichte des Euromajdan degradiert Ganser die Menschen in der Ukraine zu bloßen Marionetten der USA und spricht ihnen die Fähigkeit ab, selbstbestimmt zu denken und zu handeln. Was ist das für ein Menschenbild? Warum waren 2013/14 Millionen Menschen in der Ukraine während eines bitterkalten Winters für drei Monate dauerhaft auf der Straße,  um für ihre ‚Revolution der Würde‘ einzustehen, mit der sie eine Zukunft für ihr Land und sich selber gewinnen wollten?“

Unsere Einschätzung: Dass die NATO eine Aufnahme der Ukraine bisher abgelehnt hat, ist bekannt – schade, dass Markus Hofmann in seiner Rolle als Politikjournalist hier nicht einhakt. Nach unseren Erkenntnissen folgten die Majdan-Proteste und der an­schlie­ßende Regierungswechsel auf die Weigerung der früheren putintreuen ukrai­nischen Regierung, das EU-Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Wir haben Markus Hofmann gefragt, ob er sein Publikum im Nachgang über die wahre historische Lage aufklären werde – keine Antwort in der Sache.

2. Der „Bürgerkrieg“ und die Referenden

Daniele Ganser: „Die Amerikaner wollten die Ukraine in die NATO ziehen, die Russen wollten das eben nicht haben. Und dann wurde 2014 in Kiew, auf dem Majdan wurde protestiert und im Februar gab es dann Scharfschützen, die haben sowohl Polizisten wie auch Demonstranten erschossen und dadurch Chaos erzeugt. Und das hat zum Sturz des gewählten Präsidenten in der Ukraine geführt. Janukowytsch und dieser Präsident war eben dagegen, dass die Ukraine in die NATO kommt und dann der neue instal­lierte Präsident Poroschenko und sein Nachfolger dann Selenskyj. Die haben dann gesagt: Nein, wir wollen mit den Amerikanern zusammenarbeiten, wir wollen, wir wollen in die NATO hinein usw. und die haben dann auch einen Bür­ger­krieg geführt gegen das eigene Volk. Also 2014 bis 2022 war schon Krieg in der Ukraine. Das sind die acht Jahre Bürgerkrieg mit 14.000 Toten und das ist die ganze Vorgeschichte. Und das hat dann zur russischen Invasion geführt, weil die Russen gesagt haben, der Bürgerkrieg richtet sich in erster Linie gegen russisch­sprachige Ukrainer im Donbass. Das Donbass ist eben die Region Donezk und Luhansk zu­sammengenommen.“

Markus Hofmann: „Das sind jetzt die Republiken, die letztendlich ihre Unabhängigkeit in einer Wahl, in einer freien Wahl für sich selbst in Anspruch genommen haben. Oder da gab es ja eine Wahl.“

Daniele Ganser: „Genau. Genau. Also zuerst wurde 2014 auf der Krim abgestimmt …“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:15:03):


Unsere Einschätzung: Was die Geschehnisse ab 2014 betrifft, verschweigt Ganser die relevan­te Information, dass Russ­land durch die „grünen Männchen“ die Ukraine massiv de­stabilisiert hat und es nicht um einen „Bürgerkrieg“ ging. Auch hier fragen wir uns, warum der Moderator das nicht richtigstellt. Weshalb Markus Hofmann von einer „freien Wahl“ spricht, können wir uns nur so erklären, dass er nicht weiß, was völkerrechtliche Souveränität ist. Auch vermissen wir die Einordnung dieser Referenden als völkerrechtswidrig vor dem Hintergrund, dass die Ukraine ebenso souverän ist wie beispiels­wei­se Spanien, wo ein separatistisches Referendum wie in Katalonien ebenfalls keinen Bestand hat. Daniele Ganser jedenfalls widerspricht dem Gedanken „Da gab es ja eine Wahl“ nicht. Er antwortet mit „Genau, genau“ und zeigt damit, dass er als Historiker den Begriff der Souveränität nicht versteht oder nicht verstehen will.

Prof. Klaus Gestwa: „Wer diese Scheinreferenden 2014 und dann im September 2022 als eine freie Wahl bezeichnet, hat keinerlei politischen Verstand. Wie kann Ganser die durch­sichtigen Wahlurnen, die bewaffneten Soldaten, die von Haus zu Haus ziehen, um die Menschen zum Wählen anzuhalten, die offenen Stimmzettel und auf der Krim zudem die aufgehübschten Endergebnisse ausblenden? Ein fairer Wahlkampf wurde nicht zugelassen. Wer sich öffentlich gegen die Annexion stellte, wurde umgehend verhaftet und sodann im Donezker Foltergefängnis ‚Isolacija‘ entsetzlichen Torturen ausgesetzt. Beim nächsten Mal möge sich Ganser als ‚Wahlbeobachter‘ beim Kreml melden. Mehr ‚Putin-Troll‘ geht nicht. Wer seine Version von den ‚Referenden‘ glaubt, wird sicher nicht selig, sondern versinkt in den Untiefen politischer Umnachtung.

Beschreibungen zu dieser Wahlfarce 2014 und 2022 gibt es ausreichend. Warum haben nur eine Handvoll Länder diese Fake-Wahlen anerkannt? Sogar China, Indien und die überwiegende Mehrheit der afrikanischen Staaten glauben das nicht. Aber Ganser, weil er das für seine Verschwörungserzählung braucht.

Der Krieg im Donbass war kein Bürgerkrieg, sondern ein russischer Interventionskrieg. Auch dazu ist die Beweislage überwältigend. Hier scheint Ganser ganz der Moskauer Propaganda zu folgen, reguläre russische Soldaten seien bei ihrer Teilnahme an den Kämpfen im Donbass auf Urlaub gewesen. Es sind massive Waffenlieferungen aus Russland in die Separatistengebiete bekannt – so auch das BUK-System, mit dem die MH17 abge­schossen wurde. Fachleute haben deutlich herausgearbeitet, wie kurz die Leine war, an der Moskau die sogenannten ‚Separatisten‘ hielt.“

3. Eroberte Gebiete werden automatisch russisch?

Daniele Ganser: „Genau. Genau. Also zuerst wurde 2014 auf der Krim abgestimmt. Zuerst haben die Amerikaner den Putsch gemacht, im Februar 14 und dann gab es die Abstimmung auf der Krim im 14 im März. Und dann hat die Krim gesagt wir schlagen uns zu Russ­land und dann wurde die Ukraine flächenmäßig schon kleiner, weil dann war die Krim schon weg.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:16:20):


Prof. Klaus Gestwa: „Dummes Gefasel, das so klingt, als ob sich Ganser wünscht, dass die Ukraine als selbständiger Staat von der Landkarte Europas verschwinden solle. Was ist mit den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen auf der Krim seit der völkerrechtswidrigen Annexion? In dem russischen Dokufilm ‚Krim – Die Rückkehr in die Heimat‘, der am ersten Jahrestag der Krim-Annexion 2015 im russischen TV zu sehen war und dann lange auf YouTube stand, erzählte Putin frank und frei, wie die Annexion der Krim geheimdienstlich vorbereitet war. Dann kamen weitere Protagonisten zu Wort, die voller Stolz über ihren politischen Handstreich berichteten. Putin und seine Schergen haben ihr Verschwörungsnarrativ selbst dekonstruiert.

Achten Sie bitte auf den Stil, wie Ganser das erzählt. Es ging bei der Annexion der Krim um einen eklatanten Völkerrechtsbruch und einen Landraub, der in infantiler Weise (‚dann war die Krim schon weg‘) gerechtfertigt wird.“

4. Teile eines Staates trennen sich einfach ab?

Daniele Ganser: „Dann kam der Bürgerkrieg und nach der russischen Invasion kam dann im Sep­tember 2022 im gleichen Monat als Nord Stream gesprengt wurde, meiner Meinung nach von den Amerikanern, haben die Republiken im Osten der Ukraine, das sind vier Republiken, das ist Donezk, Luhansk zusammen bilden die den Donbass, Sa­porischschja und Cherson vier vier Bundesländer, wie man in Deutschland sagt. In der Schweiz hat man Kantone, in der Ukraine sagt man Oblast. Die haben be­schloss­en, dass sie Mitglied von, von Russland sein wollen, und die sind jetzt Teil von Russland.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:16:38):


Prof. Klaus Gestwa: „Die russischen Annexionen haben nur sehr wenige Schurkenstaaten anerkannt. Ganser übersieht hier zudem, dass Russ­land keines dieser vier Oblaste in Gänze kontrolliert, sondern sich große Teile unter ukrainischer Kontrolle befinden, so unter anderem die Großstadt Saporischschja mit ihren 750.000 Einwohnern. Der russische Landraub wird hier im Kindergarten-Style verbrämt: ‚Das gehört jetzt dem Wladimir!‘ Ganser simplifiziert damit schwerste Völkerrechtsverletzungen zu einem Sandkastenspiel.“

Unsere Einschätzung: Landesteile werden nicht einfach unab­hän­gig, ohne dass der Staat das billigt. Wieder zweifeln wir an Daniele Gansers Kompetenz, weil er offenbar nicht weiß oder absichtlich ignoriert, was Souveränität ist. Ganser verbreitet historisch und völkerrechtlich falsche Inhalte und verkauft Markus Hofmanns Publikum für dumm. Dieser lässt sich das gefallen – vielleicht merkt er es nicht. Jedenfalls wehrt er sich nicht dagegen.

5. Russland wird nicht weiter expandieren?

Hier kommen wir zu einem besonders kuriosen Teil. Moderator Markus Hofmann behauptet – warum auch immer – die russische Armee verharre in ihren Stellungen zum Zeitpunkt des Live-„Brain-Talks“ am 16. Januar 2024 und habe keine weiteren Eroberungen vor. Markus Hofmann insinuiert, Putin ginge es nicht um weitere Gebiete. Dass das Unsinn ist, zeigte sich kurz nach dem „Brain-Talk“: Bekanntermaßen hat Russland am 20. Januar 2024 Awdijiwka eingenommen und ist jetzt weiter auf dem Vormarsch. Daniele Ganser widerspricht diesem merkwürdigen Einfall des Moderators nicht ausdrücklich – ein seriöser Historiker hätte diese unqualifizierte Einschätzung geradegerückt.

Markus Hofmann: „Also der so wie es aussieht, möchte also Russland nicht weiter eindringen, sondern sie möchten eigentlich diese Grenze, seitdem sie sich da seitdem sie die eingenom­men haben, eigentlich auch halten. Also Ihnen geht es jetzt nicht weiter, dass sie Kiew oder noch mehr einnehmen, sondern die bleiben in ihren Stellungen.“

Daniele Ganser: „Ja, die haben sich eingegraben.“

Markus Hofmann: „Die haben sich eingegraben.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:17:58):


Unsere Einschätzung: Wie kommt Markus Hofmann auf diese Annahme? Wir haben ihn gefragt – keine Antwort. Dass Daniele Ganser nicht korrigierend eingreift und Russlands wahre Pläne erklärt, wirkt ebenfalls befremdlich. Weiß er nicht, was Russland vorhat, obwohl er sich als Kenner inszeniert?

Prof. Klaus Gestwa: „In der politischen Debatte in Russland sind zahllose Äußerungen zu hören, dass die russischen Ansprüche weit über die gegenwärtige Frontlinie hinausgehen. Zudem kontrollierte die russische Armee – wie ich schon oben schrieb – nur einen Teil der vier annektierten Oblaste, aber der russische Anspruch richtet auf deren gesamtes Territorium.

In ihrem militanten Antiukrainismus wollen Putin und seine Schergen die Ukraine als europäische Nation und als demokratisches Staatswesen ausmerzen. Aus diesem Ziel macht der Kreml keinen Hehl und hält bislang unbeirrt daran fest. Zudem sprechen viele politische Verantwortliche und prominente Kommentator:innen davon, dass der Eroberungsfeldzug gegen die Ukraine nur den Auftakt zu weiteren Revisionskriegen darstelle, um die Grenzen im östlichen Europa im Sinne einer neuen russischen Reichsbildung zu verschieben. Neue Ziel sind schon markiert: Georgien, Nordkasachstan, Moldawien und dann eventuell auch die Baltischen Länder. Zuletzt ist sogar Finnland als neues NATO-Mitglied ins Fadenkreuz der russischen Politik und Öffentlichkeit geraten. Säbelrasseln ohne Ende, das es ernst zu nehmen gilt.

Beachtung muss auch die imperiale Fantasie von ‚Neurussland‘ finden, die im russischen Ukraine-Diskurs immer wieder auftaucht. Diese Eroberungsvision sieht einen großflächigen Moskauer Landraub in der Ost-und Südukraine vor, um die Ukraine vom Schwarzen Meer abzutrennen und den russischen Zugriff auf den Unterlauf des Dnipro sicherzustellen, weil dessen Wasser für die Halbinsel Krim dringend benötigt wird.

In Russland sind auf riesigen Reklametafeln vielerorts die Worte Putins zu lesen: ‚Russlands Grenzen enden nirgendwo‘: Eigentlich sagt Putin ziemlich offen, was er will. Diese Einsicht in die Relevanz Moskauer Eroberungs- und Kriegsfantasien fehlt Ganser.

Dass Putin auf Kriegspfad bleiben wird, ist maximal vorhersagbar. Mehr als ein Drittel des Staatsbudgets geht mittlerweile in den Militärsektor. Die überhitzte Rüstungsindustrie wirkt als volkswirtschaftlicher Wachstumsmotor. Das wird auch längerfristig so bleiben. Russland hat sich mittlerweile ganz in eine Kriegswirtschaft und Kriegsgesellschaft verwandelt, die eine militaristisch-patriotische Dressur erfährt, die immer durchdringender wird. Der Sound des Krieges dröhnt durch Russland.“

6. Ließ Joe Biden Nord Stream 2 sprengen?

Auch dieses Beispiel zeigt sehr gut, dass Daniele Ganser wenig wissenschaftlich vorgeht: Er legt Mutmaßungen zugrunde, keine gesicherten Erkenntnisse. Hier vermutet er, US-Präsident Joe Biden habe befohlen, die Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu sprengen. Es wundert Daniele Ganser sogar, dass ihn seriöse Wissenschaftler für diese Vermutung angreifen.

Daniele Ganser: „Und Deutschland hat eine fleißige Bevölkerung. Und wenn dieses günstige Gas nach Deutschland fließt, dann wird Deutschland als Industrienation stark. Und Russ­land hat viele Deviseneinnahmen. Darum sagen die Amerikaner immer, es war im­mer unser Ziel, eigentlich eine gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Und ich glaube auch, dass der amerikanische Präsident Joe Biden den Auftrag gegeben hat, Nord Stream zu sprengen. Und dann werde ich natürlich nochmal angegriffen. Das heißt, nein, das ist nicht bewiesen. Und wer weiß denn, was passiert ist?“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:23:18):


Prof. Klaus Gestwa: „Kein seriöser Wissenschaftler spekuliert. Ganser legt sich hier die Erklärung zurecht, die ihm am besten ins Weltbild passt – nämlich dass die USA immer die Quelle alles Bösen in der Welt seien. Für seine These, die auch Putin vertritt, gibt es nur die Beiträge des US-Journalisten Seymor Hersh, denen jeglicher Beweis fehlt. Aktuell ist diese Version mehr Glaubenssache als belegte Tatsache. Anständige Forscher halten sich daher mit der Antwort vorsichtig zurück, zumal es auch andere Versionen gibt. Deutsche Investigativjournalist:innen gehen der These nach, eine ukrainische Gruppe, die das Segelschiff Andromeda angemietet hatte, sei für die Explosionen der drei von vier Nordstream-Rohrleitungen verantwortlich. In Skandinavien mutmaßen die Medien, es könne sich vielleicht auch um eine russische Aktion gehandelt haben, weil in der Nähe der Explosionsorte russische Schiffe operiert hätten.

Leider haben die dänischen und schwedischen Ermittlungsbehörden keine belastbaren Befunde präsentiert. Ihr Untersuchungsmaterial haben sie nun deutschen Stellen übergeben. Ob es zu einer Aufklärung der Nord-Stream-Sprengung kommen wird, bleibt abzuwarten. Solange kann wild spekuliert werden, was Ganser, der sich vom wissenschaftlichen Kodex längst entfernt hat, nur zu gern für seine antiamerikanische Demagogie nutzt.

Was Ganser völlig verschweigt, ist die Tatsache, dass nicht die Nord-Stream-Sprengung die russischen Gaslieferungen nach Deutschland und Europa unterbrach. Es war Putin, der sechs Wochen vor den Explosionen den Gashahn zugedreht hatte. Durch Nord Stream strömte zum Zeitpunkt der Sprengung längst kein russisches Gas mehr. Moskau hat die europäische Energiepartnerschaft aus politischem Kalkül schon zuvor aufgekündigt.“

Unsere Einschätzung: Das Motto „Es wird schon so gewesen sein“ hat mit einer seriösen Betrachtung des Zeitgeschehens nichts zu tun – das ist eher die Denkweise von Menschen, die auch Gerüchten glauben und sie ungeprüft nachplappern. Seriöse Historiker tun sowas nicht: Sie kennen den Unterschied zwischen Spekulation und gesichertem Wissen. Wenn niemand weiß, was passiert ist, wie Daniele Ganser durch eine rhetorische Frage sagt, dann gilt genau das: Niemand weiß es. Eine Vermutung – selbst wenn sie zutreffen könnte – hat hier die Qualität einer Verschwörungstheorie, sie ist pures Raunen, vulgo: Geschwurbel.

7. Die USA kämpfen „bis zum letzten Ukrainer“?

Daniele Ganser: „Ja, genau. Die Amerikaner sagen unter vorgehaltener Hand: Wir kämpfen bis zum letzten Ukrainer. Und das ist natürlich zynisch. Und da hat eben die deutsche Regie­rung mitgespielt, also Olaf Scholz, der Bundeskanzler von Deutschland von der SPD, und Annalena Baerbock, die Außenministerin von den Grünen, haben sich auch hinter Selenskyj gestellt und haben gesagt: Ihr müsst jetzt gegen die Russen kämpfen und wir liefern euch Leopard-Panzer und wir liefern euch noch anderes Material.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 00:28:35):


Prof. Klaus Gestwa: „Scholz, Baerbock und andere westliche Politiker:innen haben alles nur Erdenkliche unternommen, um vor dem 24. Februar 2022 den russischen Angriffskrieg noch zu verhindern, den der Kreml schon von langer Hand vorbereitet hatte. Nach der russischen Totalinvasion brauchte die deutsche Regierung viel Zeit, um sich zu Waffenlieferungen durchzuringen. Wer hat in den USA gesagt, man kämpfe bis zum letzten Ukrainer? Russland mutet der Ukraine doch seit zwei Jahren einen mörderischen Überlebenskampf zu. In Moskau wird fortwährend an der Eskalationsspirale des Kriegs gedreht, Wir hätten sofort Frieden, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine abzieht. Streckt die Ukraine hingegen die Waffen, würde es schon bald dieses Land nicht mehr geben, wie wir es seit über 30 Jahren kennen. Ganser ignoriert Putins militanten Anti-Ukrainismus und kriegerischen Imperialismus. Stattdessen ergeht er sich in einer Opfer-Täter-Umkehr, bei der er ganz im Sinne des Kremls dem Westen Kriegstreiberei unterstellt und damit vieles verdreht.“

Unsere Einschätzung: Ohne eine Quelle zu nennen, behauptet Daniele Ganser, die USA sagten „unter vorgehaltener Hand“, sie würden „bis zum letzten Ukrainer“ kämpfen. Er deutet die Selbstverteidigung der Ukraine um in einen Krieg, den die Ukraine im Auftrag des Westens führe. Damit spricht Daniele Ganser der Ukraine die „Staatlichkeit“ ebenso ab, wie Putin das tut. Daniele Ganser verbreitet Putins Agenda im deutschsprachigen Raum, und Markus Hofmann springt ihm hilfreich zur Seite.

8. Quellen gegen Bezahlung

Markus Hofmann: „Kann man diese Quellen auch nachlesen?“

Daniele Ganser: „Äh, das ist ein Video, das ich in der Community publiziert habe. Da müsste man also Mitglied der Community werden. Tut mir leid.“

Markus Hofmann: „Okay. Ähm, Gabriele, ähm, welche Rolle spielt denn die Krim? Aber noch mal, da legst du alles offen, oder?“

Daniele Ganser: „Ja, ja, klar. Also, das ist ein Video, das in der Community ist. Und im Video ist natürlich immer unten die Quellenangabe hier, Gerhard Schröder im Gespräch mit Spiegel Online. Und so, das ist immer das immer dokumentiert oder Mearsheimer YouTube Videos und so dann, Datum und noch Zeit. Das ist alles dokumentiert, klar.“

Markus Hofmann: „Okay.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 01:10:41):


Prof. Klaus Gestwa: „Das ist sein Geschäftsmodell. Hier enttarnt sich Ganser als Verschwörungsunternehmer. Demaskierend ist auch sein unseriöser Umgang mit den Quellen. Die vorliegende Forschungsliteratur übergeht er und sucht sich in Form einer Rosinenpickerei aus den Medien einzelne Statements heraus. Dass der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder als bekennender Putin-Freund und Mearsheimer als heftig kritisierter, weil den Kreml-Narrativen zugeneigter Politikwissenschaftler keine zuverlässigen Quellen sind, ficht Ganser nicht an. Er braucht sie als angebliche politische und akademische Autoritäten, um seine Laien-Einschätzung irgendwie zu belegen.“

Unsere Einschätzung: Spätestens jetzt hätte ein seriöser Moderator erkannt, wozu er hier instrumentalisiert werden soll. Wir hören ja, dass Markus Hofmann stockt und die Frage ein zweites Mal stellt – sein Bauchgefühl, dass hier jemand nicht sauber spielt, war also da. Hier hätte ein professioneller Moderator das Gespräch abgebrochen, sein Publikum um Entschuldigung für die Naivität gebeten und versprochen, alle von Daniele Ganser vorgebrachten Behauptungen und seine zu bezahlenden Quellen durch seriöse Historiker und Völkerrechtler prüfen zu lassen und die Ergebnisse in einem weiteren Talk nachzuliefern.

9. Warum die Krim laut Ganser zu Russland gehört

Markus Hofmann: „Die Gabriele fragt: Welche Rolle spielt denn die Krim? Hat Russland sie nicht un­rechtmäßig eingenommen?“

Daniele Ganser: „Nein, die Krim ist ein Stützpunkt für die russische Schwarzmeerflotte. Das heißt, die Russen haben sehr wenige Stützpunkte für ihre Marine. Das ist ganz anders als bei den Amerikanern oder bei den Briten. Die haben viele Stützpunkte und die Russen wollen einen eisfreien Hafen haben. Das Sewastopol und dann ist eigentlich nach dem Putsch im Februar 2014, ist im März diese Abstimmung auf der Krim durchge­führt worden und die die Krim war, hat dann gesagt wir wollen zu Russland gehören. Und es ist nicht so, dass das Putin sozusagen auf die Leute eingeprügelt hat.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 01:11:18):


Unsere Einschätzung: Ein selten zu findender Mangel an politischem Unverstand, aber symptomatisch für politisch ungebildete Daniele-Ganser-Jünger. Wie kann man behaupten, die Annexion der Krim sei rechtmäßig, weil dort die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist? Zur Schwarzmeerflotte gab es einen Vertrag zwischen Russland und der Ukraine. Zudem hat Russland die Souveränität der Ukraine 1994 im Budapester Memorandum anerkannt.

Hier haben wir es mit einem äußerst unverschämten Verschweigen von Kontext-Informationen zu tun. Völkerrechtlich gehört die Krim zur Ukraine. Die Ukraine ist inklusive Krim sou­verän. Ein von Besatzern durchgeführtes „Referendum“ ist mangels demokratischer Legitimation gegenstandslos.

Prof. Klaus Gestwa: „Die Krim ist völkerrechtlich ein Teil der Ukraine. Russland hat das von 1991 bis 2011 in sechs international verbindlichen Verträgen immer wieder bestätigt, darunter in zwei ukrainisch-russischen Freundschaftsabkommen, durch die der Großteil der vormaligen sowjetischen Schwarzmeerflotte (knapp 80%) an Russland fiel und nur 20% an die Ukraine. Russland erhielt zudem die Genehmigung, den Flottenstützpunkt in Sevastopol bis 2042 zu nutzen und dort bis zu 25.-30.000 Soldaten stationieren. Das waren die ‚grünen Männchen‘ während der Annexion.“

10. Russischsprachig ist pro-russisch?

Daniele Ganser: „Und dann haben die gesagt okay, wir wollen zu Russland, sondern es war mehr, dass dieser Putsch in Kiew sich sehr danach gegen die russischsprachige Bevöl­kerung gewendet hat. Das wird wenig verstanden. In der Ukraine gibt es zwei Sprachen: Ukrainer, die eben Ukrainisch sprechen, und Ukrainer, die Russisch sprechen. Und man kann sagen, Süden und Osten sind russischsprachig und, und Norden und Westen sind ukrainisch sprachig. Und diese russischsprachigen Ukrainer haben sich auch kulturell sehr mit Russland verbunden gefühlt und sie haben diesen Putsch, der von den West Ukrainern durchgezogen wurde, nicht geschätzt, weil die Westukrainer sofort gesagt haben: Ja, die russische Sprache, die werden wir jetzt unterdrücken.“

Audio (im YouTube-Video ab Timecode 01:12:01):


Prof. Klaus Gestwa: „Russischsprachige sind keineswegs durchweg pro-russisch, sondern bekennen sich längst zur Ukraine als ihren Heimatstaat. Das versteht Ganser nicht. Von der komplizierten Sprachsituation in der Ukraine, wo die Mehrheit der Bevölkerung sowohl das Russische als auch das Ukrainische beherrscht und situativ nutzt, hat er keine Ahnung. Auch nicht davon, dass es mit Surschyk ein weit verbreitetes russisch-ukrainisches Mischidiom gibt. Dazu gibt es Fachliteratur, die auch deutlich macht, dass es in der Ukraine knapp ein Dutzend weiterer rechtlich geschützter Minderheitensprachen gibt. Das Land zeichnet sich jenseits des von Ganser konstruierten Dualismus zwischen dem Ukrainischen und dem Russischen durch sprachliche, ethnische und religiöse Vielfalt aus, die viele dort lebende Menschen als kulturellen Reichtum begreifen.

Moskau hat die Sprachenfrage in der Ukraine immer wieder unzulässig politisiert. Dem sitzt Ganser ganz auf. Ihm wäre zu empfehlen, sich in das Sprachenthema zunächst einmal einzulesen, bevor er dazu weiter Unsinn äußert. Es gibt sachkundige Linguist:innen, die ihm aus seiner eklatanten Unwissenheit leicht heraushelfen könnten. Weil derartige Recherchen aber deutlich machen würden, wie brüchig seine Darstellung ist, wird Ganser sich wohl kaum darauf einlassen. Statt sich selbstkritisch zu hinterfragen, neues Wissen zu erwerben und das damit über seinen Verstand hereinbrechende ideologisches Gebälk wegzuräumen, scheint es bequemer zu sein, unwissend in seiner politischen Komfortzone zu verharren, um weitgehend faktenfrei über die Ukraine zu fabulieren und Moskauer Lügen zu reproduzieren.

Im Kreml dürften sich viele über den meinungs- und reichweitenstarken, zugleich reichlich ahnungslosen Schweizer Putin-Troll freuen, der bei der Fortführung seines publizistischen Geschäftsmodells zum Multiplikator russischer Desinformationen wird, um so als bedenkenloser Kriegsgewinnler seinen Reibach zu machen.“

Zehn Beispiele für unseriöses Agieren

Wenn Sie sich den gesamten „Brain-Talk“ anschauen, werden Sie sehen: Mit unseren zehn Beispielen haben wir nur an der Oberfläche gekratzt. Der Talk richtet sich in unseren Augen an leichtgläubige Menschen ohne allzu viel politisches, historisches und publizistisches Verständnis – alle anderen erkennen die russische Kriegspropaganda mit ihren vielen Lügen.

Wir finden es schade, dass der Moderator nicht auf die wesentlichen Punkte eingeht und auch im Gespräch nicht Falschbehauptungen und schiefe Deutungen seitens Daniele Gansers geraderückt. Mit Journalismus hat das relativ wenig zu tun: Als publizistischer Laie mit so wenig politischer Bildung zu glauben, so einfach aus dem hohlen Bauch heraus einen Politik-Talk moderieren zu können, zeugt dann schon von einiger Anmaßung.

Verschwörungsideologen fragen gerne: „Cui bono?“ Also: Wer hat etwas davon? In diesem Falle müssen wir sagen: Sämtliche Narrative, die Daniele Ganser hier verbreitet, dienen im Endeffekt der Destabilisierung der westlichen Demokratien. Profiteur ist also Wladimir Putin, der die westlichen Demokratien zerstören will, denen Leute wie Markus Hofmann ihre Freiheit und ihren Wohlstand verdanken.

Die Methoden sind einfach:

  • Das andauernde Raunen (unbelegte Behauptungen, die sich nicht oder nur schwer prüfen lassen) erzeugt bei leicht manipulierbaren Menschen Unsicherheit und steigert so das Misstrauen gegenüber dem westlichen Denken und den westlichen Institutionen.
  • Die ständigen Mutmaßungen und Überzeugungen sind zwar unwissenschaftlich – aber das macht nichts, weil sich Daniele Ganser nicht an ein wissenschaftlich gebildetes Publikum richtet. Er richtet sich – quasi exakt nach dem „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels – an die Masse, wobei gilt: „Wirkliche wissenschaftliche Durchbildung schwächt oder vernichtet die Empfänglichkeit für die Kunstgriffe der Demagogie.“
  • Es ist völlig egal, ob eine intellektuelle Minderheit das Vorgehen durchschaut. Denn emotionalisierende Falschbehauptungen gehen viral, weil sie leicht verführbare Menschen empören – sachliche Faktenchecks gehen selten viral.
  • Daniele Gansers Zielgruppe besitzt wenig Medienkompetenz – man bildet sich seine Meinungen anhand von Vermutungen und Andeutungen statt anhand gesicherter Erkenntnisse. Darauf setzt Daniele Ganser, der nahezu grundsätzlich und systematisch ohne viele Belege arbeitet, dafür aber umso mehr mit ruhig vorgetragenen und daher glaubwürdig wirkenden emotionalisierenden Andeutungen und sinistrem Geraune.
  • Daniele Gansers Zielgruppe besitzt wenig Ambiguitätstoleranz – man erträgt Unklarheiten nicht und glaubt lieber an etwas Unbewiesenes, als sich einzugestehen, dass beispielsweise der Anschlag auf Nord Stream 2 ungeklärt ist. Dadurch trägt Ganser zu einer schnellen Radikalisierung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung bei.
  • Daniele Ganser bewirkt, dass sich sein argloses Publikum seine Meinungen auf der Basis von Falschinformationen und unvollständigen Informationen bildet – ein Vorgehen, das Menschen wohl weitgehend als manipulativ bezeichnen.

„Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“, ließ einst Schiller den Talbot in der „Jungfrau von Orléans“ sagen – und trotzdem haben wir uns die Mühe mit diesem Blogbeitrag gemacht. Wobei wir Daniele Ganser für alles andere als für dumm halten.

Im Gegenteil: Um seine Zielgruppe emotional zu erreichen und um Putins Propaganda als trojanisches Pferd in der westlichen Öffentlichkeit zu verankern, bezeichnet er sich als „Friedensforscher“ und strapaziert immer wieder den Begriff „Menschheitsfamilie“ – damit erreicht Ganser die Friedensbewegung an einem ihrer Trigger-Punkte, um sie zu der Art von Frieden zu instrumentalisieren, wie Putin ihn favorisiert: ein Russisches Reich, in dem sich niemand mehr gegen Putins Imperialismus auflehnt.