In der „Bild am Sonntag“ vom 2. Januar 2022 hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Anzeigenseite vollgeschrieben. Ziel: Der Leser soll verstehen, wer sich eine Booster-Impfung geben lassen soll.

Den folgenden Satz musste ich mehrmals lesen, um ihn zu begreifen:

„Diese Personen sollten ihren Impfschutz ab 3 Monaten nach der Grundimmunisierung mit einer Booster-Impfung auffrischen lassen:“

„Ab 3 Monaten“? Hm … – ist da ein „n“ zu viel? Oder doch nicht? Ich kann nicht folgen. Das Hauptproblem an dem Satz ist: Er ist zu voll. In diesem Satz stecken zu viele Informationen. Daraus sollten wir mindestens zwei Sätze machen.

Und der Satz ist inhaltlich unklar – ich beispielsweise weiß nicht, was bei mir die „Grundimmunisierung“ ist. Ich hatte mich mit dem Johnson-&-Johnson-Impfstoff impfen lassen, von dem es erst hieß, er sei genauso wirksam wie die anderen Impfstoffe. Später dann erweist sich das als Schmu, und ich fühle mich vom Robert-Koch-Institut entsprechend an der Nase herumgeführt. Ich musste mir also eine zweite Impfung verpassen lassen, eine Dosis Biontech. Gut. Nur: Seit wann habe ich jetzt eine „Grundimmunisierung“? Seit der Johnson-&-Johnson-Impfung oder seit der zusätzlichen Biontech-Impfung? Keine Ahnung.

Meine Version des Satzes wäre jedenfalls diese:

„Diese Personen sollten ihren Impfschutz mit einer Booster-Impfung auffrischen lassen:“

Und in einem eigenen Satz würde ich formulieren:

„Zwischen den Impfungen sollten mindestens drei Monate liegen.“

So verstehe jedenfalls ich den Zusammenhang.

Es trägt eben nicht zum Verständnis bei, wenn wir möglichst viele Informationen in einen Satz stopfen. Dadurch wird Sprache unklar. Vor allem Fremdsprachler haben enorme Mühe, wenn wir Deutsche mit unserer ohnehin schon schweren Sprache nicht einen Gedanken nach dem anderen darstellen. Barrierefrei ist diese Anzeige des BMG sicher nicht.

Die Verwirrung geht noch weiter: Als Johnson-&-Johnson-Geimpfter lese ich natürlich den Abschnitt über Johnson-&-Johnson-Geimpfte.

Und da steht drin:

„Personen, die mit dem Impfstoff Janssen® von Johnson & Johnson geimpft wurden – nach der Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff, die 4 Wochen nach der Erstimpfung zur Optimierung des Impfschutzes gegeben wurde“

Das heißt: Nur diejenigen Johnson-&-Johnson-Geimpften brauchen eine Booster-Impfung, die ihre Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff vier Wochen nach der ersten Impfung bekommen haben. Der Relativsatz „die 4 Wochen nach der Erstimpfung (…) gegeben wurde“ ist hier glasklar: Er schränkt das Bezugswort „Impfstoff“ ein und definiert eine Bedingung. Die Bedingung sagt: Nur falls ich meine Biontech-Impfung vier Wochen nach der Johnson-&-Johnson-Impfung bekommen habe, soll ich zum Boostern gehen. Ansonsten nicht.

Das will das BMG zwar nicht sagen, da bin ich mir sicher, aber es sagt es. So ist das eben, wenn Fachleute das Formulieren nicht als Handwerk anerkennen, das ebenso einen Wert hat und Kompetenz verlangt wie die Medizin oder die Juristerei. Dabei grenzen Relativsätze ihre Bezugswörter ein wie Adjektive: „Blaue Autos“ sind alle Autos mit der Bedingung „blau“ – ebenso wie „Autos, die blau sind“ im Relativsatz. Ausgeschlossen sind also explizit Autos in anderen Farben. Releativsätze fungieren insofern – wie Adjektive – in erster Linie ausschließend und erst in zweiter Linie möglicherweise beschreibend. Wer öffentlich kommuniziert, sollte das wissen.

Wie sieht es bei mir konkret aus? Meine Johnson-&-Johnson-Impfung war am 16. August 2021. Noch war keine Rede davon, dass dieser Impfstoff es nicht bringt. Bis ich überhaupt erfahren habe, dass meine Impfung mehr oder minder sinnfrei war, sind Monate vergangen. Keine App hat mich darüber informiert (warum eigentlich nicht?), und auch sonst hat niemand aus der Corona-Verwaltung die Johnson-&-Johnson-Geimpften zentral informiert. Also war mir die Lage erst im November klar, ich habe davon rein zufällig aus der Presse erfahren. Meine mRNA-Impfung war dann am 26. November 2021, also deutlich später als nur vier Wochen nach der ersten Impfung.

Anfang Januar 2022 erfahre ich also: Ich sollte mich nicht boostern lassen, weil zwischen meiner ersten und meiner zweiten Impfung zu viel Zeit vergangen ist. So lässt sich der Satz in der BMG-Anzeige interpretieren. Vermutlich ein Missverständnis, aber so hat es der Absender formuliert.

Möglicherweise sagen Sie jetzt: „Mensch, Baum! Stell dich nicht so an! Es ist doch klar, was gemeint ist!“

Na ja – wir reden hier über professionelle Kommunikation. Es ist eben nicht klar, was gemeint ist. Sonst stünde es da. Sprachliches Handwerk heißt, die Dinge zweifelsfrei zu formulieren. Und wer, wenn nicht der Absender, sollte wissen, was gemeint ist? Wozu eine öffentliche Information, wenn wir mutmaßen sollen, was gemeint sein könnte? Wenn eine Regierung schon Orientierung geben will, sollte sie auch die Chance nutzen, das verständlich zu tun. Es gibt keinen sinnvollen Grund, vage zu bleiben. Zumal es handwerklich durchaus möglich ist, so einen Zusammenhang klar zu formulieren. Man muss das Handwerk der Sprache halt auch anwenden.

Oder versetzen Sie sich wie gesagt in die Perspektive von Fremdsprachlern. Welchen sinnvollen Grund sollte es geben, dass ein Ministerium die Seite in der „Bild am Sonntag“ für Denksportaufgaben verwendet statt für klare Informationen? Fürs Grübeln gibt es in der „Bild am Sonntag“ das Kreuzworträtsel und die Sudoku-Seite.

Also: Die Ausrede „Es ist doch klar, was gemeint ist“ gilt allenfalls im privaten Kontext. Sie gilt niemals in der öffentlichen Kommunikation, schon gar nicht bei einem so prominenten Absender und bei einem so relevanten Thema. Der Anspruch ist schon der, auch komplizierte Dinge einfach und vor allem unmissverständlich zu formulieren.

Die Einsicht, dass Formulieren ein Handwerk ist, kann helfen.

Meine Version:

„Personen, die mit dem Impfstoff Janssen® von Johnson & Johnson und mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurden“

Denn wieder ist das Problem, dass der Satz viel zu voll ist.

In meinen Augen geht es darum, eines nach dem anderen zu sagen, und zwar so, dass der Leser der Gedankenführung aus seiner Perspektive folgen kann. Dazu ist es nötig, auch komplexe Zusammenhänge erst einmal in ihre Einzelteile zu zerlegen. Die meisten Experten beherrschen ihre komplexen Gedanken und schreiben sie inklusive aller Einschübe, Bezüge und Bedingungen auf – in der Annahme, der Leser könnte ihnen folgen. Doch das tut der Leser nicht. Wir müssen jede einzelne Information klar darstellen. Und weil es eben Bezüge und Bedingungen sind, lässt sich das auch auseinanderdröseln. Machbar ist es. Bei jedem Text, egal aus welcher Profession.

Empfängerorientiert wäre es zudem, wenn der Text die Perspektive des Einzelnen einnehmen würde. So, wie die Anzeige daherkommt, ist sie aus der Absenderperspektive verfasst. Am Anfang steht eine Funktion: Wer sollte sich impfen lassen? Dann folgt die Antwort: diese und jene Menschen unter diesen und jenen Bedingungen. Empfängerorientiert wäre die Anzeige anders aufgebaut und würde Leute abholen: „Sind Sie mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft? Dann gilt für Sie …“ – empfängerorientiert funktioniert die Logik eben entgegengesetzt.

Und dann könnten wir auch rasch klarmachen, wann man bei Johnson-&-Johnson-Geimpften von „Grundimmunisierung“ spricht.

Ein solcher empfängerorientierter Zugang wäre ein Quantensprung in der Kommunikation öffentlicher Stellen: weg vom Denken in Funktionen, hin zur Ergebnisorientierung im Blick aufs bestmögliche Verständnis von Inhalten. Ein solches Umdenken wäre ein elementarer Schritt in Richtung Bürgernähe.