Wenn es um Recruiting geht, brauchen Unternehmen eine andere Sprache. Der bisherige gewohnte Stil – formell, bürokratisch, umständlich – spricht den modernen Menschen kaum noch an. Der moderne Mensch kommuniziert normal und einfach, und das will er auch in seinem Arbeitsumfeld so praktizieren und erleben.

„Der moderne Mensch“ – damit meine ich Menschen, die ans Geschehen der Welt angeschlossen sind, die sich mit guten Leuten treffen, sich austauschen, offen sind, neue Informationen aufsaugen und die ihr Leben anders leben wollen als nach früheren Maßstäben, wonach man sich einen „sicheren Job“ fürs Leben sucht und gefälligst froh sein soll, irgendwo eine „Stelle“ zu haben.

Wenn Unternehmen über „Fachkräftemangel“ klagen, dann wundert mich das in vielen Fällen nicht. Oft genügt ein Blick auf die Sprache, mit der viele Unternehmen versuchen, gute Leute zu gewinnen. Das funktioniert halt oft nicht. Viele Unternehmen tun es auf die alte Art und erkennen nicht, dass diese alte Art immer weniger funktioniert. Sie funktioniert bei manchen älteren Semestern noch, aber auch das lässt nach.

Den guten Leuten geht es inzwischen so gut, dass sie sich aussuchen können, wo sie arbeiten. Dieses Phänomen ist bekannt. Entsprechend höher sind die Ansprüche dieser „high potentials“ auch gegenüber der Unternehmenskultur, die sie im Falle einer Anstellung erwartet. Und wenn ein Bewerber schon an der Sprache einer Stellenanzeige erkennt, dass er in diesem Umfeld nicht arbeiten will, dann bewirbt er sich eben nicht.

Stellenanzeigen entlarven die wahre Unternehmenskultur

Stellenanzeigen sind insofern vielsagend, als sie die Unternehmenskultur von Unternehmen unmittelbar sichtbar machen. Die meisten Stellenanzeigen wirken störrisch, förmlich und bürokratisch. Stellenanzeigen wirken damit oft ganz anders, als die Unternehmen eigentlich wirken wollen, wenn wir uns ihre Markenwerte anschauen. Unternehmen wollen in aller Regel freundlich wirken, nahbar, menschlich, und das wünschen sich auch Bewerber. In dieser Lage eine förmliche Sprache zu verwenden, ist am Ende einfach nicht klug.

Wobei das Problem an mehreren Dingen liegt.

Das Checklisten-Problem

Die Stellenanzeige an sich, also als Format, folgt gewissen Konventionen. Eine der Konventionen ist es, die Anforderungen an den Bewerber als Liste darzustellen. Ein Bewerber muss also quasi den einzelnen Punkten einer Checkliste entsprechen. Menschen, die außerhalb konventioneller Bahnen denken und in Zeiten von Disruptionen für Arbeitgeber besonders wertvoll sein könnten, fühlen sich vom Abhaken einzelner Punkte auf einer Checkliste naturgemäß nicht angesprochen. Auf diese Art finden Unternehmen keine Kreativen und schon gar keine Visionäre.

Headhunting ist eine Möglichkeit, dem zu begegnen. Beim Headhunting spricht der Headhunter ganz normal mit dem begehrten potenziellen Mitarbeiter. Dabei kommt er ihm nicht mit Listen zum Abhaken. Beim Headhunting ist klar, wer hier der Bewerber ist (nämlich das Unternehmen, unten dazu mehr). Und machen Unternehmen weiter so mit ihrem Zugang in Sachen Recruiting, wird Headhunting bald boomen und nicht nur einzelne Führungspositionen betreffen, sondern auch wirklich jeden Facharbeiter.

Das Problem der Stellenbezeichnungen

Die meisten Stellenanzeigen führen in ihrer Headline eine Stellenbezeichnung. Diese Bezeichnung ist meist aus Unternehmenssicht formuliert und nicht aus Bewerbersicht. Bei manchen Berufen, bei denen die Qualifikation ausschlaggebend ist (Rechtsanwälte, Ärzte, Ingenieure, …) mag das Sinn haben: Das Unternehmen sucht eben einen Ingenieur oder einen Chefarzt.

Aber selbst da frage ich mich, ob es für den neugierigen Ingenieur der relevante Punkt ist, dass ein Unternehmen einen Ingenieur sucht. Wäre ich Ingenieur, würde ich nicht jede Stellenanzeige durchlesen wollen, in der ein Unternehmen einen Ingenieur sucht. Sondern ich würde wissen wollen, was diesen Arbeitsplatz für mich besonders interessant macht. Auch bei Stellen, die sich nicht durch die Qualifikation definieren, sondern durch die Tätigkeit („Automobilverkäufer Gebrauchtwagen m/w/d“), erfährt der Interessent durch die Stellenanzeige zwar, was gesucht wird, aber ihm teilt sich keinerlei Vorteil mit, den er ausgerechnet bei diesem Unternehmen erfährt.

Daher sollte die Headline einer Stellenanzeige eher den Nutzen des Interessenten auf den Punkt bringen, weniger den Bedarf des Arbeitgebers. (Ich weiß, dass sich klassische Portale dessen nicht bewusst sind und daher vom Arbeitgeber erwarten, dass er eine klassische Stellenbezeichnung in die Headline schreibt.)

Die irrelevante Arbeitgeberperspektive

In den Stellenanzeigen selbst ist dann die übliche Abfolge:

  1. Ihr Arbeitsbereich
  2. Ihre Aufgaben
  3. Ihr Profil

… oder so ähnlich. Oft ist es noch schlimmer, und wir lesen:

  1. Ihre Hauptaufgaben
  2. Ihr Profil
  3. Kontakt

Ganz im Ernst: Da würde ich mich auch nicht bewerben. Denn will ich in einem Unternehmen arbeiten, das sich schon beim Erstkontakt null für meine Bedürfnisse interessiert? Und das vor dem Hintergrund, dass in erster Linie das Unternehmen einen guten Mitarbeiter sucht und nicht der Bewerber ausgerechnet dieses Unternehmen?

Wo also sind die Informationen über das Arbeitsumfeld? Mit welchen Leuten arbeite ich zusammen? Was kann ich von denen lernen? Wie cool sind die? Oder sind es Idioten? Was für einen Führungsstil lebt mein Chef? Welche Entwicklungsmöglichkeiten – und das nicht nur formal – habe ich? Wie viele Leute sind überhaupt im Team? Wie ticken die? Macht es Spaß, dort zu arbeiten?

Mit „Spaß“ meine ich nicht, dass im Büro ein Kicker steht, dass es Obst und Kaffee für lau gibt und dass man lachen darf. Ich meine damit die Aussicht darauf, an meinem künftigen Arbeitsplatz ganz normal handeln zu können, ohne mich verstellen zu müssen, und das auch nicht sprachlich. Immerhin geht es darum, mindestens ein Drittel jedes Arbeitstages in diesem Umfeld zu verbringen – und wenn gute Leute eins nicht wollen, dann ist es ein Horror, der ihnen gegen den Strich geht. Der Preis dafür, dass in heutigen Zeiten jemand noch Horror auf sich nimmt, ist sehr hoch.

Dass Unternehmen ihre Stellenanzeigen vor allem aus ihrer eigenen Sicht formulieren und dem Interessenten die für ihn relevanten Informationen verschweigen, ist in meinen Augen ein Hauptgrund dafür, dass Unternehmen keine guten Leute finden. Verständlich ist es natürlich, weil die Insider dort eben Insider sind und aus Insider-Sicht Texte formulieren.

Die Sprache

Die Sprache von Stellenanzeigen ist, wie schon angerissen, förmlich, während Unternehmen selbst offiziell menschlich sein wollen. Das funktioniert aber nicht. Wenn ich in einer Stellenanzeige die Headline lese: „Automobilverkäufer Gebrauchtwagen“, dann weiß ich, dass Technokraten diesen Text formuliert haben. Als sprachbegabter und musikalischer Mensch fühle ich mich abgeschreckt. Denn, gehen wir in die Sprachanalyse:

  • Was ist ein „Automobilverkäufer Gebrauchtwagen“ anderes als ein „Verkäufer Gebrauchtwagen“? Gebrauchtwagen sind Automobile. Also brauchen wir die unnötige Verlängerung „Automobil“ nicht. Unnötige Präzision ist oft ein Zeichen für Technokratie und Bürokratie. Ein Alarmzeichen.
  • Ein „Verkäufer Gebrauchtwagen“ ist ein „Gebrauchtwagenverkäufer“. Das ist ein langes Wort, aber es ist normale Sprache. Es ist richtig. Die Kinder lernen Mathe nicht beim „Lehrer Mathematik“, sondern beim „Mathematiklehrer“.
  • Noch näher ran an den Kern: Sagen wir am Abend unserem Kumpel, dass wir jetzt als „Gebrauchtwagenverkäufer“ arbeiten? Ja, vielleicht. Eher aber noch sagen wir, dass wir jetzt bei der Firma Gedöns GmbH Gebrauchtwagen verkaufen. Wenn wir menschlich kommunizieren, sagen wir mit Verben, was wir tun („Ich verkaufe Gebrauchtwagen“) und nicht mit Substantiven („Ich bin Gebrauchtwagenverkäufer“ oder „Ich nehme den Verkauf von Gebrauchtwagen vor“).

Die förmliche Sprache widerstrebt uns Menschen, weil wir Gefühle haben und keine Automaten sind. Sie hat natürlich einen historischen Hintergrund: den Kanzleistil, in dem sich die Obrigkeit vom Untertan distanziert hat. Der ist auch heute noch zu spüren.

Oder wir lesen: „Sie verfügen über ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium in der Fachrichtung Informatik.“ Was soll das? Im Klartext heißt das: „Sie sind Informatiker“ oder meinetwegen „Informatiker (m/w/d)“. Die „Fachrichtung Informatik“ ist „Informatik“, fertig. Wer kein Informatikstudium abgeschlossen hat, ist kein Informatiker. Und niemand sagt nach Feierabend zu seinem Kumpel: „Ich verfüge über eine erfolgreich abgeschlossene MPU.“ Sondern man sagt: „Ich habe die MPU bestanden“ oder bringt sogar auch nur die Bedeutung auf den Punkt: „Ich bekomme meinen Führerschein zurück“ oder „Ich darf bald wieder fahren“. Menschen denken einfach und klar, Unternehmen seltsamerweise oft nicht – obwohl darin Menschen arbeiten.

Der Arbeitgeber ist der Bewerber

Ja, ich weiß, nicht alle Leute sind sprachbegabt und musikalisch. Aber deswegen sind nicht alle unmusikalischen Menschen stumpf in ihrer Empfindung von Sprache. Ich frage mal so: Wozu diese förmliche Sprache? Was sollte ihr Sinn sein? Ich glaube, sie hat keinen Sinn, sondern ist eine reine Konvention. „Gewachsene Struktur“. Im Klartext: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Ergebnisorientiert war das noch nie gedacht – außer wie gesagt im Sinne des Ziels feudalistischer Herrscher, das Volk von sich fernzuhalten.

Diese Lücke übrigens – zwischen dem Business-Bullshit und der einfachen menschlichen Kommunikation – macht viele Leute in vielen Unternehmen so irre und bringt sie an den Rand des Burn-outs. Dieses ständige Theaterspielen, das nicht Einssein mit sich selbst, zerstört. Ich kenne niemanden, der unter solchen Bedingungen arbeiten und damit leben will. Kennen Sie jemanden? Falls nicht: Warum glauben Sie, durch den Stil solcher Stellenanzeigen gute Leute zu gewinnen? Der Denkfehler liegt doch vor der Haustür und ist sofort und für jeden erkennbar.

Vielleicht merken Sie, dass ich vom Begriff „Bewerber“ auf „Interessent“ gewechselt habe. Denn wer bewirbt sich hier? Nicht der potenzielle Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist es, der sich bewirbt.

Dieses Verständnis fehlt in den Unternehmen.

Ich bin überzeugt: Gute Leute wollen ein gutes Umfeld. Es geht darum, dass Unternehmen auch sprachlich ihren Markenwerten entsprechen, nicht nur auf irgendwelchen Hochglanz-Broschüren.

Ich kenne kein Unternehmen, das distanziert und bürokratisch wirken will. Auch nicht in Branchen, denen böse Zungen das Formelle als Haltung unterstellen wie Anwaltskanzleien, Steuerberatern und traditionell prozessorientierten Gesellschaften in öffentlicher Hand. Sobald ein Unternehmen Umsatz machen will, kann es sich nicht leisten, förmlich zu sein. Unternehmen müssen heute normal kommunizieren. Der Business-Bullshit muss aufhören.