Noch steht der finale Titel nicht, aber das Buch füllt sich: Voraussichtlich im September erscheint bei GABAL mein neues Buch über klares Denken, Erkenntnisgewinn und Meinungsbildung. Es wird mein Beitrag sein gegen die enorme Desinformation, mit der Kräfte aus dem Ausland derzeit versuchen, die liberalen Demokratien zu destabilisieren.

Das Thema „Fake-News“ bzw. Desinformation ist inzwischen gut beleuchtet:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erkennt die Desinformation als Gefahr und ordnet sie zumindest phänomenologisch unter nachrichtendienstlicher Tätigkeit ein.

Die finnische Autorin Jessikka Aro beschreibt, mit welchen Ressourcen und Helfern Wladimir Putin versucht, den Westen mit Lügen zu überziehen.

Katharina Nocun und Pia Lamberty beschreiben in „True Facts“, wie sich Verschwörungsgläubige in die Realität zurückholen lassen – unter anderem geht es um die Frage, was zu tun ist, „wenn inhaltliches Diskutieren nichts mehr bringt“.

Daniel Simons und Christopher Chabris schreiben, „warum wir uns immer wieder hinters Licht führen lassen und was wir dagegen tun können“ – wir sollen überlegen, was fehlt, mehr Fragen stellen und Vorsicht bei allem walten lassen, was wir zu wissen glauben.

Michel Eltchaninoff beschreibt, wie Wladimir Putin tickt und was ihn dazu treibt, nicht einfach Frieden walten zu lassen, sondern die Ukraine anzugreifen sowie den Westen zu bedrohen und seinen Feldzug gegen den Westen mit der Desinformation vorzubereiten, über die wir hier gerade sprechen.

Wie funktioniert Meinungsbildung?

Das ist nur eine kleine Auswahl sehr guter Beiträge zum Thema. Dazu will ich mit meinem Buch eine Ergänzung liefern: Wie funktioniert professionelle Meinungsbildung?

Was mich in der jüngsten Zeit erschreckt, ist das fundamentale Unwissen, mit dem sich viele Zeitgenossen ihre Meinungen bilden. In Scharen fallen Menschen auf Scharlatane und Demagogen herein, ohne dass sie auch nur einen Hauch einer Ahnung davon haben, wie deren Tricks funktionieren.

In meinen Augen spielt dabei gar nicht so sehr eine Rolle,

  • wie frustriert jemand über sein Leben ist,
  • wie „abgehängt“ sich jemand fühlt,
  • wie intelligent jemand ist,
  • welche Bildung jemand durchlaufen hat,
  • wie jemand sozialisiert wurde,
  • welche Vorurteile jemand hat,
  • ob jemand links oder rechts eingestellt ist,

… sondern in meinen Augen stellt sich zunächst einmal die Frage, ob jemand weiß, wie sich der aufgeklärte Mensch eine qualifizierte Meinung bildet. Wie das geht, vermittelt uns die Schule nicht – von daher werden gebildete Menschen ebenso Opfer wie ungebildete.

„Unqualifizierte Meinungen“ – das klingt merkwürdig in den Ohren derer, die denken, die Meinungsfreiheit sei unbegrenzt. Aber in der Tat gibt es qualifizierte Meinungen und unqualifizierte Meinungen. Eine Meinung ist beispielsweise dann unqualifiziert, wenn ihr eine Falschinformation zugrundelegt („Der bayerische Ministerpräsident Robert Habeck gibt derzeit keine gute Figur ab“).

Dass jemand „keine gute Figur abgibt“, ist eine Meinung und als solche nicht richtig oder falsch – wir können die Äußerung nicht beweisen und auch nicht widerlegen. Aber wir können in ihrem Sinne argumentieren. Dass Robert Habeck bayerischer Ministerpräsident sei, ist eine Behauptung, zumal eine falsche – und da haben Argumente keinen Sinn, da geht es ums Beweisen oder Widerlegen. Etwas ist eben Fakt oder eben auch nicht.

Und den Unterschied zwischen Behauptungen und Meinungen lehrt die Schule bisher nun einmal nicht. Ich hatte das alles im Studium in Medienrecht, und Journalisten wissen das alles, aber auch in meiner Blase aus Ratgeberautoren, Seminarleitern und Speakern kennt fast niemand die Zusammenhänge.

Ich gehe davon aus: Alle Meinungen, die wir uns bilden, haben einen Tatsachenkern. Dieser Ansicht ist übrigens auch der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014; VI ZR 39/14). Wenn Ihnen eine Meinung ohne Tatsachenkern über den Weg läuft, schicken Sie sie mir bitte. Ich veröffentliche das Beispiel dann gerne.

(Podcast: „Meinung ohne Ahnung“; Podcast: „Geschwurbel“)

Wir überzeugen niemanden durch unsere Meinung

Das heißt: Wir überzeugen Menschen mit anderer Meinung nicht durch unsere Meinung. Stattdessen müssen wir am Tatsachenkern ansetzen. Aus dem, was Menschen wissen oder zu wissen glauben, leiten sie ihre Meinungen ab. Wir übernehmen keine Meinung, nur weil jemand anders das will. Einzig Informationen überzeugen uns.

Und damit sind wir bei der Frage, was eigentlich eine Tatsache ist. Erschreckend viele Menschen halten Mutmaßungen für Fakten. Andere glauben zu wissen, was sie zuletzt gehört haben. Wieder andere halten alles für Erkenntnisse, was in ihr Weltbild passt. Gefährlich viele halten für wahr, was ihnen plausibel erscheint – obwohl Wahrheit und Plausibilität völlig verschiedene Dinge sind.

Andere behaupten sogar, ihre Meinungen seien Fakt. Wieder andere geben ihre Lügen als legitime Meinungen aus – wobei wir da sicher nicht mehr von Opfern sprechen, sondern schon entweder bei den ahnungslosen Helfern oder auch bei den Tätern sind.

Transparente „gegen Nazis“ verfehlen die Zielgruppe

Exakt da setzt Putin mit seiner Propaganda an. Das Wesensmerkmal von Propagandaopfern und AfD-Wählern ist nicht, dass sie rechtsextrem wären. Ihr Wesensmerkmal ist, dass sie sich auf der Basis von Falschinformationen, unvollständigen Informationen, unbelegten Behauptungen und Andeutungen ihre Meinungen bilden.

Darum haben Transparente mit Botschaften „gegen Nazis“ wenig Sinn und wirken eher kontraproduktiv: Die Zielgruppe fühlt sich nicht angesprochen.

Die Gruppe derer, die sich ihre Meinungen anhand von Halbwissen und Unwissen bilden, verteilt sich politisch zumindest auf die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), sicher auch auf die kleine „dieBasis“ und möglicherweise auch auf Teile der „Werteunion“. Manche Anhänger der „Werteunion“ haben möglicherweise zu oft den Film „Operation Walküre“ mit Tom Cruise gesehen und fühlen sich edel, wenn sie als nationalkonservative Intellektuelle im Dreiteiler in noblem Ambiente staatstragend tun. Ein anderer Teil der „Werteunion“ will vermutlich wirklich nur die CDU/CSU zu ihren alten Ideen zurückführen.

Abergläubische Menschen sind gefährdet

In jedem Fall sind die sozialen Milieus der „Querdenker“, der Reichsbürger, der Prepper, der völkischen Anastasia-Bewegung, der Links- sowie Rechtsextremen und der „Querfront“ eines BSW die Zielgruppe der Desinformation, mit der Putin den Westen überschwemmt, ohne dass kluge Menschen mit dem Richtigstellen noch hinterherkommen könnten.

Ebenfalls potenzielle Opfer sind abergläubische Menschen (die Verschwörungstheorie ist nach Karl Popper der Aberglaube von heute) und alle, die sich ihre Meinungen rein anhand von Assoziationen und Gefühlen bilden und daneben nicht nachdenken.

Durch die Leitsätze „Es gibt keine Zufälle“, „Alles hängt mit allem zusammen“, „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde“ und „Nichts ist, wie es scheint“ grast Putin zudem weite Teile der Esoterik-Szene ab. Akteure wie der Schweizer „Querdenker“-Star Daniele Ganser füttern die Zielgruppe mit entsprechendem esoterischem Kitsch an („Menschheitsfamilie“), was sie scheinheilig emotionalisiert und dadurch empfänglicher macht für Desinformation.

Entscheidend ist dabei: Wer an Schwurbler-Grundsätze wie „Nichts ist, wie es scheint“ glaubt, lässt sich besser für dumm verkaufen, weil er nicht nach Belegen fragt.

Irrtümer und Lügen entlarven

Der Punkt bei vermutlich allen, die dieser Propaganda auf den Leim gehen, ist: Sie denken die Dinge nicht zu Ende. Sind sind eben nicht „kritisch“, wie sie behaupten. Sie „denken“ eben nicht „selbst“, wie sie vorgeben. Sie lassen sich stattdessen von unvollständigen Gedankenführungen überzeugen. Demagogen verschweigen ihnen Wesentliches, und ihnen fällt nicht auf, dass man ihnen wichtige Teile der Sachlage vorenthält.

Zugleich fragen sie nicht nach, weil Widerspruch ihr Weltbild gefährden könnte – beschimpfen aber Klardenker, die nicht auf die Desinformation hereinfallen, als „Schlafschafe“. Und das ist genial und eben das Prinzip Putin: alles umdrehen. Die gesamte Realität wird umgekrempelt und deren Gegenteil als wahr ausgegeben.

Auf einer lückenhaften, fehlerhaften oder sogar falschen Basis bilden sich diese Menschen ihre Meinungen – und das ist natürlich fatal. Es ist nie klug, sich seine Meinungen anhand unvollständiger Informationen zu bilden. Aber es ist das Ziel Putins: die Leute in die Paranoia treiben, ihnen einreden, die westlichen Demokratien seien Diktaturen und das „System“ von innen aushöhlen. Dann tritt Deutschland AfD-geführt aus der NATO aus und Putin – oder sein denkbarer Nachfolger Medwedew – marschiert ressourcenschonend durch.

Also müssen wir beim Tatsachenkern der Meinungen ansetzen und den Leuten zeigen, dass Demagogen sie hinter die Fichte führen.

Beispiele:

  • Wer nicht weiß, dass Impfstoffe keine Medikamente sind, könnte Spätfolgen befürchten. Hier geht es um eine Wissenslücke und die Frage, wie der Körper Impfstoffe verstoffwechselt.
  • Wenn jemand unbelegte Verschwörungen ins Feld führt, dann sollten wir ihm das Prinzip „Wer behauptet, belegt“ nahebringen inklusive der unzulässigen Beweislastumkehr und den Überlegungen von Karl Popper und Bertrand Russell, wonach unbelegte und zugleich unprüfbare Behauptungen gegenstandslos sind.
  • Wenn der berühmte Gedächtnistrainer Markus Hofmann in einem Blogbeitrag schwurbelnd vom Leder zieht und implizit einen Umsturz anregt (schwurbelnd, weil voller unbelegter und unprüfbarer Behauptungen), dann ist es richtig und wichtig, dieser Demagogie zu begegnen und sie argumentativ zu entkräften.
  • Wenn Daniele Ganser im „Braintalk“ bei Markus Hofmann am 16. Januar 2024 (Veröffentlichungen dazu folgen) dem fragenden Publikum Quellen vorenthält mit Verweis auf eine Bezahl-Community, in der das Video mit allen Quellen verfügbar sei, dann müssen wir öffentlich festhalten, dass das unwissenschaftlich ist und die Bezeichnung „Verschwörungsunternehmer“ offenbar nicht ganz so unzutreffend ist.
  • Wenn Markus Hofmann selbst in dem Talk öffentlich behauptet, Russland wolle gar nicht weiter in die Ukraine vordringen (eine sehr hinterhältige Argumentation gegen die weitere Unterstützung der Ukraine durch den Westen), dann ist Markus Hofmann öffentlich aufzufordern, diese Behauptung zu belegen.
  • Wenn das BSW den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen in die Ukraine fordert, die Rücknahme aller Sanktionen gegen Russland und weiteres Öl aus Russland, dann muss irgendein verständiger Mensch kommunizieren, dass daraus die Auslieferung der Ukraine an Russland folgt, wie Uwe Jahn von der ARD zutreffend schreibt, zumal Putins Pläne eines „Neurusslands“ ja bekannt sind.
  • Wer die Öffentlichkeit mit der Falschinformation manipuliert, der Westen wolle die Ukraine in der NATO haben, dem muss irgendein kluger Kopf entgegenhalten, dass Frankreich und Deutschland auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest ihr Veto gegen eine Aufnahme der Ukraine eingelegt haben und dass seitdem das Gerede über eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft reine politische Floskeln blieben. Darauf weist der Osteuropa-Experte Prof. Klaus Gestwa von der Universität Tübingen immer wieder hin. Wer das NATO-Narrativ erzählt, muss öffentlich als Demagoge entlarvt werden, und alle Falschbehauptungen gehören richtiggestellt.

Und so weiter. Es ist uferlos. Aber die gemeinsame Quelle all dieser Lügen und Verzerrungen ist das Unwissen der breiten Masse, Informationen treffend einzuordnen. Das ist die Schwäche. Die Schwäche ist nicht in erster Linie die soziale Lage oder irgendeine Fremdenfeindlichkeit. Die wichtigste Schwäche ist zuallererst die Unbildung in Sachen Publizistik und Wissenschaft.

Derzeit geschieht so viel, was mit dem Thema „Meinungsbildung“ zu tun hat. Die Arbeit an dem Buch ist entsprechend intensiv. Ich hoffe, dass es etwas bewegt. Und ich hoffe auch, dass das Verbreiten von Propagandalügen aggressiver Staaten irgendwann auch rechtliche Folgen für die jeweiligen Demagogen hat. Aus meiner Sicht geht es hier um Agententätigkeit, und wir sollten § 99 StGB möglicherweise neu fassen.