„Das ist doch Satire!“ Das hören wir oft, wenn jemand Müll von sich gibt. War nicht so gemeint! War ganz anders gemeint! Ja, wie denn? Wie war es denn gemeint, wenn nicht so, wie es wirkt? Wir übersetzen die Satire von „#allesdichtmachen“ zurück auf die Aussagenebene.

Satire kritisiert überspitzt. Das tut sie vor allem durch zwei rhetorische Mittel: durch die Ironie und die Übertreibung. Es gibt noch einige weitere Mittel. Aber bei der Aktion der mehr als 50 prominenten deutschsprachigen Schauspielerinnen und Schauspieler mit dem Hashtag „#allesdichtmachen“ sind es vor allem Ironie und Übertreibung. Wollen wir wissen, was der Künstler uns sagen will, müssen wir einfach nur die Ironie und die Übertreibung dechiffrieren. Also zurückübersetzen.

Aussage der Videos: Alle Coronamaßnahmen sind Humbug

Daran gemessen, wird sofort klar, welche Haltung der Aktion zugrundeliegt. Und nein, das ist nicht undeutlich. Und nein, es ist auch nicht interpretationsfähig. Und nein, es ist auch keine Ansichtssache oder beliebig diskutabel. Denn das Prinzip der Satire ist ganz einfach:

  1. Der Satiriker behauptet, er sei für das, was er kritisiert. Das ist das Mittel der Ironie.
  2. Außerdem übertreibt er maßlos. Das ist eben das Mittel der Übertreibung.

Die mehr als 50 Videos von Stars wie Volker Bruch, Ulrike Folkerts und Ulrich Tukur funktionieren genau so:

  1. Der Star stellt sich vor und sagt, er sei Schauspieler. Damit stehen die Sprecher/-innen als sie selbst vor der Kamera. Sie vertreten also keine Figur und spielen keine Rolle. Sie sind sie selbst. Sie machen sich also zu eigen, was sie sagen.
  2. Dann lobt der Star in höchsten Tönen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung und fordert noch mehr und härtere Maßnahmen, die ganz klar ins Totalitäre gehen. Das ist die erwähnte Übertreibung.
  3. Durch die Übertreibung wird klar: Gemeint sein kann nur das Gegenteil. Das ist das Mittel der Ironie. Und weil die Stars übertrieben totalitäre Maßnahmen fordern, ist die Aussage der Satire, sämtliche Coronamaßnahmen seien totalitär.
  4. Am Ende kommt meist ein Appell. Nach dem „Bleiben Sie gesund!“ heißt es in orwellscher Manier sinngemäß: Fügen Sie sich und seien Sie unserer gottgleichen Regierung dankbar. Das Bitter-Zynische ist eine Potenzierung von Ironie und Übertreibung und bestätigt erneut: Die Schauspieler betrachten sämtliche Bestrebungen gegen Corona als totalitär.

Da Satire einfach über die Umkehrung des Gesagten funktioniert, lässt sich die Aussage im Klartext nicht umdeuten:

  1. Die Stars sind gegen sämtliche Coronamaßnahmen. Differenzierungen finden nicht statt. Solche herauszulesen, ist zu viel verlangt. Es zu fordern, zeugt von einigermaßen verknotetem Denken der Macher.
  2. Die Stars halten die Bundesregierung und den Gesetzgeber für totalitär.
  3. Die Stars appellieren an die Menschen, die Bundesregierung und den Gesetzgeber ebenfalls für totalitär zu halten.

Dafür geben sich diese Schauspieler her. Was sie sagen, formuliert genau diese drei Aussagen mit satirischen Mitteln. Es kann sein, dass sie es nicht erfassen, weil sie nicht einfach genug denken. Aber tatsächlich sind manche Dinge sehr einfach.

Die Satire ist so holzschnittartig, dass die Aussage sonnenklar ist

Jetzt kann man an den Coronamaßnahmen vieles kritisieren. Aber eben nicht alles, wenn man bei Verstand ist. Über die Ausgangssperre ist wohl zu diskutieren, möglicherweise kommt das letzte Wort dazu vom Bundesverfassungsgericht. Aber daran, dass wir Kontakte reduzieren und in der U-Bahn eine Maske tragen sollten, dürfte kaum ein kluger Mensch zweifeln.

Nur lassen die Videos der Stars eben diese Zwischentöne nicht zu. Die Satire ist so ironisch und so übertrieben, dass auch die Deutung keine Nuancen erlaubt. Bei einem Holzschnitt gibt es eben nur Schwarz und Weiß.

Die Satire funktioniert mustergültig:

  • Wir übersetzen die Ironie zurück und erkennen als Aussage das Gegenteil dessen, was die Schauspieler sagen. Sie sagen, man müsse die Maßnahmen noch härter machen. Zurückübersetzen heißt: Die Schauspieler meinen das Gegenteil. Konkret: Alle Maßnahmen müssen weg. Es lässt sich nicht anders verstehen angesichts der satirischen Mittel dieser Texte.
  • Wir übersetzen die Übertreibung zurück und erkennen als Aussage: Es geht nicht um das Maß der Maßnahmen, sondern um alle Maßnahmen als solche. Auch die simpelsten Maßnahmen sind totalitär, inklusive Abstand und Mundschutz in der U-Bahn. Auch hier bestehen an der Deutung der Satire keine Zweifel.

Die Schauspieler haben also eine Botschaft. Diese Botschaft codieren sie mithilfe der satirischen Mittel „Ironie“ und „Übertreibung“ und gelangen so zu den Texten, die sie in ihren Videos vortragen. Decodieren wir diese Videotexte, landen wir eben bei dem, was diese Schauspieler sagen wollen. Im Klartext. Und daran lässt sich nichts umdeuten oder zerreden. Wir meinen „grün“, codieren das Wort mit dem Faktor „englisch“ und landen bei „green“. Wir decodieren „green“ und nehmen den Faktor wieder raus, dann landen wir wieder bei „grün“. Ganz einfach.

Sachlich betrachtet (also ohne Ironie und Satire) ist es natürlich nötig, die Coronaregeln differenziert zu betrachten. Politik und Gesellschaft sollten darüber diskutieren, welche Mittel gegen Corona sinnvoll sind und welche nicht. Die Parlamente sollten eingebunden sein, was ja jetzt zumindest zum Teil der Fall ist. Die Mittel sollten verhältnismäßig sein, was sie zum Teil vermutlich nicht sind, aber darüber läuft ja auch eine öffentliche Debatte. Es gibt eben bei dem Thema nicht nur Schwarz und Weiß, sondern zwischen den Extremen „Alles verbieten“ und „Alles erlauben“ befindet sich ein breites Spektrum an Möglichkeiten.

Aber mit den satirischen Mitteln „Ironie“ und „Übertreibung“ in den Videos der Schauspieler/-innen lässt sich diese Differenzierung nicht herstellen. Die Macher haben sich für den brutalstmöglichen Holzschnitt entschieden und damit sämtliche differenzierende Interpretationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Man kann das einfältig nennen, unbedacht, unklug. Vielleicht haben sie gedacht, das sei künstlerisch. Aber es funktioniert eben nicht. Weil sich im Klartext eine andere Übersetzung der Satire zeigt als die, die sich die Schauspieler vermutlich gedacht haben. Wobei der Ausdruck „gedacht“ möglicherweise nicht unbedingt trifft. Denn denken – das ist so eine Sache, die nicht vielen gegeben ist.

Entsprechend kassieren diese Schauspieler jetzt die Quittungen von Kollegen wie Christian Ulmen, Nora Tschirner und Jan Böhmermann, die von „Fremdschämen“ sprechen und von „#allenichtganzdicht“. Obwohl die allermeisten beteiligten Schauspieler Corona durchaus ernst nehmen dürften (das vermute ich), präsentieren sie sich als Coronaleugner (das tun sie und lassen mich an meiner Vermutung zweifeln). Ohne Not. Warum tun sie das? Erfassen Leute wie Ken Duken nicht, was sie da tun? Haben Schauspieler so ein geringes Verständnis von der Wirkung von Kommunikation? Immerhin haben viele – darunter Ken Duken – inzwischen verstanden, was da tatsächlich gelaufen ist. Im Nachhinein.

Gute Leute zerlegen sich selbst

Erstaunlich, dass sich gute Leute so heftig selbst zerlegen: Wenn Nina Gummich („Charité“) in ihrem Video sagt, die Leute sollten sich von ihrer Meinung befreien, dann kann sie hinterher nicht behaupten, das sei doch ganz anders gemeint gewesen. Nein! Es ist sonnenklar, was Nina Gummichs Satire meint. Sie sagt es ja auch nicht umständlich, sondern lediglich einfach verschlüsselt. Sie sagt im Klartext: Die Coronapolitik schränkt die Meinungsfreiheit ein und der Gesetzgeber will keine mündigen Bürger mit eigener Meinung. Genau das sagt Nina Gummich in ihrem Video mit den Mitteln der Satire. Das ist die Übersetzung.

Pasquale Aleardi („Die Sturmflut“) sagt, er denke über die Überlastung des Gesundheitssystems nach. Denn andere Systeme seien schließlich auch überlastet, beispielsweise die Polizei. Die Polizei müsse ja jetzt Jugendliche durch den Park jagen und Bußgelder verhängen, wenn jemand keine Maske trage. Ja, der Fall mit der Jagd im Park ist bekannt. Es ist richtig, solche Dinge zu kritisieren und rechtsstaatlich dagegen vorzugehen. Was Pasquale Aleardi jetzt aber macht: Er verallgemeinert das Phänomen und pauschalisiert. Er insinuiert, die Polizei handele allgemein so. Daher habe er sich einen Gummiknüppel und einen Helm zugelegt, um die Polizei zu unterstützen. Wenn jemand nicht Abstand hält, haue er drauf. Und er endet: „Überlegen auch Sie, was Sie tun können.“

Was will uns der Künstler damit sagen? Ganz einfach, wir müssen nur die Ironie und die Übertreibung zurückübersetzen: Er ist gegen Einsätze der Polizei im Zusammenhang mit Corona. Er deutet an, die Polizei handele generell so wie in dem erwähnten Fall. Differenziert lässt sich Pasquale Aleardis Video eben nicht deuten angesichts der klaren Überspitzung. Die Botschaft im Klartext lautet: Sämtliche Polizeieinsätze im Zusammenhang mit Corona sind in den Augen von Pasquale Aleardi totalitär. Das sagt er, nur eben in einer satirischen Übersetzung. Auch Pasquale Aleardi kann nicht sagen, man habe ihn missverstanden. Auch seine Ironie war nur einfach verschlüsselt. Wie sollen wir ihn denn anders verstehen als so, wie es die Rückübersetzung der Satire zeigt? Alles andere wäre sophistisch und verknotet gedacht. Denn wie funktioniert öffentliche Kommunikation? Sie funktioniert einfach.

Oder nehmen wir Felix Klare, SWR-„Tatort“-Ermittler. Er sagt: Weil der Staat „ja neuerdings wieder ziemlich klare Ansagen macht“, mache er das jetzt auch. Auf dem Dachboden habe er die Tagebücher seines Urgroßvaters gefunden und daraus viel gelernt. Die Kinder müssten jetzt aufstehen, wenn er den Raum betrete. Er lege sie übers Knie. Und er appelliert ans Publikum: „Erziehen Sie Ihre Kinder zu Disziplin und zu Hygiene.“

Was will uns dieser Künstler sagen? Ganz einfach, die satirischen Mittel lassen sich simpel zurückübersetzen: Jegliche Verbote seien wilhelminisch, vielleicht sogar nazihaft totalitär. Die Coronapolitik ein Rückfall in dunkle Zeiten. Und die Hygiene, um die es im Zusammenhang mit Corona geht – beispielsweise die AHA+L-Regeln – sei in der Anmutung ebenso übel wie der Hygienebegriff der Nazis. Im Klartext sagt er: Maske ist Unsinn, Abstand ist Unsinn. Nur so lässt sich Felix Klare verstehen (auf weitere mögliche Interpretationen aus dem Gedankenraum „Hygiene/Urgroßvater“ gehe ich jetzt erst mal gar nicht ein). Wie auch Hanns Zischler, der ironisch sagt, er distanziere sich von allem und gehe zu allem und jedem auf Abstand, womit er im Klartext das Gegenteil meint.

Felix Klare und Hanns Zischler selbst mögen annehmen, dass die Leute um die gleiche Anzahl von Ecken denken wie sie, aber das tun die Leute eben nicht. Sollten die beiden Schauspieler etwas anderes denken, als sie sagen (und das betrifft alle beteiligten Schauspieler) – sie unterliegen der Logik der Rhetorik. Gegen die Logik der Rhetorik haben diese Schauspieler keine Chance. Die Assoziationen ihrer Texte sind sonnenklar. Und ganz offenbar sind diese Assoziationen gewollt. Felix Klare und Hanns Zischler sagen genau, was sie meinen. Aber sie erfassen offenbar die Bedeutung dessen nicht.

Denn sie wissen nicht, was sie sagen

Oder nehmen wir Jan Josef Liefers, den Gerichtsmediziner-Darsteller aus dem Münster-„Tatort“. Er trägt vor: „Danke an alle Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich, verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben. Und dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung.“

Ah, ok. Ironisch markiert sagt er: Es sei gut, dass „alle Medien unseres Landes“ dafür sorgen, dass es keinen Disput gibt und dass alle konformistisch denken. Ein kritischer Disput sei unnötig.

Wir dechiffrieren die Ironie und kommen auf die Botschaft im Klartext: Es ist aus Liefers‘ Sicht eben nicht gut, dass „alle Medien unseres Landes“ dafür sorgen, dass es keinen Disput gibt und dass alle konformistisch denken. Und er sagt, ein kritischer Disput sei nötig, was sicher richtig ist. Auch er sagt es nur einfach verschlüsselt, nicht mehrfach – also simpel zu dechiffrieren.

Aber treffen denn Liefers‘ Prämissen zu? Mehrere Dinge unterstellt Liefers fälschlich als gesicherte Erkenntnisse:

  1. Alle Medien „unseres Landes“ würden eine pluralistische Auseinandersetzung verhindern; „die“ Medien würden rein regierungskonform berichten.
  2. Es gebe keinen kritischen Disput.
  3. Die Menschen in Deutschland würden konformistisch denken.

All das nimmt Liefers als gegebene Prämissen an, und er bringt seine krude These mit seiner Autorität als öffentlich-rechtlich bezahlter TV-Star unter die Leute. Er lebt vom WDR und wettert über „die Medien“.

Ob Herr Liefers heute die Schlagzeile der „Bild“ gesehen hat? „Heimlich mit Einsperr-Gesetz verabschiedet +++ Gilt ab heute: Totales Nacht-Reise-Verbot für Deutschland“, heißt es da auf dem Titel. Aber ist schon klar: „Die Medien“ berichten rein regierungskonform, meint Liefers. Im Blatt auf Seite 2: ein Kommentar mit dem Titel „Danke, FDP!“ Hintergrund: Die FDP wird gegen das neue Gesetz auf Bundesebene klagen (berechtigt, wie ich finde). Und Liefers raunt, es gebe keine Debatte? Hm.

„Bild“ von heute – aber Jan Josef Liefers insinuiert in seinen Andeutungen, die Presse berichte rein regierungsfreundlich.

Ironie ironisieren? Funktioniert nicht

Also: Diese Schauspieler/-innen blenden die Teile der Wirklichkeit aus, die nicht in ihr Weltbild passen. Und sie sagen exakt, was sie denken. Was sie denken, ist krude. Es ist um eine einzige Ecke gedacht, die Ecke der Ironie und Übertreibung. Mehr Ecken sind nicht zu sehen und auch nicht zu vermuten – auf mehr Ecken gibt es schlicht keine Hinweise. Jetzt zu sagen, das sei nicht so gemeint gewesen, die Botschaften seien nicht einfach, sondern zweifach verschlüsselt gewesen – das wäre sophistisches Zerreden und schlicht Unsinn. Viele Leute, die Unsinn erzählen, kommen hinterher damit daher, es sei doch anders gemeint gewesen. Oder es sei eben eine verworrenere Art der Satire als hier dargestellt. Nur: Wer soll dem folgen? Solchem wirren Denken?

Es funktioniert nur in der Theorie, Ironie zu ironisieren. In der Praxis geht es schief. Und selbst wenn es ginge: Wen oder was kritisieren die Stars denn mit ihrer ironischen Satire? Wen oder was kritisieren sie, wenn nicht die Coronamaßnahmen in ihrer undifferenzierten Gesamtheit? Nur einen Teil davon? Nicht bei dieser Holzschnitt-Rhetorik. Und die Coronaleugner kritisieren sie ganz sicher nicht – das jetzt zu behaupten, wäre wirklich ein unfassbares Foul gegenüber der Öffentlichkeit.

Nein, diese Stars unterstützen die Coronaleugner. In deren Sinne standen sie vor der Kamera, in deren Sinne funktionieren ihre Texte. Die satirischen Videos transportieren ironisch übersetzte Botschaften, die sich problemlos zurückübersetzen und dann sonnenklar sind. Möglicherweise vertreten die Protagonisten diese Thesen gar nicht – aber dann sind sie jemandem auf unglaubliche Weise auf den Leim gegangen. Allmählich merken einige Protagonisten immerhin, was sie da tatsächlich vertreten haben, allerdings merken sie es erschreckend langsam. Jan Josef Liefers, der sein Video verteidigt, scheint immer noch zu glauben, es gebe eine Lügenpresse. Oder er versteht nicht, wie seine eigene Ironie funktioniert. Dabei ist es ganz klar, wie diese Satire funktioniert: Klartext ironisieren, Text sprechen, Publikum übersetzt zurück und versteht.

Und natürlich unterstützen diese Schauspieler Strömungen wie die „Querdenker“. Gerade indem diese Schauspieler in ihrer Ironie für einen totalen Lockdown eintreten, beweisen sie, dass sie tatsächlich gegen jegliche Form von Lockdown sind, ob hart oder leicht. Weshalb distanziert sich Liefers von den „Querdenkern“? Er sagt doch exakt das, was die „Querdenker“ vertreten.

Politische Botschaften funktionieren nicht um Ecken. Das scheinen manche Künstler nicht zu verstehen. Das Abstraktionsniveau dieser Videos zeigt zudem, wie vergeistigt und abgehoben die Beteiligten sind. Die Videos sind ein einziger überintellektualisierter Müll, der genau so funktioniert, wie er funktionieren soll. Und die Protagonisten merken es nicht. Doch wie kann man beim Dreh nicht merken, worauf das Ganze hinausläuft? Zumal das Kamerateam oft nicht zu Besuch ist, sondern viele Aufnahmen verschiedener Protagonisten in derselben Wohnung stattfinden? Wie kann es sein, dass mehr als 50 Schauspielerinnen und Schauspieler nicht überreißen, was sie da tun? Dass ihre Agenturen nicht kapieren, dass da etwas in eine strategisch wirklich ungute Richtung geht?

Einige der Protagonisten merken jetzt – wie gesagt sehr langsam –, dass sich ihr Denken überschlagen hat, und nehmen ihre Videos zurück. Meret Becker sagt laut WDR: „Wir hätten vielleicht mehr das sagen sollen, was eigentlich gemeint ist.“

Schön. Aber was war denn gemeint? Liebe Meret Becker: Sag’s doch mal! Raus mit der Sprache! Was wolltet ihr sagen? Was ist eure Botschaft? Die Öffentlichkeit interessiert sich ganz sicher dafür. Warum sagt ihr nicht einfach, was ihr sagen wollt? Was ist denn nun eure Botschaft?

Aber nein, wir erfahren es selbst jetzt nicht.

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Nachtrag, 26. April 2021: Wie netzpolitik.org schreibt, ist der „Tatort“-Regisseur Dietrich Brüggemann („Das ist unser Haus“) der Initiator der Aktion. In seinem Blog schreibt Brüggemann jetzt, dass die Satire komplett beliebig zu dechiffrieren sei:

Wir haben es hier nicht mit einem Sachreferat zu tun, sondern mit einem eindeutig ironisch gehaltenen Video. Inhaltlich ist es eine Travestie. Dramaturgisch: Komödie. Die Figur, die da steht, ist also eine Kunstfigur und sagt Dinge, die ich als Privatmann möglicherweise genau umgekehrt sehe. Aber nicht zwingend. Einige Aussagen sind „straight“ und uncodiert, andere stehen auf dem Kopf, andere sind ins äußerste Extrem übertrieben. Um herauszufinden, was was ist, müßte man den Text decodieren und mit seinen eigenen Vorstellungen abgleichen. Das ist die Aufgabe des Zuschauers in der Komödie.

Wenn wir alles interpretieren dürfen, ist natürlich völlig unklar, welche Aussage hinter der Aktion steht. Brüggemann ist ganz offenbar ein Vertreter der künstlerischen Beliebigkeit, der sich nicht festlegen lassen will – was ich künstlerisch äußerst schwach finde. Zumal er bevormundend vorgibt, was die Aufgabe des Zuschauers sei.

Dietrich Brüggemann in seinem Blog. Zunächst sagt er (markiert): Ironie transportiert scheinbar das Gegenteil der Botschaft. Dann zieht er sich aus der Affäre: Manche Aussage seien uncodiert. Nur: Welche? Er überlässt die Deutung der Beliebigkeit.

Und das ist wohl dann auch der Disput in seinem Kern:
  • Die Kritiker der Aktion legen dar, wie sich die Satire dechiffrieren lässt. Liefers sagt codiert „Lügenpresse“. So deute ich das zum Beispiel. Weil ich nicht weiß, welche Aussage seine Worte sonst haben sollten. Bisher hat mir niemand verraten, auch der Initiator in seinem Blog nicht, was Liefers denn sagen wollte, wenn nicht „Lügenpresse“.
  • Die Befürworter wollen sich angesichts der unmissverständlichen Deutung aus der Affäre ziehen und behaupten jetzt, alles sei beliebig interpretierbar. Sie tun scheinheilig so, als hätten sie gar nicht gesagt, die Regierung sei totalitär. Es sei ja alles nur Interpretationssache. Man haut jemandem in die Fresse (Motto des Machers) und sagt hinterher: Gewalt war nicht gemeint.
Wenn jetzt die ganzen Videos keine klare Aussage transportieren sollen – wozu dann der Aufwand? Wieso dreht man Videos, die nichts sagen sollen?
Anders formuliert: Wenn eine Künstlergruppe schon zur Coronapolitik etwas sagen will – weshalb wählt sie dann eine Kunstform, durch die keine Haltung deutlich wird? Und warum zerreden sie es sophistisch, wenn jemand mit der klaren Deutung daherkommt und die dechiffrierte Botschaft kritisiert?