Vor wenigen Tagen bin ich endlich mal wieder Bahn gefahren. In München haben wir den neuen Lehrgang der GSA-Akademie eröffnet – das ist die Rednerausbildung der German Speakers Association e.V., die ich als Studienleiter begleiten darf. Es war ein tolles Wochenende mit spannenden neuen Themen. Mein Job: den Leuten darzulegen, dass wir nur relevante Informationen vermitteln sollten und keine oder jedenfalls möglichst wenige irrelevante Informationen.

München habe ich in letzter Zeit fast immer mit dem Auto angesteuert, da muss ich keine Maske tragen. Doch dieses Mal wählte ich aus Zeitgründen die Bahn. Nach Jahren also saß ich mal wieder im Zug. Ohne BahnCard 100 Erster Klasse wie früher, aber mit einem Veranstaltungsticket.

Die Deutsche Bahn hat gelernt

Und was soll ich sagen: Die Deutsche Bahn hat in meiner Abwesenheit gelernt! Kaum bin ich mal weg, tut sich was. Die Anzeige „Bitte beachten Sie die geänderte angezeigte Wagenreihung“ (Foto vom Hauptbahnhof in Düsseldorf) gibt es zwar immer noch. Sie war schon immer ein sprachlicher Lacher, den hat die Bahn beibehalten – vielleicht um witzig zu bleiben. Aber im Unterschied zu früher zeigen die Displays jetzt die Wagennummern an. Wenn ich also eine Wagen- und eine Sitzplatznummer auf meiner Reservierung habe, sehe ich jetzt sofort, wo mein Wagen ungefähr hält. Und so kann ich mich in Abschnitt A, B, C, …, G eben hinstellen.

Das ist ein Riesenfortschritt für die Bahn. Früher hat sie uns nur gesagt, die Wagenreihung sei geändert. Wir haben nicht erfahren, welcher Teilzug eines ICEs beispielsweise verkehrt herum war. Ob nur einer oder beide. Und wir haben nur gesehen, welche Wagenklassen wo verteilt sind (Erste und Zweite Klasse). Jetzt zeigt die Bahn uns die Wagennummern an. Ein enormer Schritt in Richtung Kundenorientierung.

Im Grunde muss die Bahn jetzt nur noch kapieren, dass sie die Adjektive „geändert“ und „angezeigt“ von Bord werfen kann. Mal schauen, wann sich diese Erkenntnis bei der Bahn einschleicht:

  • Zum Adjektiv „geändert“ war schon immer die Frage: „Geändert“ im Vergleich wozu? Klar: im Vergleich zum papiernen Wagenstandsanzeiger im Schaukasten am Bahnsteig beziehungsweise zur internen Planung. Doch welche Rolle spielt die ursprüngliche Reihung noch, wenn das Display nun die reale Abfolge der Wagen digital anzeigt und wir genau sehen, in welchem Abschnitt welcher Wagen zum Stehen kommt? Keine. Wenn wir klar kommuniziert haben, dass wir einen Termin von Montag auf Dienstag verlegt haben, ist die Information „Montag“ nicht mehr wichtig.
  • Zum Adjektiv „angezeigt“: Mit diesem Adjektiv wollte die Bahn einmal deutlich machen, dass das Display die aktuelle Reihung anzeigt und nicht etwa die ursprünglich gedachte, die der papierne Wagenstandsanzeiger anzeigt. Auch dieses Adjektiv ist hinfällig mit der digitalen Anzeige, die ja – eben dank Digitalisierung – nun aktuell sein müsste.

Welche Informationen sind durch die Entwicklung überholt?

Es ist nicht schwer, und die Bahn wird es sicher noch verstehen:

  1. Sobald wir die Wagenreihung im Display zeigen, brauchen wir keine papiernen Tafeln mehr (zumal die ohnehin oft auf dem falschen Bahnsteig stehen, etwa bei Gleiswechseln). Falls die Bahn an den Schaukästen festhalten will, könnte sie diese Informationen digitalisieren, wie es beispielsweise seit gefühlten Ewigkeiten die ÖBB macht.
  2. In diesem Moment, also wenn wir die Papieranzeige abschaffen oder digitalisieren, erübrigt sich die Frage, welche Reihung die ursprüngliche war. Das ist dann völlig egal. Wir haben eine Anzeige und gehen davon aus, dass dies die aktuelle ist. Welche auch sonst? Dass es vorher in der Planung eine andere Reihung gab – wen kümmert’s außer irgendwelchen Leuten innerhalb der Deutschen Bahn AG? Niemanden. Schauen Sie sich das Beitragsbild hier an: Weshalb sollte es von Belang sein, dass es vor der angezeigten Wagenreihung bahnintern eine andere gab? Wo wurde diese ursprüngliche Reihung denn an Kunden kommuniziert? Und falls das nicht nur der papierne Wagenstandsanzeiger ist, dann sollte die Bahn eben keine Reihungen kommunizieren, die sich später mit einiger Wahrscheinlichkeit als falsch erweisen.
  3. Damit fällt die Information raus, dass die Wagenreihung überhaupt eine andere ist als geplant – die Änderung hat keinerlei Relevanz und bedarf daher auch keiner Kommunikation. Wir müssen nichts sagen, was irrelevant ist. Etwas kann korrekt sein, so sehr es will – wenn es nicht relevant ist, sollten wir die Information rauslassen.
  4. Ergo sind auch Gleiswechsel keine Katastrophe mehr. Die Bahn kann ihre Gleise meinetwegen kurzfristig und völlig flexibel zuordnen – es zählt nur, dass die digitale Anzeige wenige Minuten lang mit der Realität übereinstimmt. Ob das Stunden oder Tage vorher mal anders geplant war – gleichgültig.
  5. Weg mit den gelben Plänen, den Wagenstandsanzeigern und dem Kursbuch – oder die Bahn sagt dazu, dass die Angaben nicht verlässlich sind. Dann aber stellt sich ohnehin die Sinnfrage bei Informationen auf Papier.

Die Moral von der Geschicht’: Wer das Thema Digitalisierung wirklich verstanden hat, erfasst auch, dass irrelevante Informationen wegfallen. Oft halten wir an Informationen fest (oder Formulierungen, Begriffen, Gewohnheiten), obwohl sie aufgrund der Entwicklung unten rausfallen wie eine irrelevante Unbekannte aus einem Gleichungssystem. Für die Bahn war es lange Zeit ein Riesenproblem (oder ist es noch), wenn Züge etwa aufgrund von Umleitungen andersherum in einen Bahnhof einfahren als geplant. Bahnintern mag es da Gründe geben, Herzklopfen zu bekommen – aus Kundensicht ist es wurscht. Da muss am Ende nur die Reihung auf einem Display mit der Reihung des Zuges am Bahnsteig übereinstimmen. Und dieser Anspruch ist nun wirklich nicht hoch.

Welche alten Zöpfe sollten Sie in Ihrem Unternehmen abschneiden? Oder in Ihrer Organisation, die sich mit ihren Positionen politisch durchsetzen will? Welche Zöpfe, an die Sie sich gewöhnt haben, sind überflüssig geworden? Welche Informationen hat die Entwicklung überholt, sodass Sie sie rauswerfen sollten?