Redaktionell bearbeitetes Transkript von Folge 283 vom Klartext-Podcast.

Warum lügt Donald Trump?

Klartext-Podcast mit Thilo Baum. Heute: Die Macht der Lüge.

Hallo und guten Tag zusammen. Warum lügt Donald Trump so unverhohlen, selbst wenn seine Lügen leicht zu entlarven sind? Woher kommt das? Ich möchte mich in dieser Podcast-Folge zum Thema Lüge und Wahrheit äußern.

Wir hatten vor kurzem die Podcast-Folge über Wahrheit und Demokratie, wonach klar ist, dass die Demokratie auf wahre Informationen angewiesen ist. Denn ohne zutreffende Informationen können wir uns keine fundierte Meinung bilden.

Wenn Sie falsch informiert sind und aufgrund Ihrer falschen Informationslage Entscheidungen treffen, dann liegen Sie mit Ihren Entscheidungen wahrscheinlich schief. Auch wenn eine Meinung selbst rein logisch nicht falsch sein kann – sie ist ja nicht beweisbar oder widerlegbar. Wir wollen uns keine schiefen Meinungen bilden. Wir wollen uns nicht belügen lassen.

Und trotzdem haben wir einen US-Präsidenten, der erneut in seiner aktuellen zweiten Amtszeit lügt wie gedruckt. Und die Frage ist: Wie gehen wir damit und warum funktioniert das?

Trump ist es egal, ob er lügt

Die erste Antwort auf diese Frage, die zumindest ich gebe – es ist meine persönliche Ansicht zu dem Thema: Es ist Trump vollkommen vollkommen egal, ob er lügt oder nicht.

Es geht ihm nur darum, ergebnisorientiert etwas zu erreichen. Er hat also etwas vor. Zum Beispiel wollte er Präsident werden. Das hat er geschafft. Und er hat bestimmt auch noch viele andere Dinge vor und er wird sich vornehmen, auch diese Dinge zu schaffen. Und ihm sind alle Mittel recht.

Es ist ihm vollkommen gleich, ob er dabei lügt oder nicht. Dass die Lüge gesellschaftlich verpönt ist, ist Donald Trump vollkommen egal. Für ihn ist die Lüge nur ein Werkzeug, eines von mehreren möglichen Werkzeugen. Dient dem US-Präsidenten an irgendeiner Stelle die Wahrheit, seine Ziele zu erreichen, dann bedient er sich eben der Wahrheit. Es ist Donald Trump vollkommen egal, ob er die Wahrheit sagt oder lügt.

Die Lüge ist nur ein Mittel zum Zweck

Ich weiß nicht, wie belesen Donald Trump ist. Ich halte ihn für wenig intellektuell, aber vielleicht kennt er das „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels von 1905, in dem dieser schreibt, ich zitiere: „Die Stellung der Demagogie zur Wahrheit ergibt sich aus dem Zweck, der für sie allein maßgebend ist, die Masse zu überzeugen und zu beherrschen. Was diesen Zweck fördert, ist für sie brauchbar. Was ihn nicht fördert oder ihm widerstrebt, ist nicht brauchbar. Mit der objektiven Wahrheit oder Nichtwahrheit steht diese Brauchbarkeit nun in keinem festen Verhältnis.“

Das bedeutet: Ob etwas wahr ist oder unwahr ist, hat mit der Frage der Demagogie und der Manipulation der Massen überhaupt nichts zu tun. Insofern stellt ein Demagoge nicht die Frage, ob eine Information stimmt oder nicht. Er stellt einzig die Frage, ob sie ihm dient oder nicht. Dient sie ihm, verwendet er sie. Dient sie ihm nicht, lässt er sie bleiben. Rudolf Bartels fährt fort: „Die Wahrheit an sich hat keinen demagogischen Wert und geht den Demagogen als solchen nichts an.“

Die moralische Bewertung des Lügens interessiert Trump nicht

Was ich damit sagen will: Wir zivilisierte Menschen fragen uns kopfschüttelnd und mit großer Verwunderung, wie jemand so unverhohlen lügen kann wie Donald Trump. Und das tun wir, weil wir einem Framing unterliegen. Für uns gebildete Menschen ist die Lüge sozial verpönt. Sie ist verschrien. Sie gilt als unlauter. Für uns gilt der Grundsatz: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Für uns sind Glaubwürdigkeit, Absenderkompetenz und andere Kriterien maßgeblich für die öffentliche Kommunikation.

Und wir, die wir mit einigem politischen Bewusstsein und mit einer gewissen sozialen Kompetenz und Kultiviertheit über die öffentliche Debatte diskutieren, sind gefangen in dieser elfenbeinturmartigen Ethik. Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass das alte serbische Sprichwort gilt: „Und solange die Klugen noch diskutieren, stürmen die Dummen die Burg.“

Trump ist die Taube beim Taubenschach

Donald Trump spielt Taubenschach. Nicht nur Donald Trump spielt Taubenschach. Viele Demagogen spielen Taubenschach.

Was ist Taubenschach? Spielen Sie mit einer Taube Schach, dann wird die Taube übers Schachbrett stolzieren, die Figuren umwerfen und behaupten, sie hätte gewonnen. Und das tut die Taube, weil sie die Regeln nicht kennt. Taubenschach zu spielen, bedeutet also: Wir kommunizieren, beispielsweise öffentlich, und ignorieren die Regeln.

Ich weiß nicht, ob Donald Trump die Regeln kennt. Ich weiß nur, sie kümmern ihn nicht. Sie sind ihm egal. Also beispielsweise der Anspruch, dass eine Information der Wahrheit entspricht, ist Donald Trump vollkommen egal. Wir können Donald Trump einordnen, wie wir wollen. Es gibt sehr, sehr viele Bücher, es gibt sehr viele Ferngutachten psychiatrischer Natur. Ihm wird alles Mögliche attestiert: narzisstische Persönlichkeitsstörung, toxische Persönlichkeit und, und, und.

Der nützliche Idiot ist nicht Putin

Was wir bei Donald Trump auf jeden Fall erleben, ist ein Abklatsch von Wladimir Putin, der mit Sicherheit kein nützlicher Idiot irgendeines Demagogen ist, sondern selbst Demagoge ist, indem er beispielsweise seine komplette Agitation und Desinformation auf die westlichen Demokratien abfeuert und damit bewirkt, dass die radikalen Kräfte bei uns zunehmen.

Steve Bannon, der frühere Donald-Trump-Berater, wird bei Bloomberg zitiert. Sinngemäß sagt Steve Bannon: Hätte Elon Musk die gleiche Viertelmilliarde Dollar, die er in den Wahlkampf von Trump abgesteckt hat, in Europa investiert, hätten wir in Europa nur noch populistische Regierungen.

Und genau darum geht es. Es geht darum, dass wir eine Welle der Demagogie erleben, die unter dem Strich einen Angriff der Dummheit und der Einfalt auf das Intellektuelle bedeutet. Und wir müssen, wenn wir die freiheitliche Demokratie verteidigen wollen, die Zusammenhänge verstehen und begreifen, wie dieser Angriff funktioniert, um uns dagegen immunisieren zu können. Um diesen Angriffen den Wind aus den Segeln nehmen zu können, müssen wir die Macht der Lüge verstehen.

Wir müssen im ersten Schritt verstehen, dass es Donald Trump und auch Putin und vielen anderen vollkommen egal ist, ob sie lügen. Sie halten sich an Rudolf Bartels, ob sie ihn nun kennen mit seinem Buch oder nicht. Und sie wissen: Das Einzige, was zählt, ist, ob eine Information die Massen mobilisiert oder nicht. Der Rest interessiert niemanden. Der Rest interessiert nur die bürgerliche Gesellschaft. Der Rest interessiert nur die Akademiker, die Wissenschaftler, die gebildeten Menschen mit der politischen Kultur und dem Anstand. Aber die Freaks und Psychopathen, die gerade die freiheitlichen Demokratien angreifen, für die zählt das Recht des Stärkeren, für die zählt das Recht der Straße. Für die zählt, was wir mit Lügen erreichen können. Es ist ihnen vollkommen egal, ob eine kluge Minderheit den Schmu durchschaut oder nicht. Die walzen sie irgendwann platt.

Lügen bewirken Desorientierung

Wenn Sie meine Podcast-Folgen kennen, dann wissen Sie, dass ich sehr gerne Hannah Arendt zitiere. Und das mache ich auch jetzt wieder. Sie sagt in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“: „Wo Tatsachen konsequent durch Lügen (…) ersetzt werden, stellt sich heraus, (…) dass der menschliche Orientierungssinn, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“

Unsere Fähigkeit zur Orientierung, zu wissen, wo wir sind, die Fähigkeit zu verstehen, was stimmt und was nicht, damit wir uns auf dieser Basis eine fundierte Meinung bilden können, die kommt unter die Räder angesichts einer verlogenen öffentlichen Kommunikation und angesichts des ständigen Taubenschachspiels der Feinde der Demokratie.

Meinungen sind nicht so relevant wie Behauptungen

Und Hannah Arendt sagt: „Mit unwillkommenen Meinungen kann man sich auseinandersetzen. Unwillkommene Tatbestände sind von einer unbeweglichen Hartnäckigkeit, durch nichts außer der glatten Lüge erschüttert werden kann.“

Sie sagt damit: Was andere meinen, können wir stehen lassen. Das ist deren Sache. Meinungen sind ja subjektiv. Sie sind eine Art von „Dafürhalten“. Sie sind also keine Tatsachenbehauptungen. Wenn aber jemand eine Tatsache behauptet oder wenn wir einen Umstand haben, der gegeben ist, wenn etwas Fakt ist, dann kommen wir dagegen nicht an. Wenn es regnet, dann regnet es. Dagegen können wir nicht anstinken.

Das Einzige, was dann noch hilft, ist die Lüge, wie Hannah Arendt sagt. Die glatte Lüge erschüttert die Gewissheiten.

Hannah Arendt beschreibt hier sehr früh, was wir heute erleben. Ich weiß nicht, ob sie sich zu Lebenszeiten vorstellen konnte – sie ist 1975 gestorben –, was wir heute durchmachen, was wir für einen US-Präsidenten haben, was für einen russischen Staatschef wir haben, was für einen ungarischen Regierungschef wir haben, was in Österreich passiert und was möglicherweise auch bald in Deutschland passiert: dass wir eine Idiokratie bekommen, eine Herrschaft der Unwissenden und der Einfalt, bei der es keine Rolle mehr spielt, ob eine Information zutrifft oder nicht, bei der Wissenschaft diffamiert wird, bei der Demokratie diffamiert wird, alle wissenschaftlichen Institutionen des Westens, sämtliche demokratischen Akteure diffamiert werden.

Demagogie und Desorientierung verstehen

Ich weiß nicht, ob Hannah Arendt sich das damals wirklich hat vorstellen können. Aber sie hat in ihrem Essay formuliert, was wir heute erleben. Wir müssen Rudolf Bartels von 1905 und Hannah Arendts Essay „Wahrheit und Politik“ zusammennehmen und Schlüsse daraus ziehen: Es ist ein Kampf für die Wahrheit, es ist ein Kampf gegen die Lüge. Und insofern ist es ein Kampf gegen den Totalitarismus und ein Kampf für die freiheitliche Demokratie.

Was geschieht, wenn wir nach Hannah Arendt die Orientierung verlieren? Ich mag ja die Wikipedia und vielleicht schauen Sie sich dort einfach mal den Eintrag „Orientierung“ an. Ich darf ein bisschen daraus zitieren:

„Die mentale Orientierung ist eine kognitive Fähigkeit, die es dem Subjekt ermöglicht, sich zeitlich, räumlich und bezüglich seiner Person in seiner Umgebung zu orientieren.“

Orientierung bedeutet: Wir wissen, wo wir sind. Wir wissen, wo wir stehen. Wenn uns jemand die Orientierung raubt, beispielsweise indem er uns schwindelig macht – wir kannten das als Kinder –, dann wissen wir nicht mehr, wo links und rechts ist, weil wir die Orientierung verloren haben. Und genau das passiert hier.

Die Wikipedia listet einige Teilbereiche des Orientierungsvermögens auf. Darunter, ich zitiere: „Bewusstheit der eigenen Person und ihrer Bezüge. Situationsbewusstsein, Orientierung im sozialen Netzwerk.“

Eine mentale Orientierung bedeutet, dass wir wissen, woran wir sind. Und diese Gewissheit will die Desorientierung auflösen. Und deswegen lügt Trump. Er will uns desorientieren. Es geht ihm nicht darum, dass eine Demokratie kluge Entscheidungen trifft. Das ist ihm völlig gleich. Er will nur, dass er machen kann, was er will.

Trump erhebt die Lüge zum Mittel der Politik

Wenn Sie so wollen, spricht aus Trump ein „Kind-Ich“, um es mal mit der Transaktionsanalyse zu sagen, in diesem Fall rebellisch-trotzig. Da ist kein erwachsener Mensch in diesem Trump. Da ist niemand mit politischer Kultur. Da ist niemand zu Hause, der in irgendeiner Weise zivilisiert wäre, sondern wir haben es hier mit jemandem zu tun, der zum Beispiel nach der Einschätzung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in einem Desinformationsraum lebt und russische Desinformation verbreitet.

Wir erleben bei Trump das Gegenteil von jeder politischen Kultiviertheit und wir erleben die Lüge als Instrument, als Machtfaktor. Und wir müssen, wenn wir diese Demokratie retten wollen, dagegen vorgehen.

In Donald Trumps erster Amtszeit hat die „Washington Post“ mehr als 30.000 Lügen aufgezählt, die dieser Mann von sich gegeben hat.

Auch Deutschland wählt im Verteidigungsfall nicht

Und dann sagt er über Selenskyj, er sei ein Diktator ohne Wahlen – weil die letzte Wahl in der Ukraine wegen des Krieges natürlich eine Weile her ist. Donald Trump unterschlägt hier eine ganz wichtige Information: Es ist üblich, dass in einer Demokratie im Kriegszustand nicht gewählt wird. Es ist sehr, sehr schwer, Wahlen überhaupt durchzuführen im Verteidigungsfall. Und weil wir in Deutschland das zum Beispiel wissen, haben auch wir in Artikel 115 h des Grundgesetzes stehen: „Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles.“

Es ist vollkommen normal, dass ein Land im Krieg nicht wählt, sondern es beißt die Zähne zusammen und schaut, dass es überlebt. Donald Trump verdreht die Wahrheit und will uns instrumentalisieren gegen die Ukraine im Sinne Putins. Und wenn ich jetzt noch mal zu Donald Trumps „Kind-Ich“ zurückkomme und zu seiner völligen Blankheit in Sachen politischer Kultiviertheit, dann fällt mir nur der Gedanke ein, dass er ein Desinformationsopfer Putins ist und dass am Ende Putin die US-Wahl gewonnen hat und nicht unbedingt in erster Linie Trump.

Macron korrigiert eine Trump-Lüge

In der Berichterstattung geht es zurzeit um einen spannenden Moment im Oval Office. Der französische Präsident Macron zu Besuch bei Trump. Trump behauptet, dass das Geld aus Europa für die Ukraine geliehen sei, die Europäer würden ihr Geld zurückbekommen. Macron hat sofort reagiert. Er hat den US-Präsidenten unterbrochen und gesagt: „Nein, wir zahlen. Wir zahlen 60 Prozent der gesamten Aufwendungen. Wir haben echtes Geld zur Verfügung gestellt, um es klar zu sagen.“ Das sagt Macron. Macron, der im März 2022 zu Putin gesagt hatte: „Tu te racontes des histoires.“ Also: „Du machst dir etwas vor.“ Wörtlich übersetzt: „Du erzählst dir Geschichten.“ Denn Putin lebt ebenfalls im Desinformationsraum und das wusste damals auch Macron.

Jetzt sitzt Macron bei Trump im Oval Office und unterbricht ihn vor laufenden Kameras und korrigiert eine Lüge. Die „Bild“-Zeitung beschreibt die Situation so, dass Trump eine ungläubige Handbewegung gemacht hat, gegrinst hat, aber nicht mehr widersprechen konnte. Warum? Weil Macron einfach weitergesprochen hat über die eingefrorenen russischen Vermögen und darüber, wie sie nach dem Krieg zum Einsatz kommen würden.

Die Macht der Wahrheit gegen die Macht der Lüge

Was hat Macron an dieser Stelle gemacht? Er hat im Oval Office bei Trump der Macht der Lüge etwas entgegengestellt, und zwar die Macht der Wahrheit.

Daraus möchte ich etwas ableiten. Macron hat, wie gesagt, schon im März 2022 zu Putin gesagt: „Du machst dir etwas vor.“ Heute unterbricht er Trump im Oval Office und korrigiert eine Lüge Trumps. Und Trump zeigt körpersprachlich, dass er bei einer Lüge ertappt worden ist. Und Trump kann gar nicht anders, als sich ertappen zu lassen bei dieser Lüge. Im Hintergrund aber weiß Trump: Es ist ohnehin völlig egal. Dann wird halt mal eine dieser Lügen korrigiert. Es geht Trump nicht darum, ob eine einzelne Lüge durchkommt oder ob sie widerlegt wird, sondern es geht ihm ums große Ganze.

Bombenteppich und Lügenteppich

Niemanden, der einen Luftkrieg führt, geht es um die einzelne Bombe und darum, dass die einzelne Bombe, die wir bei Luftangriffen über einer Stadt abwerfen, ein ganz bestimmtes Ziel erreicht. Nein, wer Krieg führt, dem geht es ums große Ganze. Und Trump setzt seine Lügen als Bomben ein, um die Demokratie und die Freiheit zu zerstören. Und damit zerstört er am Ende auch den Grundgedanken der Vereinigten Staaten von Amerika. Trump ist im Grunde eine Gefahr für die USA selbst und ihren Gedanken der freiheitlichen Demokratie.

Was tun wir also gegen diese Tendenz? Ich möchte noch einen einfachen Aspekt vorwegnehmen, bevor wir zu einer Lösung oder einer Lösungsidee kommen. Und zwar möchte ich den Begriff des „Agenda Settings“ einführen. „Agenda Setting“ geht auf Bernard Cohen zurück, der 1963 festgestellt hat, dass Medien zwar keinen großen Einfluss darauf haben, was wir denken, aber einen riesigen Einfluss darauf, worüber wir nachdenken.

Lügen und Auslassungen verändern die Agenda

Agenda Setting bedeutet, die Tagesordnung zu bestimmen. Wenn Sie bei einer Vereinssitzung sind oder in einer Vorstandssitzung, gibt es eine Tagesordnung. Was nicht auf dieser Tagesordnung steht, kommt nicht zur Sprache. Es ist nicht „topic“. Wenn nun wichtige Dinge nicht auf der Tagesordnung stehen, kommen wichtige Dinge nicht zur Sprache. Öffentliche Kommunikatoren wissen das natürlich, also Profis allemal. Wir wissen, dass wir die Dinge, die wichtig sind, zur Sprache bringen müssen, weil wir sonst mit dem Thema nicht vorankommen. Wenn bei Ihrem nächsten Meeting ein bestimmtes Thema nicht auf der Tagesordnung steht, kommen Sie mit dem Projekt möglicherweise nicht voran, weil es nicht besprochen wird.

Und das wissen nicht nur seriöse Kommunikatoren, das wissen natürlich auch Demagogen und Manipulateure. Und die sagen nach dem Prinzip „Flood the zone with shit“ von Steve Bannon, dem früheren Trump-Berater: Wir fluten den öffentlichen Raum mit Schwachsinn. Nach diesem Prinzip fluten wir die Agenden, die Tagesordnungen, also das, womit sich die Menschen befassen, eben mit Lügen.

Ohne Reichweite ist der Kampf für die Wahrheit aussichtslos

Und dann sind die Faktenchecker beschäftigt. Die müssen da nämlich hinterherrennen und alles im Detail widerlegen. Und dann sind auch andere Leute beschäftigt, die wie ich zum Beispiel ein Buch schreiben: „Immun gegen Unsinn“, oder ein Arbeitsheft: „Informationskompetenz“, damit wir diese Dinge verstehen und vermitteln können, sodass wir uns eben nicht weiter von Lügnern an der Nase herumführen lassen.

Das ist aber wahrscheinlich alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Faktenchecks bringen wenig, weil die Lügen schneller erfunden sind, als die Faktenchecker hinterherkommen. Trotzdem ist es natürlich immer wichtig, diese Fakten zu checken und die Wahrheit festzuhalten. Und das müssen wir unbedingt tun. Was wir tun müssen, ist nicht nur die einzelne Lüge auf irgendeinem kleinen Kanal im Internet, so wie mein bescheidener Podcast-Kanal, irgendwie darzustellen und zurechtzurücken, sondern wir müssen das mit Reichweite tun.

Wir müssen das so tun, wie es Macron macht, wenn er Trump im Oval Office besucht. Wir müssen nicht unbedingt in den Sozialen Medien jeden Schwachsinn geraderücken, weil wir durch die Kommentare unter einem Facebook-Beitrag dafür sorgen, dass dieser Beitrag noch stärker durch die Decke geht. Wir müssen irgendwie eine Balance finden: Wo widersprechen wir? Wo bringen wir die Wahrheit an? Wo korrigieren wir die Lüge und wo entlarven wir den Lügner? Und an welcher Stelle tun wir es nicht?

Wir müssen Lügner bloßstellen

Wenn jetzt Macron als französischer Präsident das Glück hat, dass die Kameras laufen, während er mit Trump spricht, dann ist das natürlich richtig und wichtig. Solche Situationen brauchen wir. Und wir müssen auf jeden Fall Lügner bloßstellen. Wir müssen als kultivierter Teil unserer Gesellschaft dafür sorgen, dass die Lüge sanktioniert bleibt und dass sie nicht, wie im „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels, plötzlich zu einem selbstverständlichen Mittel der Meinungsbeeinflussung wird, sondern wir müssen uns an Hannah Arendt halten und sagen: Das geht so nicht.

Ein Lügner als US-Präsident muss die amerikanische Gesellschaft und auch die Weltöffentlichkeit unfassbar in Rage bringen. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Ansichten sich nicht durchsetzen.

Informationskompetenz gegen die Desorientierung

Wichtig ist in dem Zusammenhang die Informationskompetenz: die Kompetenz, mit Informationen umzugehen, Informationen treffend einzuschätzen, einzuordnen. Dass wir uns einfach darüber im Klaren sind, dass die Lüge eine Waffe ist und niemals ein legitimer Standpunkt irgendeiner anderen Seite von Menschen mit anderen Meinungen. Lügen sind keine Meinungen. Lügen sind Falschbehauptungen und bewirken Desorientierung.

Andere Meinungen dürfen und sollten wir zu Wort kommen lassen, ohne Frage. Aber wie gesagt, Hannah Arendt schreibt es ja: Was jemand meint, ist gar nicht so entscheidend. Sollen die Leute doch sagen, was sie denken. Entscheidend ist, was sie behaupten, was angeblich Sachlage ist.

Die Lügner sind am Ende Feinde der Demokratie

Daran können wir uns orientieren: Die Demokratie braucht gesicherte Informationen, um arbeiten zu können. Wir müssen die Offensive durch Lügen, wir müssen den Krieg durch Lüge und die Macht der Lüge transparent machen und verdeutlichen, dass die Lüge nur von Feinden der freiheitlichen Demokratie kommen kann.

Es ist nicht so, dass Demokraten nie lügen. Natürlich lügen auch demokratische Politiker. Aber das Prinzip der Demokratie kann nicht die Lüge sein. Und was Donald Trump macht, das heißt, wenn die „Washington Post“ alleine in einer Amtszeit über 30. 000 Lügen zählt, ist die absolute Abkehr von jeder politischen Zivilisation und Kultiviertheit. Und dagegen müssen wir uns wehren.

Trump als Lügner ist grundsätzlich unglaubwürdig

Informationskompetenz ist der Schlüssel. Wenn Sie Informationskompetenz haben oder Ihre Kinder oder ihre Azubis oder Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dann wissen Sie, was Donald Trump da für ein Spiel spielt, weil Sie das selber beobachten und einschätzen können. Wenn Sie Informationskompetenz haben, dann lassen Sie sich nicht mehr von Trump beeindrucken, sondern wenn Sie Informationskompetenz haben, hängen Sie hinter alles, was dieser Mann sagt, ein großes Fragezeichen – weil Sie wissen: Es ist im Zweifel sowieso Pappe. Der Mann erzählt doch von morgens bis abends im Wesentlichen Schwachsinn. Das heißt, ich muss eine Information aus einer Lügenquelle gar nicht ernsthaft prüfen, sondern ich kann mit Informationskompetenz sagen: Erfahrungsgemäß ist das wieder Schwachsinn, was wir da hören.

Und diese Kompetenz, Informationen auf diese Weise einzuordnen, die brauchen wir in der gesamten Gesellschaft. Wenn wir diese Information nicht weiterverbreiten, können wir diese Demokratie bald zumachen. Wohin wollen wir dann auswandern? Nach Amerika? Vielen fürs Zuhören. Bis bald.

Nachtrag 2. März 2025 (nicht Teil der Podcastfolge)

Anmerkung zum Eklat zwischen Trump, Vance und Selenskyj im Weißen Haus am 28. Februar 2025

Wenige Tage nach Macrons erwähntem Besuch bei Trump kam es beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einem sogenannten Eklat, bei dem wiederum mehrere Lügen eine Rolle spielten (der Wortlaut hier):

  • Trump und Vizepräsident JD Vance platzierten die Lüge, Selenskyj sei gegenüber den bisherigen US-Hilfen nicht dankbar. Tatsächlich hat sich Selenskyj bei nahezu jeder öffentlichen Gelegenheit bedankt.
  • Zudem wiederholte Trump die russische Desinformationslüge, es sei an der Ukraine den Krieg zu beenden. Tatsächlich könnte Putin den Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen abzieht. Indem Trump sagt: „Sie spielen mit dem Leben von Millionen von Menschen, Sie spielen mit dem Dritten Weltkrieg und was Sie tun, ist sehr respektlos gegenüber diesem Land“, übernimmt er Putins Narrativ der Täter-Opfer-Umkehr.

Hatte Trump die Eskalation geplant? Etwa weil er sein Wahlversprechen, in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden für Frieden zu sorgen, über Wochen hinweg nicht eingelöst hat und eine Ausrede dafür braucht, es nicht mehr einzulösen? Oder weil ihn Putin in irgendeiner Weise in der Hand hat (Link 1, Link 2)? Oder weil er einfach die amerikanische Öffentlichkeit gegen die Ukraine-Hilfe einstellen will?

So spannend diese Fragen sind: Ihre Antworten sind zunächst einmal unerheblich für die Analyse, die wir laut und deutlich in die Welt hinausgeben sollten:

  • Trump unterstützt nicht das Opfer eines imperialistischen Angriffs, sondern den Angreifer. Damit tritt er das Völkerrecht mit Füßen und tritt für das Recht des Stärkeren ein. Völkerrechtliche Integrität und Souveränität sind ihm völlig gleich – es geht ihm nur darum, dass die Starken die Schwachen unterwerfen. Damit handelt Trump nicht mehr im Sinne der Aufklärung, sondern mittelalterlich. Er verrät die westlichen Werte.
  • Trump belügt in einem Fort die Öffentlichkeit – woraus wir schließen können, dass der US-Präsident keinerlei Wertschätzung für die Amerikaner übrig hat. Sonst würde er anständig mit ihnen umgehen.
  • Trump ist ein Akteur der Lüge und nicht der Wahrheit – und kann damit kein Demokrat sein. Auch wenn die Amerikaner den Begriff der Meinungsfreiheit möglicherweise auch auf Lügen anwenden – Hannah Arendt scheinen sie dort nicht zu kennen. Eine Demokratie auf der Basis der Lüge ist schlicht unmöglich. Da alle Wähler/-innen politische Akteur/-innen sind, müssen sie zutreffend informiert sein.
  • Trump verantwortet es, wenn der zivilisierte und kultivierte Teil der Menschheit die USA zunächst einmal auf die Liste der Schurkenstaaten setzt.

Falls Sie eine Idee haben, weshalb sich das amerikanische Volk – immerhin eine Wiege der Demokratie – diesen Stil gefallen lässt, dann freue ich mich auf Hinweise.