Die Petition 108191 beim Deutschen Bundestag fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger. Man kann das befürworten oder ablehnen – aber möglicherweise könnten mehr Menschen unterzeichnen, wenn diese Petition ordentlich formuliert wäre. Das Problem bei dieser Petition ist: Sie wird nicht auf Anhieb klar. Sie stellt dem Leser Hürden in den Weg.
Falls Sie mich noch nicht kennen: Ich helfe Unternehmen, sich klar auszudrücken. Autorinnen und Autoren helfe ich immer wieder dabei, ihre Bücher zu konzipieren. Beides ist systemrelevant. Denn ohne klare Worte werden Sie niemanden überzeugen. Als Unternehmen nicht, als Politiker/-in nicht, als Experte oder Expertin nicht.
Lassen Sie es mich am Beispiel der Petition demonstrieren. Hier erst mal der gesamte Screenshot:
Die Überschrift wollen wir mal nicht kritisieren, denn der Zusatz „vom“ mit dem jeweiligen Datum ist ein Automatismus. Aber im Text der Petition könnten der oder die Petenten schon ihre Chancen verbessern.
Fehler 1: Zu viele Einzelaspekte im Nebensatz
Als erstes sehen wir: Der erste Satz ist viel zu lang. Er heißt:
Mit der Petition wird gefordert, dass aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona Pandemie und der damit verbundenen Einkommensausfälle für viele Bürgerinnen und Bürger, kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird.
Der Hauptsatz lautet: „Mit der Petition wird gefordert.“ Worum es geht, also das Wichtige, steht in einem überlangen Nebensatz. Dieser reicht von „dass“ bis „eingeführt wird“. Ein Nebensatz hat es im Deutschen an sich, dass das Prädikat erst am Ende erscheint („eingeführt wird“). Wir erfahren also einige Sekunden lang nicht, was die Petition genau fordert. Dass etwas „eingeführt“ werden soll, steht erst am Ende eines nahezu endlosen Nebensatzes. Und das ist das Gegenteil von guter Leserführung.
Der Nebensatz ist deswegen so lang, weil die Petenten alle möglichen Nebenaspekte hineinstopfen, statt daraus eigene Hauptsätze zu bilden. Die Eigenart, möglichst viel in einen Satz zu stopfen, ist seltsam – denn ob wir einen Satz mit dreißig Wörtern bilden oder drei Sätze mit zehn Wörtern, ist ja in Sachen Textlänge egal.
Jedenfalls verstößt die Petition so gegen das Prinzip, dass wir zumindest ungefähr pro Gedanke einen Satz verwenden. Sicher sind auch mal Nebensätze erlaubt, aber das Vollstopfen ist eine Unsitte, die das Verständnis erschwert und so die Chancen jedes Anliegens verringert.
Der überlange Nebensatz besteht aus folgenden Aspekten:
- Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind der Anlass.
- Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie seien Einkommensausfälle verbunden.
- Diese Einkommensausfälle hätten „viele“ Bürgerinnen und Bürger.
- Das Grundeinkommen solle kurzfristig sein.
- Das Grundeinkommen solle zeitlich begrenzt sein.
- Das Grundeinkommen solle so lange wie nötig sein.
- Das Grundeinkommen solle für alle Bürgerinnen und Bürger gelten.
Das ist die Liste. Sieben Punkte. Sieben Punkte sind zu viel für einen Nebensatz. Mir ist völlig unklar, wie jemand auf die Idee kommen kann, so ein Nebensatz sei auch nur im geringsten verdaulich.
Fehler 2: Passiv statt Aktiv
Als zweites fällt sofort auf: Der Hauptsatz („Mit der Petition wird gefordert“) ist ein Passivsatz. Die Unterscheidung zwischen Aktiv- und Passivsätzen war durchaus sinnvoll im Deutschunterricht: Es gibt Aktivsätze („Wir fordern“) und Passivsätze („Etwas wird gefordert“). In der Anmutung wirken Aktivsätze aktiv, Passivsätze passiv (was Wunder). Aktivsätze wirken lebendig, Passivsätze eher dröge und schwerfällig. Passivsätze sind ein wesentliches Element der bürokratischen Sprache, ob bei Behörden oder Unternehmen (hierzu mein Buch: „Schluss mit förmlich! So gelingt eine menschliche Unternehmenskommunikation“).
Wie geht ein/e gute Redakteur/-in jetzt vor? Als erstes wandeln wir das Passiv ins Aktiv um. Das Passiv verschweigt hier den Akteur (was das Passiv oft tut, daher wirkt es auch so distanziert). Wer fordert? „Mit der Petition wird gefordert“ verrät nicht, wer die Forderung stellt. Das machen wir mit einem Aktivsatz klar. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Diese Petition fordert
- Der Petent fordert
- Die Petenten fordern
Von diesen Formulierungen wählen wir eine und werfen dann die sinnlose Nebensache aus dem Hauptsatz. Und der Hauptsatz, der dann bleibt, transportiert nur einen oder maximal zwei der Aspekte aus dem Nebensatz. Das ist völlig in Ordnung, denn dieser Satz wird ja nicht alleine stehen, sondern die folgenden Sätze werden die Petition präzisieren. Also:
Diese Petition fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen infolge der Corona-Pandemie.
Jetzt argumentieren wir weiter, zum Beispiel so:
Die Corona-Pandemie bewirkt Einnahmeausfälle. Das bedingungslose Grundeinkommen soll diese Ausfälle kurzfristig, zeitlich begrenzt und so lange wie nötig kompensieren.
Jetzt haben wir drei relativ kurze Sätze. Das ist besser als ein einziger langer Satz. Wobei ich auch etwas gestrichen habe: Dass die Einnahmeausfälle „viele“ Bürger betrifft, das Grundeinkommen aber „alle“, ist ein Stolperstein. Ich schlage vor, diesen Stolperstein zu beseitigen – es ist schon klar, dass nicht ausnahmslos alle Bürger unter der Corona-Krise leiden.
Das Verb „fordern“ ist schon in Ordnung. Andere Petitionen beginnen mit „Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass …“ und packen damit ebenso die Hauptsache automatisch in einen Nebensatz. Auch hier können wir mit dem Doppelpunkt arbeiten, auf den ein Hauptsatz folgt.
Fehler 3: Unklarer Zeitbezug, logisch inkonsistent
Weiter im Text:
Das Grundeinkommen muss existenzsichernd sein und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Vorstellbar ist ein Betrag von 1000 € pro Person.
Hier sage ich jetzt als Redakteur: Den Text kann ich sprachlich nicht bearbeiten, denn der Inhalt ist nichtklar. Der Text ist insofern nicht „redigierfähig“ – so heißt es, wenn der Redakteur den Autor immer wieder nach Inhalten fragen muss, die aus dem Text nicht klar werden. Die Sätze selbst sind zwar in Ordnung (das Eurozeichen würde ich durch das Wort „Euro“ ersetzen – die Währung heißt tatsächlich so), aber vom Inhalt her folge ich dem Text nicht. Folgende Fragen werfen sich auf:
- Die Petition setzt die 1000 Euro in kein zeitliches Verhältnis. Fordert die Petition also eine Einmalzahlung oder ein regelmäßiges Einkommen? Ich vermute, dass es um ein regelmäßiges Einkommen geht – aber wissen tue ich es nicht. Die Formulierung „so lange wie notwendig“ lässt mich mehrere Zahlungen vermuten, und weiter unten im Text kritisiert die Petition auch die einmalige Zahlung namens „Helikoptergeld“, aber es ist eben nicht klar. Die Petition sagt es nicht explizit. Und sich darauf verlassen, dass die Leute Gedanken lesen können, gilt nicht. Die Leute können keine Gedanken lesen, und viele wollen es auch nicht.
- Wie kann ein Betrag von 1000 Euro pro Person existenzsichernd sein? Angenommen, die 1000 Euro seien täglich oder wöchentlich gemeint, dann würde ich sie als existenzsichernd ansehen. Aber ich vermute (vermuten heißt, ich weiß es nicht), dass hier eine monatliche Zahlung gemeint ist – was die Petenten wie erwähnt nicht sagen. Vielleicht meinen sie, 1000 Euro pro Jahr seien existenzsichernd? Ich halte schon 1000 Euro im Monat nicht für existenzsichernd.
- Mal angenommen, die Petenten meinten 1000 Euro im Monat – kann es dann sein, dass sie die Welt der Selbstständigen ignorieren? Die ihre Versicherungen aus den Betriebseinnahmen bezahlen, Leasingraten für Geräte leisten, Gewerbemieten zahlen und vielleicht auch Personal finanzieren müssen? Dann erscheint mir diese Petition als Redakteur äußerst weltfremd. Ich hielte diesen Zugang für einigermaßen ignorant weiten Teilen der Gesellschaft gegenüber. Bevor ich den Text freigebe, müsste ich die Autoren fragen, ob sie tatsächlich die Selbstständigen ignorieren wollen.
Alles also reichlich unklar und logisch inkonsistent, finde ich. Aber gut, vielleicht meinen die Petenten ja tatsächlich 1000 Euro pro Woche oder sogar pro Tag – dann bin ich dabei. Aber wo steht der Zeitbezug?
Bitte würdigen Sie Sprache als Handwerk
Die Petition 108191 beim Deutschen Bundestag ist ein wunderschöner Beleg dafür, dass man Sprache nicht Amateuren überlassen sollte. Sprache ist Handwerk! Und es würde mich sehr freuen, wenn die Menschen das würdigen könnten. Die wenigsten würdigen Sprache – sie denken, sie hätten Sprache in der Schule gelernt. Das stimmt leider nicht.
Im Verkauf gilt übrigens ein wunderbarer Grundsatz: „Don’t make me ask, don’t make me wait, don’t make me think!“ Auf deutsch: Wirf keine Fragen auf, lass die Leute nicht warten und zwing sie nicht zum Nachdenken! Gut: Das mit dem Nachdenken ist ein bisschen fies, aber der Spruch kommt ja auch aus dem Verkauf. Ich kenne den Spruch in dieser kondensierten Form von Gerald Hörhan, dem Autor von „Investment Punk“.
Eine Petition sollte wenigstens den ersten beiden Forderungen entsprechen. Sie sollte auf Anhieb klar sein. Dass jemand darüber nachdenkt, ist nicht schlimm, im Gegenteil – im demokratischen Meinungsbildungsprozess ist Nachdenken sogar schön und gut. Aber solange diese Petition nicht den Prinzipien „Don’t make me ask“ und „Don’t make me wait“ gerecht wird, wird es eher schwer für die Petition. Und daran sind nur die Petenten schuld, niemand sonst. Warum bilden sie auch solche überlangen Nebensätze und vergessen den Zeitbezug? Es sind halt keine Profis, so leid es mir tut.
Die Feuerwehr für Ihre Botschaft
Erinnert Sie das an etwas? Denken Sie zum Beispiel an Ihre Vorstandsvorlagen? Oder Vermerke? Oder Pressemitteilungen? Oder an Ihre Schriftsätze als Anwalt? Ihr nächstes Plädoyer? All das muss sonnenklar sein, sonst funktioniert es nicht. Komplizierte Sprache schadet Ihnen – vor allem, wenn Sie etwas durchsetzen wollen. Falls Sie mal eine Feuerwehr brauchen für Ihre klare Botschaft, freue ich mich, von Ihnen zu hören.
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