In vielen Medien (zwei Links) ist die Rede von „fast einer Tonne Kohlendioxid“, die der Helikopterflug des grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zum Wandern ausgestoßen habe. Der Helikopter habe 260 Liter Kerosin verbraucht.

Da kann etwas nicht stimmen, dachte ich mir.

Im Alter von 14 bis 15 war ich Chemiker – leider endete meine hoffnungsvolle Karriere infolge eines missglückten Experiments mit Explosivstoffen. Ich kam ins Krankenhaus und hatte Glück: Zwei kleine Wunden, die sich nähen ließen, und jede Menge Metallsplitter, die die Ärzte anhand von Röntgenbildern fanden, um sie einzeln herauszuziehen. Ich habe jedenfalls allerhand Glück gehabt. Mein selbstgebauter Sprengsatz durchschlug meine Schreibtischplatte und zum Glück nicht mich (don’t try this at home!).

Die Liebe zur Berechnung von Molekulargewichten (heute eher „Molekülmasse“) hat mich aber nie verlassen. Und da mein Kollege Frank Eckert und ich derzeit an der nächsten Auflage unseres Buches „Sind die Medien noch zu retten?“ schreiben, wollte ich die Behauptung mal nachrechnen, die zahlreiche Medien hier kolportieren.

Die Behauptung der knappen Tonne Kohlendioxid kommt von Gernot Gruber, der für die SPD im Stuttgarter Landtag sitzt und außerdem umweltpolitischer Sprecher und Diplom-Mathematiker ist. Ich habe Herrn Gruber meine Rechnung geschickt – sie kommt auf ein anderes Ergebnis – und ihn gebeten, mir zu helfen. Habe ich einen Rechenfehler? Außerdem sind alle Mathematiker, Chemiker, Ökonometriker und Physiker aufgerufen, die Sache ebenfalls nachzurechnen. Eine ordentliche wissenschaftliche Expertise habe ich bisher nicht erhoben, und daher steht meine These bitte unter dem Vorbehalt des Irrtums. Ich habe das alles als naturwissenschaftlicher Laie nachgerechnet.

Statt auf „fast eine Tonne“ Kohlendioxid komme ich auf ungefähr 650 Kilogramm Kohlendioxid, die bei der Verbrennung von 260 Litern Kerosin entstehen. So habe ich gerechnet:

(1) Hypothese sei: 260 Liter Kerosin erzeugen etwa 1000 Kilogramm Kohlendioxid.

(2) Die spezifische Dichte von Kerosin beträgt je nach Zusammensetzung 0,75 bis 0,85 kg/l, also etwa 0,8 kg/l.

(3) 260 Liter Kerosin wiegen also etwa 208 Kilogramm.

(4) Kerosin besteht großteils aus Hexadecan (C16H34).

(5) Nur der Kohlenstoff darin wird Teil des Kohlendioxids. Also müssen wir berechnen, wie hoch der Anteil des Kohlenstoffs im Kerosin ist.

(6) Dafür sind Atomgewichte da. Sie erlauben uns zu berechnen, wie hoch der Anteil von Kohlenstoff in Kerosin ist, der überhaupt zu Kohlendioxid verbrennen kann. Jedes Element (Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Natrium, Chlor, Helium) hat ein Atomgewicht. Gehen Atome mit anderen Atomen Verbindungen ein (beispielsweise 2 Atome Wasserstoff mit 1 Atom Sauerstoff als Dihydrogenmonooxid = Wasser, H2O), addieren sich die Atomgewichte zu einem Molekulargewicht (2 x Wasserstoff à 1 plus 1 x Sauerstoff à 16 = 18). Die Kenntnis der Atom- und Molekulargewichte ist also wichtig, wenn man wissen will, wie viel von einer Substanz man mit wie viel von einer anderen Substanz mischen muss, damit die chemische Reaktion ohne Rückstände aufgeht und somit optimal ist. Ein guter Bombenbauer weiß exakt, wie viel er von den verschiedensten auch noch so komplexen Substanzen optimalerweise mischen muss. Jede Ungenauigkeit schwächt die Wirkung. Und ebenso ist es bei Verbrennungsmotoren. Vergaser und Einspritzer sind dafür da, das bestmögliche Mischungsverhältnis aus Brennstoff und Sauerstoff aus der Luft zu liefern – und das gilt auch für Kretschmanns Helikopter.

(7) Das Atomgewicht von Kohlenstoff ist 12, das von Wasserstoff 1. Also ist das Molekulargewicht von Hexadecan 226. Es besteht ja aus 16 Kohlenstoff-Atomen und 34 Wasserstoffatomen. 16 x 12 + 34 x 1 = 226.

(8) Da in einem Hexadecan-Molekül 34 Wasserstoff-Atome verbaut sind, die nicht ins Kohlendioxid eingehen (sie werden mit Sauerstoff aus der Luft zu Wasser, daher die bekannten Kondensstreifen bei Düsenflugzeugen), ziehen wir die Atommasse dieser Wasserstoff-Atome ab. Der Kohlenstoff-Anteil im Molekulargewicht von Hexadecan beträgt also 226 – 34 = 192. Wir haben jetzt den Anteil im Kerosin berechnet, der überhaupt zu Kohlendioxid werden kann. Überwiegend, da Kerosin noch aus anderen Alkanen besteht – aber deren Verhältnis zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ist naturgemäß ähnlich dem entsprechenden Anteil im Hexadecan. Abweichungen dürften kaum maßgeblich unser Rechenergebnis beeinflussen oder gar die SPD-These der knappen Tonne belegen. Wenn die Rundungsfehler eine Varianz von 50 Kilogramm ergeben, wäre das viel.

(9) 192 von 226 sind 85 Prozent. Nur 85 Prozent des Molekulargewichts von Hexadecan gehen also auf Kohlenstoff-Atome zurück. Das heißt: Nicht das gesamte von der Baden-Württemberger SPD veranschlagte Kerosin wird zu Kohlendioxid, sondern nur ein Teil davon. Nur 85 Prozent des Kerosins sind überhaupt Kohlenstoff, der zu Kohlendioxid reagieren kann.

(10) Wir reden also von 85 Prozent von 208 Kilogramm Kerosin. Das sind 176,8 Kilogramm. So viel Kohlenstoff ist in 260 Litern Kerosin ungefähr enthalten. Herr Kretschmann hat auf seinem Helikopterflug also ungefähr 176,8 Kilogramm Kohlenstoff verbrannt, der sich mit dem Sauerstoff aus der Luft zu Kohlendioxid verbunden hat.

(11) Jetzt ist die Frage: Wie viel Sauerstoff ziehen die Kohlenstoff-Atome aus der Luft, um genau so viel Kohlendioxid zu bilden, dass jedes Kohlenstoff-Atom im Kohlendioxid verbaut ist? Wie viel Kilogramm Sauerstoff sind also nötig, um genau die errechneten 176,8 Kilogramm Kohlenstoff in Kohlendioxid zu verwandeln? Hier brauchen wir wieder die Molekulargewichte. Das Molekulargewicht von Kohlendioxid ist 44: ein Kohlenstoff-Atom à 12 und zwei Sauerstoff-Atome à 16.

(12) Wenn wir 176,8 Kilogramm Kohlenstoff mit einem Atomgewicht von 12 haben, und wenn wir wissen, dass das Atomgewicht von Sauerstoff 16 ist, dann sprechen wir erst mal über 235,73 Kilogramm Sauerstoff, was die Anzahl der Atome angeht (Dreisatz). Denn wenn ein Kohlenstoff-Atom ein Sauerstoff-Atom binden will (beispielsweise um Kohlenmonoxid (CO) zu bilden wie bei unvollständigen Verbrennungen wie beim Rauchen), brauchen 12 Gramm Kohlenstoff 16 Gramm Sauerstoff.

(13) Da Kohlendioxid (CO2) die Verbindung von Kohlenstoff mit zwei Sauerstoff-Atomen ist, ist der Sauerstoffbedarf doppelt so hoch. Also multiplizieren wir die 235,73 Kilogramm Sauerstoff mit 2 und kommen auf 471,46 Kilogramm Sauerstoff. Diese Menge Sauerstoff brauchen wir, um die 260 Liter Kerosin in Kretschmanns Helikoptertank zu Kohlendioxid zu verwandeln. Wir brauchen also 471,46 Kilogramm Sauerstoff aus der Luft.

(14) Diese 471,46 Kilogramm Sauerstoff aus der Luft verbinden sich mit den 176,8 Kilogramm Kohlenstoff aus dem Kerosin.

(15) Nach Masseerhaltungssatz ergibt das 471,46 kg + 176,8 kg = 648,28 kg. Das sind ungefähr 650 Kilogramm Kohlendioxid. Von „fast einer Tonne“ ist das sehr weit entfernt.

(16) Wir machen die Probe und fragen: Wie viel Kohlenstoff enthalten 648,28 Kilogramm Kohlendioxid?

(17) Das Atomgewicht von Kohlenstoff ist wie erwähnt 12, das Molekulargewicht von Kohlendioxid 44.

(18) Wir multiplizieren jetzt 648,28 Kilogramm mit dem Verhältnis zwischen dem Atomgewicht von Kohlenstoff und dem Molekulargewicht von Kohlendioxid, also 648,28 kg x 12/44 und kommen auf 176,8 Kilogramm Kohlenstoff. Volltreffer. Wir haben unsere Gleichung verifiziert.

(19) Nach meinem Dafürhalten ist so bewiesen, dass 260 Liter Kerosin etwa 650 Kilogramm Kohlendioxid produzieren, von Rundungsfehlern und einigen Unwägbarkeiten wie der exakten Zusammensetzung von Kerosin und der exakten spezifischen Dichte einmal abgesehen.

(20) Die Hypothese, der baden-württembergische Ministerpräsident habe auf seinem Helikopterflug „fast eine Tonne Kohlendioxid“ produziert, scheint also widerlegt.

Spaßeshalber habe ich noch eine Falschrechnung angestellt unter folgenden falschen Prämissen:

Falsche Prämisse 1: Kerosin bestehe vollständig aus Kohlenstoff und reagiere somit vollständig zu Kohlendioxid. Wir müssten somit keinen Wasserstoff-Anteil im Kerosin abziehen.

Falsche Prämisse 2: Die spezifische Dichte von Kerosin sei wie bei Wasser: 1kg/l.

Unter diesen falschen Annahmen komme ich der von Gernot Gruber genannten knappen Tonne schon näher:

(21) Kerosin wäre demzufolge identisch mit Kohlenstoff und hätte ein Molekulargewicht von 12.

(22) Wenn wir 260 Kilogramm Kerosin mit einem Molekulargewicht von 12 zugrundelegen, entsprächen 346,7 Kilogramm dem Atomgewicht des benötigten Sauerstoffs von 16 (Dreisatz).

(23) Da ein Kohlenstoff-Atom bei der Verbrennung zu Kohlendioxid zwei Sauerstoff-Atome bindet, kommen wir auf 2 x 346,7 kg = 693,4 kg Sauerstoff, die bei der Verbrennung aus der Luft gezogen würden.

(24) Die Gesamtmasse des entstehenden Kohlendioxids betrüge also 260 kg + 693,4 kg = 953,4 kg. Das kann man als „fast eine Tonne“ bezeichnen.

(25) Also: 260 Kilogramm Kohlenstoff erzeugen bei der Verbrennung in der Tat fast eine Tonne Kohlendioxid. 260 Kilogramm Kohlenstoff wohlgemerkt – beileibe nicht 260 Liter Kerosin. Der Liter Kerosin wiegt nur 800 Gramm und besteht nur zu 85 Prozent aus Kohlenstoff. In einem Liter Kerosin sind also nur 680 Gramm Kohlenstoff enthalten, die überhaupt zu Kohlendioxid werden können.

Ob der Diplom-Mathematiker von der SPD-Fraktion Herr Gruber im Stuttgarter Landtag diese beiden falschen Annahmen zugrundegelegt hat?

Wer kann zu dieser Überlegung etwas Konstruktives beitragen? Liege ich falsch? Liegt Herr Gruber falsch?

Schön wäre ein O-Ton von einem Fachmann oder einer Fachfrau aus der Chemie. Ich freue mich auf Input per E-Mail. Danke!!

PS: Ich selbst nehme jetzt meinen V8 mit 5,7 Liter Hubraum und fahre eine Runde wandern.