Ich soll den Ukrainekrieg beenden, obwohl nur Putin das kann

Bei LinkedIn fragte mich ein Kollege, wie ich den Ukrainekrieg beenden würde und wie Frieden möglich sei.

Meine Antwort war, dass sich Putin aus der Ukraine zurückziehen solle. Diese Antwort gefiel dem Kollegen nicht. Er sagte, das bedeute ja, weiter Krieg zu führen.

Ich sagte: Putin kann den Krieg jederzeit beenden. Denn nur Putin „führt“ Krieg. Die Ukraine verteidigt sich legitimerweise.

Und ich dachte: Den Angreifer im Land zu lassen und dem Verteidiger zu sagen, er solle mit der Verteidigung aufhören, ist doch kein Frieden. Wer denkt so? Mit welchem Recht sollte Putin in der Ukraine bleiben? Wenn Putin sich nicht zurückzieht, ist er sowieso nicht an einem Frieden interessiert, sondern belegt damit seine imperialistische Agenda. Falls Putin kein Imperialist ist, könnte er die Ukraine verlassen. Russland ist groß genug. Putin braucht kein weiteres Land.

Schadenersatz fordern ist legitim

Der Kollege meinte, ich würde die „Maximalforderung“ der Ukraine formulieren.

Also sagte ich dem Kollegen, das Wort „Maximalforderung“ kehre Täter und Opfer um. Denn die Ukraine „fordert“ in dem Sinne nichts. Es ist nicht anmaßend, wenn der Geschädigte die Wiederherstellung des Zustandes vor der Schädigung verlangt. Für dieses normale Handeln (das dem Völkerrecht entsprechen würde) aber diffamiert Putins Propaganda den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Putin stellt den Angegriffenen als Täter hin und freut sich darüber, dass diesen Unsinn zahllose willige Unterstützer seiner Agenda im Westen nachplappern. Sie beklagen sich sogar darüber, dass Selenskyj sich im Weißen Haus nicht in der Art verhält, wie sich das ein unkultivierter Grobmotoriker wie Donald Trump so vorstellt.

Was zu der Überlegung führt: Können Zeitgenossen, die Putins Narrativ transportieren, Selenskyj sei Täter und erhebe unverschämte Forderungen, für die freiheitliche Demokratie sein? Oder treten sie nicht eher für den Autoritarismus ein? Natürlich tun sie das nicht und sind lupenreine Demokraten, lautet die Antwort, wenn wir sie fragen.

Warum der Gedanke aufkommt, ist möglicherweise nicht leicht zu begreifen, wenn jemand nicht weiß, dass das Spannungsfeld zwischen Demokratie und Autokratie der eigentliche Konflikt ist. Da fehlt ein Zwischenstück in der Begründung. Dazu gehört es zu begreifen, dass Putin eben kein lupenreiner Demokrat ist, wie uns einst Gerhard Schröder weismachen wollte, sondern ein lupenreiner Autokrat, der die Demokratie aus der Welt schaffen möchte.

Aber der Reihe nach.

Ich sprach an einer Stelle von „Putinknechten“. Das warf mir der Kollege vor. Ich stünde doch für Fakten und wahre Informationen! Und dann sowas?

Na ja, dachte ich. Das Gegenteil einer zutreffenden Information ist ja nicht die Meinung, sondern die Falschinformation. Es wäre ein sinnvoller Vorwurf, mir Falschinformationen vorzuhalten. Aber er warf mir eine Meinung vor.

Das Fass über die Unterschiede zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen habe ich erst mal zugelassen. Ich verwies einfach auf Art. 5 GG und erklärte: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gilt auch für mich. Und ich sage meine Meinung, und zwar unabhängig davon, ob sie diesem Kollegen gefällt oder nicht. Meinungsfreiheit bedeutet, Werturteile fällen zu dürfen. Das macht unser freies Land aus. In einer Autokratie wie Russland läuft das anders – da hält man sich möglichst an die Vorgaben des Regimes, will man nicht aus dem Fenster fallen. Aber hier sind wir in einem demokratischen Rechtsstaat, und hier verbietet mir niemand meine Meinung.

Der Kollege sagt, er kenne Putins Agenda nicht

Im späteren Verlauf beklagte sich der Kollege darüber, dass er mit mir nicht mehr so gut reden könne wie früher. Ich entgegnete: Ich habe mich diesbezüglich nicht verändert. Ich war früher bei einer klaren Haltung und bin es heute.

Ich meinte, in dem rhetorischen Anlauf das Konzept der Wirklichkeitsumkehr zu erkennen. Ob diese gewollt war oder nicht, weiß ich natürlich nicht: Dabei versuchen Leute auf suggestive Weise, bei uns den Eindruck zu erwecken, wir seien nicht mehr normal, obwohl nicht wir es sind, die sich verändert haben.

(Setzt jemand dieses Konzept vorsätzlich und bewusst ein, sprechen wir von „Gaslighting“, einer der üblichen Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit der DDR. Im Zusammenhang mit dem Geschehen heute in der Ukraine, bei dem „Gaslighting“ eine zentrale Rolle bei der Destabilisierung der Öffentlichkeiten spielt, sollten wir wissen: Der in der DDR stationierte KGB-Major Wladimir Putin hatte auch einen Stasi-Ausweis, und zwar die Nummer B 217590, ausgestellt am 31. Dezember 1985 in Dresden. Zum „Gaslighting“ später mehr.)

Jedenfalls ging das noch ein wenig hin und her. Ich sagte: Die Neutralität ist genau das, was Putin braucht, um anzugreifen. Und wer Neutralität für die Ukraine fordert (die ja aktuell schon bündnisfrei ist, wobei wir sehen, wohin das führt), verfolgt die Agenda Putins. Putin wird wieder angreifen, er nutzt die Neutralität und jedes Ruhen der Waffen nur zum Luftholen. Er wird nicht plötzlich friedlich, denn er verfolgt eben seine Agenda.

Darauf reagierte der Kollege mit einem unfassbaren Satz. Er antwortete, er verfolge Putins Agenda nicht – schon deswegen, weil er sie nicht kenne.

Wow. Mein Kollege weiß gar nicht, was Putin vorhat? Dann hätte ich mir den Disput auch sparen können. Das ist ja so, wie wenn sich jemand mit mir über Fußball unterhält, ich fachmännisch tue und irgendwann herauskommt, dass ich Fußball-Laie bin. Ich jedenfalls würde mich mit niemandem öffentlich ernsthaft über Fußball unterhalten. Denn ich verstehe nichts davon. Was ich dazu sagen würde, wäre mangels Ahnung unqualifiziert. Und das Konzept „wenig Ahnung, viel Meinung“ ist nicht meins.

Und ich dachte zweitens: Weiß der Kollege nicht, dass wir natürlich Agenden verfolgen können, ohne sie zu kennen? Laut Wikipedia kann es durchaus sein, dass eine Person „für Zwecke, die dieser nicht bewusst sind, als Handlanger oder unwissender Helfer missbraucht wird oder deren selbständiges Handeln dieser zugedachten Rolle entspricht, beispielsweise Propaganda­zwecken dienend“.

Also: Jemandem ist möglicherweise nicht bewusst, dass er eine Agenda verfolgt. Das kommt hin und wieder vor. Und dieses Phänomen ist nichts Neues.

Jedenfalls war der Dialog bei LinkedIn so ernüchternd, dass ich mich dazu entschlossen habe, Putins Agenda einmal zusammenzufassen, wie sie sich derzeit dem Westen und seinen Repräsentanten darstellt. Einfach damit wir wissen, worüber wir reden.

Putin will Europa russisch dominieren

Einmal wissen alle informierten Menschen, dass Putin den russischen Einflussbereich auf ganz Europa ausdehnen will. Wer sich nicht vom Nachrichtenfluss abschottet, kennt Medwedews Äußerung zu einem russischen Einflussbereich bis Portugal.

Das ist aber nur ein oberflächlicher Blick aufs Problem. Das erklärt zwar schon Putins Desinformationswelle, aber das Problem liegt tiefer. Zunächst ist aber hier schon mal Putins grundsätzlicher Expansionsgedanke klar.

Desinformation destabilisiert Demokratien

Putins Imperialismus erklärt, warum Putin die freien Demokratien mit Desinformation überschüttet. Er tut es, um sie zu destabilisieren. (Woher Putins Imperialismus kommt, besprechen wir gleich. Bleiben wir kurz noch an der Oberfläche.)

Destabilisierung durch Desinformation ist billiger als ein militärischer Feldzug. Und Putin kennt gewiss auch das Buch „Die Kunst des Krieges“ von Sun Tsu, der sinngemäß schreibt: Der beste Feldherr besiegt den Feind ohne Kampf.

Die Destabilisierung gelingt, weil eine sinnvolle Meinungsbildung anhand der Lüge unmöglich ist – in einer Demokratie sind wir auf zuverlässige Informationen angewiesen, worauf auch Hannah Arendt hinweist.

Der Yale-Professor Jason Stanley sagt im „Spiegel“ (Nr. 34, 17. August 2024, Seite 11): „Der Faschismus lügt. Die Wahrheit ist das Zentrum der Demokratie. Die Lüge ist der Feind der Freiheit. Wer belogen wird, kann nicht frei wählen. Wer der Demokratie das Herz herausreißen will, muss die Menschen an die Lüge gewöhnen.“

Und Putin weiß natürlich, dass die Wahrheit die Basis der Demokratie ist. Sie ist ein Wesensmerkmal der Demokratie, wie die Lüge ein Wesensmerkmal des Totalitarismus ist. Also setzt er da die Axt an und bezahlt massenhaft Trolle, damit sie Unsinn verbreiten wie etwa den, die Berliner hätten wegen Brennstoffmangels den Tiergarten abgeholzt.

Natürlich lügen auch Demokraten, aber als Prinzip für die Demokratie taugt die Lüge nicht. Sie taugt nur als Prinzip für die Gewaltherrschaft eines autokratischen Herrschers oder einer korrupten Clique. Der Einzelfall (auch Demokraten lügen, und auch Diktatoren sagen mal die Wahrheit) bricht nicht dieses Prinzip.

Um das zu verstehen, ist das „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels von 1905 wichtig, das klarmacht: Ob eine Information wahr oder falsch ist, ist egal. Es geht nur darum, ob sie die Massen im Sinne des Demagogen mobilisiert.

Infolge der Desinformation entfremden sich immer mehr westliche Menschen vom Westen. Von der Demokratie, der Wissenschaft, der Aufklärung als solcher. Sie wenden sich dem Irrationalen und Obskuren zu und glauben an Verschwörungstheorien, bei denen am Ende niemals Russland der Böse ist, sondern stets die westliche Demokratie und ihre Institutionen und Protagonisten. Und diese Indoktrinationsopfer sehen in Putin einen Helden, obwohl er ein Kriegsverbrecher ist und Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Opfer der Putin-Propaganda glauben tatsächlich, wir hier im Westen lebten in der Diktatur und Putins Diktatur sei eine wahre Demokratie.

Wir reden also über eine Gehirnwäsche – und die basiert vorrangig auf „Gaslighting“ und Wirklichkeitsumkehr.

Was ist der Sinn hinter Putins Imperialismus?

Die Frage ist aber natürlich: Warum macht Putin das alles? Warum lässt er uns hier nicht einfach in Ruhe arbeiten? Warum bringt er Russland nicht endlich mal ökonomisch auf die Spur, sodass es in Sachen Innovationen und Wertschöpfung mit dem Westen mithalten kann? Warum verschwendet Putin seine Ressourcen für Krieg, was volkswirtschaftlich ruinös ist, wie jetzt schon zu merken ist? Warum gibt er Geld für Trolle aus, statt es in kluge Projekte zu investieren?

Warum greift Putin die Ukraine an und lässt sie nicht einfach Wertschöpfung betreiben wie jedes andere demokratische Land?

Und da sind wir auf einer wichtigen Spur.

Sehr wichtig ist hier zu verstehen: Putin greift die Ukraine nicht an, weil sie oder der Westen im militärischen Sinne Russland bedroht. Diese Legende ist russische Propaganda, die als Nebelkerze von Putins eigentlichem Ziel ablenken soll. Um es deutlich zu sagen: Kein vernünftiger Mensch will einen „failed state“ wie Russland erobern und dann teure Manpower für die Verwaltung von Chaos und Elend verschwenden. Niemand (außer Putin) gefährdet derzeit Russland. Im Gegenteil: Alle trauern darüber, was Putin aus diesem wundervollen Land mit seinen stolzen Menschen gemacht hat.

Warum also handelt Putin, wie er handelt? Putin handelt so, weil die freie Demokratie als solche Putins Prinzip der Autokratie hinterfragt. Das Modell der westlich-freien Demokratien ist einfach wirtschaftlich erfolgreicher. Und das bekommen die Russen mit. Die westlichen Nationen zeigen den Menschen auf der ganzen Welt, dass sie in einer liberalen Demokratie glücklicher, freier, selbstbestimmter und erfolgreicher leben könnten. Darum kommen Armutsflüchtlinge bevorzugt nach Mitteleuropa und wählen nicht unbedingt Russland als erstrebenswertes Ziel aus. Putin erscheint da wie ein mittelalterlicher Antiheld.

Die Demokratie zeigt, wie unsinnig Autoritarismus ist

Auf Dauer stellen die Demokratien also schon durch ihre reine Anwesenheit und ihre öffentliche Vorbildfunktion in Sachen Wohlstand Putins Modell in Frage. Sie haben infolge ihrer Freiheit im Denken und Handeln eine stärkere Wirtschaft, mehr Innovationen und agieren insgesamt lösungsorientierter als Autokraten, die viel zu viele Ressourcen für die gewaltsame Sicherung ihres Regimes verbrennen müssen, um nicht irgendwann an der Hängerkupplung eines Pick-ups durch die Straßen geschleift zu werden. Totalitarismus ist eine einzige Ressourcenverschwendung und ökonomische Handbremse.

Daher auch der aktuelle ökonomische Niedergang Russlands. Den versucht Putin zu verschleiern, indem er volkswirtschaftlich unsinnige Militärausgaben seinem Volk als Wirtschaftswachstum verkauft und darauf setzt, dass die Russen auch diesen Unsinn fressen.

Und kluge Menschen kapieren das halt. Sie begreifen das. So will die Ukraine – mit allem Recht der Welt – westlich werden. Sie will mit den Altlasten der UdSSR nichts mehr zu tun haben, mit der Korruption, der Gewalt, der Behördenwillkür, den Menschenrechtsverletzungen, der fehlenden Rechtsstaatlichkeit. Das ist schon für sich genommen ein schwerer Prozess, und der wird noch schwerer, wenn Putin das Land gewaltsam an seiner Westorientierung hindert.

Putin erweitert die NATO

Zugleich gibt es jede Menge persönliche Verbindungen zwischen Ukrainern und Russen. Man bekommt mit, was nebenan läuft. Also hat Putin hier eingegriffen. Etwa unter der Legende, die NATO bedrohe Russland, was nun wirklich Unsinn ist. Die NATO hilft nur freien Demokratien, sich gegen Leute wie Putin zu verteidigen.

Früher von der UdSSR unterjochte und heute von Russland bedrohte Völker wollen dem Autoritarismus entfliehen und schließen sich – da quasi alle von Russland bedroht werden – der NATO an, so es denn möglich ist.

Infolge von Putins Angriffskrieg sind Schweden und Finnland der NATO beigetreten, die Russland vorher nicht bedroht haben und es auch jetzt nicht bedrohen. Putin erweitert also die NATO, unter deren Dach die aufgeklärte Welt ihre Werte und ihr liberales Denken und Handeln schützt, das beispielsweise Unternehmen brauchen, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Die Demokratie reagiert halt auf Putins Imperialismus und seine Versuche, den Autoritarismus in Europa durchzusetzen.

Insofern gibt es auch keine „berechtigten Sicherheitsinteressen“ Russlands. Es ist kein Puffer nötig. Die Schweiz und Österreich stört es auch nicht, dass sie an die NATO grenzen. Die „Sicherheitsinteressen“ sind einer der vielen erlogenen Vorwände Putins, um Demokratien oder eine Nation wie die Ukraine zu bedrohen oder auch anzugreifen.

Der Hintergrund ist tatsächlich der, dass Putin seinen Autoritarismus als solchen aufrechterhalten will, der ihm bei einer weiteren Demokratisierung der Welt unter den Füßen wegbrechen könnte. Und dazu – denkt er – muss er die Demokratie bekämpfen.

Der große und der kleine Kuchen

Von meinem klugen Kollegen Daniel Fitzke stammt der Vergleich mit dem Kuchen:

  • Die liberale Demokratie hat wegen ihrer starken Wirtschaftskraft einen großen Kuchen und viele haben Anteil.
  • Der Autoritarismus hat – infolge geringerer Wirtschaftskraft – einen kleineren Kuchen. Von dem bekommen der Herrscher und seine Gefolgsleute via Gewaltherrschaft die großen Stücke, und der Rest des Volkes verarmt. Andersdenkende fallen regelmäßig aus dem Fenster oder sterben am Tee.

Und Putin will für sich und seine Gefolgsleute ein großes Stück vom kleinen Kuchen im wirtschaftlich benachteiligten Autoritarismus.

Diesen Zusammenhang begreifen kluge Leute. Vor allem in der Ukraine, in Polen und dem Baltikum. Aber auch hier, im Westen, der sich auf diese neue Bedrohungslage einstellen muss, setzt sich die Erkenntnis langsam durch, womit wir es hier zu tun haben. Obwohl bei uns vor allem in der Ex-DDR viele Menschen Putin folgen, der als KGB-Mann in Dresden den deutschen Freiheitswillen unterdrückt hat. Es lässt sich kaum anders sagen, aber Putin-Freunde wollen den Totalitarismus. Sie haben aus der Geschichte nichts gelernt.

Und ohne dieses Wissen können wir die Sachlage nicht wirklich qualifiziert beurteilen. Vor diesem Hintergrund Neutralität zu fordern, ist mindestens naiv.

Autoritarismus gegen Demokratie

Putin, für den das Ende der Sowjetunion nach eigenem Bekunden die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts war (und nicht etwa der Zweite Weltkrieg), will also die demokratische Entwicklung auf der Welt stoppen.

Aktuell ist er auf einem gutem Weg: Die drei wichtigsten Player – China, Russland und jetzt auch die USA – sind in der Hand von Autokraten. Von diesen Herrschern sind zwei gewiefte Schachspieler (Putin und Xi Jinping) und einer ist eine bildungsferne, kenntnisfreie, impulsive und kurz oder gar nicht denkende Marionette (Trump). Insofern stehen die Zeichen im Augenblick schlecht für die liberale Demokratie.

Putins Strategie lässt sich also begreifen. Ich stelle seine Agenda hier mal als Abfolge von acht Schritten dar, wobei Schritt 5 wiederum acht Unterpunkte hat:

Putins Agenda

1. Den Westen mit Lügen und Blödsinn überfluten (Trump macht das auch, er hält sich an Steve Bannons Prinzip „Flood the zone with shit“).

2. Darauf zählen, dass vor allem die psychisch Labilen, leicht Beeinflussbaren und Ungebildeten (ohne politisches Bewusstsein) ihm aus der Hand fressen. Hinzukommen alle, die für Esoterik empfänglich sind – beispielhaft ist die russische Anastasia-Szene mit ihrem völkisch-antisemitischen Weltbild, die sich auch in Deutschland verbreitet.

3. So züchtet Putin Täter heran (viele bekommen Geld für die Verbreitung von Pro-Putin-Narrativen) und willige Helfer, die sich ohne weiteres Nachdenken radikalisieren lassen.

4. Jede Menge Facebook-Seiten überschwemmen den deutschsprachigen Raum auf Deutsch mit Pro-Putin-Narrativen, und schauen wir unter „Info“ und „Seitentransparenz“, sind es oft Agenturen aus Vietnam oder Malaysia.

5. Die Desinformation befördert die Radikalisierung, wie auf Seite 85 meines neuen Arbeitsheftes „Informationskompetenz“ beschrieben:

6. Nach dem Prinzip der „Schweigespirale“ (eine laute Minderheit wird zur Mehrheit, weil die leise Mehrheit sie für die Mehrheit hält und sich ihr aus Mitläufertum anschließt) hebelt Putin am Ende die Demokratie aus. Siehe hier in Deutschland der Konflikt, ob der alte oder der neue Bundestag über die Aufrüstung durch Aufweichung der Schuldenbremse entscheidet, oder siehe in Amerika den Konflikt zwischen Trump und denen, die langsam merken, wen sie sich da ins Weiße Haus geholt haben.

7. Verunglimpfung der NATO, die Russland seit Ende der UdSSR noch nie bedroht hat, mit dem Ziel, dass Deutschland aus der NATO austritt.

8. Dann folgt einer der vielen erlogenen Vorwände Putins (in Mecklenburg-Vorpommern würde beispielsweise eine russische Minderheit unterdrückt), um über See- und Luftweg von Kaliningrad auf Rügen einzumarschieren (ca. 500 km). Vorher idealerweise Schließung der Suwałki-Lücke zwischen dem Oblast Kaliningrad und Belarus (zwischen Polen und Litauen), um Nachschub an die Ostseeküste schaffen zu können. Je nach dem, wie sich die NATO destabilisieren lässt, kommt die Schließung der Suwałki-Lücke vorher.

Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst

Auf diese Agenda bereiten sich im Augenblick alle in Mitteleuropa vor, die nicht verblendet sind. Regierungen, soweit noch nicht von Putin gekauft, Behörden, Militärs, die Verfassungsschutzämter. Unternehmen, die sich händeringend vor hybriden Angriffen schützen wollen und ihre betriebliche Resilienz steigern wollen – aber oft nicht wissen, wie radikalisiert ihre Mitarbeiter bereits sind.

Wer der Realität ins Auge sieht, erkennt einen Destabilisierungsgegenwind ohne Beispiel. Eine Heerschar von Demagogen will der Öffentlichkeit die Lüge als Wahrheit verkaufen, Putins Russland sei die wahre Demokratie und die liberalen Demokratien des Westens seien verachtenswert. Die Leute fallen scharenweise darauf rein. Wer das Spiel durchschaut, fasst sich an den Kopf.

Das ist die Lage.

Mein Kollege hatte als Lösung vorgeschlagen, die Ukraine solle neutral sein. Wie könnte dieser kurzfristige Vorschlag langfristig zu einem Frieden führen? Ich bin offen für Ideen vor dem Hintergrund, dass es hier gar nicht nur um die Ukraine geht.

Jedenfalls: Wenn die liberale Demokratie hier baden geht, kann niemand sagen, er hätte es nicht gewusst. Der Plan ist klar, die Agenda läuft. Und die Zeichen stehen auf Sieg für den Autoritarismus.

Zur Ausbildung „Informationskompetenz“

Hier noch mal ein paar Links: