Begegnen Ihnen in letzter Zeit auch so viele merkwürdige Spruchbilder und Cartoons in den „sozialen Medien“, die mit oft unbeholfenem Humor und unbeholfener Sprache gegen den Westen wettern? Die das Narrativ verbreiten, die Demokratie sei verfault, westliche Institutionen seien korrupt und das Abendland stehe kurz vor dem Untergang?

Wenn ja, dann erleben Sie Putins Angriff auf die Moderne. Er will den Westen vernichten und macht das als geübter KGB-Offizier auf eine Art, die wir im Westen erst jetzt so langsam durchschauen: Durch zahlreiche freiwillige Handlanger schürt er ein Klima, in dem die Menschen allen westlichen Institutionen misstrauen.

Die Logik der Vernichtung des Westens

Bei üblichen Verschwörungsmythen sind die Bösen der Westen, die USA, die Juden, die etablierte Wissenschaft, die Medien – aber niemals Russland unter Putin. Und hier haben wir es mit einer realen Verschwörung gegen den Westen zu tun, die den Westen mit anti-westlichen Verschwörungsmythen und Fake News überschwemmt. Die Verschwörung sitzt im Kreml und ist inzwischen sehr gut dokumentiert – auch, wenn es noch nicht alle im Westen durchschauen und manche auch gar nicht durchschauen wollen.

Bevor Sie also aufhören zu lesen, weil Sie denken, ich spinne: Ich lege den Zusammenhang hier dar und führe dabei möglichst viele Quellen und Literatur an, damit Sie das Ganze nachvollziehen können. Darum arbeite ich mit Pfeilen und einzelnen gedanklichen Schritten. Dabei finden Sie jede Menge Links mit Belegen. Lassen Sie sich einfach darauf ein, die Reihenfolge erweist sich rasch als logisch.

Zuerst geht es um Wahrheit und Lüge, denn diese beiden Größen beschreiben das eigentliche Thema – einen Angriff des Totalitarismus, der mit Lügen arbeitet, auf die Demokratie, die unbedingt die Wahrheit braucht. Warum das so ist – bitte lesen Sie weiter.

1. Die Rolle von Wahrheit und Lüge in Demokratie und Diktatur

Westliche Demokratien leben infolge der Aufklärung vom Wahrheitsgedanken. Nicht mehr Gerüchte und geheime Zeichen gelten wie im Mittelalter, sondern seit der Aufklärung herrscht (zumindest sollte es so sein) die Vernunft. Wissenschaft, Medien, Behörden, Gerichte suchen tagtäglich nach der Wahrheit. Oft fehlerhaft, sicher – aber vom Prinzip her geht es darum, Erkenntnisse zu sichern.

In jedem Fall ist in den Ländern der europäischen Aufklärung die Orientierung am Mystischen vorbei. Es gilt: Wer behauptet, belegt; zum Erkenntnisgewinn brauchen wir Beweise und keine bloßen Behauptungen oder gar Andeutungen; und unbelegtes Geraune, das sich nicht prüfen lässt, ist wissenschaftlich und publizistisch heiße Luft und damit gegenstandslos.

Die Frage, inwieweit Wahrheit relativ oder subjektiv ist, spielt dabei nur eine denktheoretische philosophische Rolle. Die aufgeklärte Welt geht von einer objektiven Wirklichkeit aus, die wir subjektiv wahrnehmen. Der Begriff „Wahrheit“ bezeichnet zutreffende Äußerungen über die Wirklichkeit. Es geht hier nicht um Überzeugungen, die jemand für „seine Wahrheit“ hält.

Wir sollten auch mit einem Polizeibeamten nicht über das Rot einer Ampel diskutieren, weil sonst die Gefahr eines psychiatrischen Gutachtens droht. Wer Auto fahren kann, ist in aller Regel auch in der Lage, auf die objektive Wirklichkeit adäquat zu reagieren. Und dazu ist eine Voraussetzung, dass wir sie unverfälscht wahrnehmen. Dinge wahrzunehmen, die nicht sind, gilt insofern als wahnhaft.

Wichtig ist die Betrachtung der „Wahrheit“, weil wir uns ohne verlässliche Informationen als politische Wesen keine sinnvolle Meinung bilden können. Daher steht die Unwahrheit übrigens auch nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: „Was […] nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung.“ (1 BvR 1376/79)

➔ Zur Bedeutung der Wahrheit in der Demokratie schreibt Hannah Arendt in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“ zudem: „Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht gesichert ist.“ (Piper 2023, S. 58). Wir können uns ohne verlässliche Informationen keine sinnvolle Meinung bilden.

➔ Wenn nun die Wahrheit eine Bedingung für Demokratie ist, ist ein Demokratiefeind gut beraten, die Wahrheit als solche anzugreifen. Ist die Wahrheit nicht mehr klar, ist ein Volk rasch orientierungslos.

Daher spielt auch das Gegenstück zur Wahrheit eine Rolle: Die Lüge ist ein Kernelement des „Faschismus“. Darauf weist beispielsweise Jason Stanley in seinem Buch „Wie Faschismus funktioniert“ hin (Westend 2024) – oder auch im „Spiegel“ Nr. 34 vom 17. August 2024 auf Seite 11.

Wir können also festhalten: Eine Demokratie bedarf der Wahrheit. Dürfen wir die Wahrheit nicht mehr sagen, endet die Demokratie. Wissen wir nicht mehr, was wahr ist und was falsch, sind wir keine mündigen Bürger und auch kein Volk der Dichter und Denker mehr, sondern unwissend und orientierungslos. Völkisch können wir dann noch sein – etwa indem wir laienhaft glauben, wir bräuchten keine Fachleute mehr, um die Welt zu verstehen.

2. Putins geistesgeschichtliche Prägung

➔ Über den früheren Dresdner KGB-Offizier Wladimir Putin gibt es jede Menge gute Literatur. Damit sind nicht die Bücher derer gemeint, die das dissoziale Verhalten der russischen Kleptokratie rechtfertigen und die Schuld dafür auf den Westen schieben. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn am Ende ist Russland dem Westen egal, solange es keine Gefahr darstellt.

➔ Ökonomisch ist Russland kaum ernstzunehmen, gerade weil sich seine Führung mit abseitigen nationalistischen Tasks befasst, statt konstruktiv und produktiv zu handeln. Dass Demokratie und Teilhabe wichtig sind, damit ein Land prosperiert, war nicht zuletzt 2024 Gegenstand bei der Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften.

➔ Auch war die NATO nie eine Gefahr für Russland. Die NATO bietet jenen Nationen Schutz, die sich aus Russlands Regime aus Gewalt und Drohungen befreien wollen. Die „NATO-Osterweiterung“ ist ein anti-westliches Framing – tatsächlich geht die Bewegung von Ost nach West: Immer mehr Nationen schließen sich der NATO aufgrund Russlands Drohungen an, zuletzt Schweden und Finnland, die für Russland nie eine Gefahr waren. Auch für die Schweiz, Österreich oder Mexiko war die NATO nie eine Gefahr – weshalb also für Russland?

➔ Also fallen Bücher sogenannter „Putin-Versteher“ aus. Wichtiger ist die seriöse Literatur: Empfehlenswert sind vor allem „In Putins Kopf. Logik und Willkür eines Autokraten“ (Cotta’sche Buchhandlung 2022), in dem Michel Eltchaninoff Putins Charakter sehr eingängig beschreibt. Ebenfalls von 2022 ist John Sweeneys „Der Killer im Kreml. Intrige, Mord, Krieg: Wladimir Putins skrupelloser Aufstieg und seine Vision vom großrussischen Reich“ (Heyne), das Putins KGB- und Stasi-Vergangenheit als prägend darstellt. Bereits 2013 erschien „Wladimir. Die ganze Wahrheit über Putin“ von Stanislaw Belkowski (Redline), worin es u.a. um Putins Profite als Petersburger Bürgermeister aus der organisierten Kriminalität geht. Manfred Quiring schrieb 2017 „Putins russische Welt. Wie der Kreml Europa spaltet“ (Ch. Links Verlag) und zeigt ebenso, inwiefern in Russland am Ende die Mafia regiert.

➔ So schreibt Eltchaninoff zum Beispiel: „Putin – ein versierter Kenner der Philosophie? Lassen wir die Kirche im Dorf.“ Putin präsentiere sich lieber „als jemand, der das weite Land und die körperliche Ertüchtigung der Enge der literarischen Salons vorzieht“. Lieber erzähle er von seiner „Jugend als Gauner und Spion“ (Seite 9).

➔ So teilt Putin das Anti-Intellektuelle mit Hitler und auch Stalin. Dass Putin gutes Benehmen nicht interessiert und er weniger auf zivilisierte Umgangsformen steht als vielmehr auf archaische Machtdemonstrationen, bewies er 2007 beim Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel, an der er trotz Wissens (oder deswegen) um ihre Angst vor Hunden seine Labrador-Hündin schnüffeln ließ. Was im kultivierten Westen als oberflächliches Macht-Getue gilt, ist in Putins kuriosem Denken ein ernsthafter Kompetenzbeweis.

Putin bezeichnete das Ende der Sowjetunion schon 2005 als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Um den früheren Einfluss Russlands wiederherzustellen, terrorisiert er seit Jahrzehnten zahlreiche Länder, wie sich aus dieser Excel-Tabelle hier ergibt, die im Juni 2022 Redaktionsschluss hatte. Wie Putin vorgeht, beschreibt auch sehr gut John Sweeney in seinem Buch.

Die freie Welt würde sich freuen, wenn Russland einfach nur friedlich Werte schaffen würde. Doch leider bringt Putin nicht etwa durch Wertschöpfung und konstruktives Miteinander sein Land voran, sondern er ist von einem kruden völkischen Mythos besessen und erscheint daher wie aus der Zeit gefallen. Seinem Handeln liegen keine westlichen Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung oder auch nur Wohlstand zugrunde, sondern Nationalismus und Stolz. Aktuell scheinen seine Hauptmotive die gekränkte Ehre und ein eklatanter Mangel an Selbstwert zu sein.

Darüber hinaus folgt Putin der kruden Vorstellung, ein mächtiges Land habe massenhaft Einwohner. Sonja Margolina beschreibt den Zusammenhang in der „NZZ“ sehr gut. Der Ansatz erklärt die massenhaften Verschleppungen ukrainischer Kinder nach Russland, um sie dort zur Adoption freizugeben. Das Tragische für Russland ist dabei: So ziemlich alles, was Putin tut, schwächt Russland am Ende und behindert dessen Bevölkerungswachstum. Putin ist insofern ein eher mittelmäßiger Stratege: Er verheizt Hunderttausende von Männern in einem völlig sinnbefreiten Krieg.

Zugleich lebt Putin in einer enormen Zerrissenheit. Er wäre gerne unabhängig von den technischen Errungenschaften des aufgeklärten westlichen Denkens, aber er braucht sie.

Andersherum brauchen die westlichen Industrienationen Russland nicht.

Dass Russland nicht floriert und quasi ein „failed state“ ist, liegt unter anderem an der sowjetischen Sozialisierung, in der die Produktionsmittel beim Staat lagen und in deren Folge nie wirklich eine Kultur der Kreativität und Wertschöpfung Einzug gehalten hat.

Wohlstand bedarf der Freiheit des Denkens, und die ist in Russland unter Putin nicht gegeben.

Putin denkt zudem nach wie vor sowjetisch in großen, zentral gesteuerten Strukturen und nicht in kleinen, differenzierten Zellen der Wertschöpfung wie etwa beim deutschen Mittelstand.

Den Zusammenhang zwischen Strukturen und Freiheit einerseits und Erfolg andererseits scheint Putin nicht zu erfassen. Er denkt in seinen nationalistischen Kriterien.

Und so hasst Putin den Westen, obwohl (oder weil) er auf seine Bauteile angewiesen ist. Offenbar scheint Putin zu glauben, dass der Westen ebenso in Eroberungen, Ruhm und Ehre denke wie er, während er zugleich nicht erkennt, dass diese Werte aus moderner Perspektive lächerlich erscheinen, weil rückständig, destruktiv und nicht lösungsorientiert.

Putin fürchtet also, sein Gesicht zu verlieren, obwohl er es in den Augen der westlich-aufgeklärten Welt längst verloren hat.

Umso mehr kapselt Putin sich mental vom Westen ab und flüchtet sich in eine Scheinwelt. „Tu te racontes des histoires“, sagte einst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu ihm: „Du machst dir etwas vor.“

Und das gilt für Putins gesamtes Wahngebilde inklusive der Idee, die NATO bedrohe Russland, in der Ukraine herrschten schwule Nazis oder der wirtschaftlich erfolgreiche liberale und demokratische Westen sei satanistisch.

Eine Erklärung dafür könnte Putins geistiger Vater sein: der russische Philosoph Iwan Iljin (1883–1954), der laut dem Autor Michel Eltchaninoff „zur Konstruktion einer neuen ‚russischen Idee‘ aufruft“. Von Iljin bezieht Putin seine mystisch verklärte Idee eines Großrusslands.

Auch die Nähe zu Patriarch Kyrill I. zeigt Putins Hang zum Mystizismus. Es geht hier nicht nur um Ostereier oder darum, dass Putin religiös sein mag – nein: Kyrill spricht über die „Spezialoperation“ in der Ukraine als „metaphysischen Kampf“, um „sich auf der Seite des Lichts zu positionieren, auf Seiten der Wahrheit Gottes“. Gott soll hier als Feigenblatt für Putins Morde herhalten.

Und dann schwebt noch immer noch das Bekenntnis von Dmitri Medwedew vom April 2022 über Europa, der Zusammenbruch der Ukraine sei ein erster Schritt zu einem „offenen Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“. Also ein „Frieden“ in ganz Europa, wie er Putin als „russische Welt“ („russki mir“) vorschwebt: Friedhofsruhe unter einem mörderischen Gewaltregime.

➔ Schließlich dürfte Putins Hang zur Mystik auch seine Entscheidungen beeinflussen: Zumindest Gerüchten zufolge hört er auf den Rat von Schamanen, was die Weltlage auch nicht unbedingt sicherer macht.

3. Putins Strategie zur Unterwerfung des Westens

Nun weiß auch Putin: Ein guter Krieger bricht den Widerstand des Feindes ohne Kampf. Das ist ein allseits bekannter kluger Gedanke des Kriegsphilosophen Sun Tsu („Die Kunst des Krieges“; diverse Ausgaben).

Auch deswegen hat Putin nicht gleich die Ukraine überfallen, sondern sie erst mit seinen „grünen Männchen“ infiltriert – Soldaten ohne Hoheitsabzeichen.

Und er hat Militär gespart, indem er die Ostukraine massiv durch Desinformation destabilisiert hat und Legenden etabliert hat, der ukrainische Präsident führe einen Bürgerkrieg gegen sein Volk und es gebe in der Ostukraine geheime US-Biowaffenlabore.

➔ Kämpfen, ohne zu kämpfen, ist eine Kernkompetenz von Geheimdiensten, und Geheimdienstler ist Putin ja.

Nichts liegt also näher, als auch die westlichen Demokratien von innen heraus aufzulösen – durch Lügen wie etwa jene über die aggressive NATO. Wozu gegen einen starken Gegner kämpfen, wenn er sich durch Desinformation so schwächen lässt, dass irgendwann eine pro-russische Partei das Ruder übernimmt, aus der NATO austritt und das Land nicht mehr verteidigt?

Diese Infiltration des Westens gelingt Putin durch eine Art der Propaganda, wie sie in dem „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels (Julius Springer 1905) beschrieben ist. Ob Putin das Buch kennt, ist unklar, aber zu vermuten. Es ist 2013 bei Springer Nature als Faksimile-Ausgabe erschienen, war aber natürlich auch vorher schon öffentlich.

➔ Und jetzt geht es darum, das Prinzip der diktatorischen Lüge und der geheimdienstlichen Desinformation mit dem kruden Mystizismus Iljins und Kyrills zusammenzuführen – und wir verstehen, warum die derzeitige Desinformationswelle so aussieht, wie sie aussieht. Auch die vielen esoterischen und völkischen Bezüge erschließen sich.

4. Putins Desinformation als Taktik

Die russische Propaganda füttert uns in extremem Umfang konzertiert mit anti-westlichem und pro-russischem Blödsinn, an den wir glauben sollen – geführt von Putins Troll-Armee und sehr gut dokumentiert von Jessikka Aro („Putins Armee der Trolle“, Goldmann 2022). Auch die hervorragende Fake-Liste von AFP sei verlinkt.

Entsprechend startet Putin einen hinterhältigen und verlogenen „Angriff auf Deutschland“ (Arndt Freytag von Loringhoven und Leon Erlenhorst, Econ 2024), der Putins destruktiven Charakter offenbart: Wie im Sinne des Stasi-Konzeptes der „operativen Psychologie“ arbeitet er massiv mit Verwirrungstaktiken.

Diese Verwirrung soll erstens das Volk der Dichter und Denker verblöden und völkisch machen und zweitens einen Nihilismus befördern, an dessen Ende wir an gar nichts mehr glauben, weder an die Lüge noch an die Wahrheit. Hannah Arendt hat das Phänomen im Nationalsozialismus beobachtet und gut beschrieben.

Am Ende sagen Propaganda-Opfer: „Wir wissen doch gar nicht, ob das stimmt, was die westliche Wissenschaft als Stand des Wissens behauptet.“ Genau das erleben wir derzeit bei den vielen Wahrheitsrelativisten, die durch die Relativierung oder Leugnung der Wahrheit der Lüge und damit der Diktatur Vorschub leisten.

➔ Eine schwedische Studie hält dazu fest: Wer die Wahrheit relativiert, ist auch leichter empfänglich für Verschwörungstheorien („bullshit receptivity“).

Und das ist die Auflösung des westlichen Denkens und damit der Demokratie. Es ist ein Angriff auf die Moderne und die Aufklärung mit dem Ziel, dass wir zurückfallen in eine Welt des Aberglaubens und des Okkultismus.

Nicht durch Zufall verbreiten zahlreiche Fake-News-Medien esoterische Konzepte und verdienen ihr Geld auch mit esoterischen Devotionalien und Requisiten, bei denen immer wieder auch heidnische Symbole wie Runen eine Rolle spielen.

Und so liefern Putins Trolle und zahlreiche willige Helfer in Deutschland Falschinformationen und Verzerrungen aller Art: Die westliche Wissenschaft sei per se korrupt, die freie Presse verlogen, die Demokratie eine Diktatur, die Meinungsfreiheit längst abgeschafft, und zahllose Bürger aus NATO-Staaten wollten unbedingt nach Russland auswandern.

Putin und seine nützlichen Idioten behaupten damit letztlich, die autokratischen russischen Verhältnisse herrschten im Westen und wirklich frei sei nur Russland.

Dabei bekommen alle genau den Cocktail an Blödsinn serviert, den sie gerade noch ertragen. Das Prinzip lautet: „Das NASA-Foto vom Mars war natürlich eine Fälschung, aber dass die Erde hohl sein soll, führt nun wirklich zu weit.“

So werden einfältige Menschen durch Legenden wie die der »Chemtrails« verunsichert – wobei der Punkt dabei nicht die angeblichen Chemikalien im Kondensstreifen sind, sondern die unbelegte Behauptung, westliche Regierungen würden so handeln.

Vergeistigte Theoretiker werden mit Wahrheitsrelativismus belämmert und sollen sophistische Debatten darüber führen, dass es doch gar keine objektive Wirklichkeit und keine Wahrheit gäbe.

Das hat eine einfache Folge: Gibt es keine Wahrheit, gibt es auch keine Lüge.

Entsprechend leichter lassen sich Lügen dem Volk als Meinungsäußerungen verkaufen.

Dazu kommt das Konzept des früheren Trump-Beraters Steve Bannon: „Flood the zone with shit“. Lügen sind schnell gesponnen und gehen viral; Faktenchecks brauchen Zeit und gehen nicht viral.

Und wenn ein paar wenige Intellektuelle das Prinzip durchschauen, ist das völlig egal: Die Wahrheit spielt bei der Demagogie keine Rolle, schreibt schon Bartels. Es geht nicht darum, was wahr ist, sondern darum, was die Leute glauben.

Links die Rheinische Post mit der korrekten PR-Masche Putins, Russland für angeblich massenhaft unzufriedene Ausländer zu öffnen. Rechts die Instrumentalisierung als Desinformation mit zahlreichen Gestaltungsfehlern, die die medienunerfahrene Zielgruppe aber nicht stören.

5. Die Parallelen zwischen Putin und Hitler

Bei der Durchsetzung politischer Interessen scheint sich Putin an Hitler zu orientieren – vor allem bei den Prinzipien Lüge, Täuschung und Wirklichkeitsleugnung sowie bei der Schuldumkehr durch False-flag-Aktionen.

Beeindruckend ist insofern die Sammlung von Hitlers Lügen in Michael Hesemanns Buch „Hitlers Lügen. Wie der ‚Führer‘ die Deutschen täuschte“. Mit dem Überfall auf den Sender Gleiwitz hatten die Nazis die Legende erschaffen, sich am 1. September 1939 nur zu „wehren“ – es war der Vorwand für Hitlers Angriff auf Polen.

Putin verweist auf die Legende der angeblichen gewaltsamen Unterdrückung von Russischstämmigen durch die Ukraine und nutzt diese Lüge als Vorwand für seinen Angriff. Damals wurde „zurückgeschossen“; heute verbreitet die russische Propaganda Unsinn über angebliche „Sicherheitsinteressen“, wobei die russische Integrität niemals in Gefahr war und niemand je Russland angreifen wollte.

Beide Diktatoren logen bzw. lügen, ihre Nationen seien durch demokratische Länder und Bündnisse bedroht. Dabei war Deutschland in der Weimarer Zeit ebenso wenig bedroht wie Russland es heute ist.

Insgesamt scheint bei beiden die Lüge im Sinne von Rudolf Bartels als Prinzip vorzuherrschen (Hitler leistete seinen Amtseid auf die Weimarer Verfassung, die er dann aushebelte; und Putin galt lange infolge von Gerhard Schröders Irrlichterei als „lupenreiner Demokrat“).

Vor allem die Täter-Opfer-Umkehr halten bzw. hielten beide Kriegstreiber konsequent durch.

So erklärte Joseph Goebbels am Vorabend von „Führers Geburtstag“ am 19. April 1945 im Reichsrundfunk: „Unsere Feinde behaupten, daß Soldaten des Führers als Eroberer durch die Länder Europas zogen, – aber wohin sie kamen, verbreiteten sie Wohlstand und Glück, Ruhe, Ordnung, gefestigte Verhältnisse, Arbeit in Hülle und Fülle und als Folge davon ein menschenwürdiges Leben. Unsere Feinde behaupten, ihre Soldaten kämen in dieselben Länder als Befreier, – aber wo sie auftreten, folgen ihnen Armut und Herzeleid, Chaos, Verwüstung und Vernichtung, Arbeitslosigkeit, Hunger und Massensterben; und was übrigbleibt von der sogenannten Freiheit, das ist ein Vegetieren, das man selbst in den dunkelsten Teilen Afrikas nicht mehr als menschenwürdig zu bezeichnen wagen würde.“ (Heiber (Hg.): Goebbels-Reden, zweibändige Ausgabe 1991, Gondrom, Seite 449 f.)

6. Die Wehrlosigkeit des Westens

Die Aufklärung in Gestalt von Behörden und Medien ist dem Schmu natürlich auf der Spur, aber eben extrem langsam. Immerhin flog beispielsweise die „Doppelgänger-Kampagne“ auf, bei der russische Agitatoren Pseudo-Nachrichten auf täuschend echt wirkenden pseudo-deutschen Nachrichtenseiten veröffentlichten. Stets ging es um Alarmismus und darum, dass die Bundesregierung das Land vor die Wand fahren und ihr Volk ins Elend manövrieren würde. Ein besonders schönes Beispiel ist der angebliche Tod eines „Marius“ durch einen Fahrradunfall wegen der aus Energiegründen angeblich abgeschalteten Straßenbeleuchtung – gut archiviert im Web-Archiv. Inzwischen hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, das die technischen Details aufgedeckt hat, die Kampagne gut dokumentiert.

Parallel dazu forciert Putin russische Inlandspropaganda, die im westlichen Ausland niemand glaubt, die aber die russische Öffentlichkeit indoktriniert und so in Sachen Informationskompetenz entmündigt – etwa dass die Berliner wegen der Energiekrise und des Heizstoffmangels den Tiergarten abholzen würden. Hier füttert Putin sein Volk mit der Lüge, der Westen brauche Russland.

➔ Am 16. September 2024 brachte tagesschau.de ans Licht, wie systematisch der Kreml die Desinformation lenkt, gerade durch anti-westliche und russlandfreundliche Cartoons und Spruchbilder in den „sozialen Medien“. Die Steuerung kommt direkt vom russischen Präsidenten. Als Ziel war u.a. ausgegeben: „20 Prozent AfD“.

➔ Und so kommen automatisch auch die AfD und auch das BSW von Sahra Wagenknecht ins Spiel. Allen, die mitdenken, fällt die Putin-Agenda auf, die wir aus diesen Ecken immer wieder hören: raus aus der NATO, Deutschland nicht wehrfähig machen, Loslösung von den bösen USA und so gut wie kein schlechtes Wort über Putin.

➔ Und vor allem: die Ukraine nicht weiter unterstützen und so tun, als brächten Verhandlungen die Waffen zum Schweigen – obwohl Putin immer wieder deutlich macht, dass er die Ukraine beansprucht und trotz zahlreicher Zusicherungen der ukrainischen Integrität eben doch angreift.

➔ Wichtige Multiplikatoren dieser Propaganda sind die sogenannten „alternativen Medien“. In dem Augenblick, in dem sie sich an die journalistischen Standards halten würden, wären sie nicht mehr „alternativ“: Auf ihnen läuft der gesamte Themenmix aus Gerüchten und Geraune rund um Biowaffenlabore, Chemtrails, 5G, HAARP, hohle oder flache Erde, WT7, großer Austausch, Millionen Impftote und so ziemlich allem anderen Schmu, der es aus guten Gründen nicht in seriöse Medien schafft.

➔ Googeln Sie diese Verschwörungsmythen gebündelt mit den Namen „alternativer Medien“ – Sie werden fündig, und zwar nicht im Sinne einer kritischen Betrachtung dieser Mythen. Klassische Medien dagegen verweisen darauf, dass es sich um Unsinn handelt.

➔ Die „alternativen Medien“ sind auch nicht im Nachrichtengeschäft. Tritt der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen zurück, findet sich diese Nachricht rein als Meldung bei den meisten „alternativen Medien“ nicht. Ihr Auftrag ist nur, die Nachrichtenlage im Sinne ihrer Agenda pro Putin umzudeuten und Desinformation zu streuen. Sie täuschen also ihre Leser.

➔ Das Ziel ist dabei offenbar auch, die große Masse der ungebildeten und leichtgläubigen „Selberdenker“ zu erreichen, die sich am Ende auch alleine irren, das völkische Potenzial in Deutschland, das auf Fachleute pfeift.

➔ Dazu kommen die jetzt aufgeflogenen Social-Media-Kampagnen, in denen Täter aus Russland und nützliche Idioten aus Deutschland den Quatsch multiplizieren – alles mit dem Zweck, das Vertrauen in westliche Institutionen und Repräsentanten zu zerstören, in die Wissenschaft und in die Demokratie. Kurz: das Vertrauen in die Aufklärung und die Moderne.

Fake-News durch Bots, Agitatoren und nützliche Idioten: Helmut Schmidt war während der Kuba-Krise 1962 nicht dort relevant, sondern Innensenator in Hamburg (links). Mitte: Warum Behörden anschreiben, wenn doch die Regierung der Übeltäter ist? Rechts: Jeder Grafiker kapiert, dass die Aufschrift „Chemtrailzusatz“ zu weit rechts an der Kante des Fahrzeugs ist. Aber die Zielgruppe versteht nichts von Informationen und glaubt den Unsinn.

Welche von Putins Helfern bekommen Geld von ihm?

Klar ist jedenfalls: Diese Informationen sind alle frei zugänglich. Niemand wird sagen können, er hätte davon nichts gewusst. Und weil es um einen Angriff auf unsere Freiheit geht, ist das Thema politisch.

Aktuell stellt sich die Frage, wer so alles von Putins willigen Helfern im Westen eigentlich Geld für die systematische Verbreitung demokratiegefährdender Lügen bekommt. Es ist zu erwarten, dass hier noch mehr Leute auffliegen als bisher schon.

Wie reagiert die Demokratie auf diesen Angriff?

Und die Politik muss sich überlegen, wie ein Rechtsstaat auf Dauer auf diese Angriffe durch Desinformation reagiert. Es sind demokratiegefährende Lügen und Diffamierungen, oft subtil und implizit. Zugleich tun sich Demokraten und Freunde der Freiheit schwer damit, Äußerungen zu verbieten.

Meine Überlegung ist: Wenn wir den Dreck schon nicht stoppen können, können wir uns dagegen immunisieren. Wer versteht, welches Räderwerk hier läuft, und wer darüber hinaus noch begreift, wie öffentliche Kommunikation funktioniert, was Behauptungen von Meinungen unterscheidet, Gerüchte von gesicherten Informationen – an dem blättert der Gedankenmüll möglicherweise ab.

Wer beispielsweise meinen Blogbeitrag über die manipulative Umdeutung einer Studie der Zeitschrift „Emma“ von Alice Schwarzer liest, merkt möglicherweise, dass er für dumm verkauft wird. Die „Emma“ fragt erst alle 2002 Probanden, ob sie „grundsätzlich“ für Verhandlungen sind. 68 Prozent (1358 Probanden) sind dafür. Dann fragt die „Emma“ nur diese 68 Prozent, ob sie für einen bestimmten Waffenstillstands-Deal seien. Von dieser Teilmenge antworten wiederum 65 Prozent mit Ja – also 65 Prozent von 68 Prozent (44,2 Prozent). Und dann verkauft uns die „Emma“ die Falschbehauptung als Wahrheit, 65 Prozent insgesamt seien für diesen Deal.

Und bezeichnen sich die „Querdenker“, die Rauner und Faktenleugner nicht gerne selbst als „aufgeweckt“ und alle anderen als Schlafschafe? Ich weiß, dass es schwer ist, ein Selbstbild zu korrigieren, aber es gibt jede Menge Möglichkeiten dazu.

Wer es versteht, macht sich immun

Mein aktuelles Buch „Immun gegen Unsinn“ ist insofern eine Impfung gegen Desinformation (und auch Impfgegner seien aufgerufen, es zu lesen). Das Prinzip der Impfung ist: Haben wir Antikörper, ist es nahezu gleichgültig, mit welcher Wucht wie viele Viren auf uns einströmen. Wenn Sie gegen Malaria geimpft sind, können Sie sich in Malariagebieten bewegen, ganz gleich, wie zahlreich die Erreger dort vorhanden sind. Zumindest theoretisch.

Und so können Sie sich mithilfe meiner Überlegungen vor Lügen, Betrug, Manipulation, Scharlatanerie und Demagogie schützen. Wir müssen das Prinzip durchschauen wie bei einem Zaubertrick: Wer weiß, dass nicht das Fingerschnippen des Zauberers die Kaufhaustür öffnet, sondern die Lichtschranke, lässt sich von dem angeblichen Zauberer nicht mehr täuschen.

Und glauben Sie mir: Wladimir Putin ist einer der hervorragendsten Illusionisten, die diese Welt jemals gesehen hat.

Bitte schauen Sie sich auch mein YouTube-Video an: „Wahrheit, Unwahrheit, Meinung“. Es geht auch hier darum, wie wir der Lügenkampagne des Kreml begegnen können – mit weiteren Beispielen über Putins Manipulationsversuche.