Die Kritik der Arbeitgeber an Berufseinsteigern ist immer wieder die gleiche: Ihnen fehlen grundsätzliche Sozialkompetenzen, Engagement und Proaktivität. Es fehlen der Kundenblick und der Blick für Unternehmensziele. Woran liegt das? Thilo Baum zeigt, an welchen Stellen das Bildungssystem versagt – und welche Inhalte Teil des (Aus-) Bildungssystems werden sollten. 

(Am 26. November 2019 trete ich beim Deutschen Ausbildungsleiterkongress auf – mit einem Vortrag zum Bildungssystem. Hier lesen Sie vorab meinen Beitrag für die Kongresszeitung.)

Das Bildungssystem hat sich in den vergangenen Jahren nicht zum Guten verändert. Die Schulabgänger, die auf den Ausbildungsmarkt und in die Hochschulen strömen, denken zunehmend wirtschaftsfern und wirtschaftsfeindlich. „Die Wirtschaft“ ist zu einem Feindbild geworden – obwohl alle am Ende von der Wirtschaft leben.

Das hat vor allem damit zu tun, wie die „Generation Z“ tickt. „Die Jugend dauert immer länger“, sagt Michael Lorenz von der grow.up Managementberatung in Gummersbach. Die Digital Natives sind mit Internet und Smartphone großgeworden und nach Lorenz wenig stressfähig. Und von den „sozialen Medien“ her sind sie fast nur positive Kritik gewöhnt. Mit Negativem und Druck kann diese Generation kaum umgehen (Michael Lorenz: Generation Young. BusinessVillage 2019).

Nehmen wir die Fridays-for-Future-Bewegung: Der SUV ist zum Hassobjekt geworden. Wer SUV fährt, ist per se böse. Nicht böse ist, wer im Sommer Festivals besucht, mit Megawatt von Licht und Ton, mit Ladestationen für Hunderte Smartphones, mit An- und Abreisen per Auto und Wohnmobil. Nicht böse sind Bands, die Stadien mit Menschen füllen, mit mehreren 40-Tonnern Equipment über Hunderte Autobahnkilometer transportieren und ebenfalls eine Menge Erdöl verbrauchen.

Ideologische Intoleranz statt sachlichem Denken

Es geht hier also um eine ideologische Intoleranz: Wer sich selbst für gut hält, verurteilt die Hobbys der anderen, beispielsweise der V8-Szene und der Gruppe „Fridays for Hubraum“. Hubraum gilt als böse. Aber wenn ein Sinfonieorchester um die Welt fliegt, ist das in Ordnung. Woher kommt die Anmaßung, hier zwischen Gut und Böse zu unterscheiden?

Sehr gut hat Mario Gutmann den Konflikt der FFF-Bewegung auf den Punkt gebracht, Betriebsratschef bei Bosch in Bamberg. In der Talkrunde bei Maybrit Illner fragte er mit Blick auf die Demonstranten: „Wo wollen die mal arbeiten?“ Mich erinnert das an den BMW-Betriebsratschef Manfred Schoch, der die Überlegungen des Juso-Chefs Kevin Kühnert zur Verstaatlichung von BMW gekontert hat. Schoch sagte, bei BMW gehe es nicht um kurzfristige Gewinninteressen, sondern um langfristige Stabilität. BMW bezahle übertariflich gut.

Schoch sagte noch einen Satz: „Ich empfehle Herrn Kühnert und seinen Unterstützern in der SPD, erst noch mal in die Schule zu gehen und zu lernen, wie Wirtschaft funktioniert.“

Und darum geht es. Es geht darum, zu verstehen, wie Wirtschaft funktioniert. Das Wissen ist unterentwickelt. Der Grund ist schlimm: Kaum jemand trägt in Deutschland noch zur Wertschöpfung bei. Wertschöpfung betreibt in Deutschland nur noch eine Minderheit.

Unsolidarisch: Eine unproduktive Mehrheit lebt von einer produktiven Minderheit

Das Managermagazin schreibt: „Wenn wir uns zugleich vor Augen halten, dass es in Deutschland 27 Millionen Nettosteuerzahler gibt, von denen wiederum 12 Millionen beim Staat beschäftigt sind, landen wir bei rund 15 Millionen Menschen, die in Deutschland das Gemeinwesen tragen. Die 12 Millionen Staatsbediensteten leisten natürlich auch einen Beitrag, doch sind ihre Gehälter nur denkbar, wenn die 15 Millionen Menschen, die nicht beim Staat beschäftigt sind, entsprechend viel erwirtschaften. (Daniel Steltner, https://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/rente-keine-sicherung-durch-umverteilung-a-1225336-2.html)

15 Millionen Menschen finanzieren also 83 Millionen Menschen? Das finde ich ungerecht.

Erschreckend viele Leute leben ohne jede produktive Arbeit von Steuergeldern, und Selbstständige und Unternehmer gelten für sie tendenziell als unsolidarisch. Dass Arbeitsplätze nur existieren, wenn jemand eine Geschäftsidee entwickelt und umsetzt, hat unsere heutige Gesellschaft nicht im Blick. Eine Gesellschaft aber, in der eine unproduktive Mehrheit von den Steuern einer produktiven Minderheit lebt – und genau das ist unsolidarisch –, wird früher oder später kollabieren.

Entsprechend sieht das Mindset heutiger Schulabgänger aus: An tatsächlicher, konkreter Arbeit scheint kaum Interesse zu bestehen. Lieber verbringt man seine Zeit ohne Wertschöpfung und lebt indirekt von der Minderheit, die noch real arbeitet.

Das ist das Grundproblem: die Geringschätzung der Mehrheit für die Minderheit, die real arbeitet. Auf diesem Problem türmt sich alles auf: die Vorurteile gegenüber Unternehmern und erfolgreichen Menschen insgesamt. Ein Antikapitalismus, der am Ende Feindschaft gegenüber der sozialen Marktwirtschaft darstellt. Das moralische Überlegenheitsgefühl. Und das Unverständnis dafür, dass nur Wertschöpfung am Ende für Wohlstand sorgt.

Mir geht es hier nicht darum, die Proteste gegen menschengemachte Kohlendioxid-Emissionen anzugreifen. Das beispielsweise von der FDP propagierte Modell des Emissionshandels zielt auf Klimaneutralität ab. Ich kenne kein besseres Modell. Was mich in der öffentlichen Debatte stört, ist nicht der Umweltschutz. Der ist wichtig – die FDP tritt für Aufforstung ein und dafür, Moore zu renaturieren. Was mich stört, ist die Arroganz, die Wirtschaft als solche zu verurteilen, obwohl ohne sie gar nichts geht.

„Wirtschaft“ sollte nicht theoretisch, sondern konkret sein

Wirtschaftsunterricht in der Schule mag ein sinnvoller Weg sein. Aber da müssen wir aufpassen, dass es nicht zu theoretisch wird. Ich habe einmal ein Interview geführt mit den beiden Gründern der Skihalle bei Neuss und des dazugehörigen Hotels „Fire & Ice“. Sie haben mir gesagt, dass ihr Studium in Betriebswirtschaft nicht bei der Existenzgründung geholfen hat. Mich wundert das nicht – es geht im Business auch um andere Dinge als nur um Controlling.

Worum geht es dann? Welches Wissen gehört in die Schule? Ich habe ein paar Themenvorschläge:

– Das Prinzip Geschäftsidee: Gesucht ist etwas, was wir gerne tun und können – und was andere brauchen. Der Grundgedanke von Business ist also altruistisch und kreativ. Wir versuchen, anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen.

– Das Prinzip Wertschöpfung: Es ist ein riesiger Unterschied, ob jemand von eigener Hände arbeit lebt oder aus Steuergeld. „Werte schaffen“ bedeutet, konstruktiv und sinnvoll zu Problemlösungen beizutragen. Das ist heute gefragt.

– Das Verständnis für Wirtschaft an sich: Die Öffentlichkeit unterscheidet fast nur zwischen Konzern und Konsument. Der Mittelstand spielt kaum eine Rolle. Auch dass der Einzelne nicht nur Konsument sein muss, sondern auch Werte schaffen kann, fehlt im Bewusstsein der Gesellschaft.

– Das Verständnis für Solidarität: Solidarität bedeutet heute, zur Wertschöpfung beizutragen. Es ist nicht solidarisch, wenn junge Leute schon von vornherein vorhaben, einmal von Steuergeldern zu leben. Den bisherigen Begriff der Solidarität im Sinne von Umverteilung sollten wir überdenken. Umverteilung ist unsolidarisch. Es geht nicht darum, den Kuchen zu teilen, sondern darum, ihn zu vergrößern. Und dazu können alle beitragen.

– Das Verständnis für Sinn und Wert von Produktivität: Wer produktiv und solidarisch zur Gesellschaft beitragen will, kann das jederzeit tun – angestellt oder selbstständig. Der Punkt ist, den Wert der Produktivität zu erkennen. Das ist keine politische Frage, sondern eine Frage des Wissens. Junge Menschen müssen verstehen, welche Arbeitsplätze wertschöpfend sind und welche nicht.

– Das Verständnis des Arbeitnehmerdaseins: Arbeitnehmer verkaufen eine Leistung an einen Stammkunden. Auch wenn sich Bewerber heute oft aussuchen können, wo sie hingehen, gehört das Thema Positionierung in die Ausbildung. Wer bin ich, was kann ich gut, und was sind meine Werte?

– Das Verständnis für Unternehmensziele: Sinn des Unternehmens ist es, langfristig Existenzen zu sichern – die der Eigentümer und auch die der Mitarbeiter. Viele Unternehmen denken heute nicht mehr in Quartalszahlen und Shareholder Value, sondern zunehmend in Sinn und Werten. Unternehmen werden sich zunehmend ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst („Diversity“) und sind keinesfalls per se böse.

– Das Verständnis für den öffentlichen Dienst. Nur Teile des öffentlichen Dienstes sind wertschöpfend (Krankenhäuser, Polizei, Justiz, Kitas, Schulen u.a.). Andere Teile des öffentlichen Dienstes verlangen Tätigkeiten mit wenig Sinn, weil es oft nur um bürokratische Prozesse geht. Junge Menschen sollten lernen, hier zu unterscheiden. Was ist sinnvoll und bringt uns weiter, und was ist Ressourcenverschwendung?

– Das Verständnis für Professionalität: Fokus aufs Wesentliche, Ablenkungen vermindern, dranbleiben, Konsequenz und Kontinuität, Ergebnisorientierung statt rein prozessualem Denken.

– Die Fähigkeit zum Mitdenken. Wer sich nicht in die Lage anderer Menschen versetzen kann, ist egozentrisch. Vor allem am Arbeitsplatz ist Mitdenken unerlässlich – inklusive einem Sinn fürs Ganze und die Unternehmensziele.

Viele weitere Vorschläge finden sich in dem Buch „Die Bildungslücke“, das mein Kollege Martin Laschkolnig und ich bereits vor sieben Jahren herausgegeben haben (Börsenmedien, Kulmbach 2011).

Fazit

Es gibt zahlreiche Inhalte, die in die Schulbildung gehören, und die die Schule bisher verschweigt. Die Schule sabotiert die Wertschöpfung. Und so fehlen am Ende genau die Inhalte, die junge Menschen zur Wertschöpfung befähigen und damit zur Solidarität in einer Gesellschaft.

Mein Appell ist: Lassen Sie uns überlegen, wie wir diese fehlenden Inhalte in die Schulbildung und in die Ausbildungen integrieren können.

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Foto: Der Deutsche Ausbildungsleiterkongress (Archiv). Wolters Kluwer Deutschland GmbH