Unternehmenskommunikation sollte menschlich statt technokratisch sein

Oft kommt Unternehmenskommunikation erschreckend technokratisch daher – man mutmaßt, dass die Absender die Sprache nicht würdigen. Doch gehen Informationen raus, zählt neben dem Fachlichen auch das Handwerk der Sprache. Gute Agenturen achten auf dieses Handwerk: Sie würdigen die Sprache mitsamt ihren mitunter kleinteiligen Regeln beispielsweise für Anführungszeichen. Hier erfahren Sie, wie Sie Ihre Unternehmenssprache enttechnokratisieren.

Heute kam tatsächlich per Post – auf Papier! Die Älteren werden sich erinnern – eine Broschüre ins Haus. Per Post auf Papier kommen hier eigentlich nur noch „managerSeminare“, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und der Viking-Katalog rein. Der Rest läuft digital. Und dann das: Eine Marketingagentur schickt mir eine DIN-A4-Broschüre, ansehnlich gemacht, schön designt und gedruckt und voll mit der Idee, für mich die Neukundengewinnung zu organisieren. Natürlich habe ich mir das angesehen. Denn wer will keine Neukunden?

Doch ber. nach 1 kurzen Blick & rd. 5 Sek. Überlegung war ich raus. Warum? Wegen der Tekkie-Sprache.

Nein, natürlich sind die Texte in der Broschüre nicht so übel wie mein Beispiel „Doch ber. nach 1 kurzen Blick & rd. 5 Sek. Überlegung war ich raus“. Damit will ich nur verdeutlichen, was Tekkie-Sprache ist: Sie ist seelenlos, technokratisch und lieblos. Sie ist vom Glauben getrieben, fürs Formulieren genüge der Nummernblock. Es geht um eine Missachtung der Sprache.

Eindeutige Indizien für technokratische Sprache

Bei der Broschüre fällt allerdings etwas Spannendes auf: Die Texte sind im Großen und Ganzen gut geschrieben – aktiv und lebendig, ich folge den Gedanken, alles schick. Zugleich aber, und das macht es dann merkwürdig, ziehen sich konsequent einige deutliche Indizien für technokratische Gefühllosigkeit durch, die eher gegen einen Sprachprofi und eher für einen Autor aus der MBA-Filterblase sprechen. Vier einfache Indizien sind es in diesem Beispiel:

  • die Ziffern anstelle ausgeschriebener Zahlen,
  • die inflationäre und falsche Verwendung des kaufmännischen Unds,
  • die fast durchweg falschen Anführungszeichen,
  • die fehlerhaften Leerzeichen.

Alles Anzeichen für den Irrglauben, technokratische Sprache sei normal und falle niemandem auf. Als gäbe es keine sprachbegabten und musikalischen Menschen, bei denen sich angesichts fehlerhafter Anführungszeichen die Fußnägel kräuseln.

Kleinigkeiten? Vorsicht – nur aus Sicht sprachlich unbegabter Menschen. Stellen Sie sich vor, jemand stellt die „2“ in der Summenformel für Kohlendioxid (CO2) nicht tief, sondern hoch (CO2). Oder jemand schreibt die Formel mit einem kleinen „o“ statt mit einem großen „O“: „Co2“. Einfach weil er keinen Schimmer von Chemie hat. Sämtliche Fachleute wären schockiert! Und das zu Recht. Denn es ist nicht nur falsch, sondern auch ignorant: Der Absender hat nicht nur keine Ahnung von Chemie, sondern er würdigt sie auch nicht als Handwerk. Chemiker sind da durchaus gekränkt!

Oder stellen Sie sich vor, jemand setzt in der Mathematik kein „+“, sondern ein „&“. Und sagt dann: „Wir wissen doch alle, was gemeint ist!“ Nein, das wissen wir eben nicht. Dem Absender stehen korrekte Zeichen zur Verfügung. Setzt er sie nicht, meint er offenbar etwas anderes. Jedenfalls gilt das, wenn wir uns auf einem gewissen Profi-Level bewegen. Dass Laien und Amateure mitunter den größten Quatsch kommunizieren, steht außer Frage – aber um die geht es zum Glück nicht in der Unternehmenskommunikation.

Auch die Ausrede, man wisse schon, was gemeint sei, ist hanebüchen. Wer, wenn nicht der Absender, soll eine Information denn klar vermitteln? Und vor allem: Weshalb sollte man sie nicht klar darstellen, wenn es problemlos möglich ist? Zudem sind auch die zarten Seelen vieler Mathematiker hier schnell gekränkt – denn so viel Geringschätzung gegenüber ihrer Leidenschaft haben sie wirklich nicht verdient.

Weshalb sollte das bei sprachbegabten Menschen anders sein? Was mich betrifft, wünsche ich mir von meinen Mitmenschen durchaus ein wenig Würdigung meiner großen Liebe, der Sprache. Und ich will in meinen Texten zur Neukundengewinnung keine kaufmännischen Unds an der falschen Stelle sehen. Weil die Broschüre der Marketingagentur voll davon ist, ist das schon ein K.o.-Kriterium. Bei einem einzelnen Fehler würde ich nicht meckern, Tippfehler mache ich auch. Aber systematisch „&“ statt „und“? Bitte nicht!

Schauen wir uns das Ganze im Detail an:

Indiz für technokratische Sprache 1: Ziffern statt ausgeschriebener Zahlen

„In 3 Schritten“? Warum nicht „in drei Schritten“? Es gibt das Wort „drei“ – wir dürfen es verwenden! Da die „3“ hier im Grunde keinen technischen Charakter hat, macht es ihr überhaupt nichts aus, wenn wir sie ausschreiben. Es sind „Schritt 1“, „Schritt 2“ und „Schritt 3“, aber es sind drei Schritte.

Es gibt übrigens auch das Wort „August“ – es gibt keinen Grund, „08“ zu sagen. Nur Computer brauchen die Null, um den achten Monat zu erkennen – Menschen brauchen sie nicht. In einer Tabelle oder Liste habe ich nichts gegen den 5.8.2021, meinetwegen auch nichts gegen den 05.08.2021, wenn sich die Zeichen dann untereinander übersichtlicher ordnen. Aber in Lauftexten haben wir heute den 5. August 2021. Der Monat heißt so, also sagen wir es doch. Warum auch nicht? Wir sind Menschen, keine Maschinen.

Wenn Sie wollen, können Sie sich gerne an die Konvention halten, Zahlen von eins bis zwölf auszuschreiben und ab 13 Ziffern zu verwenden. Ein Tipp: Halten Sie sich an diese Regel nicht, wenn Sie Zahlen kleiner als 13 mit Zahlen größer als 12 vergleichen wollen (wie in diesem Satz). Also: Vor zwei Jahren kam Lisa zur Welt, vor siebzig Jahren kam Heinz zur Welt. Ausgeschrieben ist das definitiv schöner – hier empfehle ich, das Wort „siebzig“ auszuschreiben. Sind Informationen technischer, empfehle ich Ziffern: Die Mehrwertsteuersätze betragen in Deutschland 7 und 19 Prozent (nicht: „sieben und 19 Prozent“, nur weil wir Zahlen unter 13 ausschreiben sollen).

Wenn Sie technische Einheiten verwenden, empfehle ich natürlich Ziffern: Wir haben nicht „fünf Grad Celsius“, sondern „5 Grad Celsius“. Andererseits sind es nach Northeim nur noch „sieben Kilometer“ – es kommt ein wenig auf den Kontext an und darauf, wie technisch Ihre Informationen gemeint sind. In zahlreichen Büchern sind übrigens auch sehr hohe Zahlen immer wieder ausgeschrieben: „Wenn ich sein Glas mit dreihundertfünfundsechzig Knöpfen gefüllt habe, lässt er mich frei“ (Penelope Sky: Knöpfe und Fesseln“). Ich will sagen: Suchen Sie für sich einen Mittelweg, bei dem Sie Zahlen möglichst dann ausschreiben, wenn nichts für eine Ziffer spricht.

Also: „In 3 Schritten zu …“ ist technokratischer als „In drei Schritten“. Haben Sie den Mut dazu? Schreiben Sie Zahlen mal wieder öfter aus. Es ist menschlicher, musikalischer, emotionaler, schöner, freundlicher. Es ist natürlich nicht in jedem Fall angebracht, aber sehr oft.

Indiz für technokratische Sprache 2: Das falsche „&“

Mitten in einer sprachlichen Formulierung ein „&“ – da kotzt das Texterherz, um mal den Namen einer einschlägigen Facebook-Gruppe zu erwähnen, die sich mit Formulierungsversuchen sprachlich-redaktioneller Laien befasst. Nein, das kaufmännische Und ersetzt nicht das Wörtchen „und“. Denn beide sind verschiedene Dinge. Das kaufmännische Und, dessen Gestalt „&“ eine Ligatur aus den Buchstaben „e“ und „t“ ist und somit das lateinische Wort „et“ bezeichnen soll, ist tatsächlich nur im kaufmännischen Kontext korrekt – also bei „GmbH & Co. KG“ oder auch bei Abwandlungen wie „Google & Co.“, wenn wir Google und vergleichbare Unternehmen meinen.

Das kaufmännische Und im folgenden Bild ist also ist Unfug:

Text, in dem statt des Wortes „und“ ein kaufmännisches Und steht

Das auch:

Text mit kaufmännischem Und anstelle des Wortes „und“

Hier ist es richtig:

Text mit kaufmännischem Und bei „Google & Co.“

Also: Schreiben Sie in ganz normaler Sprache. Wenn Sie „und“ meinen, schreiben Sie „und“. Nichts spricht dagegen, zu sagen, was wir meinen. Was auch?

Indiz für technokratische Sprache 3: Falsche Anführungszeichen

Ein ganz sicheres Indiz für Amateure am Werk sind falsche Anführungszeichen. Bei der folgenden Kundenreferenz hat sich ein englisches statt deutsches Anführungszeichen eingeschlichen. Das Zeichen vor dem Zitat sollten wir umdrehen und nach unten setzen:

Englisches statt deutsches Anführungszeichen

„Umdrehen“ heißt: Wir drehen diese beiden „Gänsefüßchen“ um 180 Grad. Vorher sehen sie wie eine kleine hochgestellte „66“ aus, danach sehen sie wie eine kleine tiefgestellte „99“ aus. Mit einer tiefgestellten „99“ beginnt im Deutschen ein Zitat, mit einer kleinen hochgestellten „66“ endet es. Natürlich sind es keine Ziffern! Es ist nur eine Eselsbrücke. Merken Sie sich einfach das „99/66-Prinzip“.

Aber hui! In diesem Blogbeitrag sehen die Anführungszeichen ja gar nicht aus wie eine kleine „99“ und „66“. Skandal! Nun ja, das liegt an der Typografie. Nicht alle Schriftarten bilden ihre Anführungszeichen so deutlich ab wie beispielsweise in der Broschüre der Marketingagentur oder auch in einer Schriftart wie der Helevetica. Deshalb und weil das Thema insgesamt ein wenig umfangreicher ist, verweise ich hier auf mein Video „Anführungszeichen für Profis“ auf Youtube. Darin geht es auch um die richtigen Anführungszeichen für Ihr Buch und um die richtigen Anführungszeichen in der Schweiz. Denn Sie ahnen es schon: Nichts ist einfach. Alles, womit wir uns tiefer befassen, wird zur Wissenschaft und saukompliziert. Wirklich alles! Also – hier ist das Video:

 

Indiz für technokratische Sprache 4: Falsche Leerzeichen

Im folgenden Bild sind immerhin die Anführungszeichen korrekt nach dem „99/66-Prinzip“ gesetzt:

Richtiges Anführungszeichen, aber falsche Leerzeichen

Allerdings fragen sich schon sprachlich durchschnittlich gebildete Menschen, weshalb das Wort „alles“ großgeschrieben ist – denn wenn jemand alles kann, genügt es völlig, „alles“ kleinzuschreiben. Na gut: Immerhin steht da nicht „ALLES“ – es gibt nämlich tatsächlich Leute, die völlig sinnlos Großbuchstaben verwenden. Sie schreiben vom „EGO“, obwohl sie einfach nur das „Ego“ meinen. Sprachbegabte Menschen halten das dann erst mal für eine Abkürzung wie „NATO“.

Aber bevor ich abschweife: Die Redaktionsprofis und Agenturspezis fragen beim „Ich-kann-alles-Experten“ in dieser Broschüre noch, wozu die falschen Leerzeichen gut sein sollen. Die Wortschöpfung selbst ist schon in Ordnung, der „Ich-kann-alles-Experte“, das ist eine schöne Idee. Nur bedarf dieses durchgekoppelte Wort (also mit Bindestrichen zusammengesetzt wie „Dr.-Hans-Kluck-Straße“) natürlich keiner Leerzeichen.

Sie sehen bei Dr. Kluck: Wenn wir ihn in einen Straßennamen einbinden, wird er zum Namensteil. Ist eine Straße nach einem Lebewesen benannt (das nicht mehr leben muss), koppeln wir durch: „Franz-Josef-Strauß-Allee“, „Eisbär-Knut-Platz“. Sind Städte die Namensgeber, kommt kein Strich: „Stuttgarter Platz“. Die „Senefelderstraße“ in Berlin-Prenzlauer Berg ist also nicht nach einer Stadt Senefeld benannt, sondern – das wussten Sie natürlich – nach dem Erfinder der Lithografie Alois Senefelder (1771–1834).

Dass wir keine Leerzeichen setzen, gilt übrigens auch dann, wenn nur ein Teil des Ganzen in Anführungszeichen steht. Es würde also heißen:

ein „Ich-kann-alles“-Experte

Technokratische Sprache in der Unternehmenskommunikation stoppen

Genug für heute mit der Besserwisserei – aber gehen Sie davon aus, dass es jede Menge sprachliche Besserwisser wie mich gibt. Und wir (ich spreche jetzt auch mal für die Community der Facebook-Gruppe „Da kotzt das Texterherz“) lieben die Sprache und finden es nicht nett, wenn sie jemand mit Füßen tritt. So wie es eigentlich niemand mag, wenn man seine Profession verachtet.

Also: Beziehen Sie uns sprachbegabte, musikalische, kreative, künstlerische Menschen mit ein! Ignorieren Sie uns nicht! Es gibt keinen Grund für Sie, Ihre Reichweite unnötig zu verringern. Sie dürfen uns wirklich gerne berücksichtigen. Und das ist gar nicht so schwer: Stoppen Sie die Technokratie in Ihrer Unternehmenssprache! Es ist am Ende nicht einmal nötig, sich technokratisch auszudrücken: Sogar Betriebswirtschaftler verstehen das Wort „und“.