Schade um dieses Buch: „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl“ von Katharina Zweig ist inhaltlich wirklich spannend und interessant – aber leider ist das Buch kaum lesbar.

Auf Seite 79 steht: „Je mehr Informationen und Kontrolle Algorithmendesigner:“ – das gestammelte Satzfragment endet mit einem Doppelpunkt. Hm. Je mehr Informationen was? Wie geht es weiter? Der Doppelpunkt steht am Zeilenende, und so treten Leserin und Leser in eine Falle. Erst wenn man sieht, dass die folgende Zeile mit „innen über den genauen Einsatzort …“ weitergeht, wird klar: Aaaaah, das soll ein Genderzeichen sein! Der Satz ist ja noch gar nicht zu Ende! Und der Leser denkt über die Sprache nach, nicht mehr über den Inhalt. Was für eine Kauzigkeit vom Heyne-Verlag.

Das Buch wirkt auf mich durch diese Schreibweise so, als vertrete es* eine fundamentalistische Haltung, obwohl zwischen der Formulierung „Fräulein“ (stockkonservativ) und der Formulierung „BürgerInnenmeisterInnenkandidatInnen“ (linksradikales Extrem-Gendern) ein weites Spektrum von Kompromissmöglichkeiten liegt. Der Doppelpunkt ist ganz sicher ungeeignet, um Gleichberechtigung zu signalisieren. Denn er beendet eben auch Sätze, kündigt Dinge an, steigert die Spannung und hebt die Stimme in der Satzmelodie, selbst wenn diese still ist.

Für die Unternehmenskommunikation empfehle ich nach wie vor: generell von „Algorithmendesignern“ sprechen und im Text immer wieder punktuell die weibliche Form einfließen lassen („Studentinnen und Studenten“). Das Wort „Studierende“ halte ich für falsch, weil es impliziert, Studenten würden studieren. Das tun viele aber nicht.

Das Extrem-Gendern entspricht übrigens dem früheren Fundamentalismus der Grünen – den „Fundis“: Wir akzeptieren nicht die Wirklichkeit, sondern wir halten uns an unsere Utopie und gestalten die Wirklichkeit durch Gedanken und unsere Sprache. Die stockkonservative Seite dagegen („Fräulein“) ignoriert jede Utopie und sagt: Es gibt nur zwei Geschlechter, und das sind Mann und Frau, und das generische Maskulinum trifft keine biologische Aussage (wie in der gleichwohl linken DDR: „Frau Müller ist Arzt, Frau Meier ist Lehrer“). Wieso auch sonst heißt es „die Katze“ und „der Hund“, oder „die Hose“ und „der Rock“? Diese Sicht vertreten – im Bild gesprochen – die „Realos“.

Beide Extreme – Orientierung an Realität oder Utopie – sind in ihrer maximalen Ausprägung fanatisch, intolerant und tendenziell totalitär. Und die Texte beider Extreme lenken den Fokus vom Inhalt auf die Sprache, weil die Sprache jeweils extrem ist und weil aus ihr eine Ideologie spricht. Für eine ideologiefreie Sprache brauchen wir die Mitte, auch damit Texte lesbar bleiben: Alle Menschen und Unternehmen können einen Grad des Genderns finden, der zu ihnen passt. In einem freien Land und vor allem unter Berufung auf Art. 5 GG ist hier zum Glück jede Entscheidung legitim.

* Änderung: Für mich ist der Verlag ein seriöser Vertreter der gesellschaftlichen Mitte. Der Verlag verwendet in diesem Buch nur ein so extremes sprachliches Zeichen, dass es auf die gesellschaftliche Mitte wirken dürfte wie vom linken Rand.