Klarheit fällt vielen Menschen schwer. Hier ein Beispiel aus der Unternehmenskommunikation eines Seminarhauses: Eine E-Mail ist aus mehreren Gründen höchst missverständlich. Das ließe sich leicht vermeiden.

Aus irgendeinem Grund ist meine E-Mail-Adresse auf dem Verteiler eines Seminarhauses irgendwo im Taunus gelandet. Das Seminarhaus vermietet offenbar Räume, und ich bin vermutlich Zielgruppe. Ich könnte mich mit einer Seminargruppe dort einmieten, wenn ich das richtig deute.

Jetzt erhalte ich folgende E-Mail:

Liebe Seminarleiterin, lieber Seminarleiter,

wir haben festgestellt, dass sich die Option Umlage der Seminarraumgebühr auf alle Personen bei uns bewährt hat und von fast allen Seminarleitern gewählt wird. Mit dieser Lösung haben unsere Seminarräume eine variable, aber planbare Gebühr, die von der Personenanzahl abhängt. Für alle neuen Belegungsverträge bieten wir nur noch diese Variante an. Für Dich als Seminarleiter entfällt die Gebühr künftig. Diese Änderung gilt für alle Belegungsverträge, die nach dem 24.11.2019 ausgestellt werden. Somit setzen wir die bewährte Methode fort und es entstehen für Dich geringere Kosten. 

Bitte melde Dich bei Fragen telefonisch unter …

Klare Sprache: Wer genau denkt, formuliert auch genau

Wenn ich lese, lese ich genau. Und weil ich die Menschen ernst nehme, nehme ich sie beim Wort. Ich gehe davon aus, dass die Leute sagen, was sie meinen. Aber zu sagen, was man sagen will, ist gar nicht so einfach, wie dieses Bespiel zeigt.

Beim ersten Durchlesen bin ich hängen geblieben an den fehlenden Anführungszeichen bei der Bezeichnung der Option. Ich lese also:

wir haben festgestellt, dass sich die Option Umlage der …

Und ich steige beim Wort „Umlage“ aus, weil der Satz nicht sinnvoll zu enden scheint. Beim zweiten Blick dann habe ich erkannt: Der Absender spricht von einer Option namens „Umlage der Seminargebühr auf alle Personen“, es geht also um eine Bezeichnung dieser Option. Ein deutliches Beispiel dafür, dass Anführungszeichen tatsächlich wichtig sein können, sofern man sie richtig setzt.

Also gut: Es gibt die Option, die Seminargebühr auf alle Personen umzulegen – kapiert. Sie ist eine „variable, aber planbare Gebühr, die von der Personenanzahl abhängt“, wie die E-Mail sagt. Das heißt: Wenn der Anteil pro Person 30 Euro beträgt und ich mit neun Leuten komme, bezahle ich inklusive meiner selbst 300 Euro Gebühr. So hat der Absender den Begriff „Gebühr“ definiert. Er schreibt „Seminarraumgebühr“, nicht „Teilnehmergebühr“.

Aber was ist jetzt neu? Es heißt weiter:

Für Dich als Seminarleiter entfällt die Gebühr künftig.

Das ist der Stolperstein. Für mich als Seminarleiter heißt das: Wenn ich in diesem Seminarhaus ein Seminar machen sollte, bezahle ich gar nichts. Denn die „Gebühr“, die ja „von der Personenzahl abhängt“ und den Gesamtbetrag bezeichnet, nämlich die 300 Euro, bezieht sich auf den Seminarraum, nicht auf den Teilnehmer. Somit entfällt für mich als Seminarleiter laut Anbieter die Seminarraumgebühr künftig.

Falsche Wörter, doppelt besetzte Begriffe

Das Wort „Gebühr“ mag fachlich falsch sein, weil das Seminarhaus keine öffentliche Einrichtung ist. Aber der Absender hat „Gebühr“ eben als den Betrag definiert, der für den Seminarraum fällig ist. Und nicht als etwas anderes.

Plausibel ist es allerdings nicht, wenn ich ab sofort ohne Raumkosten meine Seminare geben kann. Denn das Seminarhaus will ja Einnahmen erzielen. Also sehe ich: Ich kann mich nicht auf das verlassen, was dasteht. In diesem Moment ist Kommunikation kaum noch sinnvoll, weil ich aufs Mutmaßen angewiesen bin. Ich kann nicht mehr sichergehen, ob ich die Botschaft des Absenders verstehe oder missverstehe. Und das liegt nicht an mir. Es liegt daran, dass sich der Absender nicht klar ausdrückt. In aller Regel verantwortet der Sender das Gelingen von Kommunikation.

Ich vermute, der Absender will nur mir als einzelner „Person“ die 30 Euro erlassen, also die Tagungspauschale – den Betrag, der pro Teilnehmer und Tag anfällt. Wenn ich also mit neun Leuten komme, bezahle ich nur für meine Teilnehmer die „Seminarraumgebühr“, also tutti 270 Euro. So verstehe ich die E-Mail. Aber ob ich richtig liege, kann ich nur vermuten. Im Text steht es nicht.

Und kurioserweise taucht das Wort „Tagungspauschale“ gar nicht auf – und das weckt in mir den Verdacht, dass da noch mehr faul ist im Text. Dazu gleich mehr.

Korinthenkackerei? Absolut nicht!

Ist das alles Korinthenkackerei? Nein, auf keinen Fall. Der Absender arbeitet nicht sauber mit seinen Begriffen. Er hat das Wort „Gebühr“ definiert als jenen Betrag, den der Kunde am Ende bezahlt („Seminarraumgebühr“). Wenige Zeilen später bezeichnet er mit dem Wort „Gebühr“ den Einzelanteil des Seminarleiters oder der Seminarleiterin, den ich als Tagungspauschale eventuell missverstehe. Auf Leser wirkt es wirr, wenn jemand verschiedenen Dingen die gleichen Bezeichnungen zuordnet. Es ist unsauber gedacht und daher eine Falle für alle, die sauber lesen.

Es ist auch deswegen keine Korinthenkackerei, weil der Absender klar sagen könnte, was er sagen will. Er tut es nur nicht. Klarheit ist allerdings eine Hauptvoraussetzung dafür, dass Kommunikation gelingt.

Jetzt noch mal zum Problem der Tagungspauschale. Wie gesagt, vermute ich, dass es hier um Tagungspauschalen geht. Aber möglicherweise irre ich mich darin kolossal. Denn in der Original-E-Mail ist ja die Rede davon, die „Seminarraumgebühr“ auf die Teilnehmer „umzulegen“, wenngleich in störrischem Substantivstil.

Wenn wir nun vom Wort „Seminarraumgebühr“ ausgehen, dann könnte das heißen, dass ein Raum einen fixen Betrag kostet. Denn die „Gebühr“ im Wort „Seminarraumgebühr“ bezieht sich ja nun einmal überdeutlich auf den Seminarraum – so steht es da. Die Kosten für den Seminarraum könnten zum Beispiel 360 Euro betragen. Dann will der Anbieter pro Seminarraum und Tag 360 Euro haben. Zähle ich als Seminarleiter mit, dann ergibt sich aus dem Wort „Umlage“, dass wir die 360 Euro bei neun Teilnehmern durch zehn teilen (inklusive Seminarleiter) und dass auf jeden Einzelnen 36 Euro entfallen. Zähle ich als Seminarleiter aber nicht mit – und das ist die Neuerung –, dann teilen wir die 360 Euro durch 9, und auf die Teilnehmer entfallen jeweils 40 Euro. Auf mich null.

Aber was soll das? Geringere Kosten, wie es die E-Mail sagt, habe ich dadurch nicht. Wenn ich mich mit einer Seminargruppe in einem Seminarhaus einmiete, zahlt auch kein einzelner Teilnehmer an das Seminarhaus 36 oder 40 Euro. Die Leute bezahlen ihren Seminarbeitrag an mich als Veranstalter. Und ich bezahle aus diesen Einnahmen dem Seminarhaus den Raum. Da ist es völlig egal, ob wir die Kosten vorher durch 9 oder 10 teilen, die Rechnung bleibt gleich.

Inhaltliche Defizite glättet auch die Sprache nicht

Und damit ergibt sich noch etwas anderes: Ist es vielleicht gar nicht mein Seminar, das ich da gebe? Bin ich vielleicht gar nicht der Veranstalter, sondern das Seminarhaus ist Veranstalter? Wenn ja, dann bekäme ich vom Seminarhaus ein Honorar für mein Seminar, und auch in diesem Falle wäre es mir gleich, wer welchen Betrag auf wie viele Leute umlegt.

Aber hier geht es ja nicht darum, dass das Seminarhaus mir Geld bezahlt, sondern es will Geld von mir und offenbar auch von meinen Teilnehmern. Und dieses Setting kapiere ich nicht. Das ist das Hauptproblem bei dieser E-Mail: Sie ist inhaltlich nicht nachzuvollziehen. Möglicherweise liegt dem Ganzen ein Konzept zugrunde, aber ich kenne dieses Konzept nicht und kann es als unfreiwilliger Empfänger eines Newsletters auch nicht kennen. Der Absender dagegen scheint davon auszugehen, dass der Empfänger das gleiche Wissen hat wie er, und das ist ein Kardinalfehler in der Kommunikation.

Schließlich ist diese E-Mail auch sprachlich Kraut und Rüben. Beispielsweise ist ein weiterer Grund für die schwierige Verständlichkeit die fehlende Absatzmarke vor dem Gedanken, der mit „Für dich“ beginnt. Die E-Mail besteht aus drei Gedanken:

  1. Das ist unser aktuelles Modell.
  2. In diesem Modell zählt der Seminarleiter/die Seminarleiterin künftig mit null Euro.
  3. Bei Fragen bitte melden.

Generell empfehle ich, Texte nicht gleich zu schreiben, sondern erst ihre Struktur zu definieren. Hier haben wir drei Gedanken, also brauchen wir drei Absätze.

Außerdem erschweren Passivsätze im Nebensatz wie beim ersten Satz der E-Mail das Verständnis enorm:

wir haben festgestellt, dass sich die Option Umlage der Seminarraumgebühr auf alle Personen bei uns bewährt hat und von fast allen Seminarleitern gewählt wird.

Ein solcher Satz ist im Grunde der Tod fürs Verständnis. Ein menschliches Gehirn will so einer Konstruktion kaum folgen. Worum es geht, steht im Nebensatz, und dessen Bedeutung erschließt sich im Deutschen nun einmal erst am Ende. Es ist eine völlig unnötige Schnitzeljagd fürs Gehirn.

Diese E-Mail lässt sich in vielerlei Arten anders formulieren. Hier ein Beispiel, wobei ich nur die Sprache anfasse und der Inhalt nach wie vor wirr bleibt:

Liebe Seminarleiterin, lieber Seminarleiter,

fast alle Seminarleiter wählen bei uns die Option, die Kosten für den Seminarraum auf alle Teilnehmer und den Seminarleiter umzulegen. Mit dieser Lösung haben unsere Seminarräume variable, aber planbare Kosten, die von der Personenanzahl abhängen. Künftig bieten wir nur noch diese Variante an.

Und eine gute Nachricht: Du als Seminarleiterin oder Seminarleiter zählst bei dieser Berechnung nicht mehr mit. Das heißt, die Kosten für den Seminarraum ergeben sich nur aus der Anzahl deiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer und aus Mitarbeitern von dir. So entstehen für dich geringere Kosten.

Bitte melde dich bei Fragen telefonisch unter …

So könnte es gemeint sein. Sicher bin ich nicht.

Letztlich bleibt bei mir der Eindruck: Sowohl der Inhalt als auch die Sprache sind krude. Bevor wir einen Text aber sprachlich putzen, sollte der Inhalt klar sein. Meine Fassung der E-Mail zeigt für meine Begriffe sehr schön, dass wir Texte ohne Blick auf den Inhalt sprachlich bearbeiten können. Sie werden dann zwar sprachlich besser, nicht aber inhaltlich.

Ich finde, bei solchen Texten kann man sich kaum absichtliches Missverstehen vorwerfen lassen oder gar das Argument: „Es ist doch klar, was gemeint ist.“ Wenn klar ist, was gemeint ist, warum steht es dann nicht klar da?