Das „Denken“ von „Querdenkern“ und „Reichsbürgern“ hat jüngst wieder zu spannenden Behörden- und Gerichtsentscheidungen geführt. In allen Fällen hat sich jemand in eine irreale Welt hineingesteigert – und scheitert mit seinen Illusionen dann an der Realität, für die klares Denken ausnahmsweise mal nicht schlecht wäre. Wer profitiert? Wladimir Putin. Wie das geht? Lesen.

Lustig: 6000 „Querdenker“ sind ihr Geld los

Die interessanteste Entscheidung dürfte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) getroffen haben: Sie hat die „Gemeinwohlkasse“ des „Königs von Deutschland“ Peter Fitzek dichtgemacht und die Geschäftsräume versiegelt – und weist vorsorglich auf § 136 StGB hin („Verstrickungsbruch; Siegelbruch“).

Laut Gordana Rammert vom „Volksverpetzer“ haben 6000 Menschen dieser illegalen „Versicherung“ ihr Geld anvertraut. Wie diese Leute reagieren, „wenn sie erfahren, dass ihre ‚Bank‘ und ‚Versicherung‘ weg sind und sie keine Gegenleistung dafür erhalten werden, bleibt abzuwarten“, schreibt die Autorin.

Es gibt also Tausende von Menschen, bei denen wir ganz einfach Geld einsammeln können. Wir bedienen deren Tagträume und erzählen etwas vom Deutschen Reich; wir reden ihnen ein, der Euro krache ohnehin demnächst zusammen und der Strom falle bald aus – und die Leute überweisen uns ihre Euros, die wir dann in eine fiktive Währung umwandeln, die wir selber herstellen. Gordana Rammert: „Es gibt jedoch keine Möglichkeit, dieses Geld wieder zurückzutauschen. Beziehungsweise: Doch, das geht. Aber nur, wenn Fitzek das will, denn: ‚sonst wären das ja Bankgeschäfte‘.“

Ich meine, pardon: Da arbeiten Selbstständige wie ich oder auch zahlreiche Angestellte hart und versuchen jeden Tag, die Welt ein bisschen besser zu machen – und dann stecken Traumtänzer ihr wie auch immer verdientes Geld in ein Schwarzes Loch. Tut mir leid, aber ich finde das lustig.

Wahnvorstellung führt in die Psychiatrie

Auch in gewisser Weise lustig ist der Fall des „Reichsbürgers“, der sich laut Landgericht Oldenburg für einen von Donald Trump ernannten „Commander“ der US-Streitkräfte in Deutschland hielt und via Telegram Todesurteile verkündete. Der Bundesgerichtshof hat jetzt bestätigt: Der Mann ist wegen seines Wahns schuldunfähig, wird insofern freigesprochen, aber als Gefahr für die Öffentlichkeit unbefristet psychiatrisch untergebracht.

Auch hier erkennen Richter die Gefahr, weil jede Menge Leute ohne historisches und politisches Bewusstsein, voller Naivität und mitunter auch dem einen oder anderen psychischen Hau solchen Menschen folgen. Laut Landgericht Oldenburg hatte er Tausende Follower. Ob darunter auch welche waren, die Peter Fitzek ihr Geld anvertraut hatten?

Ich hätte niemals gedacht, dass 6000 Leute ernsthaft einem „König von Deutschland“ ihr Geld anvertrauen. Doch es ist so. Entsprechend ist es auch nicht undenkbar, dass jemand mental so hinüber ist, dass er Telegram-Todesurteile vollstreckt.

485 Tagessätze zu je 150 Euro

Auch spannend ist das Urteil gegen den früheren AfD-Abgeordneten Heinrich Fiechtner (das noch nicht rechtskräftig ist): Das Amtsgericht Stuttgart fasste 17 Verfahren zusammen, darunter laut „Stuttgarter Zeitung“ wegen Hausfriedensbruchs, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Weiterleitung von beleidigenden Texten an acht Gesundheitsminister von Bund und Ländern.

Die Richterin verurteile Fiechtner zu einer Geldstrafe von 485 Tagessätzen zu je 150 Euro, also zu 72.750 Euro. Kurios, finde ich. Fiechtner hat Berufung angekündigt. Meine Vermutung: Die nächste Instanz wird diese enorme Bündelung von Fällen rügen.

Reichsbürgerbrief als Amtsanmaßung sehen

(Update 23. März 2023) Einen spannenden Fall gab es in Österreich: Hier reagierte die Justiz auf einen schriftlichen Einschüchterungsversuch eines „Reichsbürgers“ mit einer Anklage wegen – nach deutschem Rechtsverständnis – Amtsanmaßung. Ergebnis: 1440 Euro Geldstrafe plus zehn Monate auf Bewährung.

Alles harmlos, weil abgefahren?

Die übliche Reaktion normaler Menschen ist jetzt zu sagen: „Das sind doch alles abgefahrene Einzelfälle, die haben gesellschaftlich keine Relevanz. Wer steckt denn bitte sein Geld in eine Reichsbürgerbank?“ Ich verstehe den Ansatz, halte ihn aber für gefährlich. Denn in der Tat sind die Opfer von Peter Fitzeks „Gemeinwohlkasse“ lediglich Kollateralschäden.

Dem Urheber der Desinformation über Corona, das Impfen und die Ukraine – dem russischen Präsidenten Wladimir Putin – ist es egal, ob eine deutsche Behörde eine „Reichsbürger“-Fantasiebank schließt. Auch der Schaden der 6000 Geldversenker ist irrelevant. Diese Menschen sind Putin völlig schnuppe. Es geht einem autoritären Regime niemals um den Einzelnen. Wichtig ist aus Putins Sicht nur das große Ganze: Die Desinformation im Westen schreitet kontinuierlich fort. Dabei ist es nicht maßgeblich, ob einzelne kluge Menschen im Westen das Spiel durchschauen. Oder ob Gerichte irgendwas entscheiden.

Die „Querdenker“ im Westen erfüllen dabei als Gruppe für Putin eine ähnliche Funktion wie die russische Armee und die Wagner-Söldner: Es geht nur um Masse. Sind die Soldaten Kanonenfutter, sind die „Querdenker“ die fünfte Kolonne. Egal welche psychiatrischen Implikationen dabei eine Rolle spielen. Und auch bei den „Querdenkern“ zählt das Individuum überhaupt nicht, ebenso wenig wie beim russischen Militär.

Wirre Welten

Infolge der zunehmenden Desinformation aus Russland haben wir es zunehmend mit Menschen dieser Denkungsart zu tun: „Querdenker“, die alles andere als „denken“, und „Reichsbürger“, die bei ihren leichtgläubigen Opfern Geld einsammeln. Die gesamte Szene vertritt das Denken wirrer Welten:

  • Der russische Präsident Wladimir Putin greift 2008 Georgien an, Russland griff unter einem Vorwand Tschetschenien an, 2014 annektiert Putin die ukrainische Krim, 2022 marschieren russische Truppen in der Ukraine ein und veranstalten Gemetzel um Gemetzel – aber die „Querdenker“ sagen, die NATO sei ein Kriegstreiber.
  • Die Corona-Impfungen haben zahlreiche Menschenleben gerettet, aber die „Querdenker“ unterstellen den Impfstoffen, sie seien tödlich. Doch das große Sterben infolge von Impfnebenwirkungen bleibt aus – auch weil sich Impfstoffe anders verhalten als Medikamente. Sicher gibt es Impfnebenwirkungen, aber weil sie sehr selten sind, treten die jeweiligen Fälle in der Untersuchung oft erst bei später Geimpften auf – dann aber rasch nach der Impfung.
  • „Querdenker“ trinken durchaus mal Chlorbleiche.
  • „Querdenker“ meinen, ohne fachliche Tiefe als Autodidakten die Welt einfach erklären zu können, während Wissenschaft und klassische Publizistik angeblich lügen oder Teil der Verschwörung sind.
  • „Querdenker“ bezeichnen „Wikipedia“ und „Tagesschau“ als „bezahlt“ und „unglaubwürdig“, fressen aber jeder anonymen Internetseite aus der Hand, wenn sie ins gleiche Weltbild einzahlt. Auch RT ist gern genommen; und zahlreiche Websites, die den Propagandamüll im Westen wissend oder ungeprüft multiplizieren, gelten als glaubwürdig.
  • Die Denkmuster von „Querdenkern“ beruhen auf dem Bestätigungsfehler: Wenn eine esoterische Wunderheilung nicht funktioniert, haben die Illuminaten oder die Echsenmenschen die Heilung verhindert. In dieser nicht mehr korrigierbaren Binnenlogik begründet eine überwertige Idee die andere.

Alles entspricht der Strategie Putins für den Westen: Verwirrung stiften, Widersprüche inszenieren, Unklarheit und Unsicherheit erzeugen – und dann die Menschen ohne Ambiguitätstoleranz (und von denen gibt es eine Menge) abgrasen. Entsprechend wirr denken die „Querdenker“ – konsequent angefüttert von der russischen Propaganda. Und sie merken es nicht. Oder sie sind Täter.

Noch immer, glaube ich, erkennt die Öffentlichkeit die Bedeutung dieser Bewegung nicht, noch immer belächeln viel zu viele Menschen diese Leute als kauzig. Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass sie hoch gefährlich sind und dass Putin auch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit der Hilfe von „Querdenkern“ und „Reichsbürgern“ bisher durchaus sehr erfolgreich destabilisiert.