Vor Kurzem ist mein Buch „Immun gegen Unsinn. Wie wir uns eine fundierte Meinung“ erschienen (GABAL, September 2024).

Seit Sommer 2024 poste ich unter anderem auf meinem LinkedIn-Profil regelmäßig kurze Beiträge gegen Desinformation, Radikalisierung und Destabilisierung – und für klares und kritisches Denken, gesunde Skepsis sowie Informationskompetenz.

Zahlreiche Beiträge gegen Desinformation

Üblich wäre es jetzt, dass ich mich mit dem Thema als Speaker positioniere. Doch das Thema ist gesellschaftlich so relevant, dass ich es freigebe. Wer meine Ausbildung macht, darf mit meinen Unterlagen und meiner Präsentation rausgehen, wird Teil eines Netzwerks guter Leute und bekommt regelmäßig Updates und Support. Informationen unter https://meinungsbildung.org.

Zugleich bringe ich auch hier im Blog und in meinem Podcast immer wieder Beiträge zum Thema Desinformation und Gehirnwäsche, Geschwurbel und wissenschaftliches Denken, Irrtümer und Lügen, Scharlatanerie und Meinungsbildung – und wer sich reinliest und reinhört, bekommt schon mal eine Menge mit.

Bisherige Versuche, das Thema strukturiert zu bündeln, sind natürlich einmal mein Buch und das Arbeitsheft für die Ausbildung, das in Kürze fertig ist. Außerdem gab es hier im Blog Beiträge wie:

Heute stelle ich erstmals einen umfassenden Überblick über die wichtigsten gedanklichen Elemente her, den wir brauchen, um Desinformation zu begreifen und ihrer destabilisierenden Wirkung vorzubeugen. Dieser Blogbeitrag gliedert sich in fünf Kapitel. Die Kapitel bestehen aus Zusammenfassungen in aller Kürze.

Wenn Sie etwas tun wollen, um die Demokratie vor der destruktiven Wirkung destabilisierender Desinformation zu retten, sollten Sie sich die folgenden Kapitel durchlesen. Ich wünsche viele wertvolle Erkenntnisse.

(1) Warum genügt Medienkompetenz nicht? Warum brauchen wir Informationskompetenz?

Medienkompetenz – also die Fähigkeit, kritisch mit Medien umzugehen und beispielsweise seriöse Quellen zu erkennen – genügt nicht. Wir brauchen Informationskompetenz, also die Fähigkeit, Informationen einzuordnen. Was ist eine Meinung, eine Behauptung, eine Vermutung, ein Gerücht, eine gesicherte Erkenntnis? Wie funktioniert wissenschaftliches Denken?

Wir brauchen diese Unterscheidungen, weil sich zahlreiche Menschen ihre Meinungen anhand unbelegter Behauptungen bilden und sogar aufgrund haltloser Vermutungen ohne jede Anhaltspunkte. Jugendliche glauben, dass Juden in Deutschland keine Steuern zahlen, weil das ein Desinformationskanal auf TikTok behauptet. Darauf wies der Frankfurter OB Mike Josef beim Stiftungsdialog 2024 der IHK Frankfurt am Main hin.

Vielen Menschen genügt es, wenn etwas sein könnte, um es vorauszusetzen und sich ihre Meinung auf dieser Basis zu bilden. Sie erwarten von uns, dass wir ernsthaft auf haltlose Vermutungen eingehen, obwohl der Wissenschaftsbetrieb Derartiges als heiße Luft ablehnt. Der Grund ist mangelndes Wissen, eben fehlende Informationskompetenz.

Auch verstehen viele Betroffene nicht, warum wir ihnen „Geschwurbel“ vorwerfen, obwohl sich Geschwurbel ganz leicht erklären lässt. Es geht einfach um Wissensdefizite.

Vermutlich niemand will sich für dumm verkaufen lassen oder sich seine Meinungen anhand von Falschinformationen, Irrtümern oder Denkfehlern bilden. Wir können also die Hoffnung haben, zumindest Gefährdete auffangen zu können. Aber auch Radikalisierte könnten umdenken, wenn sie in ihrem Denken auf Denkfehler stoßen. Sicher nicht alle, vor allem nicht die Täter unter den Fanatikern und psychopathologische Fälle, aber möglicherweise einige.

Wichtig sind vor diesem Hintergrund die vier Stufen der Paranoia nach dem Psychiater Hermann Witter, woran der Forensiker Hans-Ludwig Kröber in einem schön zu lesenden Beitrag erinnert:

  1. der Irrtum (rein kognitiv, ihn korrigieren wir, sobald er uns bewusst wird);
  2. das Vorurteil (emotional, es bleibt auch bei Gegenbeweisen lebendig);
  3. die überwertige Idee (wir steigern uns in eine Vorstellung hinein);
  4. das Wahnsystem (verschiedene wahnhafte Überzeugen „beweisen“ einander wechselseitig).

(2) Wie destabilisiert Desinformation die Gesellschaft und die Demokratie?

Wir bilden uns unsere Meinungen nicht, nur weil das jemand will, sondern wir gründen unsere Meinungen meistens auf Informationen, die wir für wahr halten.

Hannah Arendt (1906 – 1975) schreibt in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“: „Tatsachen sind der Gegenstand von Meinungen. (…) Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.“

Ohne gesicherte Information also keine fundierte Meinungsbildung.

Ein Wesenskern der Demokratie ist unser aller Mitbestimmung. Wir formulieren einen politischen Willen. Dazu müssen wir uns auf Informationen verlassen können.

Zugleich ist die Lüge ein Merkmal des Faschismus – siehe bei Jason Stanley („Wie Faschismus funktioniert“).

Es geht dabei gar nicht so sehr darum, die Meinungen anderer anzugreifen. Der Punkt ist, an welche Falschinformationen jemand glaubt. Hannah Arendt: „Mit unwillkommenen Meinungen kann man sich auseinandersetzen, man kann sie verwerfen oder Kompromisse mit ihnen schließen; unwillkommene Tatbestände sind von einer unbeweglichen Hartnäckigkeit, die durch nichts außer der glatten Lüge erschüttert werden kann.“

Entsprechend erklärt auch das Bundesverfassungsgericht: „Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut (BVerfGE 54, 208 (219)). Die bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen ist durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht mehr geschützt. (…) Was dagegen nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung.“ (1 BvR 1376/79)

Zugleich schreibt Hannah Arendt über Propaganda durch Lügen: „Denn das Resultat ist keineswegs, daß die Lüge nun als wahr akzeptiert und die Wahrheit als Lüge diffamiert wird, sondern daß der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.“

Deshalb setzen Demokratiefeinde bei den Gewissheiten an. Sie zerstören mit ihrer Desinformation die Orientierung, die wir nach Hannah Arendt zur Meinungsbildung in einer Demokratie brauchen. Daher ist die Erde wahlweise flach oder hohl. Es geht nur darum, unsere Gewissheiten aufzulösen und unser Vertrauen in die Moderne zu zerstören sowie ins wissenschaftliche Denken der Aufklärung.

(3) Von der Gewissheit zur Meinung

Wir bilden uns unsere Gewissheiten anhand dessen, was wir wissen, fälschlicherweise zu wissen glauben (Irrtum) oder annehmen.

Eine kluge Meinungsbildung beruht auf zutreffenden und vollständigen Informationen („die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“).

Daher ist eine Meinungsbildung anhand gesicherter Erkenntnisse wichtig für die Demokratie, in der wir alle politische Akteure sind.

Der aufgeklärte Menschen gewinnt Erkenntnisse durch Beweise („evidenzbasiert“).

Wichtig ist das Verständnis von Beweisen, Indizien und Anhaltspunkten:

  • Ein Beweis ist eine gesicherte Information, die eine andere Information sichert.
  • Ein Indiz ist eine gesicherte Information, die für eine andere Information spricht, ohne sie zu beweisen.
  • Ein Anhaltspunkt ist eine gesicherte Information, die eine andere Information möglich oder denkbar erscheinen lässt.

Wissen ist die bewusste Kenntnis zutreffender Informationen. Wir wissen also auch, dass stimmt, was wir wissen. Das Wissen ist der Grundgedanke der Wissenschaft, in der es darum geht, Erkenntnisse zu sichern und Wissen zu konservieren. Der aktuelle Stand des Wissens („Forschungsstand“, „Wissensstand“) gilt als gesetzt, wobei sich wissenschaftliche Erkenntnisse überholen können. Dann wird der Wissensstand jeweils angepasst.

Wer den Stand der Dinge anzweifelt oder ergänzen will, hat den Beweis zu führen („Wer behauptet, belegt“). Die Beweislastumkehr ist methodisch unzulässig.

Auch das Gegenüber mit unüberschaubaren Massen von Informationen zu überfordern, ist unzulässig. Wer etwas behauptet, kann das in aller Regel unkompliziert beweisen. Vor allem ist es manipulativ, wenn in der Informationsmasse dann keinerlei Beweise auftauchen, sondern nur weitere Behauptungen und Andeutungen.

Das Prinzip „Wer behauptet, belegt“, gilt auch beim „Galileo-Argument“: Raunt jemand, die heutigen Erkenntnisse könnten doch morgen überholt sein, ist das nichts als eine Vermutung ohne Anhaltspunkte. Hier hat er oder sie den Beweis zu liefern, nicht in Aussicht zu stellen. Andernfalls muss er oder sie sich den Vorwurf gefallen lassen, Schwurbler/-in zu sein.

Sich anhand von Vermutungen ohne Anhaltspunkten Gewissheiten zu bilden, ist voraufklärerisch und fahrlässig („Es könnte doch sein“).

Immanuel Kant (1724–1804) machte sich über den „Mystizismus“ lustig, nach dem sich Anhänger des voraufklärerischen Denkens ihre Gewissheiten gebildet haben.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht und auch im Sinne der öffentlichen Kommunikation (Publizistik, Journalismus) gibt es eine „objektive Wirklichkeit“, die wir unterschiedlich wahrnehmen („subjektive Wirklichkeit“), sich durch unser subjektives Erleben aber nicht ändert. Wir können darauf einwirken, aber die reine Wahrnehmung gestaltet keine objektive Wirklichkeit.

Nach Ludwig Wittgenstein (1889–1951) ist die Wirklichkeit die „Gesamtheit der uns umgebenden Sachverhalte“.

Wer die Wirklichkeit als solche benennt, sagt die Wahrheit.

An dieses einfache und wenig philosophische Konzept halten sich Naturwissenschaftler, Juristen, Behörden und seriöse Medien. Darauf ist das Konzept des Erkenntnisgewinns in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft aufgebaut. Deren Basis ist die gesicherte Information.

Wahrheitsrelativismus ist der Versuch, die objektive Wirklichkeit zu leugnen.

Wer sagt, es gebe keine Wahrheit, sagt damit auch, es gebe keine Lüge. Er oder sie öffnet damit der Destabilisierung durch Desinformation Tür und Tor.

Anhänger des Wahrheitsrelativismus neigen laut einer schwedischen Studie auch eher zu Verschwörungslegenden.

Behauptungen sind prüfbar, Meinungen nicht. Die Äußerung „Es ist Mittwoch“ ist also eine Behauptung, die Äußerung „Es ist schön hier“ ist eine Meinung.

Meinungen sind nie richtig oder falsch – denn sie lassen sich ja weder verifizieren oder falsifizieren. Bestenfalls ist der Tatsachenkern einer Meinung falsch: „Ich finde es toll, dass Deutschland Fußball-Europameister 2024 ist.“

Zahlreiche Menschen bilden sich Meinungen aufgrund falscher Informationen, ohne es zu merken. Sie würden sich möglicherweise korrigieren, wüssten sie um die Unwahrheit.

Beim Erkenntnisgewinn lauern zahlreiche Denkfehler, die auch bei der aktuellen Radikalisierung in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen, u.a.:

  • Wir halten Dinge, die miteinander zu tun haben („Korrelation“) für ursächlich verknüpft („Kausalität“). Ein beliebtes Beispiel ist der Glaubenssatz „Cui bono?“ („Wer hat etwas davon?“), der andeuten soll, der Profiteur von etwas sei stets auch der Verursacher.
  • Wir halten etwas für wahr, nur weil wir es für möglich oder vorstellbar halten. Dabei ist es der Realität gleich, was wir uns vorstellen können.
  • Wir halten etwas für wahr, weil wir es für schlüssig halten. Doch Plausibilität und Wahrheit sind verschiedene Dinge: Nur, weil sich uns etwas als plausibel darstellt, muss es nicht der Fall sein. Gute Lügengeschichten sind in aller Regel plausibel.
  • Wir halten etwas für wahr, weil es unserem Weltbild entspricht („confirmation bias“).
  • Wir halten etwas für wahr, obwohl uns eine oder mehrere relevante Informationen fehlen.

Es ist nicht klug, sich seine Meinung anhand unvollständiger oder falscher Informationen zu bilden. Da zahlreiche Menschen das Handwerk des Erkenntnisgewinns und der Meinungsbildung nicht beherrschen, lassen sie sich leicht manipulieren und instrumentalisieren.

Lügen sind keine Meinungen. Es sind falsche Tatsachenbehauptungen. Wer notorisch lügt, ist daher niemals ein qualifizierter Diskussionsteilnehmer. Eine Lüge ist niemals eine legitimerweise anzuhörende Sichtweise. Denn wir können uns anhand der Unwahrheit wie erwähnt keine sinnvolle Meinung bilden (BVerfG, 1 BvR 1376/79).

(4) Wissenschaftliches Denken

Die Kenntnisse über wissenschaftliches Denken sind rar gesät. Anders erklärt es sich kaum, warum so viele Menschen an Unsinn glauben.

Als erstes sollten wir anerkennen: Nichts ist mysteriös. Und es war auch noch nie etwas mysteriös. Phänomene können bestenfalls unerklärt sein: Wir kennen ihren Hintergrund nicht. Aber auch im Mittelalter war ein Blitzschlag nicht mysteriös.

Wer wissenschaftlich denkt, verfügt daher über Ambiguitätstoleranz: Wir lassen uns von Unklarheiten, Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten (»Ambiguitäten«) nicht verunsichern.

Entsprechend beeindrucken uns auch keine Vermutungen ohne Anhaltspunkte oder Gerüchte.

Wer keine Ambiguitätstoleranz hat, schließt seine Wissenslücken tendenziell durch Vermutungen und Interpretationen.

Vielen Menschen fehlt das wissenschaftliche Konzept des Skeptizismus: Zwischen der anerzogenen Ehrlichkeitsvermutung und grundlegendem Misstrauen brauchen wir eine gesunde Skepsis, sodass wir uns keinen Bären aufbinden lassen.

Wer immun ist gegenüber Betrug und Scharlatanerie, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch immun gegenüber Desinformation.

Was unbelegt und zugleich nicht prüfbar ist, ist gegenstandslos („Russells Teekanne“).

Unbelegt und zugleich nicht prüfbar sind die meisten Verschwörungslegenden. Daher befasst sich die Wissenschaft damit nicht.

Nach Karl Popper (1902–1994) sind Verschwörungsmythen der Aberglaube von heute.

(5) Manipulation, Populismus und Desinformation

Nicht jede Meinungsbeeinflussung ist manipulativ. Wenn wir jemandem alle Informationen und Kriterien zu einer Entscheidung präsentieren, manipulieren wir ihn nicht.

Manipulation ist es, wenn wir jemandem unwahre, unvollständige oder verzerrte Informationen vorlegen oder ihn mental oder psychisch unter Druck setzen.

Zu behaupten, jede Meinungsbeeinflussung sei manipulativ, zerstört den Begriff der Manipulation. Wenn alles manipulativ ist, ist nichts manipulativ. Dann gibt es keine Manipulation. Es ist aber wichtig, dass wir einen Begriff für die Manipulation haben.

Populismus bedeutet nicht, etwas volksnah oder allgemeinverständlich zu formulieren („populär“). Populistisch ist etwas, wenn es das Narrativ „Die da oben, wir da unten“ fördert und den Irrglauben verbreitet, Laien könnten ohne Hilfe von Fachleuten auch in komplexen Themen zu qualifizierten Erkenntnissen kommen.

Dazu ist wichtig zu erkennen, dass das „Volk der Dichter und Denker“ seine Fachleute stets gewürdigt hat. „Völkisch“ im Sinne von anti-intellektuell war es vor allem von 1933 bis 1945. Diese Tendenz tritt jetzt wieder zutage, beispielsweise in Gestalt völkischer Spruchbilder in Sozialen Medien.

Desinformation ist gezielte Falschinformation zum Zwecke der Manipulation einer Meinungsbildung mit falschem Tatsachenkern. Desinformation ist gedanklich verwandt mit Scharlatanerie und Hochstapelei.

Elementar beim Verständnis von Desinformation ist das „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels von 1905. Bartels schreibt darin u.a.:

  • „Die Stellung der Demagogie zur Wahrheit ergibt sich aus dem Zweck, der für sie allein maß­gebend ist, die Masse zu überzeugen und zu beherrschen. (…) Gerade die Wahrheit ist vielfach demagogisch nicht brauchbar.“
  • „Bedürfnisse und Neigung der Masse“ seien nicht eine „ruhige, sach­liche Erörterung“, dies errege „alsbald das Gefühl der Langeweile“. Die Sprache müsse sich daher „vielmehr an ihr Gemüt und ihre Leidenschaft wenden und mit ihrem Bedürfnis nach Autorität, d.h. dem Bedürfnis zu glauben statt selber zu urteilen, sowie mit ihrer Ge­dankenlosigkeit rechnen“.
  • „Je mehr es der Demagogie gelingt, die Masse gegen alles, was ihr äußerlich als Autorität entgegentritt, mit Misstrauen und Hass zu erfüllen, sie in beständig empfundene und immer tiefergehende Verbitterung zu versetzen und zu leidenschaftlicher Kampfstim­mung zu hetzen, desto mehr ist sie imstande, auch Innerliches, was ihr hinderlich werden kann, von der Masse fernzuhalten oder in ihr zu ersticken.“

Was wir derzeit an Populismus und Desinformation erleben, findet sich auch in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 (1 BvB 1/51): „Der Appell an dumpfe Massengefühle, das Hervorrufen einer Stimmung, die das kritische Denken ausschaltet, das Einhämmern schlagwortartiger Sentenzen, die nüchterner Überlegung nicht standhalten, (…) alles erschien als Wiederholung gleichartiger nationalsozialistischer Veranstaltungen.“

„Schlagwortartige Sentenzen, die nüchterner Überlegung nicht standhalten“ sind der Kern auch der heutigen Desinformation.

Auch Steve Bannon spielt eine Rolle, der frühere Berater Donald Trumps. Er prägte den Satz: „Flood the zone with shit“. Es geht darum, die Öffentlichkeit mit Unsinn zu fluten – und es ist egal, ob eine intellektuelle Minderheit die Lügen durchschaut. Die Mehrheit wird sich davon manipulieren lassen und irgendwann eine Mehrheit bilden, um die Demokratie abzuschaffen.

Laut Konrad-Adenauer-Stiftung beträgt der Anteil jener, die sich tendenziell von Verschwörungslegenden leiten lassen, bei 41 Prozent.

Entsprechend ist zu befürchten, dass eine ebenso große Zahl für Desinformation erreichbar ist.

Verändert sich jemand kontinuierlich hin zu immer extremeren Ansichten, die von einer ideologischen Agenda geprägt sind, sprechen wir von einer Radikalisierung. Der Prozess kann dazu führen, dass Betroffene gesellschaftliche Normen und Werte ablehnen und sich sogar für einen Umsturz einsetzen, mit dem nicht die Wahl einer neuen Bundesregierung gemeint ist. Radikalisierungen können sich in politischen oder auch religiösen Äußerungen und Verhaltensweisen zeigen.

Destabilisierung durch Radikalisierung infolge von Desinformation funktioniert in folgenden Schritten:

  1. Das Individuum stößt in Sozialen Medien immer wieder auf Botschaften, die Narrative transportieren wie: „Früher war alles besser“, „Wir müssen zur D-Mark zurück“, „Wir brauchen einen starken Mann“, „Heutige demokratische Politiker sind Weicheier“.
  2. Da zahlreiche Trolle und Bots zustimmende Kommentare absondern, glaubt das Individuum, es mit einer großen Zahl von Befürwortern dieser Narrative zu tun zu haben.
  3. Entsprechend dem Konzept der „Schweigespirale“ nach Elisabeth Noelle-Neumann glauben die Vertreter der leisen Mehrheit, bei der lauten Minderheit handele es sich um eine Mehrheit, und setzen sich mit deren Narrativen zunehmend ernsthaft auseinander. Da die Narrative aus vielen, scheinbar unabhängigen Quellen kommen, glauben die Manipulationsopfer an einen gewöhnlichen Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ohne Manipulation.
  4. Die Desinformation löst zunehmend die Gewissheiten des Individuums auf und verleitet es dazu, allem Westlichen und Demokratischen zu misstrauen – der EU, der NATO, dem Rechtsstaat, sämtlichen wissenschaftlichen Institutionen des Westens.
  5. Die Narrative verfangen und das Individuum radikalisiert sich. Es stimmt in den Chor der Trolle und Bots ein und beginnt, seine Familie und Freunde mit seinen überwertigen Ideen zu missionieren.
  6. Das Individuum kapselt sich von klassischen Nachrichtenströmen ab und findet in „alternativen Medien“ zahlreiche Bestätigungen für Verschwörungslegenden und demokratiefeindliche Narrative, für Diffamierungen gegenüber demokratischen Akteuren und Jubel für totalitäre Herrscher.
  7. Die Desinformation destabilisiert die Gesellschaft und die Demokratie übersteht die Mehrheit der totalitären Denker nicht.
  8. Die westliche Zivilisation geht unter und mit ihr Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie sowie die Basis für jedes ökonomische Wirtschaften und jede kluge Wertschöpfung. Unternehmen schließen und ziehen ins Ausland;  aufgeklärte Menschen wandern aus oder werden politisch verfolgt und ermordet.

Neben den vielen anti-modernen und anti-demokratischen Narrativen und dem Effekt der „Schweigespirale“ bedienen sich die Akteure der Desinformation („Demagogen“) zahlreicher rhetorischer Tricks wie beispielsweise:

  • Durch Scheinfragen („Könnte es nicht sein, dass …“) suggerieren sie haltlose Vermutungen, geben aber vor, „nur Fragen zu stellen“. Menschen mit Informationskompetenz durchschauen diese Perfidie, Menschen ohne Informationskompetenz fallen eher darauf herrein.
  • Manche Demagogen setzen auf esoterischen Kitsch, um emotional gesteuerte und leichtgläubige Menschen zu instrumentalisieren: So hören wir immer wieder von einer „Menschheitsfamilie“, zu der wir angeblich alle gehören, und vom Einsatz für „Frieden“, wobei das am Ende bedeutet, dem Angegriffenen den Beistand zu verweigern und sich für die imperialistische Ausbreitung des Totalitarismus einzusetzen. Auch gegen solche Manipulationsversuche hilft Informationskompetenz.

Die Propaganda der Nationalsozialisten diffamierte die Weimarer Demokratie mit ähnlichen Vokabeln, mit denen heutige Demokratiegegner die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland diffamieren (»System«, »Systemparteien«).

Wir werden die Desinformation weder rechtlich noch technisch eindämmen können – es bleibt uns nur, uns dagegen zu immunisieren.

Ihr Einsatz für Informationskompetenz

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