Heute früh lief mein Radiobeitrag zum Gendern. Jetzt weiß ich nicht, ob Sie am Sonntag um 8.30 Uhr SWR2 gehört haben. Daher: Sofern Sie als Unternehmen überlegen, wie stark Ihre Unternehmenssprache gendern soll, sollten Sie den Beitrag möglicherweise beim SWR nachhören.
Ein paar wichtige Punkte für Unternehmen sind aus meiner Sicht:
- Wer gendert, sollte wissen, dass damit ein politisches Statement einhergeht. Der linke Rand gendert stark, der rechte Rand gar nicht. Insgesamt verteilt sich die Begeisterung fürs Gendern durchaus im klassischen westdeutschen Rechts-Links-Schema wie erwartet. Nach einer Umfrage von Infratest Dimap vom Mai für die „Welt am Sonntag“ sind 65 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gegen Bezeichnungen wie „Zuhörende“ statt „Zuhörer“ und gegen die Schluckauf-Lücke zwischen „Bürger“ und „-innen“ beim Sprechen. Bei den Grünen sind 48 Prozent gegen das Gendern (was viel ist), bei der AfD 83 Prozent. Die anderen Parteien siedeln sich mit ihren Ablehnungszahlen passend politisch ein. Eine Sonderrolle spielt allein die Linke qua ihrer Geschichte als SED: In der DDR hat man nicht gegendert, dort war Frau Maier tatsächlich „Lehrer“. Entsprechend haben wir hier den Ausbrecher: 72 Prozent der Linken-Anhänger sind gegen das Gendern.
- Wenn Sie sich also für den Unterstrich entscheiden wie beispielsweise Audi („Audianer_innen“), dann sollten Sie wissen, dass sich Ihr Unternehmen damit möglicherweise politisch instrumentalisieren lässt. Das widerspräche dann der Gepflogenheit vieler Unternehmen, sich aus der Politik rauszuhalten.
- Ihnen sollte entsprechend klar sein, dass Sie mit starkem Gendern möglicherweise sehr viele konservative und bürgerliche Kunden verärgern, mit einer normalen Sprache aber nur wenige linke Kunden.
- Sie sollten vielleicht überlegen, auf welche Zielgruppe Sie besonderen Wert legen und wie wichtig Ihnen die Mitte ist. Ganz normale bürgerliche Menschen, die hart arbeiten und Steuern erwirtschaften, interessiert das Gendern kaum, Unterstriche wirken auf sie aktivistisch und befremdlich. Tatsächlich ist das Gendern ein Phänomen einer geistes- und sozialwissenschaftlich geprägten, vorwiegend linken Filterblase. Wenn Sie sich mit Ihren Produkten ausschließlich an dieses politisch linke Milieu richten, dann gendern Sie ruhig. Ansonsten sollten Sie sich das möglicherweise noch einmal genauer überlegen.
- Zugleich rate ich, das Gendern als sprachliches System zu Ende zu denken. Denn zu Ende gedacht ist es bei vielen Unternehmen nicht. Bleibt es beim „Mitarbeiterparkplatz“ oder braucht Audi neue Schilder für den „Mitarbeiter_innenparkplatz“? Oder wählen Sie den „Mitarbeitendenparkplatz“? Arbeiten Ihre Mitarbeiter überhaupt tatsächlich mit, wie das Wort „Mitarbeitende“ sagt? Ich rate Ihnen zu einer einfachen Prüfung: Erst wenn Sie wissen, wie Sie das Wort „Bürgermeisterkandidat“ gendern, haben Sie das Thema einigermaßen durchdrungen. Audi müsste – nach eigener Logik – ab sofort von „Bürger_innenmeister_innenkandidat_innen“ sprechen und schreiben. Wollen Sie das?
- Dann ist Konsequenz nötig: Die Lufthansa gendert den Kapitän, nicht aber den Officer. Warum nicht? Was soll diese Inkonsequenz, wenn sich doch „der Officer“ im Deutschen der deutschen Grammatik unterwirft?
Von einem bin ich überzeugt: Weder totales Gendern nach Lann Hornscheidt („Wens hat das Fahrrad vor dem Eingang abgestellt?“) noch völlige Genderverweigerung („Alice Schwarzer ist ein Feminist“) ist klug. Politische Extreme tun nicht gut, vor allem nicht Ihrem Unternehmen. Die Aufgabe ist es in meinen Augen, einen Mittelweg zu finden, der die Mitte erreicht. Der Blick auf die wertschöpfende Mitte geht schnell verloren, wenn eine Minderheit wie die Gender-Befürworter besonders laut ist und so als Mehrheit erscheint. Wenn Sie sich aber den Blick nicht vernebeln lassen, können Sie feststellen: Der Opportunitätsdruck, dem sich zum Beispiel Audi unterwirft, existiert im Grunde gar nicht.
Möglicherweise sind Sie gut beraten, Ihre Sprache weitestgehend so zu lassen, wie sie ist (das hängt natürlich von Ihrer Sprache ab). Das Thema Gendern ist so kontrovers, dass Sie es ohnehin niemals allen recht machen können – und es lauern jede Menge Fallen. Die Frage ist: Wie weit lehnen Sie sich aus dem Fenster? Wollen Sie das gleiche Signal ausstrahlen wie Audi, dass Sie undurchdachten Trends folgen? Möglicherweise lösen Sie sich in ein paar Jahren ja wieder vom Gendern, weil es Unmengen von Ressourcen bindet, sinnlose Rechtsauseinandersetzungen provoziert und einen Teil Ihrer Unternehmenskommunikation verhunzt. Wie würde das dann aussehen?
Mein Tipp: Überlegen Sie diese Dinge gut. Ich selbst bin kein Gender-Gegner, ich finde eine integrative Sprache wichtig. Aber die Sprache sollte noch funktionieren und nicht vom Thema ablenken. Diese Sprache gilt es zu finden.
Thilo Baums Analyse enthält alle wesentlichen Punkte zum Thema. Ich finde darin auch den nötigen Respekt, ja sogar die Liebe, die unsere lebendige Sprache braucht, um ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen zu können. Maschinentaugliche, künstliche Sprachen wie C++ oder Python erfüllen ja in perfekter Weise den geschlechtsneutralen Gender-Anspruch. Aber die menschliche Kommunikation im Alltag – auch die auf elektronischen Geräten – würde in einer auf die ideologische Linie gebrachten und gewaltsam gereinigten Kunstsprache ihre Flexibilität, Verständlichkeit und Anpassungsfähigkeit verlieren.