(maschinelle Transkription, bitte verzeihen Sie Fehler.)
Thilo Baum: „Es ist ein Kampf gegen die Moderne, es geht um einen Rückschritt in totalitäre Verhältnisse“
Wie kann man Sinn von Unsinn unterscheiden? Sich sogar gegen Fake News immunisieren? Thilo Baum hat ein ganzes Buch über diese Frage geschrieben und mit Holger Klein darüber gesprochen.
Katrin
Willkommen zum Sommerinterview der Wochendämmerung. Eines der größten Probleme für die Demokratie ist, dass so viel Zeug verbreitet wird, das einfach nicht stimmt. Und „Flooding the zone with shit“ gehört zu einer echten Strategie autoritär-populistischer Kräfte – nämlich so viel Unsinn zu verbreiten, dass niemand mehr weiß, was jetzt eigentlich wirklich stimmt. Thilo Baum, Journalist, Buchautor und Experte für klare Kommunikation – ich lese hier gerade nur vor, wie er mir angepriesen wurde –, hat ein Buch geschrieben, das genau gegen diese Unsinnsflut helfen soll. „Immun gegen Unsinn“ heißt es. „Wie wir uns eine fundierte Meinung bilden.“ Und erschienen ist es bei GABAL. Holger kennt Thilo schon länger und ist vor unserem Urlaub mal bei ihm vorbeigefahren, um mit ihm genau darüber zu sprechen.
Holger
Vor fast auf den Tag genau 20 Jahren habe ich einen Typen kennengelernt, der heißt Thilo Baum. Der hat damals ein Seminar entwickelt und gehalten. Das hieß Nichtraucher in fünf Stunden mit Geld zurück Garantie. Und Thilo hat mir das Rauchen ausgeredet. Und jetzt, 20 Jahre später, hat Thilo ein Buch geschrieben. Und zwar hat er mein Buch geschrieben. Aufmerksame Hörerinnen und Hörer dürften mitgekriegt haben, dass ich vor ein paar Jahren daran gescheitert bin, ein Buch zu schreiben mit dem Titel „Der Klimawandel ist eine Erfindung der Chinesen. Eine Anleitung, um Sinn von Unsinn zu unterscheiden“. Thilos Buch heißt „Immun gegen Unsinn. Wie wir uns eine fundierte Meinung bilden“. Und ich habe den Verdacht, dass in unseren beiden Büchern das Gleiche dringestanden hätte, hätte ich denn jemals eins geschrieben. Hallo Thilo,
Thilo
Hi Holger.
Holger
Wie kommst du auf die Idee, dieses Buch zu schreiben?
Thilo
Die Idee kam vor einiger Zeit, als ich festgestellt habe, dass immer mehr Menschen sich von Falschinformationen leiten lassen – und dass plötzlich auch aus meiner nächsten Umgebung Verschwörungstheorien auf mich zukamen. Und ich dachte: Sag mal, du bist doch intelligent, du hast doch studiert, du hast doch einen Doktortitel. Warum kommst du mir jetzt mit den Rothschilds und irgendwelchen antisemitischen Mythen daher? Wenn es um Impfstoffe geht und solche Sachen und dann um den Ukrain- Krieg. (…) Ich habe ja eine journalistische Ausbildung. Ich habe irgendwann mal ein Volontariat gemacht, eine Journalistenschule besucht, Medienrecht gemacht und solche Dinge.
Holger
Du hast Schlussredakteur beim „Kurier“, war Schlussredakteur.
Thilo
Ich war Schlussredakteur beim „Berliner Kurier“. Ja, das ist eine spannende Aufgabe gewesen. Davor habe ich eine journalistische Ausbildung gemacht, also bevor ich Redakteur geworden bin, Journalistenschule, Publizistikstudium. Und da haben wir Dinge gelernt, die im Grunde alle Journalistinnen und Journalisten auch wissen. Also der Pressekodex sagt ja: Halte dich an die Wahrhaftigkeit oder Wahrheit und erzähle keine Lügen. Was ein wichtiger Punkt ist. Und wir brauchen in unserer Berichterstattung und überhaupt in der öffentlichen Kommunikation natürlich zutreffende Informationen, weil wir uns ohne zutreffende Informationen nur schwer eine Meinung bilden können, die Hand und Fuß hat.
Holger
Was ich so faszinierend finde, ist der Job des Schlussredakteurs. Ich glaube, den gibt es heute überhaupt nicht mehr.
Thilo
Das weiß ich nicht.
Holger
Das ist ja letztlich … – ich habe mal für den „Stern“ gearbeitet, die hatten eine sogenannte Dokumentation. Das sind ja diejenigen Abteilungen im Journalismus, die ganz am Ende noch mal mindestens eine Plausibilitätsprüfung machen der Sachen, die die da geschrieben werden. Das heißt, bei dir schließt sich da sozusagen ein Kreis, oder?
Thilo
In gewisser Weise ja. Die Schlussredaktion war erst mal dafür da, tatsächlich auch Widersprüche, Fehler zu finden im Blatt, die möglicherweise im Tagesgeschäft am Nachmittag entstanden sind. Und dann ist es halt schwierig, wenn eine Meldung in der Zeitung steht, dem Prominenten XY, der krank ist, geht es schon wieder besser, und dann stirbt er abends und dann steht das in der gleichen Zeitung. Schlussredaktion bedeutet einfach auch, das Ganze noch mal von außen zu betrachten und Fehler zu finden. Also auch Tippfehler und inhaltliche Fehler. Und dann auch eben abends die Berichterstattung zu aktualisieren. Wenn durch die Zeitverschiebung zum Beispiel die Amerikaberichterstattung dann reinkommt. Oder damals eben der Irakkrieg, der dann auch teilweise nachts stattgefunden hat, auch von der Berichterstattung her. Oder der Anschlag auf Bali damals, 2002, glaube ich, war das. Und dann hast du eine Breaking News und kannst dann sozusagen abends die Zeitung aktualisieren. Das war der Job.
Holger
Das heißt, um Wahrhaftigkeit ging es da eher nachrangig. Also nicht wie bei einer Dokumentation bei so einem Magazin wie dem „Stern“, die tatsächlich, nachdem ich den Artikel abgeliefert hatte, bei mir angerufen haben und gesagt haben: Wer hat das gesagt, wann hat der das gesagt? In welchem Kontext hat er das gesagt? Gib uns mal die Telefonnummer von diesem Professor.
Thilo
Ja, es ging schon um Wahrhaftigkeit an der Stelle. Wenn du. Wenn du schaust, ob das stimmt, was drinsteht, also wenn eine Meldung reinkommt von einer Nachrichtenagentur, dann gehst du schon davon aus, dass das stimmt. Wenn es dann mehrere Quellen gibt, dann ist das natürlich noch mal sicherer. Nur was bei der Schlussredaktion vor allem eine Rolle gespielt hat, war die Plausibilität. Was ja eine andere Sache ist als die Wahrheit.
Holger
Jede Verschwörungstheorie ist extrem plausibel.
Thilo
Jeder Krimi am Sonntagabend ist plausibel. Meistens, also jede fiktionale Handlung ist auch in aller Regel plausibel, wenn sie gut gemacht ist. Und es muss einfach stimmen. Es muss ein Bild abgeben, dass die Redaktion tagsüber die Wahrheit geschrieben hat. Davon musst du ausgehen als Schlussredakteur. Und offenkundige Fehler fallen dir ins Auge, wenn du um 19:30 Uhr eine nasse Zeitung auf den Schreibtisch kriegst, die gerade aus der Druckerei kommt.
Holger
Hast du das jemals ablegen können über all die Jahre? Kannst du? Kannst du befreit Zeitung lesen?
Thilo
Schwierig. Sehr schwierig. Ich bin wirklich extrem in den Texten drin. Und ich analysiere und denke da sehr viel mit und finde auch Widersprüche oder Doppeldeutigkeiten, die vielleicht andere Leute nicht sehen.
Holger
Zumal es seit vielen Jahren ja auch dein Job ist, Leuten beizubringen, wie man vernünftig Texte formuliert, was das wahrscheinlich auch noch doppelt schwierig macht.
Thilo
Ja, sicherlich. Was ich beruflich mache. Es geht ja vor allem darum, Fachleuten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu zeigen, wie sie zum Beispiel in ihrer Korrespondenz mit einer Behörde sich so ausdrücken, dass die Behörde sofort versteht, worum es geht. Oder jetzt mit Juristen. Es gibt ja Rechtsanwälte, die schreiben Schriftsätze, da schlägt auch ein Richter die Hände über dem Kopf zusammen, weil er denkt: Was sind das für Schachtelsätze? Und das geht ja in jeder Profession. Also ob du jetzt Ingenieur bist oder Anwältin oder Arzt oder was auch immer, Biochemikerin. Alle Inhalte kannst du ja klar rüberbringen, das ist ja eine sprachliche Sache. Also das ist eben das Ding. Und vielleicht ist in diesem Zuge auch dieser Gedanke entstanden, zu sagen, was sagen die Menschen eigentlich inhaltlich? Eine wichtige Erkenntnis ist ja auch aus dem Seminar, dass ich gebe: Der Sprache ist es egal, was wir sagen. Du kannst einfache Dinge einfach sagen oder kompliziert, komplizierte Dinge einfach sagen oder kompliziert. Die Sprache sagt nur: Hier sind meine Schachtelsätze, bedien dich, hier sind meine Passivkonstruktionen. Und von dem sprachlichen Blick dann auf den Inhalt zu gehen und zu sagen: Was kommunizieren die Leute eigentlich öffentlich? Das ist dann der Schritt gewesen, glaube ich, von der sprachlichen Orientierung hin zur inhaltlichen Orientierung. Wobei – ich will gleich eins vorwegnehmen: Es geht mir überhaupt gar nicht darum, welche Meinungen die Leute vertreten. Es geht mir nicht darum, was jemand meint, für richtig oder für falsch hält. Mir geht es wirklich nur darum, ob Informationen zutreffen oder nicht zutreffen oder verlogen sind oder manipulativ. Oder ob uns jemand nur die halbe Wahrheit serviert, damit wir uns eine Meinung bilden. Weil ich immer wieder festgestellt habe, zunehmend festgestellt habe in den vergangenen Jahren, dass immer mehr Menschen sich eine Meinung bilden aufgrund dessen, was sie sich zusammenreimen, was sie vom Nachbarn hören. Ja, und diese Kompetenz der öffentlichen Kommunikation, weil wir kommunizieren ja alle öffentlich, ich meine, alle schreiben bei Facebook irgendwas und alle liken irgendwelches Zeug bei Facebook, das sie nicht verifizieren. Jetzt kannst du nicht von den Leuten verlangen, alles zu verifizieren. Aber du kannst immerhin sagen: Du, bevor du jetzt dieses Ding teilst, was da kommt, von wegen ein SS-General ist der Opa von Frau von der Leyen. Bevor du das jetzt einfach teilst, …
Holger
Der Klimawandel ist eine Erfindung der Chinesen. Donald Trump war das übrigens.
Thilo
Ja, und da geht es nicht darum. Dann geht es auch nicht darum, dass ich Meinungen angreifen möchte, sondern es sind einfach Falschbehauptungen. Und du kannst, wenn du eine Falschbehauptung äußerst, nicht sagen: Lass mir doch meine Meinung. Denn Meinungen und Behauptungen sind unterschiedliche Dinge und das ist publizistische Kompetenz. Das hatten wir alles in Medienrecht.
Holger
Das ist witzigerweise. Der Ansatz meines Buches wäre gewesen, dass ich sage, Es gibt genau zwei Werkzeuge, die wir Menschen erfunden haben, um Sinn von Unsinn zu unterscheiden. Das eine Werkzeug ist die Wissenschaft. Und das andere Werkzeug ist der Journalismus, so er denn sauber, wahrhaftig, anständig ausgeübt wird. Wie bist du rangegangen an die ganze Sache? Von wo näherst du dich diesem Thema?
Thilo
Ein ganz ähnlicher Ansatz. Ich sage auch: Wir haben einen wissenschaftlichen Ansatz, wir haben einen publizistischen Ansatz. Und wir haben auch einen juristischen Ansatz. Es ist wichtig, also Wahrheitsfindung. Der Begriff der Wahrheit. Vielleicht sprechen wir über den ja noch, Aber ich sage mal, Gerichte verbringen den lieben langen Tag mit nichts anderem, als damit zu versuchen, die Wahrheit zu ermitteln.
Holger
Wenn es der Wahrheitsfindung dient.
Thilo
Wenn es der Wahrheitsfindung dient. Ganz genau.
Holger
Fritz Teufel, oder wer war das?
Thilo
Einer, von denen.
Holger
Er gesagt gekriegt hat, er soll gefälligst aufstehen, wenn das Gericht …
Thilo
Wenn’s der Wahrheitsfindung dient. So, und jetzt gibt es den sogenannten Wahrheitsrelativismus. Es gibt Menschen, die sagen Wahrheit gibt es nicht. Es gibt keine objektive Wahrheit.
Holger
Ja, aber ist das nicht so ein bisschen so Abiturientenverhalten? Es gibt vier Wahrheiten. Deine Wahrheit, meine Wahrheit, die Wahrheit. Und was wirklich passiert ist oder so ist das. Müssen wir uns auf diesen Pfad noch begeben? Als erwachsene Menschen?
Thilo
Ja, müssen wir total oft. Es ist ein ganz starker Trend in den Geisteswissenschaften und in den Sozialwissenschaften, gerade auch durch radikalen Konstruktivismus. Paul Watzlawick, Niklas Luhmann. Solche Menschen, die sagen, die Wirklichkeit ist konstruiert, wir bilden uns unsere Wirklichkeit im Kopf. Und da will ich einfach differenzierend reingehen und sagen: Eine rote Ampel ist eine rote Ampel. Und wenn ich mit der Polizei anfange zu diskutieren, dass die rote Ampel doch eigentlich nur eine subjektive Wirklichkeit des Beamten ist, dann gefährde ich ja meine Fahrerlaubnis. Denn in dem Augenblick …
Holger
Aber die ist ja auch nicht wahr. Die Fahrerlaubnis ist ja auch nur konstruiert.
Thilo
Genau. In dem Augenblick, in dem ich der Behörde dokumentiere, dass ich nicht auf die Wirklichkeit reagieren kann, sollte ich nicht Auto fahren. Das heißt, alle, die die Wahrheit relativieren und einen Führerschein haben, müssten eigentlich in dem Augenblick verstehen, dass es tatsächlich eine objektive Wirklichkeit gibt. Aber jetzt pass auf, die objektive Wirklichkeit. Also wir beide sitzen gerade im Studio. Du trinkst eine Tasse Kaffee. Das ist die objektive Wirklichkeit. Trotzdem nehme ich diese Wirklichkeit ja subjektiv wahr, und das ist meine Subjektivität, also meine Perspektive, meine Denkmuster, die mit reinkommen, dann meine Bewertungen, meine Urteile, meine Gefühle, die ich dabei habe. Das sind alles subjektive Dinge. Meine Meinung, die ich mir am Schluss bilde darüber, dass wir hier Kaffee trinken, ist auch subjektiv, und das ist etwas anderes als die objektive Wirklichkeit. Also es gibt natürlich eine subjektive Wirklichkeit, ohne Frage, …
Holger
Die objektive Wirklichkeit ist das, was deine Frau vorfindet, wenn sie plötzlich hier reinkommt.
Thilo
Ja, genau.
Holger
Und nicht sieht oder mit uns darüber gesprochen hat, was in unseren Köpfen passiert, wie wir die Situation wahrnehmen.
Thilo
Ja, richtig. Ja, also ich sage mal, an irgendeiner Stelle beschreibe ich das so: Wenn du bei einem Verkehrsunfall berichtest und du wechselst bei deiner Kamera das Objektiv, ändert sich nicht die Anzahl der Verletzten.
Holger
Ja.
Thilo
Ja. Also die, die objektive Wirklichkeit anzuerkennen, ist wirklich eine ganz elementare Geschichte, wenn es darum geht, wie wir auf Desinformation und Fake News reagieren. Dass wir nämlich nicht sagen, da verbreitet einer in der Talkshow Lügen, wird dafür kritisiert und sagt dann: Du schränkst meine Meinungsfreiheit ein. Das ist ein ganz übles, nahezu toxisches Reframing. Wenn ich meine Lügen dadurch rechtfertige, dass ich Artikel 5 Grundgesetz habe, Ja, was übrigens auch ein ganz wichtiger Punkt ist, denn ich habe ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht ausgegraben von 1982, das ganz klar sagt: Die Unwahrheit ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, denn du kannst dir in einer Demokratie nicht verfassungsgemäß eine Meinung bilden aufgrund von Unwahrheiten. Wir müssen, wenn wir, wenn wir politische Wesen sind, die zur Wahl gehen und die sich eine Meinung bilden und einen politischen Willen, müssen wir uns auf Informationen verlassen können. Ich gebe dir kurz das Aktenzeichen, das ist 1 BvR 1376/79.
Holger
Ich habe dich schon immer dafür gehasst, dass du solche Sachen auswendig weißt.
Thilo
Ich sag es ja nur deswegen, weil: Die Frage wird sowieso kommen. Und damit du kein PDF anlegen musst. So, und dieses Urteil, dieses Urteil ist ganz wichtig, weil es einfach mal klar macht, dass zum Beispiel eine … Also in diesem Urteil geht es jetzt nicht um die Auschwitzlüge, da gibt es andere Urteile, die auch sehr aussagekräftig sind. Die Auschwitzlüge ist keine Meinung. Wenn ich behaupte, es hätte die KZs nicht gegeben, ist das eine Falschbehauptung und eine gefährliche noch dazu. Weil sie nämlich die Geschichte verfälscht, weil sie die Demokratie gefährdet. Und an der Stelle ist die Meinungsfreiheit eingeschränkt, auch in einem freien Land, weil wir durch eine solche Äußerung, durch eine Falschbehauptung tatsächlich die freiheitliche Demokratie gefährden und dadurch sich Mehrheiten bilden könnten, wieder in Richtung Totalitarismus. Das heißt, die Meinungsfreiheit ist natürlich eingeschränkt. Diktaturen schränken die Meinungsfreiheit ein, um ihre Regime zu schützen. Da wandern die Leute ins Straflager. Eine Demokratie schränkt die Meinungsfreiheit ein, um sich selbst zu schützen und um die Rechte ihrer Bürger zu schützen und ihrer Bürgerinnen. So, und wenn ich jetzt nicht andere beleidige und nicht deine Rechte verletze und nicht gegen Gesetze verstoße, dann darf ich sagen was ich will. Und Falschbehauptungen sind aber auch natürlich bei uns nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Und in diesem Zusammenhang musste unbedingt ein Buch entstehen, dass das mal klar macht. Dass wir nicht sagen können: Die Lügner sind müssen wir auch in die Talkshow reinholen, weil die sind die die andere Seite, wir müssen auch … – Journalisten sagen: Ja, wir müssen immer auch die andere Seite hören. Ja, aber nicht, wenn diese andere Seite lügt. Deswegen hast du jetzt zum Beispiel …
Holger
Oder wenn er sich irrt.
Thilo
Moment, gleich … – beim Sommerinterview mit Herrn Chrupalla einen Faktencheck bei tagesschau.de, der alle Äußerungen von ihm noch mal analysiert und darlegt: Hier ist es schief, hier stimmt es nicht, weil es kann auch sein, dass sich jemand irrt. Das stimmt. Die Unwahrheit kann sein Lüge oder Irrtum. Das ist jetzt … Ich weiß, dass Philosophen das differenzierter …
Holger
Lüge sagt, dass du die Wahrheit kennst und sie bewusst nicht sagst. Und Irrtum ist halt
Thilo
Genau. Also das ist eine publizistische journalistische Herangehensweise, die ist nicht philosophisch, aber die sagt, wenn ich weiß, dass ich die Unwahrheit äußere, dann lüge ich. In dem Augenblick, wenn ich über dich bewusst die Unwahrheit verbreite, bin ich auch bei der Verleumdung. Ich bin nicht mehr bei der üblen Nachrede, wenn ich einfach nur ein Gerücht weitererzähle, von dem ich nicht weiß, ob es stimmt. Und diese Dinge zu kennen, also auch zu wissen, welche zum Beispiel Rechtsverstöße es gibt, das gehört einfach, finde ich, ins Portfolio von allen, die in irgendeiner Weise öffentlich kommunizieren. Da beklagen sich die Leute darüber, dass sie Strafanzeigen bekommen, dass sie Abmahnungen bekommen und sagen: Das ist eine böse Abmahnkanzlei. Ja, schon, aber wenn ich Rechte verletze, kriege ich halt eine Abmahnung. Dann kommt einer, der sagt: Du hast meine Rechte verletzt, du hast meine Persönlichkeitsrechte oder was auch immer verletzt. Und das ist dann eben keine Zensur. Und genau die Leute, die jetzt im Augenblick Fake News verbreiten, Desinformation teilen, sagen dann in der öffentlichen Diskussion und die kann ja ein Facebook-Thread sein mit Kommentaren, die sagen dann: „Es ist doch mein legitimes Recht – Artikel 5 GG – dieses Zeug zu teilen. Das ist meine Meinung. Sprich mir die gefälligst nicht ab.“ Und hier wird Artikel 5 Grundgesetz zum Einfallstor für Demokratiegefährdung. Und der Rechtsstaat sieht im Augenblick, wenn ich das richtig sehe, keine Chance, sich dagegen zu wehren.
Holger
Du hast ja das Problem, dass in dem Moment, wo ich mir auf welche Art und Weise erst mal eine Meinung gebildet habe und die äußere, gilt für mich ja Artikel 5. Also das Problem ist ja, dass ich also du müsstest mir ja nachweisen können, dass ich mir diese Meinung auf Basis von falschen Fakten gebildet habe. Aber wie du am Anfang gesagt hast, ich habe mit dem Nachbarn oder mit sonst wem gequatscht und von dem habe ich so eine Meinung übernommen. Ja, also um das auf die Spitze zu treiben? Wie gehe ich gegen die Behauptung vor, dass die Juden den Brunnen vergiften? Wie belege ich, dass sie das nicht tun?
Thilo
Also zunächst mal ganz wichtig ist: Mein Nachbar übernimmt keine Meinung von jemandem, nur weil der das will. Wir übernehmen als erwachsene Menschen, psychisch gesund, keine Meinungen von anderen, nur weil die das von uns verlangen. Jede Meinung, die wir haben, fußt auf einer Information. Und wir halten diese Information für wahr. Selbst wenn ich sage, es ist ein wundervoller Tag, hat diese Meinung einen Tatsachenkern, der sagt, es gibt hier einen Tag. Jede Meinung hat einen Tatsachenkern. Sag mir eine Meinung, die keinen Tatsachenkern hat. Der Punkt ist, die Meinungsbildung basiert immer auf einer Information. Das kann eine falsche Information sein, aber es ist immer eine Information, eine Annahme. So jetzt. Die Juden vergiften den Brunnen. Wie gehst du dagegen vor? Und da sage ich jetzt zum Beispiel im Buch: Wir gehen da wissenschaftlich vor. Und da gilt das Prinzip „Wer behauptet, belegt.“ Wenn ich eine These aufstelle, die dem wissenschaftlichen Standard widerspricht, also dem aktuellen Stand des Wissens, dann bin ich in der Pflicht, den Nachweis zu führen. Und das wird mir bei einer Verschwörungstheorie nicht gelingen. Denn Verschwörungstheorien haben zwei grundlegende Elemente oder zwei grundlegende Merkmale. Erstens: Sie sind nicht bewiesen. Das geht auch nicht, weil sie falsch sind. Und zweitens: Sie lassen sich nicht prüfen. Wenn jetzt einer mit einer Verschwörungstheorie kommt, sagst du als wissenschaftlich gebildeter Mensch: So, jetzt, dann beweis mal deine Verschwörungstheorie.
Holger
Sagt der: Beweis mir doch das Gegenteil.
Sprecher 4
Sagt der Beweis mir mal das Gegenteil. Und dann sagst du: Das ist jetzt ein wissenschaftstheoretisches Foulspiel. Denn du stellst hier eine Behauptung auf und dann bist du in der Beweispflicht. Wissenschaftler sagen: Wenn jemand was aufstellt, eine Behauptung aufstellt, die nicht bewiesen ist und sich nicht prüfen lässt, dann kümmern wir uns darum gar nicht. Das ist heiße Luft. Und deswegen bleiben so viele falsche Behauptungen im Raum stehen, weil das Establishment oder der böse Mainstream, weil die eben sagen: Sorry, aber wissenschaftstheoretisch bist du in der Beweispflicht und wenn du das nicht kapierst, dass du die Beweispflicht hast, dann nehmen wir dich nicht weiter ernst. Dann bist du auch nicht weiter bei uns an der Hochschule. Wenn du jetzt abdriftest in irgendwelche unwissenschaftlichen Erklärungsmuster. Und deswegen ist es wissenschaftlich so ganz elementar zu sagen: Wer behauptet, belegt. Und da spielen zwei ganz wichtige Leute eine Rolle, nämlich einmal, also drei, sagen wir mal Wittgenstein als erstes, der sagt, die Wirklichkeit sind die uns umgebenden Tatsachen. Daraus leite ich dann ab: Wenn ich diese Wirklichkeit zutreffend beschreibe, dann sage ich die Wahrheit. Ganz einfach. Also wenn du jetzt gerade in meinem Studio sitzt und das stimmt und ich sage, du sitzt bei mir im Studio, dann ist das die Wahrheit. Der nächste ist natürlich dann Karl Popper. Karl Popper, der vieles gesagt hat in einem Buch. „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von 1958, sagt er. Die Verschwörungstheorien sind der Aberglaube von heute. Dadurch, dass wir nicht mehr religiös sind, dadurch, dass wir heute wissen, wie der Blitzeinschlag in der Scheune wissenschaftlich erklärt zustande kommt, sagen wir nicht mehr, dass es Gottes Strafe für das Verhalten des Bauernsohns. Ja, sondern das ist wissenschaftlich erklärbar Und dadurch, dass diese Dinge erklärbar sind infolge der Aufklärung und Säkularisierung, sucht eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen jetzt nach Möglichkeiten, andere obskure Theorien aufzustellen. Und das sind dann eben Chemtrails oder die Juden, die den Brunnen vergiften. Am Ende landen ja fast alle Verschwörungstheorien, soweit ich das überblicke, beim Antisemitismus.
Holger
Zumindest beim strukturellen Antisemitismus. Es ist also immer so eine, so eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die auf eine Ethnie oder quasi Ethnie abtastet. Der muslimische Messerstecher ist am Ende nichts anderes. Die Motive sind da ähnlich.
Thilo
Lass mich die dritte Figur noch einführen, und zwar Bertrand Russell, auch Wissenschaftstheoretiker und großer Fan von Popper. Der hat ein Modell entwickelt. Er hat gesagt: Irgendwo zwischen Erde und Mars kreist eine klitzekleine Teekanne um die Sonne. Und er weiß: Diese Teekanne, diese Behauptung kann er nicht beweisen, denn diese Teekanne ist ja so klein, dass kein Teleskop sie sieht. Und jetzt stellt er diese Behauptung in den Raum und sagt: Wenn mir jetzt jemand sagt, ich soll den Beweis führen und ich sage, führe du doch den Gegenbeweis. In dem Augenblick bin ich wissenschaftstheoretisch beim Foulspiel. Und die andere Möglichkeit ist natürlich: Du sagst, Thilo, jetzt beweis mal, was du hier sagst. Und ich überschütte dich mit weiteren Andeutungen und Behauptungen. Also ich schicke dir eine E-Mail die ellenlang ist, und schick dir YouTube-Links mit fünf Stunden Videos, die sich kein normaler Mensch anguckt. Aber wenn man sie sich anschaut, wird man immer nur mit weiteren Behauptungen überschüttet, findet keine Belege. In diesen Videos gibt es wieder Verweise zu anderen Quellen alternativer Medien. Dieses sogenannte Zitatkartell, so nennt es Klaus Gestwa, der Professor für Osteuropahistorie in Tübingen. Großartiger Mann, der sagt, es ist ein Zitatkartell. Die verweisen immer wieder aufeinander und geben dir vor, sie hätten eine Beweisführung erbracht. Sie haben aber keine Beweisführung erbracht. Es ist manipulativ, es ist demagogisch, es ist Desinformation. Und wir haben in unserer Öffentlichkeit nicht die ausreichende Bildung, um das zu erkennen, weil die Leute es weder in der Schule lernen noch in der Uni. Und wer besucht schon eine Journalistenschule? Das ist eine ganz, ganz kleine Bubble.
Holger
Und wer lernt in der Uni wirklich wissenschaftlich arbeiten? Das ist ja auch noch mal was, was gerne auch nur nur am Rande behandelt wird. Und dann wird die nächsten drei Semester Statistik gemacht.
Thilo
Ja, du machst halt im ersten Semester Formallogik. Solche Sachen, Aussagenlogik haben wir auch alles gemacht. Aber es ist: Das grundsätzliche wissenschaftliche Denken gehört – also was stimmt, was ist falsch, was ist richtig, was ist eine Annahme, was ist der Unterschied zwischen Vermuten und Wissen? Diese Dinge gehören in die Schule.
Holger
Ist dein Buch ein Buch für die Schule?
Thilo
Ich denke auf jeden Fall. Ich hatte letztens einen Vortrag in der Berufsschule hier in Nordrhein-Westfalen. Da hat mir ein Politiklehrer im Anschluss gesagt, ein Schüler hätte ihm irgendwo so by the way gesagt: Sag mal, die Polen haben doch den Zweiten Weltkrieg begonnen. Und dann sagt der Lehrer zu dem Schüler: Wie kommst du denn auf so was? Wie kommst du denn darauf? Und dann sagt der Schüler: Entschuldigung, aber das hört man doch überall. Das weiß man doch, das sagen doch alle. So, das heißt, du hast zunehmend Kinder, die von Fake News umgeben sind. Die von Quatsch umgeben sind. Und ich habe jetzt gerade gelesen, dass zum Beispiel alleine die Suchvorschläge bei Tiktok systematisch in verschwörungstheoretische Richtungen gehen. So, und Tiktok ist meines Wissens ein chinesisches Unternehmen.
Holger
Also dünnes Eis. Ist es nicht. Du bist kurz vor einer Verschwörungstheorie.
Thilo
Dann schmeiß es raus.
Holger
Also. TikTok ist ein chinesisches Unternehmen. Man kann da jetzt einen Schluss draus ziehen und der wäre dann eine Verschwörungstheorie. Nämlich die Chinesen machen das extra, um uns zu zersetzen.
Thilo
Das wäre eine … weiß ich nicht. Es ist vielleicht eine Verschwörungstheorie. Es wäre erst mal eine Hypothese. Es wäre eine Sache, die man analysieren könnte. Also es wäre möglich, daraus Rückschlüsse zu ziehen. Außerdem ist es wissenschaftlich auch in Ordnung zu sagen wir formulieren Annahmen. Nicht jede Annahme ist eine Verschwörungstheorie. Eine Verschwörungstheorie unterscheidet sich von der Annahme auch dadurch, dass es dunkle Mächte gibt, die uns bestimmen, die uns fremdbestimmen wollen, manipulieren wollen und so weiter. Und diese Verschwörungstheorien, die das behaupten, die zielen alle auf westliche Institutionen. Das heißt: Nenn mir eine Verschwörungstheorie, bei der Russland schlecht wegkommt.
Holger
Da habe ich jetzt wirklich noch nie drüber nachgedacht eine Verschwörungstheorie, der Russland schlecht wegkommt.
Thilo
Bei der China schlecht wegkommt. Nenn mir eine. Nenn mir eine, bei der nicht der Westen …
Holger
Gibt’s mit Sicherheit. Wir werden es in den Kommentaren zur Sendung zu lesen kriegen, aber aus dem Stand – ich wüsste da jetzt aus dem Stand überhaupt nichts.
Thilo
Mir fällt keine einzige ein. Mir fallen Behauptungen gegenüber Russland ein, die schlichtweg der Wahrheit entsprechen. Das ist zum Beispiel eine Trollarmee gibt, dass es gezielte Fake-News-Attacken gibt, dass es einen hybriden Krieg gibt. Das sind alles keine Verschwörungstheorien, weil es nachgewiesen ist. Aber eine einzige Verschwörungstheorie nenne mir mal bitte, bei der die Meinungsbildung am Schluss nicht antiwestlich ist, nicht antiamerikanisch und nicht antisemitisch und nicht antiliberal und nicht antidemokratisch.
Holger
Du sagst das, was man Russland vorwirft, das ist alles nachgewiesen.
Thilo
Nicht alles, das stimmt.
Holger
Jetzt gibt es aber nicht eine nicht geringe Anzahl an Menschen, die sagen: Nein. Die Nachweise sind falsch. Was mache ich mit denen?
Thilo
Also der entscheidende Punkt ist, glaube ich hier grundsätzlich zu verstehen, dass wir einen Kampf der Systeme haben. Und zwar nicht nur irgendwie Russland gegen die Ukraine, sondern es geht im Moment weltpolitisch für meine Begriffe um einen Kampf zwischen einem aufgeklärten westlichen Denken und einem das in Richtung liberale Demokratie geht. Freiheitlich demokratische Grundordnung und Rechtsstaat. Und auf der anderen Seite Totalitarismus, also Systeme, die den Bürger unterdrücken wollen, die ihm keine Freiheiten geben, die nur ihre Regime schützen wollen. Und diese Regime tun sich im Augenblick auch zusammen. Es gibt Ausnahmen, es gibt Zwischenformen, wenn eine Demokratie wie Indien zum Beispiel und so weiter. Aber was ich meine ist, es ist eine ganz grundsätzliche Frage: Wie denken wir? Denken wir transparent und trauen wir den wissenschaftlichen Institutionen oder zersetzen wir aus der totalitären Ecke das Vertrauen in diese demokratischen, wissenschaftlichen Institutionen? In dem Augenblick, in dem jemand eine wissenschaftliche Erkenntnis angreift und sagt: Das stimmt gar nicht, ist er aus meiner Sicht ein Demagoge, der eben diese freie, westliche, wissenschaftliche Denkwelt angreift.
Holger
Zumindest solange er das nicht mit wiederum den wissenschaftlichen Werkzeugen macht, die ja hinlänglich bekannt.
Thilo
Macht er ja nicht, sonst würde er ja Beweise führen.
Holger
Ja.
Thilo
Also wenn ich dir, wenn ich dir nach. Wenn ich dir darlege, dass zum Beispiel Russland massive Desinformationskampagnen fährt in Richtung Westeuropa, Wahlen beeinflusst und darauf hinauswill, dass wir hier aus der NATO austreten und er leichtes Spiel hat, da in der Ukraine und anderswo, was ja im Grunde wirklich überall nachlesbar ist. Und ich vertraue an der Stelle der westlichen Demokratie, die durch eine Art Schwarmintelligenz arbeitet. Wir sind nicht gleichgeschaltet. Weder die Wissenschaft noch die Medien sind in diesem westlichen Land oder in diesen westlichen Ländern gleichgeschaltet.
Holger
Sie sehen halt nur gleichgeschaltet aus, weil sie am Ende zu den gleichen Schlüssen kommen, was vielleicht daran liegt, dass sie tatsächlich auf Basis der Wahrheit sich ihre Meinungen bilden.
Thilo
Ja, aufgrund verschiedener Ansichten natürlich.
Holger
Ja, ja, natürlich.
Thilo
Ja, es ist auch wieder divers. Aber der Punkt ist der, ich würde es viel gröber betrachten. Der Punkt ist der, dass wir Angriffe erleben aus einer totalitären Ecke, die uns im Westen genau das vorwerfen, was diese totalitären Systeme selbst machen, nämlich Gleichschaltung, Meinungsunterdrückung. Es sterben Menschen wegen ihrer Meinung. Es werden Menschen in Haftlager, Straflager in Sibirien gesperrt wegen ihrer Meinung. Und die Verfechter dieser Position sagen uns im Westen, wir seien hier eine Diktatur, wir seien hier eine Corona-Diktatur und ich darf meine Meinung nicht mehr frei sagen in Deutschland. Dann sage ich: Darfst du doch. Facebook ist doch voll von dem Müll. Also es kann mir doch kein Querdenker sagen, er kann seine Meinung nicht frei sagen. Das Internet platzt vor diesem Quatsch. Und trotzdem nach dem Prinzip: Wir fluten, we flood the zone with shit, wie Steve Bannon gesagt hat, der frühere Trumpberater, der sagt: Es ist egal, ob eine kleine Minderheit von Intellektuellen das Phänomen durchschaut, wir pusten einfach weiter Dreck in die öffentliche Debatte. Es kommt einfach immer mehr Müll in den öffentlichen Raum und es bleibt was hängen. Irgendjemand wird es glauben. Die Konrad Adenauer Stiftung sagt, Das Potenzial der Verschwörungsgläubigen liegt bei bei 40 Prozent. Jetzt lass mal die eine oder andere Partei an der 5-Prozent-Hürde scheitern, dann machst du eine Regierung mit. Zum Glück zerfleddert sich diese Szene gerade. Aber es ist ein Kampf des voraufklärerischen Denkens gegen die moderne Welt. Es ist ein Kampf gegen die Moderne. Es geht hier um eine Regression. Es geht um einen Rückschritt in diktatorische, totalitäre Verhältnisse, die ein demokratischer, liberaler Rechtsstaat kaum bekämpfen kann, weil er eben Artikel 5 GG hat und sagt: Wir sind transparent und wir arbeiten nach dem Prinzip der Schwarmintelligenz. Nichts anderes ist ja eine Demokratie. Wir sind alle dazu eingeladen, uns öffentlich zu äußern, Ideen zu formulieren, Bücher zu schreiben, Blogs zu betreiben, Podcasts zu betreiben und Menschen aufgrund von Informationen, die wir transparent darstellen, zu motivieren, sich ihre Meinung zu bilden. Und wir erleben eine Gegenströmung, die sagt: Es ist alles gelogen, was der Westen sagt. Wenn der Westen irgendwas gegen Russland sagt, sagt diese andere Seite: Das ist alles gelogen, beweist das mal, und arbeitet auf eine Verzettelung und Zerfledderung der Diskussion hin. Es geht in diesem Kampf nicht um Wahrheit und Unwahrheit. Es geht darum, der westlichen wissenschaftlichen Welt die Luft zum Atmen zu nehmen und zu verhindern, dass wir überhaupt darlegen können, warum wir meinen, was wir meinen. Und die Lösungen für diese Welt sind nicht einfach. Die sind komplex. Und es gibt aber Menschen, die bilden sich ihre Meinung aufgrund des Anscheins, aufgrund dessen, was sie halt lesen, was sie halt hören. Und unsere Aufgabe, denke ich, als Wissenschaftlerinnen und Publizisten in dieser westlichen liberalen Welt, ist es, dieses Denken in Komplexität ein bisschen zu vermitteln und zu sagen: Wir kriegen nicht für alles eine Antwort, wir kriegen nicht für alles eine Lösung. Und Wissenschaft ist auch nie perfekt. Und Publizistik ist auch nicht fehlerlos.
Holger
Natürlich nicht.
Thilo
Also Medien machen Fehler ohne Ende. Nur bedeutet das nicht, dass der Ansatz falsch ist. Wenn westliche Medien Fehler machen. Und ich denke jetzt an die Hitlertagebücher und an Claas Relotius und – Fehler ohne Ende, aber das heißt noch lange nicht, dass das Prinzip falsch ist. Und die Demagogen von der anderen Seite sagen: Ihr beweist doch selber, dass ihr Lügenpresse seid. Das ist, wie wenn ich sage es gibt Verkehrsunfälle, also sollten wir nicht Auto fahren. Natürlich gibt es Fehler, nichts ist perfekt. Und das digitale Denken dieser Demagogen und ihrer Opfer, dieses Schwarz-Weiß-Denken „Entweder ist es so oder ist es so“, „Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind“ – dieses digitale, simple Denken, das versucht, diese Demagogie gerade bei uns im Westen zu etablieren. Und das ist echt saugefährlich, weil die allermeisten Menschen sich davon anstecken lassen und sehr einfach zu ihren Meinungen kommen und sich dann in Weltbildern verfangen, die du gar nicht mehr aufbrechen kannst, weil sie irgendwann tatsächlich aufhören, die böse Mainstreampresse zu verfolgen und tatsächlich nur noch bei diesen sogenannten alternativen Medien sich aufhalten, denen es völlig egal ist, ob sie wahre oder falsche Inhalte bringen. Denen es nur um eine politische Agenda geht und bei denen einfach der Wille besteht, unter dem Strich, nur die westlichen Demokratien zu zerstören. Das ist das einzige, was diese Medien wollen. Also heutiges Verständnis von alternativen Medien. Ich meine damit nicht irgendwelche freien Radios.
Holger
Ja, klar.
Thilo
Und die Behauptung, wir sind alternativ, die so wie die Alternativmedizin behaupten ja oder – Schulmedizin, Alternativmedizin, das ist auch so ein schönes Ding. Alternativmedizin heißt, wir brauchen keine wissenschaftlichen Beweise für unsere Wirkstoffe und die Schulmedizin – ein böses Framing – sagt halt: Na ja, du musst halt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Studie vorlegen und die muss stimmen und so, und das sind hohe Ansprüche. Und wenn dir das nicht gelingt, dann lassen wir es nicht zu, auch wenn es im Einzelfall wirkt. Ja, so und das sind die wissenschaftlichen Ansprüche und dagegen geht dieses vereinfachte, ja populistische Denken im Grunde vor. Und das ist die Gefahr. Viele Menschen lassen sich davon einfangen, weil sie nicht die Komplexität erfassen wollen oder können.
Holger
Diesen Kampf gegen die Regression, Wo nimmst du den auf? Wo sollten wir den aufnehmen? Gegenrede in den sozialen Medien? Das ist doch … – also mit Fundamentalisten zu diskutieren ist ja völlig fruchtlos.
Thilo
Ja, das hat wenig Sinn. Also meine, meine, sagen wir mal, auch das Buch, das jetzt entstanden ist. Wenn es eine Art Motto gibt, dann sage ich: Wir können uns gegen die Flut, gegen die Dreckwelle können wir uns nicht wehren. Aber wir können unsere Abwehrkräfte stärken. Und das bedeutet für mich: Wir müssen Informationskompetenz vermitteln. Das ist ein bisschen was anderes als Medienkompetenz. Medienkompetenz sagt: Okay, ist eine Quelle glaubwürdig oder nicht? Ist auch ein sinnvoller Ansatz, ohne Frage. Aber ich finde Informationskompetenz wichtig. Was ist eine Tatsache? Was ist eine Behauptung? Was ist eine Meinung? Was ist eine Vermutung? Diese Dinge zu differenzieren – was ist Manipulation und was nicht? Was ist Wirklichkeit? Was ist objektive, subjektive Wirklichkeit? Was ist eine Wahrheit? Was ist Wahrhaftigkeit? Diese Dinge zu unterscheiden. Und da gibt es eben ein Handwerk. Und dieses Handwerk ist eben das Handwerk der öffentlichen Kommunikation, das kein Mensch kennt. Und wenn wir die Menschen stärken in diesem Wissen, dann kann die Dreckwelle kommen. Aber wenn du, ich sage es mal böse dagegen geimpft bist, ist es völlig egal, wie viele Viren du am Schluss im Körper hast. Die wirken nicht. Wir müssen uns dagegen immunisieren. Ich kann nicht das Internet abschalten. Ich kann nicht einfach Server lahmlegen. Dann mache ich mir als westlicher Staat, als Rechtsstaat selber den Vorwurf, dass ich Meinungen unterdrücke. Aber ich kann zum Beispiel auch sagen, wenn ein bestimmter Demagoge die Stadthalle von Dortmund mieten will und da auftreten möchte, dass ich dann sage: nein. Meine Argumentation, ihm das zu versagen, ist jetzt nicht, dass er vielleicht Theorien äußert, die auf Antisemitismus hinauslaufen, weil dann wird jedes Gericht am Schluss sagen: Tschuldigung, ist ärgerlich, aber Meinungsfreiheit. Ja, weil die Meinungsfreiheit von Juristen halt sehr hochgehalten wird, was auch gut ist und richtig so! Aber ich könnte zum Beispiel sagen: Er äußert in diesem Vortrag massenhaft Unwahrheiten. Hier ist eine Liste von 50 Stück und die Unwahrheit ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Siehe Bundesverfassungsgericht 1982.
Holger
Diese Immunisierung durch Beibringen von Informationskompetenz: Mach mal, bring mir das mal bei. Oder sagst du, jetzt kauf mein Buch, du Arsch. Was sind die fünf goldenen Regeln oder irgendwie also irgendeine Handreichung? Das Problem ist ja: Die meisten Menschen in diesem Land, die stehen irgendwann zwischen sechs und sieben auf die gehen aus dem Haus, fahren eine Stunde zur Arbeit, buffen acht Stunden, fahren eine Stunde nach Hause und sind dann so fertig, dass sie überhaupt keinen Bock mehr haben, was anderes zu machen als fernzusehen. Ich spitze sehr zu, aber das ist zum Beispiel einer der Gründe, warum nur wenig sogenannte Blue-Collar-Worker in unseren Parlamenten sitzen. Was kann ich gerade diesen Menschen, die jetzt nicht so wie du, wie ich, wie bestimmt auch viele unserer Hörerinnen und Hörer sich tagtäglich auch damit auseinandersetzen – was kann ich diesen Menschen an die Hand geben, was sie sich praktisch neben den Fernseher kleben können, um dann abzuarbeiten, was sie da an Informationen sehen? Gibt es so was überhaupt oder ist das ein langer Prozess?
Thilo
Das ist ein langer Prozess. Es gibt vielleicht so ein paar einzelne Punkte. Also dazu gehört vielleicht: Wer behauptet, belegt. Und auch zu wissen, wie zum Beispiel öffentlich rechtlicher Rundfunk funktioniert, dass der öffentliche öffentlich rechtliche Rundfunk eben kein Staatsfunk ist. Zum Beispiel, das wissen ganz wenige. Manche wissen es und behaupten trotzdem, es sei nicht staatsfern, sondern staatsnah. Letzten Endes ist es das Verstehen unserer Öffentlichkeit, also Medien zum Beispiel, die wir in unserer Öffentlichkeit haben, die leben von einem Wettbewerb. Da geht es zum Teil darum, wer hat die Nachricht zuerst und dann sind manche Medien schnell mit was raus, was dann fehlerhaft ist. Das ist natürlich ärgerlich, aber wird sich kaum ändern lassen, weil es ein Wettbewerb ist, also ein Teil der Medienlandschaft unterliegt einem Wettbewerb. Und dieser Wettbewerb dreht sich nicht nur um Tempo, sondern er dreht sich auch um Informationsqualität. Also wer hat die News, wer hat zuerst die Information über den und den Prominenten und so weiter.
Holger
Ist das wirklich Informationsqualität? Ist das nicht Quantität? Also ist das Problem nicht eher, dass wer erster mehr …?
Thilo
Wenn du, wenn du einen Scoop hast, wenn du eine. Wenn du eine exklusive Nachricht als einziges Medium bringst. Und diese Information ist wirklich wichtig. Und alle Medien sagen Holger Klein hat es zuerst gesagt. Das meine ich mit Qualität. Und in diesem Kampf, in diesem Kampf, in einem Wettbewerb, in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb, kannst du nicht mit Fake News arbeiten. Es geht nicht. Wer also versteht, dass zum Beispiel privatwirtschaftlich organisierte Medien, also das sind ja immer noch die allermeisten, die ganzen Zeitungen und viele Radiosender und auch Fernsehsender, dass die nicht mit Fake News arbeiten können. Wenn ich sage: Oh, ich habe die tolle Exklusivmeldung und die ist dann falsch oder erweist sich als Element der russischen Propaganda, dann habe ich keinen Wettbewerbsvorteil. Und wer einmal versteht, dass wir einen Teil unserer Medien in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb haben und die deswegen schon mal nicht mit Fake News arbeiten können, wer das versteht, weiß auch: Okay, wenn ich bei RTL Nachrichten sehe, kann ich mich erst mal grundsätzlich darauf verlassen, dass stimmt, was ich höre und sehe. Dass die Fehler machen können, steht außer Frage. Aber erst mal bringen die keine Lügen. So wie die sogenannten alternativen Medien, die uns nur verwirren wollen. Und wenn ich dann noch verstehe, dass der zweite Teil der Publizistik oder des Journalismus in Deutschland öffentlich-rechtlich ist, in dem Augenblick, in dem ich verstehe, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen so eine Zwischenfunktion hat und eben auch einen Rundfunkauftrag, welcher bedeutet bilden, informieren und so weiter, dann weiß ich auch: Okay, was die berichten, kann nicht wirklich falsch sein. Es ist eben nicht so, dass es wie zu Goebbels’ Zeiten eine tägliche Ministerrunde, Ministerkonferenz gibt, bei der ein Minister für Volksaufklärung und Propaganda den Chefredakteuren der Medien sagt, was das Thema des Tages ist. Das ist in totalitären Systemen vielleicht der Fall. Und gerade die, die sagen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei gleichgeschaltet, vertreten die Position eines Regimes, in dem diese Gleichschaltung existiert. Es gibt in Russland keine Opposition mehr.
Holger
Ich kann allerdings, wenn ich möchte, hingehen und mir derart viele Einzelfälle und Indizien ranschaffen, die darauf hindeuten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk gar nicht so unabhängig ist, wie man meint, dass er ist. Und daraus kondensiere ich dann eine Wahrheit, die ich vermelde. Und meine Belege sind die Indizien, die ich gesammelt habe, dass ich sage: Aber schau mal, es ist schon hundertmal passiert. Wie oft muss es denn noch passieren, damit ihr mir alle glaubt, dass es ein Problem ist?
Thilo
Dann können wir zum Beispiel sagen Was ist der Unterschied zwischen einem Indiz und einem Beweis? Also mit Einzelfällen zu diskutieren, da ist diese Gruppe ja stark.
Holger
Ja.
Thilo
Also ich habe immer Einzelfälle, weil es ist einfach so: Die Welt ist nicht perfekt. Es ist niemals etwas hundertprozentig der Fall oder wirklich sauber oder rund oder irgendwas in der Art.
Holger
Außer wenn es regnet.
Thilo
Außer wenn es regnet. Wenn es regnet, dann regnet es. Genau. Aber jetzt schau mal, nehmen wir mal einen Unterschied zwischen Torte und Pizza.
Holger
Ja.
Thilo
Eine Pizza ist immer eine Pizza. Auch wenn da der Käse fehlt.
Holger
Ja, ja.
Thilo
Also, wenn du irgendeinen Fehler machst bei deiner Pizza, Wenn sie verbrannt ist. Es ist immer noch eine Pizza. Ja. Ja. So, Und die Torte ist immer noch eine Torte. Und diese Demagogen versuchen jetzt zu sagen: Okay, ich habe eine Pizza. Und ich sehe da diesen Fehler, jenen Fehler da ein Fehler, da ein Fehler. Und es ist gar keine Pizza. Also zu unterscheiden, was ist denn eine Summe von Einzelfällen und was ist wirklich das große Ganze? Das ist, das ist eine Kunst und eine Kompetenz. Das gehört zur Informationskompetenz dazu, dass wir sagen: Nein, ich habe vielleicht jetzt 100 Einzelfälle, aber daraus kann ich immer noch nicht das System angreifen. Also ich kann zum Beispiel auch nicht sagen, dass ich finde es ja auch gut, dass jetzt zum Beispiel die Coronapolitik aufgerollt wird, dass es darum geht. Ich fand das auch eine unzulässige Freiheitseinschränkung, dass ich nicht auf einer Parkbank sitzen durfte, zu zweit oder so oder im Wald spazieren gehen. Diese Dinge werden jetzt aufgearbeitet, sie werden für meine Begriffe zu spät aufgearbeitet. Aber es ist immer noch kein Argument zu sagen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung muss weg. Ja, das ist einfach … – weißt du, wenn die Regierung Fehler macht und der Rechtsstaat viel zu langsam da hinterher ist, also bis etwa so ein Gerichtsurteil kommt, da vergehen ja drei Jahre, dann hast du auch mal in einer in einer Demokratie Unrecht, dann gibt es das. Wir haben hier ein ganz wichtiges Prinzip: Das Recht soll dem Unrecht nicht weichen. Aber ab und zu haben wir in einer Demokratie Unrecht und auch die Amerikaner machen Fehler. Und auch die NATO macht Fehler. Das heißt aber nicht, dass das Setting falsch ist, sondern wir müssen dann die Politik dieses westlichen Verteidigungsbündnisses untersuchen und schauen: Ist unsere Demokratie, ist unsere freiheitliche Gesellschaft richtig aufgestellt? Wie lassen sich solche Fehler vermeiden? Was diese Demagogen und Einfachdenker sagen, ist: Wir sammeln 1000 Fehler aus der Demokratie, aus dem Liberalismus, aus der. Aus der freiheitlichen Welt.
Holger
… Übergriffe mit Taschenmessern …
Thilo
Ja, sowas. Und leiten daraus ab, dass das System falsch ist. Und das ist im Grunde ein wissenschaftlich gesehen unzulässiger Ebenensprung.
Holger
Aber politisch?
Thilo
Politisch ist es eine zulässige Meinungsäußerung. Rechtlich auch. Wobei (die Forderung nach einem) Regimewechsel, Regierungswechsel ist immer eine zulässige Meinungsäußerung. Was das Grundgesetz nicht will, ist, dass wir uns gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Ich kann dir ja, also ich jetzt nicht und dir auch nicht, aber nach Artikel 18 die Grundrechte aberkennen. Wenn jemand zum Beispiel Artikel 5 missbraucht, um sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen oder sie abzuschaffen, dann kann ich jemandem die Grundrechte aberkennen. Ist noch nie passiert. Aber der Rechtsstaat oder sagen wir das Grundgesetz sieht das vor. Das ist die streitbare Demokratie, das ist die Demokratie, die sich verteidigt. Und an der Stelle müssen wir einfach sagen, es ist richtig und gut und wichtig, dass die Demokratie sich an dieser Stelle verteidigt. Und wenn jemand die vielen Fehler in unserer Öffentlichkeit, in den Medien, in der Wissenschaft und in den Behörden und in der Politik zusammenzählt und daraus den Schluss zieht, dass die Demokratie der Diktatur weichen muss, dann ist das ein ganz anderer Film, als wenn jemand nur die Regierung kritisiert.
Holger
Jetzt halte ich mich für weitgehend immunisiert gegen Desinformation. Ich habe sogar ein Ding in meinem Kopf. Das bezeichne ich als Grütze-Detektor. Das ist so eine kleine Alarmglocke, die sehr früh, wenn ich Phänomene sehe, die nicht koscher sind, sage ich mal im weitesten Sinne … – und trotzdem Trotzdem falle ich immer wieder darauf rein. Wie kann ich mich gegen meine blinden Flecken immunisieren? Kann ich das überhaupt? Oder bin auch ich nicht perfekt und muss darum immer wieder reinfallen und mir darum Beistand holen? Faktenchecker am Ende dieser Sendung zum Beispiel.
Thilo
Ja, du hast das ist die Frage Woher wissen wir, dass wir uns irren?
Holger
Ja genau.
Thilo
Es gibt ein paar Möglichkeiten zu schauen, dass wir uns nicht irren. Also eine Information zum Beispiel, die wirklich zutrifft, die werde ich nicht nur in einer Quelle sehen. Ja, eine Information, die wirklich zutrifft und eine Relevanz hat, die wird in vielen verschiedenen Quellen auftauchen und sie wird auch in den sogenannten Mainstream Medien auftauchen, wenn sie zutrifft und relevant ist.
Holger
Da bin ich zuletzt tatsächlich auf eine weitgehende Desinformation reingefallen. Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der noch mal verargumentiert hat, dass Long-Covid im Wesentlichen eine psychosomatische Erkrankung ist. Zu diesem Zeitpunkt war schon bekannt, dass das nicht so ist, dass es organische Ursachen hat, dass es sogar organische Marker gibt, an denen man Long-Covid erkennen kann. Trotzdem durfte da jemand, der sowieso habe ich dann später tatsächlich einen Hörer oder eine Hörerin oder mehrere dieser Sendung haben mir dann geschrieben, haben gesagt dieser Typ ist total unsauber. Der verbreitet seit Ewigkeiten, es ist eh alles psychosomatisch. Die sollen sich alle mal nicht so anstellen. Das stand in der Süddeutschen Zeitung. Psychosomatik is a thing. Es ist ja nicht. Das ist ja nicht wieder an sich eine Verschwörungstheorie. Das heißt, dieser Artikel ist durch jegliche Plausibilitätsprüfung meines Grütze-Detektors gefallen und ich habe es hinterher als Wahrheit verbreitet. Hätte ich da überhaupt was gegen tun können?
Thilo
Also einmal, dass es in der Süddeutschen erschienen ist, ist schon schade.
Holger
Zumal die eine sehr gute Wissenschaftsredaktion haben.
Thilo
Ja eben. Aber vielleicht. Vielleicht sind die auch darauf reingefallen, dass sie sagen, es ist eine Meinung. Aber eine Falschbehauptung ist keine Meinung. Das ist, das ist das müssen wir uns einfach, müssen wir uns einfach klarmachen.
Holger
So war der Artikel auch tatsächlich. Also: Das ist psychosomatisch. Das sagen auch ganz viele andere. Darum ist es psychosomatisch. Zirkelschluss.
Thilo
Wenn jemand behauptet behauptet, es gibt Außerirdische, ja, dann kannst du das … – dann ist das weder bewiesen noch widerlegt. Es ist noch nicht prüfbar. Keine Chance. Es ist wie Russells Teekanne. Du kannst es nicht prüfen. Was macht jetzt das Medienrecht? Das Medienrecht sagt, dass eine zulässige Meinungsäußerung. Weil wir es nicht prüfen können. Ja. Ist es eine Meinung? Was sagt Publizistik und Wissenschaft? Die sagen: Zeig uns die Außerirdischen.
Holger
Ist eine Hypothese.
Thilo
Ist eine Hypothese. Das heißt, Wissenschaft und Publizistik sagen, es ist eine Tatsachenbehauptung. Das Medienrecht lässt vieles als Meinungsäußerung durchgehen, um am Schluss die Meinungsfreiheit nicht zu gefährden. Was auch richtig ist, gut ist. Betroffene springen im Kreis und sagen: Das ist unrecht, dass der das über mich behaupten darf. Aber Richter sagen und Richterinnen sagen eben dann: Lass es durchgehen, weil wir einfach nicht als Justiz Artikel 5 gefährden wollen. Wir wollen im Zweifel das durchgehen lassen. Und das ist eben dieses Einfallstor für Demokratiegefährdung. Und dadurch haben auch durch dieses medienrechtliche Verständnis – im Zweifel ist alles Meinung oder vieles – kommt dann sowas zustande, dass irgendeine wissenschaftlich völlig krude und unhaltbare Behauptung, längst widerlegt, in einem etablierten Medium landet, weil da jemand missversteht: Was ist eine Behauptung, was ist eine Meinung? Du hast auch in Talkshows immer wieder Leute sitzen, die brauchen … Dass eine Talkshow überhaupt im Nachgang Faktenchecks braucht, ist schlimm, ja. Aber es liegt daran, dass sie halt Leute einladen, die lügen am laufenden Band und dass sie nicht erkennen, dass das keine zulässige oder sagen wir mal keine qualifizierte Meinung ist. Einen Lügner einzuladen, ist nicht der fehlende Part. „Der fehlende Part“, so hieß eine Sendung von RT und die haben Fake News verbreitet, um einfach nur zu sagen: Das ist die Wahrheit, die die Mainstreampresse verschweigt. Machen einen eigenen Kanal auf, isolieren einen Teil der Gesellschaft, der sich davon einfangen lässt, die dann auch. Den sie dann noch sagen sollte nicht mehr Tagesschau gucken, nicht mehr heute journal gucken, sondern liest nur noch. Unsere alternativen Medien kommen in unsere Bubble.
Holger
Und in dem Moment kannst du dann auch juristisch dagegen vorgehen, was die EU ja gemacht hat bei RT.
Holger
Bei RT. Wobei das ist jetzt zu viel zu viel unwahre Tatsachenbehauptung. Bitte abschalten, wenn du es dir genau anschaust.
Thilo
Die Geschichte mit RT. Die Begründung seitens der EU war, dass es Propaganda gegen die Ukraine war. Es war nicht irgendwas mit Tatsachenbehauptungen oder Meinungen.
Holger
Okay, das müssen wir noch mal neu diskutieren.
Thilo
Genau. Und das ist ein wichtiger Punkt, denn es fällt einer westlichen Gesellschaft sehr schwer, Äußerungen zu unterbinden. Also zum Beispiel: Die Auschwitzlüge ist wahrscheinlich eine der wenigen wirklich klar definierten Unwahrheiten, die du nicht äußern darfst per Gesetz. Aber es gibt noch so viele weitere. Jetzt gerade im Talk gehört: Die Krim gehört doch zu Russland, weil dort die Schwarzmeerflotte stationiert ist. Was sind das für ein Argument? Die Schwarzmeerflotte ist seit ewigen Zeiten … – also es gab einen Vertrag zwischen der Ukraine und Russland für diese Stationierung dieser Flotte, damit Russland einen Zugang zum Schwarzen Meer hat. Die Ukraine hat sich nie dagegen gesträubt, dass Russland einen militärischen Zugang zum Schwarzen Meer hat. Und jetzt kommt einer, der sagt, Daniele Ganser aus der Schweiz, der Historiker, der sagt: Die Krim gehört zu Russland, weil da die Schwarzmeerflotte ist. So, das ist völkerrechtlicher Schwachsinn, das ist Unsinn. Die Krim gehört zur Ukraine, fertig. Und wer jetzt sagt, die Krim gehört zu Russland und das dann begründet mit der Schwarzmeerflotte, der verbreitet russische Propaganda ganz einfach und damit auch antiwestliche Propaganda. Und wenn ich, wenn ich dann so jemanden in eine Talkshow einlade und ich muss danach einen Faktencheck machen, ist das peinlich.
Holger
Aber wohin wird der Mann denn noch eingeladen? Ist er nicht sowieso nur noch bei diesen alternativen Medien zu sehen?
Thilo
Holger, du sagst „sowieso nur noch“. Weißt du, was die für Reichweiten haben?
Holger
Okay, Point taken.
Thilo
Ganser ist in diesem Zitat Kartell extrem aktiv. Und es geht eigentlich bei diesem Zitatkartell um Gedankenrecycling, ständiges Bestätigen von Vorurteilen, Weltbildern, Fehlannahmen und Lügen. Also nicht alles, was Ganser sagt, ist gelogen.
Holger
Nee, nee. Der ist ja erst berühmt geworden dadurch, dass er tatsächlich eine Verschwörung aufgedeckt hat. Das war damals, glaube ich, Gladio. Diese Armeen im Hintergrund, Geheimarmeen im Hintergrund. Jetzt kriege ich es auch nicht mehr genau zusammen. Egal. Tu ich in die Shownotes. Ja, das hat ihn ja berühmt gemacht. Und das hat dazu geführt, dass sie ihm alles glauben, was er sagt, ist so mein Eindruck.
Thilo
Und er ist. Er ist halt aktiv an der Stelle, indem er Verschwörungstheorien verbreitet oder sagen wir mal Theorien verbreitet, die am Schluss aufs Konto Putins gehen. Er sagt natürlich in seinem Vortrag erst mal: Putin kriegt eine rote Karte, weil der Einmarsch in der Ukraine illegal war. Das ist nett, das ist hübsch. Ja, das ist das Feigenblatt. So, ansonsten ist das im Grunde alles das Unterstützen des antiwestlichen Ressentiments. Ja, was er macht. Und das verstehe ich eben nicht, weil ich sage mal, die Schweiz, der er seinen Wohlstand verdankt, ja, das ist eine freiheitliche Demokratie. Die Schweiz hat auch einen sehr viel freieren Begriff von Meinungsfreiheit als wir. Du hast auch zum Beispiel in den ganzen therapeutischen Berufen sind in der Schweiz also es stehen Geistheiler im Telefonbuch.
Holger
(lacht)
Thilo
Die Schweiz ist da sehr viel freier. Deswegen auch sehr viel attraktiver für die alternative Szene. Und ich habe gar nichts gegen die alternative Szene. Ich finde es auch völlig in Ordnung, wenn jemand sich dem Spiritualismus oder der Spiritualität hingibt oder der Esoterik. Nur wir müssen halt aufpassen. Es gibt tatsächlich diese Schnittmengen dann von diesem alternativen esoterischen Denken hin zum Antisemitismus und hin zum Okkultismus und hin zu den Verschwörungstheorien. Das ist eben eine große gedankliche Menge, die man mal irgendwann differenzieren sollte. Und da ist Daniele Ganser wahrscheinlich durch seine Schweizer Herkunft eben geprägt durch dieses „Lass mich doch sagen, was ich will“, dann wird er abgelehnt von vielen, vor allem in Deutschland, allerdings auch von Schweizer Hochschulen inzwischen, und dann sagt er: Die zensieren mich. Und dann glaubt seine Community das, weil die Community nicht weiß, was Zensur ist. Ja, also Qualitätskontrolle ist ja nur keine Zensur.
Holger
Nö.
Thilo
Wenn jemand Unsinn erzählt und du sagst ihm, du erzählst Unsinn, ist das ja keine Zensur.
Holger
Wenn jemand sagt: Du kommst hier nicht mehr rein, damit du diesen Unsinn in meinem Haus nicht mehr verbreitest, dann ist das ja immer noch keine Zensur.
Thilo
Schreib dein eigenes Buch, mach dein eigenes Blog, Darfst du ja, kannst ja machen. Zensiert immer noch keiner. Der Punkt ist ganz wichtig, wenn jemand die Unwahrheit erzählt und du widersprichst und sagst: Das ist eine Lüge, dann sagt der: Du sprichst mir mein Recht auf freie Meinungsäußerung ab. Und das ist ein Foulspiel, weil es eine Ebenenverschiebung ist. Und das gehört zur Informationskompetenz, dass wir das erkennen.
Holger
Was du da in dieses Buch geschrieben hast, was du jetzt gerade erzählt hast, wärst du in der Lage … – vielleicht hast du es auch längst getan. Also je früher man anfängt, Informationskompetenz zu vermitteln, desto besser. Das heißt idealerweise irgendwo, vielleicht sogar noch vor der Pubertät, weil in der Pubertät haben Menschen andere Sorgen. Wärst du in der Lage, das in ein Seminar, in ein workshopartiges Ding zu gießen, das eine Schulstunde dauert, weil länger kriegst du das ja kaum den Leuten vermittelt?
Thilo
Das sollte gehen. Ja, das sollte gehen. Also um Kindern das Prinzip zu vermitteln, denke ich geht. Ich würde das Thema selber aber eher bei der Oberstufe verorten.
Holger
Ist es da nicht vielleicht schon zu spät, weil du dann schon viel zu viel zu viel Widerstandsgeist durch Fehlinformationen in diesen Klassenräumen hast?
Thilo
Ja, und wir müssen auch alle erreichen, nicht nur Abiturienten. Ja, das ist auch wichtig.
Holger
Stimmt.
Thilo
Ja. Aber prinzipiell würde ich es schon mit 16, 17 sehen. Vielleicht auch mit 14? Keine Ahnung. Ich würde es auf jeden Fall … – ich denke, es geht. Es gehört für meine Begriffe auf jeden Fall ins politisch, ins Fach Politik. Vielleicht kann man da auch an den Schulen, also was ich ja, was ich ja sowieso mache, sind Vorträge und und solche Dinge zum Thema das geht ja jederzeit, dass man sagt: Okay, wir machen in der Schule mal eine Veranstaltung. Es richtet sich aber auch nicht nur an die Schüler, es richtet sich auch an die Lehrer, die dann gegen diese, gegen diese Fake News kämpfen müssen, von der ich gesagt habe: Da erzählt ein Schüler, die Polen haben doch den Zweiten Weltkrieg begonnen – wie reagiere ich jetzt als Lehrer? Ja, also. Und die Lehrerinnen und Lehrer, die ich kenne, die kennen die Prinzipien der wissen wirklich gar nichts gegen Lehrerinnen und Lehrer, die machen einen tollen Job. Aber an der Journalistenschule waren sie trotzdem nicht. Und die Überlegung: Wie reagiere ich auf eine unbelegte Behauptung, die sich nicht prüfen lässt? Da haben die nichts in der Hosentasche, was sie gleich zücken können. Und dieses Handwerkszeug gehört nicht nur zu den Schülern, es gehört zu den Lehrern, es gehört zu den Eltern.
Holger
Thilo Baum Vielen Dank.
Thilo
Ich danke dir, Holger.
Holger
Und Thilos Buch Immun gegen Unsinn. Wie wir uns eine fundierte Meinung bilden, erscheint Mitte September 2024.
@ 2024 Haus eins
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