Der Kern nahezu aller Verschwörungstheorien besteht aus unbewiesenen Behauptungen, die sich zugleich nicht oder nur schwer widerlegen lassen. Zweifeln Sie an einer Behauptung, fordern die Demagogen Sie auf, den Gegenbeweis zu führen – doch das ist meist unmöglich. Es ist nicht die einzige unwissenschaftliche Vorgehensweise der Verschwörungsideologen und -unternehmer: Entlarven Sie eine Aussage tatsächlich einmal als falsch, werden die Verfechter von Verschwörungstheorien Ihren Einwand ignorieren und weitere unbewiesene Behauptungen aufstellen. So begründen sie den einen Unsinn durch den nächsten. Eine Schwachsinnsspirale, die immer mehr Menschen in den Sumpf zieht – in einen Sumpf aus Tätern und nützlichen Idioten.
(Redaktionell bearbeitetes Transkript der gleichnamigen Podcastfolge)
Heute habe ich einen Gedanken für Sie, der in der aktuellen Zeit aus meiner Sicht sehr wichtig ist. Es geht um die Frage: Wie funktioniert Desinformation? Wie funktionieren Fake-News? Wie funktionieren Verschwörungstheorien und Ähnliches?
Es gibt eine ganze Menge Verschwörungstheorien, wie Sie wissen, und es gibt auch eine ganze Menge Menschen, die diesen Verschwörungstheorien Glauben schenken.
Ich denke, ich habe einen Kern herausgefunden, also eine Art Gemeinsamkeit aller Verschwörungstheorien. Es gibt tatsächlich ein Merkmal, das die allermeisten Verschwörungstheorien gemeinsam haben. Diese Eigenschaften eignen sich auch ganz hervorragend dazu, Menschen zu manipulieren, sie zu verunsichern und eine Gesellschaft zu destabilisieren.
Die Überschrift verrät es bereits: Das Merkmal dieser Informationen oder Aussagen ist, dass sie unbewiesen und zugleich unwiderlegbar sind.
Das ist jetzt erst mal ein dickes Brett, das weiß ich auch. Lassen Sie mich das mal ganz langsam auseinandernehmen.
Wissenschaftliches Denken in Hypothesen
Also: Wir haben zunächst einmal eine unbewiesene Information. Eine unbewiesene Information ist keine Tatsache. Sie ist keine gesicherte Erkenntnis, sondern eine Annahme oder Behauptung oder meinetwegen Hypothese – also eine Annahme, die möglicherweise der Fall sein könnte.
Nun wissen wir nicht, ob diese Annahme tatsächlich zutrifft – und deswegen gilt sie nicht als wahr. Sie gilt allerdings auch nicht als unwahr, denn ihr Gegenteil ist ebenfalls nicht bewiesen.
Ja, okay, da laufen wir ein bisschen Gefahr, uns die Gehirne zu verknoten. Ich weiß das auch. Deswegen nehmen wir ein einfaches Beispiel. Nehmen wir die These, es gäbe Außerirdische. Jetzt kann ich mich natürlich fragen: Meine Güte, warum sollte es denn keine Außerirdischen geben bei diesem riesigen Weltall? Aber lassen Sie uns das mal Stück für Stück anschauen.
Also wir nehmen die These, es gäbe Außerirdische. Diese These ist nicht bewiesen. Es gibt also keinerlei Beweis für außerterrestrisches Leben. Wir haben also eine Behauptung, eine Vermutung, eine Annahme.
Und jetzt kommt zu der Tatsache, dass diese Annahme unbewiesen ist, ein zweites Merkmal hinzu. Sie ist nicht widerlegbar. Sie können die Behauptung, es gäbe Außerirdische, nicht widerlegen. Sie müssten dazu das gesamte Weltall durchkämmen. Und das ist wohl nicht möglich. Wenn Sie aber nicht das gesamte Weltall durchkämmen können, dann können Sie den Gegenbeweis nicht antreten gegen die These, es gäbe Außerirdische.
Das ist ein ganz einfaches Beispiel für eine unbewiesene und zugleich unwiderlegbare Behauptung, das wir alle kennen.
Karl Popper: Thesen sollten überprüfbar sein
Für den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper (1902–1994) war es sehr wichtig, dass sich Thesen widerlegen lassen. Popper hat in seinem wohl wichtigsten Buch „Logik der Forschung“ etwas darüber geschrieben.
Es ging ihm, wenn ich das richtig verstehe, nicht darum, Aussagen oder Behauptungen zu qualifizieren, als unwissenschaftlich oder unzulässig, sondern er wollte mit seinem Falsifikationismus zunächst einmal darauf hinaus, dass eine These widerlegbar sein muss, also insofern, dass wir den Gegenbeweis antreten können. Also ein Forscher, ein Wissenschaftler sollte so freundlich sein und uns die Möglichkeit geben, dass wir seine Behauptungen hinterfragen. Und natürlich, wenn er seriös ist, wird er sie auch selber hinterfragen.
In dem Moment, in dem ein Wissenschaftler nicht mehr wissenschaftlich denkt und seine These verteidigt, weil er zum Beispiel an einem bestimmten Weltbild festhält und nicht mehr an der wissenschaftlichen Erkenntnis, in diesem Moment ist er kein Wissenschaftler mehr, sondern Ideologe.
Grundsatz des klaren Denkens: Wer behauptet, beweist
Wenn also jemand an der These, es gäbe Außerirdische, festhält, ohne es beweisen zu können, dann könnte der Hintergrund eine Ideologie sein, ein Glaube, eine Religion. Das Wort „Glauben“ sagt es schon: Wir wissen nicht, ob es Gott gibt. Wir glauben es. Das heißt, wir gehen davon aus. Das ist nicht Wissen.
Jetzt stellen Sie sich vor, dass Sie eine Behauptung nicht widerlegen können. Also ganz grundsätzlich nicht. So wie die These, es gäbe Außerirdische. Wenn jetzt jemand daherkommt und behauptet: „Hey, es gibt Außerirdische“, dann stehen Sie erst mal vor einer Wand und sagen: „Na ja, meines Wissens nicht.“
Jetzt sagt Ihr Gegenüber: „Na, dann beweis mal, dass es keine Außerirdischen gibt.“
Und hier sind wir schon bei dem ersten Verstoß gegen die wissenschaftlichen Regeln, die im Grunde seit der Aufklärung gelten. Wenn jemand etwas Neues behauptet, was dem bisherigen Stand der Kenntnis des Wissens, dem Stand der Kunst widerspricht, dann hat er den Beweis anzutreten – nach der Regel: „Wer behauptet, beweist“.
Wissenschaft wirft Unwissenschaftliches aus guten Gründen raus
Wir haben einen Kanon an Wissen. Zu diesem gehört: Wir haben bislang keine Kenntnis von Außerirdischen, halten sie aber nicht für unmöglich.
Wenn jetzt jemand sagt, es gibt Außerirdische, dann möge er das also bitte beweisen. Wenn er das nicht kann, dann machen wir die Akte wieder zu und warten ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte, bis es jemand beweisen kann. Verstehen Sie, was ich meine?
Wenn dieser Mensch nun sagt, Sie müssten den Beweis antreten, dass es keine Außerirdischen gibt, dann haben Sie es hier mit einer unzulässigen Beweislastumkehr zu tun. Ein Verstoß gegen wissenschaftliche Gepflogenheiten.
Wenn Sie wissenschaftlich so arbeiten, an einer Universität zum Beispiel, oder wenn Sie Bücher publizieren und in den Klappentext schreiben, Sie seien Wissenschaftler an dieser und jener Uni, dann werden Sie auf Dauer Probleme bekommen. Nicht weil jemand Ihre Meinungsfreiheit einschränken will. Sie dürfen Blödsinn verzapfen, so viel sie wollen. Nur will dann eine Uni nicht, dass ihr Logo draufsteht oder ihr Name erwähnt wird.
Zulässige, unzulässige, qualifizierte und unqualifizierte Äußerungen
In dieser Podcast-Reihe habe ich schon öfter mal über Medienrecht gesprochen. Also über die Frage: Wann sind Behauptungen oder überhaupt Äußerungen zulässig? Es gibt ja Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen. Tatsachenbehauptungen behaupten einen Fakt. Sie können also sagen: „Die Sonne scheint.“ Das ist eine Tatsachenbehauptung. Sie können den Beweis antreten, indem Sie durchs Fenster schauen und es bestätigen oder widerlegen.
Sie können nicht argumentieren, dass die Sonne scheint. Eine Tatsachenbehauptung lässt sich beweisen oder widerlegen. Sie lässt sich nicht argumentieren.
Dass das Wetter schön ist, können sie dagegen argumentieren. Meinungsäußerungen können sie argumentieren. „Mensch, jetzt guck doch mal hin. Jetzt hör mir doch mal zu. Jetzt schau doch mal. Jetzt sei doch mal ehrlich zu dir selbst, ist das Wetter nicht wundervoll?“ Das ist eine Argumentation. Ich versuche den anderen zu überzeugen. Von einem Fakt, von einer Tatsache kann ich niemanden überzeugen. Ich kann Sie nicht davon überzeugen, dass die Sonne scheint. Es ist entweder so oder es ist nicht so.
Der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen ist erst mal ganz wichtig. Und dann stellen wir die Frage: Welche Äußerungen sind medienrechtlich zulässig?
Jetzt sagt also jemand: „Es gibt Außerirdische.“ Dann wird das Medienrecht sagen: „Naja, wir haben weder einen Beweis dafür noch einen Beweis dagegen. Diese Äußerung verletzt niemanden in seinen Rechten. Also ist diese Äußerung zulässig.“ Während das Medienrecht eine solche Aussage wahrscheinlich durchgehen lässt (ich sage „wahrscheinlich“, weil solche banalen Fälle selten vor Gericht landen), lässt der Wissenschaftsbetrieb sie nicht durchgehen.
Es geht im Wissenschaftsbetrieb und auch im Medienbetrieb nicht darum, ob Äußerungen zulässig sind oder unzulässig. Es geht ihnen darum, ob Äußerungen qualifiziert sind oder unqualifiziert.
Die Zulässigkeit ist im Redaktionsalltag in aller Regel das geringste Problem. Die allermeisten Äußerungen sind schon zulässig.
Es ist keine Zensur, unqualifizierte Äußerungen abzulehnen
Das Problem ist, dass viele Äußerungen unqualifiziert sind, weil sie entweder nicht stimmen, weil sie falsch eingeordnet sind, weil sie Blödsinn sind und so weiter. Etwas ist möglicherweise medienrechtlich zulässig, aber eben dann für eine Redaktion ein Grund zu sagen: „Nein, diesen Leserbrief drucken wir nicht ab. Da steht einfach zu viel Quatsch drin. Die Logik ist nicht gegeben, der Absender denkt wirr. Es ist keine strukturierte Gedankenführung. Es geht nicht ein klares Thema. Es sind Fragmente. Es gelingt ihm nicht, eine Argumentationslinie zu bauen.“
Das sind die Gründe, warum Leserbriefe nicht in der Zeitung landen. Neben dem Umstand natürlich, dass nur begrenzt Platz ist.
Jetzt schreien Menschen, die mit ihren unqualifizierten Äußerungen nicht in die Öffentlichkeit kommen: „Zensur!“ Oder Wissenschaftler, die plötzlich mit unqualifizierten Äußerungen an die Öffentlichkeit gehen, schreien „Zensur!“, weil sie sich wundern, dass ihre Universitätsinstitute sie rauswerfen. Und dieser Vorwurf der Zensur ist natürlich Unsinn.
Es ist keine Zensur, wenn wir unqualifizierte Äußerungen nicht durchlassen.
Und jetzt schauen wir noch mal nach diesem Grundgedanken „unbewiesen und unwiderlegbar“.
Nur was bewiesen ist, gilt als wahr
Fürs wissenschaftliche Denken und damit auch fürs journalistische Denken gilt: Entweder ist etwas Fakt, dann können wir es beweisen und möglicherweise publizieren. Eine wahre Aussage können wir publizieren, solange wir damit keine Rechte verletzen (auch Tatsachenbehauptungen können unzulässig sein, wenn wir zum Beispiel Intimitäten ausplaudern). Also wenn eine Tatsache zutrifft, wenn wir sicher sind, dass diese Information stimmt. Es gab an dem und dem Tag um so und so viel Uhr tatsächlich diesen Unfall oder Einbruch. Wenn wir das verifiziert haben, dann können wir darüber berichten.
Genauso geht der Wissenschaftsbetrieb vor:
- Entweder haben wir etwas nicht bewiesen, dann ist es eine Behauptung und auch bitte als solche gekennzeichnet. Es spricht nichts gegen Vermutungen. Vermutungen sind die Basis für den Erkenntnisgewinn, allerdings unter der Voraussetzung, dass wir sie als Vermutung gekennzeichnet haben und sie nicht als wahre Tatsache ausgeben.
- Oder aber eine Tatsache ist bewiesen. Wir haben sie als gesicherte Erkenntnis. Dann können wir davon ausgehen, dass diese Information stimmt und bezeichnen sie als „wahr“. Eine unbelegte Behauptung ist in der Wissenschaft eine Hypothese und wird genau so genannt.
Das heißt, der Wissenschaftler sagt: „Wir gehen davon aus, …“ oder „Wir vermuten …“, „Wir setzen mal voraus, …“. Und jetzt kommt unsere Hypothese. Und dann entwickelt sich das ganze Forschungs-Setting, mit dem wir dann versuchen, diese Informationen zu verifizieren.
Wer Gegenbeweise für unprüfbare Behauptungen verlangt, handelt unlauter
Was Karl Popper ins Spiel gebracht hat 1934, war der Gedanke: Lasst uns doch versuchen, die These anzugreifen. Lasst uns doch Feststellungen finden, die diese These angreifen können. Daraus kommt der Grundgedanke zu sagen: Eine These, eine Behauptung, sollte auch widerlegbar sein.
Wenn jetzt ein Wissenschaftler sagt, es gibt Außerirdische, oder er sagt: „Wer kann mir denn beweisen, dass es keine gibt?“ – dann betreibt dieser Wissenschaftler eine Beweislastumkehr. In dem Moment wird der Wissenschaftsbetrieb sagen: „Okay, danke, Ende. Du spielst nicht mehr mit, weil du den Ruf unserer gesamten Universität gefährdest und aller seriösen Leute, die dort mühsam und in akribischer Kleinarbeit nach wissenschaftlichen Grundlagen ihre Arbeit tun.“
Ich meine, wer das nicht kapiert, kapiert es nicht. Unbestritten. Das hat ja Dieter Bohlen auch mal gesagt: „Sag mal einem Bekloppten, dass er bekloppt ist.“ Es wird nicht gelingen. Es gibt Menschen, die es grundsätzlich nicht verstehen – sei es aus mangelnder Intelligenz oder mangelndem Verständnis. Oder vielleicht sind sie geprimed durch ein Weltbild, durch ein Narrativ, durch eine Prämisse im Denken, in der sie die einsamen Kämpfer gegen den Mainstream sind.
Wenn jemand so denkt, dann ist es natürlich möglich, dass er seine Lage völlig falsch einschätzt und sich tatsächlich als den unschuldig Verfolgten fühlt. Während die Realität genau das Gegenteil darstellt. Dieser eine Mensch versucht, durch wirre Behauptungen, unbelegt und auch nicht widerlegbar, den Ruf einer Universität zu schädigen.
Verschwörungsideologen zerreden Kritik und Widerspruch
Also: Zu beweisen, dass es keine Außerirdischen gibt – diesen Beweis treten Sie bitte erst mal an. Sie werden kläglich scheitern. Es wird nicht gelingen. Wenn ich behaupte, auf dem Planeten Mars gäbe es irgendwo ganz hinten versteckt eine Höhle und in dieser Höhle läge ein kaputter Staubsauger – dann gehen wir ja erst mal davon aus, dass wir die Worte anderer Menschen gelten lassen. Es ist ja unhöflich zu sagen: „Du erzählst hier Schwachsinn, halt’s Maul.“ Das macht man ja nicht. Das heißt, wir lassen erst mal gelten, was jemand sagt. Aufgrund einer Konvention, einer gesellschaftlichen Norm lassen wir das erst mal gelten. Ich behaupte jetzt also, in dieser Höhle da hinten auf dem Mars liegt ein kaputter Staubsauger. Und dann sagen Sie, das sei Unsinn. Daraufhin sage ich: „Wieso? Hast du die Höhle denn gesehen?“
Jetzt bin ich wie ein Verschwörungstheoretiker beim Zerreden. Und ich drehe die Beweislast um und wälze sie auf Sie ab – weil Sie bezweifeln, was ich sage. Sie haben die Frechheit, an meinen Worten zu zweifeln.
Dann erhebe ich zudem einen Vorwurf, der durch eine soziale Norm gerechtfertigt ist: Es gehört sich nicht, jemanden zu sagen, er würde Bullshit erzählen. Das tun die Leute aber, wenn ich sage, in dieser Höhle auf dem Mars liegt ein kaputter Staubsauger. Sie haben es mit einer unwiderlegbaren These zu tun.
Methode: Schwachsinn verbreiten ist leichter, als ihn zu widerlegen
Sie können zwar sagen: „Moment mal, der Mensch war noch nicht auf dem Mars und deswegen kann dort kein Staubsauger liegen.“ Dann werde ich erwidern: „Unsauber argumentiert! Das ist kein Gegenbeweis. Sie leiten etwas ab. Sie vollziehen eine Folgerung. Sie ziehen einen Schluss. Aus irgendwelchen Anhaltspunkten glauben Sie ableiten zu können, dass da kein Staubsauger liegen kann. Vielleicht ist er durch Hexerei hingeflogen. Vielleicht war er vor 200 Millionen Jahren schon da, weil sich die Menschheitsgeschichte und die komplette Welt, der Kosmos, wiederholen und in einer Endlosschleife drehen.“
Ich stelle eine schwachsinnige Begründung nach der anderen auf. Dass die Menschheit sich wiederholt über Jahrmillionen und -milliarden – treten Sie da mal den Gegenbeweis an.
Und das ist der Kern bei einer Verschwörungstheorie. Sie stellen eine Behauptung auf, die sich nicht widerlegen lässt. Wenn dann Gegenwind kommt, bringen Sie zur Begründung weitere Behauptungen an, die sich ebenfalls nicht widerlegen lassen. Ihr Gegenüber ist verzweifelt dabei zu versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, aber Sie ersticken diesen Menschen einfach in einer Fülle von Unwahrheiten, von unbelegten und unbeweisbaren Behauptungen, die ihn auf Dauer irre machen.
Deswegen haben Verschwörungserzählungen einen solchen Erfolg: Es ist viel leichter, einen Schwachsinn nach dem anderen rauszupusten, als mühsam akribisch nach wissenschaftlichen Kriterien diese Lügen nachzuweisen und auf der Wahrheit zu beharren. Das ist das, womit Verschwörungsideologen arbeiten. Verschwörungsunternehmer, die von Büchern und Vorträgen leben, indem sie Verschwörungstheorien verbreiten.
Negative Fragen: Niemand kann etwas ausschließen, was er nicht weiß
Damit verwandt ist übrigens auch die negative Frage. Sie kennen das aus dem Journalismus. „Können Sie ausschließen, dass …?“ Da sitzen Sie dann in der Falle als Politiker. Können Sie ausschließen, dass jemand im Vorstand Geld von der Industrie angenommen hat? Und die These befindet sich vor einem Fragezeichen. Aber sie ist trotzdem eine These. „Ich stelle ja nur Fragen“, sagt die halbe Verschwörungsszene.
Aber diese Fragen haben es in sich. Diese Fragen transportieren genau die unwiderlegbaren Behauptungen, die Sie als Demagoge brauchen, um auf Dauer eine westliche Öffentlichkeit zu verwirren und zu verunsichern und am Ende zu destabilisieren. Alle, die auf diese Weise arbeiten, die sagen: „Ich stelle ja nur Fragen“, aber in diesen Fragen unbewiesene und unwiderlegbare Behauptungen transportieren, sind Täter. Demagogen.
Also: Kein Politiker kann etwas ausschließen. Kein Mensch kann etwas ausschließen, denn Sie können nicht mit Sicherheit sagen, dass keiner Ihrer Kollegen Geld von der Industrie angenommen hat. Wie denn auch? Sie überwachen die Leute ja nicht Schritt auf Schritt, sondern sie treffen sie ab und zu mal. Was im Hintergrund läuft, wer mit wem telefoniert, können Sie nicht wissen. Deswegen können Sie auch nichts ausschließen.
Jetzt antworten Sie dem Journalisten wahrheitsgemäß: „Lieber Journalist, nein, ich kann es nicht ausschließen.“ Was steht am nächsten Tag in der Zeitung? Dass Sie es für möglich halten. Auch Journalisten arbeiten mitunter unsauber. Das ist ein Beispiel dafür. Sie sagen, Sie können etwas nicht ausschließen, weil es so ist. Sie werden niemals behaupten, Sie könnten etwas ausschließen, wenn Sie nicht ganz sicher sind.
Also natürlich können Sie ausschließen, dass Sie gestern in Hamburg waren, wenn Sie den ganzen Tag in Köln verbracht haben. Aber es geht mir nicht diese Banalitäten. Es geht mir darum, wenn Rhetorik hart wie im Krieg wirken soll. Wenn es darum geht, dass Demagogen und Lügner durch Desinformation und Fake-News versuchen, uns zu verunsichern.
Verschwörungsideologen begründen unwiderlegbare Thesen mit unwiderlegbaren Thesen
Bei der negativen Frage „Können Sie ausschließen, …?“ haben wir genau das gleiche Phänomen wie bei der unwiderlegbaren Behauptung. Sie können nicht das ganze Weltall nach Lebewesen durchsuchen und auch nicht den Mars nach einem Staubsauger.
Und jetzt schauen Sie sich mal die Verschwörungstheorien an, die es so gibt, also zum Beispiel die „Chemtrails“. Über die Kondensstreifen von Flugzeugen würden Chemikalien versprüht, die irgendeine Funktion erfüllen, uns einlullen, gefügig machen, umbringen, was auch immer. Das ist die Chemtrails-Theorie. Die ist unbewiesen. Bisher hat noch nie irgendjemand den Beweis angetreten.
Und diese Behauptung ist auch nicht widerlegbar. Sie können den Kapitän der nächsten Maschine fragen, in die Sie steigen. Er wird Ihnen sagen: „Da ist nichts dran.“
Daraufhin wird der Verschwörungsideologe sagen: „Na ja, der Kapitän ist eben selber Teil der Verschwörung.“ Das ist die nächste Behauptung: Der Kapitän sei Teil der Verschwörung. Wieder eine unbewiesene Behauptung und ebenfalls unwiderlegbar. Wie wollen Sie widerlegen, dass der Kapitän Teil der Verschwörung sein soll? Wollen Sie ihn fragen? Wenn er Teil einer Verschwörung ist, wird er es Ihnen nicht sagen.
Das heißt: Verschwörungsideologen begründen die eine unwiderlegbare These durch die nächste unwiderlegbare These. Die Thesen sind zudem alle unbewiesen. Das ist naturgemäß so, weil sie schwachsinnig sind. Und gleichzeitig sind sie unwiderlegbar.
Musterbeispiel für die Taktik: Daniele Ganser
Und in dieser Weise fluten diese Desinformations Experten „the zone with shit“, wie es Steve Bannon gesagt hat, der Berater von Donald Trump. Er sagt sinngemäß: Ideologie, Propaganda funktioniert heute nicht mehr so, dass wir unsere Position vertreten und auf Plakate kleben, sondern wir müssen die Position der Gegenseite zermürben, und zwar egal mit welchem Schwachsinn. Hauptsache, es ist viel. Und Hauptsache, die anderen kommen mit dem Widerlegen nicht hinterher. Das Allerbeste sind Behauptungen, die sich nicht widerlegen lassen.
Wie gesagt, gehen Sie die Verschwörungstheorien der Reihe nach durch. Eine der Lieblingstheorien von Daniele Ganser, dem Schweizer Historiker, Ex-Uni Basel, aus guten Gründen nicht mehr an Bord, ist ja zum Beispiel, die Amerikaner selber steckten hinter 9/11.
Jetzt nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat er bei X (Ex-Twitter) gepostet, also angedeutet – Ganser arbeitet da ja sehr vorsichtig – er hat nur angedeutet: Warum haben die eigentlich fünf Stunden gebraucht, um zu erkennen, dass sie reagieren müssen? Daraus hat er die Andeutung abgeleitet: Vielleicht haben die Bescheid gewusst? In eine Frage gepackt. Wie kann das sein?
Was passiert also? Ganser entwickelt die nächste unbewiesene und unwiderlegbare Behauptung.
Warum die israelische Armee sich erst mal bewusst nicht verteidigen soll, um sich dann doch noch bewusst zu verteidigen, weiß ich nicht. Aber die Frage ist auch sehr müßig, denn darum geht es Daniele Ganser nicht. Es geht ihm nur darum, Verwirrung zu stiften durch eine weitere unbewiesene und auch unwiderlegbare Behauptung.
Bei Ganser werden Sie unfassbar fündig. Da geht es um alle möglichen Dinge, den Ukraine-Krieg, Geld, Finanzmarkt, und jetzt inzwischen eben auch den Nahost-Konflikt.
Sie können nicht widerlegen, dass die Amerikaner an 9/11 schuld sind. Ich meine, die Geschichtsschreibung sagt schon ganz klar, wer das damals war: Das war Al-Qaida. Jetzt bezweifelt aber die Verschwörungsszene diese Geschichtsschreibung und sagt ebenfalls, die Geschichtsschreibung sei ein Teil der Verschwörung. Also wieder ein Gegenargument, welches unbewiesen ist und unwiderlegbar. So geht das immer weiter. Es ist immer der gleiche Scheiß.
Der Schwachsinn überlagert mit der Zeit den Verstand
Wenn Sie sich auf Dauer mit diesem Unsinn befassen und sich damit auseinandersetzen und diesen Gedanken folgen, dann wird ein ganz spannender Effekt passieren. Sie laufen Gefahr, dass dieser Schwachsinn Schritt für Schritt ihren normalen Verstand überlagert und Sie am Ende nicht mehr fähig sind, am sozialen Leben in dieser Gesellschaft teilzuhaben. Siehe die vielen Querdenker, die mittlerweile in U-Haft sitzen oder sonstwo, weil sie durch ihre Realitätsverschiebungen und ihre Parallelwelten das Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen und mit dem Gesetz in Konflikt geraten – auch weil sie natürlich dann diese Anleihen von der Reichsbürgerszene nehmen, wonach es keine Bundesrepublik Deutschland gibt.
Und so weiter und so fort. Es ist ein Sumpf. Wenn Sie jemanden kennen, der in diesem Sumpf sitzt, dann sprechen Sie ihn mal auf diese Podcastfolge an. Dann fragen Sie ihn mal, ob er eigentlich auch an bewiesene Behauptungen glaubt, die sich theoretisch widerlegen lassen. Und ich sage Ihnen, keiner der Betroffenen hat irgendeine bewiesene Geschichte im Kopf.
Manipulateure gehen nur auf das ein, was in ihr Weltbild passt
Und dazu kommt noch ein weiterer spannender Punkt. Was geschieht, wenn Sie einem Verschwörungsmystiker nachweisen, dass er Unsinn erzählt? Dann passiert etwas ganz Bestimmtes. Wenn Sie sich die Mühe gemacht haben und beispielsweise eine Studie auseinandergenommen haben, aus der ein Verschwörungstheoretiker irgendeinen Unsinn ableitet, wenn Sie dem Verschwörungstheoretiker die wahre Aussage dieser Studie vermittelt haben – dann wird er darauf nicht eingehen. Sie haben sich die Arbeit ganz umsonst gemacht.
Der Verschwörungstheoretiker wird Ihnen, wie wenn Sie der Medusa einen Kopf abschlagen, mit drei weiteren Quellen kommen oder vier oder fünf YouTube-Videos von drei Stunden Länge, die Sie in vernünftiger Zeit niemals sichten und bewerten können.
Er wird sich an das Prinzip von Steve Bannon halten: „Flood the zone with shit.“
Wenn jemand also merkt, dass Sie ihn widerlegen, wird er darauf nicht eingehen. Er wird nicht sagen: „Oh, stimmt ja, du hast recht. Da habe ich mich wohl geirrt.“ Diese Menschen irren sich nicht. Psychisch gesunde Menschen irren sich und korrigieren ihre Fehler. Aber wenn jemand an ein Wahnsystem glaubt, wenn jemand an eine Scheinwelt glaubt, wird er einfach ignorieren, was Sie sagen und auf höchst manipulative Art drei weitere Arten von „Shit“ bringen, mit denen er die „Zone“ flutet. Sie sitzen dann da, versuchen die Wahrheit zu verteidigen und wundern sich, dass Ihnen die Zeit davonrennt.
Profiteure sind die Gegner des westlichen Lebens
Wer reibt sich die Hände? Wer freut sich? „Cui bono?“, fragen die Verschwörungsideologen gerne. Wem dient das alles? In aller Regel landen sie bei den Juden, bei den „Rothschilds“, also bei den alten antisemitischen Klischees. Wir müssen die Frage „Wem nützt das alles?“ umdrehen, auch um diesen Antisemitismus zu stoppen, der bei den vielen Verschwörungstheorien automatisch folgt. Wir müssen fragen: Wem dient es, wenn wir glauben sollen, die Erde sei flach, es gäbe Chemtrails und die Amerikaner hätten das Hochhaus selber umgeschmissen? Wem dient es?
Und wir sehen, es dient allen, die ein Interesse daran haben, dass diese Gesellschaft zerbricht. Mit welchen Inhalten das geschieht, ist dabei völlig egal. Es dient am Schluss Putin. Es dient der russischen Kriegsführung. Es dient am Schluss möglicherweise auch der Hamas. Und es ist immer gegen Israel und gegen die USA, gegen den Westen. Es ist immer kollektivistisch. Es ist immer totalitär. Es ist niemals liberal und es ist niemals westlich. Alle Profiteure dieser Verschwörungstheorien wollen den Westen und seine Marktwirtschaft in Trümmern sehen. Den Wohlstand. Deswegen erzählen sie, die NATO sei aggressiv. Tatsächlich ist sie ein Verteidigungsbündnis. Deswegen erzählen sie, Putin hätte die Ukraine überfallen müssen. Tatsächlich hätte er es bleiben lassen können.
Und so weiter und so fort. Die ganze Realitätsumkehr in der russischen Kriegspropaganda, wonach die Ukraine einen Völkermord begehen würde – das ist alles „Shit“, mit der irgendjemand diese „Zone“ flutet.
Warum sollten die Vernünftigen die Lügen der Lügner widerlegen?
Und es sind alles, die gesamte russische Propaganda, unbelegte Behauptungen, die sich entweder nicht oder nur sehr, sehr mühsam widerlegen lassen. Das Prinzip der Manipulation, bei dem jemand mit einer unwiderlegbaren These oder mit einer sehr schwer widerlegbaren These den öffentlichen Raum erobert und die öffentliche Kommunikation, ist ein Propagandamittel Putins. Und alle, die in Deutschland oder überhaupt im Westen Verschwörungstheorien verbreiten und nicht zwischen Vermutung und Tatsache unterscheiden können, sind entweder nützliche Idioten oder Täter.
Es gibt unglaublich viel Literatur zu diesen Verschwörungsthemen. Es gibt eine ganze Menge Bücher, die man lesen kann, und es zeigt sich ein Zusammenhang. Es gibt tatsächlich eine Verschwörung, aber die sieht anders aus als die Verschwörungstheoretiker sagen. Die Verschwörung ist nicht der Westen, sondern die Verschwörung sind die, die die Lügen in die Welt setzen. Neben denen, die sie weiterplappern, weil sie das Prinzip nicht kapieren, unlogisch denken und sich von Demagogen instrumentalisieren lassen, die nichts Gutes im Schilde führen mit allen, die hier leben.
Auch emotionale Erpressung basiert auf unwiderlegbaren Behauptungen
Übrigens können wir auch Gefühlsäußerungen nicht widerlegen. Wenn jemand sagt, er fühle sich so und so, dann können wir das nicht widerlegen. Und wenn jemand eine Gefühlsäußerung dazu nutzt, Druck auszuüben – wir sprechen über die sogenannte emotionale Erpressung –, dann haben wir es mit dem gleichen Phänomen zu tun, mit schmutziger Rhetorik, mit dem Versuch, durch eine unbelegte und unwiderlegbare Behauptung Druck aufzubauen. Es ist nicht belegt, dass es stimmt, dass er diese Gefühle hat. Er behauptet es – nur das wissen wir.
Und wir können nicht den Gegenbeweis antreten und sagen: „Du fühlst dich doch gar nicht so, wie du sagst. Was redest du denn da für ein Zeug?“ Es gibt eine gesellschaftliche Norm, wonach wir niemandem seine Gefühle absprechen, weil es sich nicht gehört. Und jetzt setzt Sie so jemand unter Druck. Toxische Menschen, dieser ganze Sumpf der emotionalen Erpressung, Manipulation.
Es ist, sage ich Ihnen, eine Quelle. Es ist das manipulative Denken durch unbewiesene Behauptungen, die zugleich unwiderlegbar sind. Denken Sie drüber nach. Danke fürs Zuhören. Bis bald.
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