Vor etwa zwei Wochen durfte ich an der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) mit einer zehnten Klasse arbeiten. Es ging um die Frage, warum Desinformation gefährlich ist, wie wir sie erkennen und was wir dagegen tun können.

Einig waren wir uns schnell darin, dass sich die Desinformation kaum unterbinden lässt, und zwar weder technisch noch rechtlich. Sobald wir irgendwelche Kanäle löschen oder verbieten, geraten dabei auch zahlreiche zutreffende und juristisch zulässige Äußerungen unter die Räder.

Es bleibt uns also nur, uns gegen Desinformation zu immunisieren, indem wir ihre Prinzipien verstehen und sie durchschauen.

Wir müssen erreichen, dass Desinformation verpufft. Dass sie an den Menschen wirkungslos abprallt.

Und das ist möglich. Die Fähigkeit dazu ist vermittelbar. Sie heißt »Informationskompetenz«. Es geht um das Know-how-wie wir mit Informationen umgehen, die wir hören oder lesen.

In dem Thema bilde ich derzeit Trainer/-innen aus, die das Know-how weitergeben. Inzwischen sind wir ein Netzwerk von etwa 20 Leuten. Auf der Website zum Netzwerk sind zwar noch nicht alle Gesichter vertreten, aber das wird noch.

Wollen Sie dabei sein? Dann melden Sie sich bitte einfach bei mir. Das Projekt eignet sich für Trainer/-innen, Lehrer/-innen, Sozialpädagog/-innen, HR-Leute, Arbeitnehmervertreter/-innen und Informationssicherheitsbeauftragte in Unternehmen. Denn mit dem Know-how steigern wir insgesamt die Resilienz gegenüber hybriden Angriffen, ob als Gesellschaft oder in Organisationen.

Bei der Veranstaltung in Gummersbach haben die jungen Leute die Grundlagen zum Verständnis aus der Literatur hergeleitet. Mit etwas Abstand habe ich diese Erkenntnisse noch einmal aufs Wesentliche reduziert. So kann ich Ihnen heute eine schlüssige Argumentation zur Informationskompetenz liefern, die Sie gerne auch in Ihren Diskussionen verwenden können.

Bitte nehmen Sie sich für diesen Text ein wenig Zeit – es ist zwar nicht schwer, aber detailliert. Es ist wichtig, dass Sie jeden einzelnen Punkt erfassen. Gerade, wenn Sie die Inhalte weitergeben wollen.

Ich versuche jetzt, Sie Schritt für Schritt durch die Erklärung hindurchzuleiten.

Paradies der politischen Bildung: Die Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach

1. Die Absender der Desinformation sind autokratische Regime

Als Erstes müssen wir verstehen: Die Absender der Desinformation sind autokratische Regime. Die wichtigste Rolle dabei spielt Russland, etwa in Gestalt der »Social Design Agency«. Eine Quelle dazu finden Sie bei der »Tagesschau«.

Von der Friedrich-Naumann-Stiftung gibt es dazu eine wichtige Publikation, und zwar von Peter Cichon vom Thinktank »Globale Themen«, für den ich bereits als Trainer tätig sein durfte. Die Veröffentlichung heißt »Russland als Wegbereiter von Autokratien« und ist als PDF erhältlich.

Das heißt: Die Desinformation wird niemals Putin als den Bösen darstellen, sondern stets die liberalen demokratischen Rechtsstaaten des Westens. Sämtliche Narrative sollen die westliche Öffentlichkeit von der Demokratie entfremden und sie für den Totalitarismus öffnen.

Diese Erkenntnis ist die Basis für alle folgenden Elemente und Zusammenhänge.

2. Die Demokratie kann sich abwählen

Das Ziel der Autokraten, die uns mit Desinformation versorgen: Wir sollen die Demokratie abwählen. Dass das geht, zeigen die Erfahrungen 1932/1933: Mit nur 33,1 Prozent bei der Reichstagswahl im November 1932 bekam die NSDAP vom Reichspräsidenten als stärkste Fraktion den Regierungsauftrag und bildete gemeinsam mit der DNVP und dem Stahlhelm eine Minderheitsregierung.

Doch auch als Minderheitsregierung haben Sie die hundertprozentige Kontrolle über die Ministerien und Behörden.

Um die Demokratie zu zerstören, brauchen wir also keine absolute Mehrheit. Das wissen die Gegner der Demokratie. Es genügt eine kritische Masse. Daher ist es auch kein Problem, wenn eine intellektuelle Minderheit das Konzept der Desinformation durchschaut. Insofern müssen wir erreichen, dass die Mehrheit es durchschaut.

Dieses Phänomen des »Demokratie-Paradoxons« beschreibt der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph Karl Popper (1902–1994) in seinem Buch »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« (Band II):

»Ein weiteres, weniger bekanntes Paradox ist das Paradox der Demokratie, genauer, der Herrschaft der Mehrheit, d.h. die Möglichkeit, daß sich die Mehrheit zur Herrschaft eines Tyrannen entschließen kann.«

3. Lügen sind keine Meinungen

Desinformation besteht in erster Linie aus absichtlichen und gezielten Falschinformationen zum Zwecke der Manipulation. Das heißt: Die Absender belügen uns. Und oft genug reklamieren sie für ihre Lügen die Meinungsfreiheit.

Darum müssen wir im nächsten Schritt festhalten: Lügen sind keine Meinungen. Lügen sind falsche Tatsachenbehauptungen.

Das bedeutet: Da kommt uns nicht jemand einfach mit seiner Sicht der Dinge, sondern jemand täuscht uns eine nicht existente Wirklichkeit vor. Beispielsweise ist die Äußerung, die Bundesregierung stecke mit der Pharmaindustrie unter einer Decke, in diesem Sinne keine Meinungsäußerung, sondern eine Tatsachenbehauptung. Und so etwas müssen wir nicht als legitime Meinung hinnehmen, sondern wir dürfen hier Belege verlangen.

Die Faustregel lautet: Behauptungen sind zumindest theoretisch prüfbar, Meinungen nicht.

4. Lügen verhindern eine kluge Meinungsbildung

Die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung findet sich vor allem im Medienrecht, aber auch schon in der Demokratietheorie. Hannah Arendt (1906–1975) schreibt in ihrem Essay »Wahrheit und Politik«:

»Tatsachen sind der Gegenstand von Meinungen. (…) Meinungsfreiheit ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist.«

Der erste Satz bedeutet: Meinungen beziehen sich in aller Regel auf eine Sachlage. Wir finden es schade, dass Monika nach Bremen zieht. Hat Monika das aber gar nicht vor, unterliegen wir einer Falschinformation. Damit ist nicht unsere Meinung falsch, wohl aber der Tatsachenkern unserer Meinung.

Sind nun Informationen falsch, ergibt Meinungsbildung keinen Sinn mehr, sagt Hannah Arendt.

Thilo Baum präsentiert im Onlineseminar das Hannah-Arendt-Zitat. Hier geht’s zum Video.

5. Ständige Lügen verwirren

Was geschieht nun, wenn wir durchweg belogen werden? Wenn uns jemand in einer Scheinwelt gefangenhält, beispielsweise durch Gaslighting oder eben durch Desinformation?

Dann verlieren wir die Orientierung. Wenn wir nicht mehr wissen, was stimmt und was nicht, können wir uns im Informationsraum nicht mehr sicher bewegen. Wir fragen uns: Was stimmt denn nun mit den Corona-Impfungen? Haben sie Todesfälle verhindert oder nicht? Stimmt, was das Bundesgesundheitsministerium sagt oder auch die Helios-Kliniken? Oder sollen wir eher den »alternativen Medien« glauben, die merkwürdigerweise auch gegen die Bundesregierung agitieren und zugleich Putin ungestört Krieg führen lassen wollen?

Wir sind also verunsichert und darum besonders anfällig für radikale Botschaften. Und auch hier können wir Hannah Arendt zurate ziehen, die in dem erwähnten Essay schreibt:

»Wo Tatsachen konsequent durch Lügen und Totalfiktionen ersetzt werden, stellt sich heraus, (…) daß der menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen, der ohne die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit nicht funktionieren kann, vernichtet wird.«

6. Demokratie ist auf die Wahrheit angewiesen

Wir können also festhalten, dass die Unwahrheit der Demokratie schadet. Und nicht nur das: Die Demokratie ist auf die Wahrheit angewiesen. Daher sind die heutigen Demokratien eng mit der Wissenschaft im Sinne der europäischen Aufklärung verknüpft – sämtliche staatlichen Stellen, die Wissenschaft und auch die Medien sind ständig damit beschäftigt, Sachverhalte festzuklopfen.

Die Wahrheit als Wesensmerkmal der Demokratie macht auch der US-Philosoph Jason Stanley (* 1969) aus. Er sagt im »Spiegel« (Nr. 34/2024, S. 11):

»Der Faschismus lügt. Die Wahrheit ist das Zentrum der Demokratie. Die Lüge ist der Feind der Freiheit. Wer belogen wird, kann nicht frei wählen. Wer der Demokratie das Herz herausreißen will, muss die Menschen an die Lüge gewöhnen.«

Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht auch mal ein Demokrat lügt oder ein Diktator die Wahrheit sagt. Es bedeutet einfach: Als grundlegendes Konzept für die Demokratie eignet sich die Unwahrheit nicht.

7. Art. 5 GG gilt nicht für die Unwahrheit

Damit ist die bewusste Äußerung einer Unwahrheit niemals eine legitime Äußerung. Weil die Unwahrheit nichts zu einer sinnvollen Meinungsbildung beitragen kann, auf die wir in der Demokratie aber angewiesen sind, versagt auch das Bundesverfassungsgericht der Unwahrheit den Schutz durch Art. 5 GG. Es schreibt in seinem Urteil 1 BvR 1376/79:

»Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut (BVerfGE 54, 208 (219)). Die bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen ist durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht mehr geschützt; gleiches gilt für unrichtige Zitate (BVerfG, a.a.O.).«

Meinungsbildung ohne Ahnung? Schwierig …

8. Die Demokratie muss sich schützen

Dass Lügen keinen Grundrechtsschutz genießen, ist ein Element der »wehrhaften Demokratie«. Denn demokratische Akteure wissen: Durch Falschinformationen lässt sich eine Öffentlichkeit durchaus dazu bringen, die Demokratie abzuwählen, wie oben von Popper beschrieben.

So gründete beispielsweise der Nationalsozialismus auf einem der ältesten Verschwörungsmythen der Welt, dem Antisemitismus – und auf zahllosen falschen Überzeugungen aus dem Bereich der Parawissenschaften, etwa der »Rassenlehre«.

Auch Art. 18 GG ist übrigens ein Element der wehrhaften Demokratie: Wer Art. 5 GG dazu missbraucht, um gegen die freiheitliche Demokratie zu kämpfen, kann dieses Grundrecht verwirken. Ein Fall, den es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gab.

In jedem Fall ist klar: Die Demokratie, die auf zutreffende Informationen angewiesen ist, schützt sich vor der Lüge, die die Axt an die Wurzel der Demokratie setzt.

Meinungsbildung beruht auf Informationen. Die sollten stimmen. Andernfalls gehen Willensbildung und Entscheidungsfindung in realitätsuntaugliche Richtungen.

9. Die Meinungsfreiheit ist in jedem Land eingeschränkt

Insofern ist auch die Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt. Allen dürfte einleuchten, dass Verleumdungen (also bewusste Falschbehauptungen) und Beleidigungen (also schmähende Meinungsäußerungen) nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind. Auch in den USA, in denen »die Grenzen deutlich weiter gesteckt« sind, wie es der Kommunikationswissenschaftler Klaus Kamps von der Hochschule der Medien in Stuttgart sagt, ist die Redefreiheit nicht unbegrenzt. (Zumal derzeit vor allem US-Präsident Trump die Meinungsfreiheit bedroht, indem er Begriffe wie »soziokulturell« am liebsten verbannen will.)

In Europa ist die Meinungsfreiheit infolge der Nazizeit stärker reglementiert – dazu, wie die Nazis die Meinungsfreiheit missbraucht haben, kommen wir gleich. So ist in Deutschland die falsche Tatsachenbehauptung der Holocaustleugnung ein Straftatbestand, weil sie die Nazizeit und den Totalitarismus verharmlost und vor allem auch als Lüge meinungsbildend sein kann.

Als Faustregel können wir festhalten:

➔ Diktaturen beschränken die Meinungsfreiheit, um ihre Regime zu schützen.

➔ Demokratien beschränken die Meinungsfreiheit, um die Rechte ihrer Bürger und die Demokratie zu schützen.

Die gedanklichen Quellen hierzu sind wiederum Karl Popper – dieses Mal mit seinem »Toleranz-Paradoxon« – und der liberale Vordenker John Stuart Mill (1806–1873). Beginnen wir mit Mill, weil er seine Überlegung in seinem Buch »Über die Freiheit« chronologisch vor Popper entwickelt hat. Mill erklärt deutlich:

»Selbst Gedanken verlieren ihre Straflosigkeit, wenn die Umstän­de, unter denen sie ausgesprochen werden, von der Art sind, dass ihr Ausdruck eine direkte Aufreizung zu irgendeiner Schandtat bildet.«

Das bedeutet: Selbst im Liberalismus ist die Freiheit nicht grenzenlos. Das kann sie nicht sein, denn – und jetzt kommen wir zu Popper – unbegrenzte Freiheit führt automatisch zur Tyrannei. Wenn wir alles dürfen und wenn wir keinerlei Rücksicht auf andere nehmen müssen, setzt sich der Stärkere durch.

Popper schreibt zum »Toleranz-Paradoxon«:

»Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwin­den der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intole­ranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.«

10. Wir müssen Totalitarismus und Intoleranz bekämpfen

Daher darf eine tolerante, offene Gesellschaft niemals die Intoleranz tolerieren. Über die »intoleranten Philosophien« schreibt Popper, dass wir uns gegen sie wehren müssen:

»Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken; denn es kann sich leicht herausstellen, daß ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanö­ver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.«

Schon Popper weist darauf hin, dass die Gegner der Demokratie und der offenen Gesellschaft die Argumente der demokratischen Seite als Manipulation diffamieren – so, wie heutige Desinformation behauptet, die demokratischen Regierungen des Westens würden lügen.

Thilo Baum im Online-Seminar über Karl Popper.

11. Trolle sind Gegner der Demokratie

Poppers Zitat ist enorm wichtig, weil es im Grunde heutiges Trollen beschreibt: Die Gegner der Demokratie zerreden Diskussionen, und viele weigern sich, sachliche Argumente überhaupt anzuerkennen.

Dieses Trollen ist bereits Ausdruck von Demokratiefeindlichkeit, was vielen Menschen nicht klar ist. Es ist der Beginn des Gaslightings und der Lüge.

Also sind rhetorische Tricks wie das absichtliche Missverstehen, das Taubenschach und »Sealioning« keine harmlosen Sophistereien, sondern damit untergraben Trolle die Meinungsbildung. Wer Hannah Arendt und Jason Stanley verstanden hat, erkennt: Trolle gefährden die Demokratie. Und Popper beschreibt, dass die Gegner der Demokratie das Argumentieren als solches verwerfen und unsere rationalen Argumente als Täuschungsmanöver bezeichnen. Trolle agitieren für die Lüge – nach Stanley ein Wesensmerkmal des Faschismus – und nicht für die Wahrheit, auf die die Demokratie angewiesen ist.

Trolle desorientieren uns, um die Demokratie zu destabilisieren.

Eine weitere wichtige Figur ist hier der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Er unterscheidet zwischen Tatsachenwahrheiten (»Die Sonne scheint«) und Vernunftwahrheiten (»1+1=2«). Vernunftwahrheiten sind meist Konventionen. Wobei Rechtsstaat, Demokratie und Völkerrecht auf vielen Vernunftwahrheiten beruhen, die Trolle in Abrede stellen – etwa die Unverletzlichkeit von Grenzen.

Um uns zu desorientieren, greifen Trolle also einerseits Tatsachenwahrheiten an (»Impfungen sind schädlich«), andererseits aber auch Vernunftwahrheiten, die wir für die Demokratie und den freiheitlichen Rechtsstaat brauchen (»Alle Menschen sind gleichwertig«).

So sind Trolle Kämpfer des Totalitarismus und der Menschenverachtung – gegen die freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie. Vor diesem Hintergrund sollten wir Trollen öffentlich vorhalten, dass sie die Meinungsbildung torpedieren und der Demokratie schaden.

12. Goebbels 1935: Redefreiheit nur für Nazis

Dann müssen wir verstehen, wie der Totalitarismus die Meinungs- oder auch Redefreiheit missbraucht, um die Demokratie zu überwinden und die Macht an sich zu reißen.

In einer Rede im Dezember 1935 in Saarbrücken erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels (1897–1945) unumwunden:

»Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben euch doch früher die Freiheit der Meinung zugebilligt – ja, ihr uns, das ist ja kein Beweis, dass wir das euch auch tun sollen!«

Und auch in der NSDAP-Zeitung »Der Angriff« schrieb Goebbels im selben Jahr:

»Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, daß sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde.«

So tun die heutigen Gegner der Demokratie so, als würden sie sich für die Freiheit einsetzen – tatsächlich setzen sie sich für die Freiheit ein, durch Lügen und Verdrehungen der Öffentlichkeit die Orientierung im Diskursraum zu nehmen, um die zunehmende Komplexität dann durch die einfache Lösung eines »starken Mannes« zu reduzieren, der sagt, wo es langgeht.

13. Rudolf Bartels: Die Wahrheit ist demagogisch unbrauchbar

Im nächsten Schritt schauen wir uns die Funktionsweise der Demagogie generell an. Dabei stoßen wir auf das »Lehrbuch der Demagogik« von Rudolf Bartels (* 1857, Todesjahr unbekannt) aus dem Jahr 1905, von Springer Nature 2013 als Faksimile in Fraktur neu aufgelegt. Bartels schreibt exakt, wie die heutige Desinformation arbeitet. Einige Zitate:

»Die Stellung der Demagogie zur Wahrheit ergibt sich aus dem Zweck, der für sie allein maß­gebend ist, die Masse zu überzeugen und zu beherrschen. (…) Gerade die Wahrheit ist vielfach demagogisch nicht brauchbar.«

»Um Autorität zu untergraben und dagegen aufzuhetzen, ist bei der Masse anzuwenden das Tadeln, Schimpfen, Höhnen, Spotten, Beschimpfen, Verleumden, alles mit Verwendung der (…) Kunstgriffe des Übertreibens, Verallgemeinerns, Entstellens, Lügens.«

Mit »Autorität« ist die Demokratie gemeint – ob in der Weimarer Zeit oder heute. Von Demokratiegegnern damals wie heute als »System« diffamiert.

14. Demagogen schalten das kritische Denken aus

In seiner Begründung des Verbotes der »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) führt das Bundesverfassungsgericht 1952 aus (1 BvB 1/51):

»Der Appell an dumpfe Massengefühle, das Hervorrufen einer Stimmung, die das kritische Denken ausschaltet, das Einhämmern schlagwortartiger Sentenzen, die nüchterner Überlegung nicht standhalten, (…) alles erschien als Wiederholung gleichartiger nationalsozialistischer Veranstaltungen.«

Das Verbot stoppte die Aktivitäten einer rechtsextremen Partei, die sich anschickte, Goebbels zu kopieren und mithilfe der Meinungsfreiheit die Demokratie erneut zu destabilisieren und schließlich zu zerstören. Wobei Sie, wenn Sie diesen Teil der Begründung aufmerksam lesen, sofort erkennen: Auch heute erleben wir »schlagwortartige Sentenzen, die nüchterner Überlegung nicht standhalten« – die erwähnte Desinformation. Auch die »Stimmung, die das kritische Denken ausschaltet«, ist das Ziel zahlreicher heutiger Demagogen und Trolle, etwa wenn sie uns erzählen, Hitler sei ein Linker oder Sozialist gewesen. (Falls er das war: Weshalb hat die NSDAP 1933 nicht mit der KPD koaliert? Weshalb hatte Hitler in seinem Buch »Mein Kampf« ein Kapitel namens »Das Ringen mit der roten Front«?)

Was für die Nazis das Radio war, ist für heutige Demagogen und Demokratiefeinde das Internet – insbesondere die Sozialen Medien. Dort erleben wir alles, was das Bundesverfassungsgericht 1952 in seinem SRP-Verbot an Merkmalen aufführte.

15. Steve Bannon: »Flood the zone with shit«

Und wieder gelten die Prinzipien von Rudolf Bartels. Die mustergültige Umsetzung des Konzeptes beschreibt der frühere Trump-Berater Steve Bannon (* 1953) in einem einfachen Zitat, das Sie beispielsweise bei CNN nachvollziehen können:

»Flood the zone with shit!«

Es geht also einfach nur darum, massenhaft »Shit« = »Bullshit« = Schwachsinn zu posten – emotionalisierende Falschnachrichten, über die sich die Leute aufregen können und die sie ungeprüft empört weiterleiten.

Wie oben schon erwähnt, ist es dabei egal, ob eine gebildete Minderheit das Spiel durchschaut, denn zum Sturz der Demokratie genügt am Ende die relative Mehrheit. Wie es geht, demonstriert derzeit Donald Trump in den USA – das gleiche Szenario kann uns hier erwarten.

16. Steve Bannon: Die Demokratie wegkaufen

Und schließlich sollten wir einsehen, dass das Ende der Demokratie infolge von Desinformation auch eine Frage des Geldes ist. So sagt Bannon über Elon Musk (* 1971), nachvollziehbar bei Bloomberg:

»Musk just spent a quarter of a billion dollars to elect Trump,« says Bannon. »If he puts the same amount of money into all of Europe that he put behind Trump, he will flip every nation to a populist agenda. There’s not a centrist left-wing government in Europe that will be able to withstand that onslaught.«

Also: Würde Musk ebenfalls in Europa eine Viertelmilliarde US-Dollar in populistische Wahlkämpfe stecken, hätten wir bald ein populistisches Europa. Wobei interessant ist, dass der Begriff »Populismus« für Populisten gar nichts Negatives ist.

Kurz zum Begriff: »Populistisch« bedeutet nicht »allgemein verständlich«, sondern am verkürzten Denken einfacher Leute orientiert. Dazu noch einmal Bartels:

»In erster Linie ist die Masse beschränkt und dumm. Sie ist nicht imstande, klar zu den­ken, Zusammenhang von Grund und Folge selbständig zu er­kennen, Schlüsse richtig zu ma­chen, Widersprüche zu bemerken, verschiedene Seiten und Wirkungen der Dinge zugleich zu übersehen. Sie ist kurzsichtig, leichtgläubig für das, was ihr angenehm und vorteilhaft ist oder sie blendet, und zugleich misstrauisch in dem, was über ih­re Kenntnisse und Erfahrung hin­ausgeht; andererseits zäh in ihrem Glauben oder Aberglauben und ihren Vorurteilen.«

Das mag nicht dem Ideal des »mündigen Bürgers« entsprechen, aber es beschreibt eben Menschen ohne Informationskompetenz. Menschen, die bereitwillig glauben, was ihnen auf den ersten Blick plausibel erscheint und was sie emotionalisiert.

Auf sie zielt die Desinformation. Und die Demagogen, die die Demokratie zerstören wollen, sagen scheinheilig: Sollen sich die Leute doch ihr eigenes Bild machen, wir leben schließlich in einem freien Land. Die Totengräber der Demokratie spielen sich als Freiheitskämpfer auf, um die Freiheit zu beenden.

Wissen ist die Basis für alles, was wir in der Demokratie tun. Menschen ohne Informationskompetenz begnügen sich oft mit dem, was sie glauben.

Fazit: Wir brauchen Informationskompetenz

Ja, ich weiß: Dieser Text ist etwas dicht geworden. Aber er ist auch enorm wichtig.

Zum Abschluss noch folgende Punkte:

➔ Bitte schauen Sie sich mein aktuelles Video zum Thema bei Youtube an. Es geht um etwa 54 Minuten Vortrag über genau diese Zusammenhänge. Teilen Sie das Video und auch diesen Beitrag, indem Sie die Links einfach weitergeben oder in den Sozialen Medien posten.

➔ Werden Sie Teil des Netzwerks Informationskompetenz, indem Sie sich von mir ausbilden lassen und dann diese Inhalte (und andere) vermitteln. Hier finden Sie Argumente für den Einsatz in Unternehmen (»betriebliche Resilienz«), hier zur Demokratieförderung. Einen Eindruck von den Inhalten erhalten Sie in meinem Ausbildungsheft.

Ich freue mich, wenn wir uns hören!