Wer sich auf der Website der „Emma“ über den Wunsch der Deutschen nach Verhandlungen in Sachen Russland/Ukraine informieren will und ein bisschen genauer hinschaut, fühlt sich möglicherweise für dumm verkauft. Ihre INSA-Umfrage habe „sensationelle Resultate“ ergeben, schreibt die „Emma“ begeistert: „Zwei von drei Bürgerinnen wollen Verhandlungen und Waffenstillstand.“ Dann folgt ein Kasten mit fett geschriebenen Umfrageergebnissen: „68 % sind für Friedensverhandlungen! 65 % sind für Waffenstillstand!“ Immer schön mit Ausrufezeichen.

Bei näherer Betrachtung ist das allerdings ein wenig fragwürdig.

Fail 1: Was ist „grundsätzlich“?

Einmal zeigt sich unten im Text: In der Frage zu den Friedensverhandlungen stand das Wort „grundsätzlich“. INSA hat gefragt: „Sind Sie grundsätzlich für oder gegen Friedensverhandlungen mit Russland?“ Dazu ist wohl zu sagen, dass kaum ein normaler Mensch „grundsätzlich“ gegen Friedensverhandlungen mit Russland sein dürfte. „Grundsätzlich“ bin auch ich für Friedensverhandlungen und würde darum auf diese Frage mit „Dafür“ antworten.

Doch nun ist der Grundsatz in seiner Allgemeinheit etwas völlig anderes als die derzeitige Situation mit ihren vielen spezifischen Gegebenheiten. Würde die Frage nur lauten: „Sind Sie für oder gegen Friedensverhandlungen mit Russland?“, würde ich mit „Dagegen“ antworten.

(Warum? Das ist jetzt keine Sachlage, sondern lediglich meine anfechtbare Meinung: weil sich Putin bisher noch an keine Vereinbarung gehalten hat. Und weil die Ukraine nach wie vor in ihrer Vollständigkeit souverän ist und Integrität genießt. Ich gehe zudem nicht davon aus, dass infolge solcher Verhandlungen die Waffen schweigen. Putin würde die Pause zur Erholung und Aufrüstung nutzen und die Ukraine und den Westen ein weiteres Mal – wie so oft – hinter die Fichte führen. Sobald er sich ausdenkt, in der Westukraine nahe der polnischen Grenze würde eine russische Minderheit unterdrückt, wäre er wieder vor Ort. Außerdem ist es sowieso nicht an uns, ein souveränes Land zu verschachern. Ende persönliche Meinung.)

Aber „grundsätzlich“ lehne ich niemals Verhandlungen ab. Das wäre schon sehr radikal.

68 Prozent seien für Friedensverhandlungen? Das ist so nicht korrekt: Gefragt war nach der „grundsätzlichen“ Bereitschaft für Friedensverhandlungen, also ohne den Kontext, dass Wladimir Putin bis jetzt noch jedes Abkommen gebrochen hat. Und: 65 Prozent seien für Waffenstillstand? Hier kommuniziert die „Emma“ etwas Unzutreffendes: Die Frage nach einem Waffenstillstand wurde nur den 68 Prozent gestellt, die auch „grundsätzlich“ für Verhandlungen sind – nicht der gesamten Stichprobe.

Fail 2: 65 Prozent von 68 Prozent sind 44,2 Prozent – und damit keine Mehrheit

Noch fragwürdiger ist die Behauptung der „Emma“, 65 Prozent seien für einen Waffenstillstand: Beim Blick auf den Vorspann und den Kasten mit der Zusammenfassung der Ergebnisse gehen wir davon aus, dass 65 Prozent der Menschen in Deutschland für einen Waffenstillstand seien. Denn die Stichprobengröße bezieht sich ja auf die Bevölkerung. Und die „Emma“ schreibt explizit im Vorspann, „zwei von drei Bürgerinnen“ seien für einen Waffenstillstand. Das sind ungefähr 65 Prozent.

Damit erweckt die „Emma“ mindestens einen falschen Eindruck. Denn mit dieser Frage hat INSA nur die bereits erwähnten 68 Prozent konfrontiert, nicht die gesamte Stichprobe – das erklärt „Emma“ selbst. Also: Nur die, die ohnehin bereits „grundsätzlich“ für Verhandlungen waren, bekamen auch die Frage vorgesetzt: „Und wie würden Sie es bewerten, wenn die westlichen Länder Russland anbieten würden, im Gegenzug zu einem Waffenstillstand und der Aufnahme von Friedensgesprächen auf weitere Waffenlieferungen zu verzichten?“ Von diesen 68 Prozent antworteten dann 65 Prozent mit „gut“ bis „sehr gut“.

Was die anderen 32 Prozent der Studienteilnehmer dazu sagen würden, wissen wir nicht – sie wurden nicht gefragt. Also kann sich auf sie auch nicht die Aussage beziehen, 65 Prozent seien für diesen Waffenstillstandsvorschlag. Wir wissen nur: 65 Prozent von 68 Prozent sind dafür.

Gut ist es, dass die „Emma“ den Wortlaut der Fragen offenlegt. Das gehört sich so. Auch ist es gut, dass sie darstellt, dass die Frage zum Waffenstillstand nur den 68 Prozent vorgelegt wurde, die ohnehin schon zu Verhandlungen neigen:

Screenshot aus dem „Emma“-Text: Die „Emma“ selbst erklärt, dass die Frage nach dem Waffenstillstand nur jenen 68 Prozent gestellt wurde, die sich bereits „grundsätzlich“ für Verhandlungen ausgesprochen hatten. Und nur von jener bereits voreingestellten Teilmenge sind 65 Prozent für den Vorschlag.

Das macht aber die Behauptung im Vorspann nicht besser, die Mehrheit sei für einen Waffenstillstand. 65 Prozent von 68 Prozent sind 44,2 Prozent. Und das ist keine Mehrheit. Gleichwohl wird allerorten kommuniziert, die Mehrheit befürworte das von der „Emma“ abgefragte Konzept – die Befürworter einer zum Teil Russland zugeschlagenen Ukraine teilen dieses „Studienergebnis“ in allen „Sozialen Medien“. Was sie nicht teilen, sind die Fehler darin.

Schon die Methode, Frage 2 nur jenen zu stellen, die bereits durch ihre Antwort auf Frage 1 eine bestimmte Präferenz zur Beantwortung von Frage 2 in Aussicht stellen, dürfen wir wohl als manipulativ bezeichnen. Doch beim Ergebnis in der groben Übersicht dann den Eindruck zu erwecken, die 65 Prozent der 68 Prozent bezögen sich auf die Bevölkerung, ist kaum zu fassen.

Im Grunde filtert die „Emma“ die Stichprobe nach einem bestimmten Priming im Sinne von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und Wladimir Putin, befragt selektiv und behauptet dann, die Haltung der Verhandlungsbefürworter sei repräsentativ.

Es zeigt, wie die irrationale Pro-Putin-Minderheit ag(it)iert, die sich gerne als Mehrheit sähe.