Als die US-Zölle auf chinesische Einfuhren die 100-Prozent-Marke überschreiten sollten, schrieb der „Zeit“-Autor Lars Weisbrod bei X (Rechtschreibung und Emoji im Original):
„Trump denkt tatsächlich man könnte MEHR als 100 Prozent Zölle erheben 😂 das passiert wenn man denkt man sei ein ‚dealmaker‘ und nicht mal Grundschul Mathematik beherrscht“
Verständlicherweise holte sich Weisbrod jede Menge Gelächter ab. Vor allem wegen der mit völliger Selbstverständlichkeit vorgebrachten irrigen Ansicht, es gäbe keine Zölle von mehr als 100 Prozent. Das lässt auf ökonomischen Unverstand schließen und mag auch die Frage nach der Absenderkompetenz dieses Autors in Sachen Wirtschaftspolitik aufwerfen.
Ich habe mich zuerst auch aus einem anderen Grund gewundert: Da habe ich eben einen LinkedIn-Beitrag unter anderem über falsche Leerzeichen geschrieben, und dann lese ich ausgerechnet bei einem „Zeit“-Autor etwas von „Grundschul Mathematik“. Ich dachte mir: Das ist ja noch schlimmer als mein Beispiel „Kräuter Quark“ (also Quark aus Kräut). Eine Schreibweise wie „Grundschul Mathematik“ bei jemandem von der „Zeit“? Dem intellektuellen Blatt? Hätte ich nicht gedacht.
Nun kann es sein, dass ein Feuilletonist das Konzept „Zoll“ nicht versteht. Möglicherweise könnte jemand denken, ein Zoll würde vom Preis der verzollten Ware abgezogen und könnte deshalb nicht mehr als 100 Prozent des Preises betragen. Das ist zwar eine kuriose Denkweise, die viele Fragen offenlässt (welchen Preis der Importeur am Ende bezahlt, was der Verkäufer bekommt u.a.), aber angesichts der Unendlichkeit von Zeit und Raum kann es natürlich sein, dass das jemand glaubt.
In den Reaktionen auf Lars Weisbrods Posting war der häufigste Vorwurf jener, Weisbrod beherrsche die Prozentrechnung nicht. Doch sicherlich kann auch ein Anhänger der Philosophie wissen, dass ein Prozentsatz auch mal die 100-Prozent-Marke übersteigen kann. Bei dieser Erkenntnis stört ein Philosophiestudium nicht prinzipiell.
Und das Prozentrechnen war auch gar nicht der Punkt. Der Punkt war die Frage: Wie funktioniert ein Einfuhrzoll? Wobei wiederum nicht klar wurde, dass das der Punkt war.
Kurze Erläuterung: Ein Zoll ist eine Zahlung, die über den Kaufpreis hinaus anfällt. Sie wird draufgeschlagen, nicht abgezogen.
Lange Erläuterung: Der Staat nimmt den Kaufpreis (beispielsweise 1000 US-Dollar) und den entsprechenden Zollsatz (beispielsweise 104 Prozent) und berechnet dann eben den Zoll (beispielsweise 1040 US-Dollar). Heißt: Der Importeur bezahlt dem Händler den Preis von 1000 US-Dollar für die Ware und darüber hinaus dem Fiskus noch mal 1040 US-Dollar Zoll. In Summe wird er also 2040 US-Dollar los.
Ganz einfach eigentlich. Und es ist auch praktikabel: Schon wenn Sie nach Ihrem üblichen Shopping in Los Angeles wieder in Deutschland landen, erhebt der deutsche Zoll einen anhand der Kassenzettel errechneten Betrag und verrechnet dabei nichts mit den Kassen der Boutiquen auf dem Hollywood Boulevard. Wie auch, von Düsseldorf aus? Und bei dieser Berechnung gibt es dann auch keinen mathematischen Grund, weshalb ein Zoll nicht die 100-Prozent-Marke übersteigen könnte.
Es ging also nicht um die Frage, ob Lars Weisbrod weiß, dass ein Prozentsatz größer als 100 sein kann. Es ging um die Frage, ob er weiß, dass das bei Zöllen vorkommen kann.
Also – Lars Weisbrods Äußerung war kurios. Zumal auch die „Zeit“ – Weisbrods Hausblatt – von 104 Prozent berichtete. Haben die Kolleg/-innen dort etwa auch keine Ahnung von „Grundschul Mathematik“? Wenn es keine Zölle über 100 Prozent geben kann, müssten doch auch sie das anmerken. Aber merkwürdigerweise berichten alle Medien durchgängig von Zöllen von mehr als 100 Prozent und niemand stört sich daran. Bei der „Zeit“ sind die Zusammenhänge ganz offensichtlich bekannt.
Lars Weisbrod gibt den Schwurblern Futter
Es ist im Grunde nur eine kleine Episode eines Social-Media-Beitrags eines Journalisten, aus dem verständige Leser/-innen auf ein gewisses Unwissen des Autors schließen – und auf seine Haltung, wenn der Autor in der Folge trotz zahlreicher Hinweise auf den Denkfehler bei seiner Position bleibt. Das ist vielleicht menschlich ärgerlich, hat aber noch keine politische Dimension.
Es hat sie allerdings dann, wenn das Ganze ein gefundenes Fressen für die Schwurbelszene wird und wenn das Verhalten des Journalisten damit indirekt den demokratischen Medien schadet und zudem die wichtige Arbeit gegen Radikalisierung durch Desinformation torpediert, wenngleich unbeabsichtigt. Die Bedeutung ist in dem Augenblick politisch und gesellschaftlich relevant, in dem ein „Zeit“-Autor den Gegnern der klassischen Medien Argumente liefert.
Im Sinne einer Schadensbegrenzung wäre es also schön, und zwar im Dienste aller etablierten Medien, wenn Lars Weisbrod sich erklären würde. Er hätte deutlich machen können oder könnte deutlich machen: „Ich habe mich geirrt! Und ich bin ein Einzelfall! Mein Irrtum bedeutet nicht, dass die ‚Mainstream‘-Medien generell so arbeiten wie ich hier.“
Oder aber: „Ich wollte euch nur einen Streich spielen! Natürlich weiß ich, dass Zölle mehr als 100 Prozent des Preises betragen können. Ich wollte euch aber demonstrieren, dass …“ – und dann müsste eine sinnvolle und plausible Erklärung folgen, die das ganze Vorgehen nachvollziehbar macht und den Zweck der Aktion vermittelt.
Weisbrod könnte uns vor allem eine Sache erklären: Was an dieser Aktion war so bedeutsam, dass sie es wert war, dass nun mindestens zwei „alternative Medien“ („Nius“ und „exxpress.at“, die ich hier nicht verlinke) Beiträge über Lars Weisbrod von der „Zeit“ und seine Äußerung bringen („ein Zeit-Journalist wittert seine große Stunde für Spott und begeht dabei einen schweren Denkfehler: Zölle über 100 Prozent seien gar nicht möglich, glaubt er“)? Oder dass – Nachtrag vom 13. April 2025 – die Plattform „Ansage“ sich anhand der Geschichte über den „Bildungsnotstand des deutschen Feuilletons“ lustig macht?
Warum musste Weisbrod – für den Fall, dass er bewusst Unsinn geschrieben haben sollte, um irgendetwas zu „demonstrieren“ – so unbedingt voraussehbare Beiträge in „alternativen Medien“ provozieren, in denen es um Inkompetenz geht und unter denen dann ein Kommentator schreibt, dass Überheblichkeit zum „Mainstream-Journalismus“ gehört?
Welcher Nutzen also steht diesem Schaden gegenüber?
Im Ergebnis jedenfalls hat hier jemand der Schwurbelfraktion Futter gegeben, die in aller Regel Desinformation verbreitet und auch ansonsten alles tut, um das Vertrauen in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und in sämtliche Vertreter der pluralistischen Gesellschaft zu erschüttern – inklusive ins Vertrauen in „Mainstream“-Medien, die nach Ansicht der Demokratiegegner ganz grundsätzlich und eigentlich immer die Menschen belügen.
Der Spott kam von Leuten, die sich jeden kleinsten Fehler des „Mainstreams“ schnappen, um ihn genüsslich auszubreiten, auch auf Englisch. So schrieb Liamo:
„@larsweisbrod clearly doesn’t understand the reality of sales and budget fundamentals!“
Dr. Simon Goddek schrieb:
„Ladies and gentlemen, meet German mainstream journalist @larsweisbrod—defender of math, enemy of nuance.“
Lars Weisbrods Reaktion (Schreibweise wieder im Original) ließ nicht unbedingt sofort darauf schließen, dass er die Dimension dessen erfasst hat, was er hier angestoßen hatte:
„Mit ein bisschen Glück schaffe ich es mit dem Ding bis in einen elon musk tweet“
War es das, worum es ging? Wollte Weisbrod der Öffentlichkeit nur vorspielen, es gebe einen „Zeit“-Autor, der in Sachen Zoll unbedarft ist, trotz zahlreicher Korrekturhinweise auf seiner Fehlannahme beharrt und anderen vorwirft, nichts von Mathematik zu verstehen, um es damit in einen Tweet von Elon Musk zu schaffen?
Was wäre die Hoffnung gewesen? Dass Elon Musk schreibt, wie ungebildet die deutschen „Mainstream“-Journalisten sind, und dass das dann millionenfach multipliziert wird?
Wozu? Was wäre der Nutzen der Aktion, für die der Absender seinen Ruf aufs Spiel setzt und die „Zeit“ mit reinzieht, für die er ja nun mal tätig ist laut X-Profil („Feuilleton DIE ZEIT“) und Bluesky-Profil („DIE ZEIT Feuilleton“)?
Und vor allem: Was wäre die Intention dahinter, nur so zu tun, als hätte jemand als „Zeit“-Autor keine Ahnung davon, wie sich Zölle berechnen?
Die Fähigkeit, einen Denkfehler einzuräumen
Die Überlegung, Lars Weisbrod habe nur so getan, als habe er keine Ahnung vom Zoll, erscheint bei der Lektüre der Kommentare bei X nicht unbedingt als schlüssig. Dort setzte sich Weisbrod mit dem „Fachwirt“ auseinander. Der „Fachwirt“ schrieb:
„Selber in Mathe nicht aufgepasst?“
Lars Weisbrod antwortete:
„Naja ich hab im Gegensatz zu dir wenigstens so viel mitbekommen dass 100 Prozent schon der ganze Preis sind“
Aha! Lars Weisbrod könnte also in der Tat bis dato davon ausgegangen sein, Zölle würden vom Preis abgezogen. Unter dieser Prämisse ist bei 100 Prozent eben Schluss.
Der „Fachwirt“ riet Weisbrod, noch mal „ganz scharf“ nachzudenken, bevor er weitere Behauptungen aufstelle. Daraufhin antwortete Weisbrod:
„Du kannst ja mal probieren 120 Prozent von der Milch zu trinken die du noch im Kühlschrank hast. Viel Spaß bei dem Versuch 😂😂“
Gebildete Leser/-innen schlossen daraus: Weisbrod weiß offenbar, dass wir ins Minus kommen, wenn wir von einem Ganzen mehr als 100 Prozent abziehen. Darauf aber, dass wir beim Zoll ein Ganzes (100 Prozent) mit einem bestimmten Faktor multiplizieren (der 0,1 oder 0,25 oder 0,5 betragen kann oder auch 1, 2 oder 3 und also theoretisch beliebig hoch sein kann), ging er mit seinem Milch-Argument nicht ein.
Es gibt Einlassungen, die dem Profi die Ahnungslosigkeit des Laien dokumentieren, ohne dass der Laie es merkt. Mir würde das genauso gehen, würde ich öffentlich beispielsweise über Fußball schwadronieren. Da ich von Fußball keine Ahnung habe, lasse ich das. Wenn ich so tue, als hätte ich von Fußball Ahnung, fliege ich nach kürzester Zeit auf, weil ich irgendwann irgendein Detail nicht berücksichtigen würde, das die Profis kennen.
Und so ist eben auch das Beispiel mit der begrenzten Menge Milch nur unter der Annahme stichhaltig, dass ein Zoll nicht höher sein kann als der Preis der verzollten Ware. Wenn Weisbrod von dieser Annahme ausging, erschloss sich ihm logischerweise nicht, weshalb jemand seine Rechenkünste anzweifelt. Denn tatsächlich kann jemand nur 100 Prozent der Milch im Kühlschrank trinken – mehr ist nicht da.
Wieder setzte Weisbrod, offensichtlich im Glauben, „recht zu haben“, den Mir-kommen-die-Tränen-vor-Lachen-Smiley. Der dient vielen Menschen dazu, Äußerungen anderer vor weiteren Leser/-innen ins Lächerliche zu ziehen. Und das deeskaliert natürlich ebenso wenig wie ein Mangel an Bereitschaft, einen Denkfehler einzuräumen.
Wenn zwei aneinander vorbeireden
Der Dialog zwischen Lars Weisbrod und dem „Fachwirt“ wirkte auf mich stellenweise wie der fiktive Dialog „Hu is the new leader of China“ zwischen George W. Bush und Condoleezza Rice – da reden zwei unter anderem deswegen aneinander vorbei, weil „Hu“ und „who“ gleich klingen.
Der „Fachwirt“ schien davon auszugehen, Lars Weisbrod scheitere am Prozentrechnen, dabei ging es ums Verständnis von Zöllen. Immerhin versuchte der „Fachwirt“ deutlich zu machen, dass wir nicht von einer begrenzten Menge von beispielsweise Milch sprechen, sondern von Zahlen. Und er rechnete Lars Weisbrod vor, dass durchaus 125 Prozent möglich sind.
Natürlich, musste Lars Weisbrod gedacht haben. Er dürfte sich gefragt haben: Was will der „Fachwirt“ von ihm?
Die beiden redeten also aneinander vorbei. „Der Fachwirt“ belehrte Lars Weisbrod in einer Sache, um die es nicht ging. Auf der Basis der falschen Prämisse hätte Lars Weisbrod sogar recht gehabt: Wäre ein Zoll auf den Preis eines Produktes begrenzt, betrüge er maximal 100 Prozent. Außenstehende konnten den Denkfehler erkennen. Nur ergab sich zumindest für mich keine Erkenntnis darüber, dass Lars Weisbrod ihn erkannte.
Jedenfalls erklärte Lars Weisbrod daraufhin, wieder gebe ich hier seine Schreibweise wieder:
„Klar wenn man zwei Milch hat kann man mehr als 100 Prozent kriegen. Aber keine Ahnung warum ich dir jetzt grundschul-Mathe erkläre“
Wieder eine dieser entlarvenden Bemerkungen, die der Absender nicht als entlarvend erkennt. Doch auch diese vorwurfsvolle Reaktion seitens Lars Weisbrods ist schlüssig, wenn wir von der vermuteten falschen Prämisse ausgehen.
Lars Weisbrod: Es war ein „Shitpost“
Die kurioseste Wendung nahm die Sache dann, als Lars Weisbrod in einem weiteren Posting erklärte, sein Beitrag sei ein „Shitpost“ gewesen – also bewusster Quatsch, der eigentlich als solcher erkannt werden müsste.
Diese Behauptung schlugen ihm die Leute natürlich wieder um die Ohren – vor allem weil Lars Weisbrod seine Fehlannahme, Zölle könnten 100 Prozent des Produktpreises nicht übersteigen, so vehement verteidigt hatte. So schrieb Aya Velázquez bei X:
„Es war kein ‚Shitpost‘. Du hast dich den gesamten Abend lang deiner angeblichen Mathe-Kenntnisse gerühmt und andere niedergemacht, die es dir freundlich erklären wollten.“
Selbst in diesem „Shitpost“-Post geht das Missverständnis weiter. Lars Weisbrod bittet, dass man ihm keine E-Mails mehr zur Prozentrechnung schreiben möge. Das ist nachvollziehbar. Denn Lars Weisbrod versteht ja grundsätzlich, dass ein Prozentsatz mehr als 100 Prozent betragen kann.
Möglicherweise hat ihm bis zu dieser Bemerkung einfach niemand eine E-Mail geschrieben mit der Information, dass Zölle nicht mit dem Kaufpreis verrechnet, sondern aufgeschlagen werden.
Die entscheidende Information hat also bis zu einem bestimmten Punkt allem Anschein nach gefehlt. Die Information, die den Groschen fallen lässt und alles ändert.
Ohne diese Information dürfte sich die Situation für Weisbrod als völlig unerklärlich dargestellt haben. Was wollten diese vielen Leute alle von ihm? Weshalb ließen sie sich von seinen mathematischen Belehrungen nicht beeindrucken?
Bärendienst für die klassischen Medien
Na ja. Auch wenn dem Geschehen mutmaßlich eine Kombination aus Unwissen und einem Missverständnis zugrunde lag, ist es in meinen Augen ein Desaster. Nicht nur wegen der möglicherweise falschen Prämisse, sondern vor allem auch wegen des Stils:
- Da wirft jemand US-Präsident Trump vor, einen angeblich mathematisch unmöglichen Zoll von mehr als 100 Prozent zu verfügen und damit die „Grundschul Mathematik“ (in dieser Schreibweise) nicht zu beherrschen – obwohl sich sonst niemand darüber beschwert, das sei mathematisch unmöglich.
- Auf Widerspruch reagiert der Betreffende auf geradezu schnoddrige Art mit Texten voller Fehler und ohne Respekt gegenüber der Rechtschreibung und der Zeichensetzung.
- Zugleich belehrt er andere in Sachen Mathematik, immer wieder mit rechthaberischen und selbstgerechten Lach-Smileys.
- Nachdem restlos allen klar ist, dass er Unsinn geschrieben hat, gibt er vor, es habe sich bei der Zoll-Äußerung gar nicht um eine ernsthafte Annahme gehandelt, sondern das Ganze sei ein Shitpost gewesen.
- Und dieser Akteur ist Autor bei einer der renommiertesten Zeitungen Deutschlands, bei der „Zeit“.
Das ist alles nicht gut.
Es kann sein, dass man mal falschliegt. Dann gibt man das zu und korrigiert sich. Aber wenn ich lese, das Ganze sei von Anfang an als Scherz gedacht gewesen, fühle ich mich für dumm verkauft. Ein „Zeit“-Autor stellt also die Öffentlichkeit mit einem Shitpost auf die Probe? Im Ernst? Er will mir erklären, ich sei auf etwas hereingefallen, was von Anfang an als Irreführung gedacht war? Der „Zeit“-Autor hat etwas gepostet, was gar nicht ernst zu nehmen war?
Wieso tut jemand sowas? Will er, dass künftig niemand mehr seine Postings für voll nimmt?
Und welches strategische Ziel sollte eine solche Finte gehabt haben? Was genau hätte sie wem genau demonstrieren sollen?
Einmal ist die spätere Erklärung, es habe sich um einen Shitpost gehandelt, kaum glaubwürdig – vor allem, weil am Ende nur Screenshots des Ursprungspostings mit dem Beleg der Ahnungslosigkeit kursieren und ein möglicherweise denkbarer Kontext wegfällt. Dass das Internet so funktioniert, dürfte der Autor wissen.
Und dann zeugt das Benehmen auch nicht unbedingt von großem Respekt gegenüber der Öffentlichkeit und ihrem Anspruch, dass wir mit ihr keine Spielchen treiben. Vor allem nicht als Vertreter der seriösen Presse. Was Weisbrods Verhalten gegenüber Überbringern berechtigter Kritik über seinen Charakter aussagt, will ich hier gar nicht thematisieren.
Natürlich ist es in Ordnung, wenn jemand seine Glaubwürdigkeit untergräbt. Wir dürfen uns selbst schaden. Nur gerät hier die „Zeit“ in Mitleidenschaft und mit ihr die von den Feinden der Demokratie pauschal als sogenannte „Mainstream-Presse“ diffamierte Medienlandschaft insgesamt, also die etablierten Medien, die sich an journalistische Grundsätze und den Pressekodex halten, der sie zur Wahrheit verpflichtet.
Das hier war ein Bärendienst für die klassischen Medien und ihre Glaubwürdigkeit. Lars Weisbrod hat mit dem unqualifizierten Vorwurf gegen Trump, dieser sei in Sachen Mathe unbedarft, weil er Zölle von mehr als 100 Prozent erhebt, dem Populismus Futter gegeben. Völlig unnötig.
Es gibt so viele reale Hinweise auf das zu kurze Denken Trumps, seine Impulsivität, seine Einfalt – weshalb wählt ein „Zeit“-Autor unbedingt ein Beispiel, das nicht aufgeht und wie ein Bumerang zurückfliegt? Wenn es wirklich ein absichtlicher Shitpost war: Was hat sich Lars Weisbrod dabei gedacht?
Vor allem: Wie sollte der Gedanke des Shitposts aufgehen im Blick auf die Kollegen bei der „Zeit“, die natürlich von 104 Prozent Zoll schreiben, weil es eben Nachrichtenlage und sachlich richtig ist?
Wenn wir diese Gesellschaft und die Demokratie retten wollen – und ich meine damit alle, die sich für Vielfalt einsetzen, für Gleichberechtigung, gegen Radikalisierung durch Desinformation, für Rechtsstaat und Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit –, dann müssen wir wirklich sauberer arbeiten.
Das Ergebnis dieser Geschichte sind bis jetzt zwei Beiträge in „Nius“ und „exxpress.at“, die für Demokratiefeinde ein gefundenes Fressen sind. Erfahrungsgemäß dürften es noch mehr Beiträge werden – und die dienen dann als Belege dafür, dass die „Mainstream“-Presse insgesamt inkompetent ist. Zu verdanken ist das einem Inkompetenz dokumentierenden Posting, das in dem Augenblick ein Shitpost gewesen sein soll, in dem letztlich alle begriffen hatten, dass Unsinn drinsteht.
Kritikfähigkeit und Fehlerkultur für Journalisten
Zuletzt (Stand 10. April 2025, 19 Uhr) hatte Lars Weisbrod bei Bluesky geschrieben (Fehler wieder im Original):
Auch wenn sich die Frage stellt, inwiefern Lars Weisbrods Seelenheil öffentlich relevant ist: Gegen die Entscheidung für die nötige Reflexion ist sicher nichts zu sagen. Doch warum erleben wir hier nach dem „Shitpost“-Reframing schon wieder ein Reframing, zumal ein offensichtlich falsches? Lars Weisbrod ist in diese Situation nicht „geraten“. Er hat sie geschaffen. Durch seine öffentliche Behauptung, Donald Trump fehle es bei der Verhängung von Zöllen von mehr als 100 Prozent an „Grundschul Mathematik“.
Was denkt Lars Weisbrod denn, wie die Öffentlichkeit reagiert? Denkt er, die Öffentlichkeit – auch im Ausland – erkenne hinter seinen Worten selbstredend einen sophisticateten Scherz, weil niemand davon ausgeht, dass der geniale Lars Weisbrod jemals falschliegen könnte? Denkt er im Ernst, dass vor diesem Hintergrund allen klar sein muss, dass das Posting daher natürlich nur ein Shitpost gewesen sein kann – eventuell weil er ganz bestimmt irgendeine tiefere Botschaft für die Welt hat? Ist Lars Weisbrod auch über die Landesgrenzen hinaus dazu denn ausreichend prominent?
Woran also hätten die User erkennen können, dass sie es hier nicht etwa mit irgendeinem ökonomisch ungebildeten Journalisten zu tun haben, wie es das erste Posting, das am Ende eben hängenbleibt, zum Ausdruck bringt, sondern möglicherweise mit Ironie, worauf auch immer diese zielen mochte?
Und weshalb ist „die Sache mit dem Prozent-Tweet“ überhaupt „aus dem Ruder gelaufen“, wie Lars Weisbrod es nennt? Weil Lars Weisbrod recht hat und alle anderen falschliegen? Oder weil die Öffentlichkeit zu dumm ist, Lars Weisbrods Shitpost als solchen zu erkennen?
Ist Lars Weisbrod klar, was in der öffentlichen Debatte derzeit geschieht? Und wie wichtig Formulierungen sind? Glaubt er im Ernst, ein solcher Shitpost sei in irgendeiner Weise förderlich für die Wahrheit, die Demokratie oder die kluge Meinungsbildung? Wie kommt er darauf? Weiß er, was Journalismus ist und bedeutet?
Und worauf sollte das hinauslaufen, wenn es ein Shitpost war? Was wollte Weisbrod wem mit der Inszenierung demonstrieren, dass ein „Zeit“-Autor Unsinn über Zölle schreibt, in Wahrheit aber der komplette Checker ist, auch wenn seine Zeichensetzung und Rechtschreibung etwas anderes nahelegen?
Und woran bitte hätte das Ganze als Shitpost zu erkennen gewesen sein sollen?
Nein – von Lars Weisbrods Reframing lassen sich verständige Menschen nicht beirren. Eher bleibt bei ihnen der Gedanke hängen, dass sich Rechthaberei, Falschliegen, Spott und Überheblichkeit nicht für eine professionelle Kommunikation eignen. Hier ist das Ergebnis sogar kontraproduktiv, wenn es um die freiheitliche Demokratie geht: Lars Weisbrod hat den Gegnern der freien und offenen Gesellschaft völlig unnötig gedankliche Munition in die Hand gegeben.
Qualitätsoffensive für die Publizistik
Solche Dinge müssen wir vermeiden, weil sie das Narrativ der Demokratiegegner bedienen, die demokratischen Akteure würden ganz generell die Menschen für dumm verkaufen. Wir brauchen unbedingt eine Qualitätsoffensive im Journalismus und in der Publizistik insgesamt. Auch so ein Gestammel wie „Grundschul Mathematik“ will ich von niemandem mehr lesen, der in irgendeiner Weise für ein Qualitätsmedium steht. Das ist einfach peinlich. Und mit der Selbstgerechtigkeit muss Schluss sein. Die Umdeutungsversuche müssen aufhören.
Was nicht heißt, dass die Schreihälse aus der antidemokratischen Ecke recht hätten. Klassische Medien und ihre Akteure lügen nicht per se. Sie machen Fehler, die dann Folgen haben – ob bei den „Hitler-Tagebüchern“ oder der Relotius-Affäre. Es sind die Desinformationsmedien der Schwurbelseite, die gezielte Falschinformationen verbreiten, die dann eben keine personellen Folgen haben. Denn diese Desinformationsmedien sind dafür angetreten, die Demokratie zu destabilisieren.
Derzeit sind einige Akteurinnen und Akteure dabei, Strategien gegen die Desinformation zu entwickeln. Es geht um die Förderung von Resilienz gegenüber Manipulationsversuchen. Dahinter steht der Kampf für die Demokratie und gegen den Populismus, aber im Vordergrund steht die Sensibilisierung für wahre und unwahre Behauptungen, falsche Framings und andere Methoden der Demagogie. Dazu gehört natürlich auch der Einsatz für demokratische Institutionen und für die etablierten Medien, die im Unterschied zu den aus dem Boden sprießenden Desinformationskanälen weitestgehend seriös arbeiten.
Da ist es einfach ärgerlich, wenn ein Vertreter eines seriösen Mediums anhand des eigenen Handelns demonstriert, dass die Vertreter der seriösen Medien eben doch nicht unbedingt so seriös agieren, wie sie sollten – und zwar ganz gleich, ob es seitens Lars Weisbrods reines Unwissen und mangelnde Kritikfähigkeit waren oder eben ein Shitpost, der unehrlich gegenüber der Öffentlichkeit war, weil er mit ihr ein Spiel trieb.
Für die Gegner der klassischen Medien könnte der „Fall Weisbrod“ zu einem Musterbeispiel werden – und dabei handelt es sich nicht einmal um einen Fake.
Hinterlasse einen Kommentar