Was ist eigentlich „Geschwurbel“? An der Journalistenschule war „Geschwurbel“ für uns, wenn jemand wirres Zeug erzählt, nicht zum Punkt kommt und sich komplizierter ausdrückt als nötig. Ein Satz wie: „Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die Bezuschussung Ihres Kaninchenstalls antragsgemäß bewilligt wurde“ war für uns Geschwurbel. Inhaltlich zwar substanziell, aber sprachlich unnötig umständlich. Die gleiche Botschaft ohne Geschwurbel wäre: „Wir geben Ihrem Antrag statt und bezuschussen Ihren Kaninchenstall.“ Geschwurbel war also früher eine Frage des Ausdrucks, nicht des Inhalts.

Mit den Coronaleugnern, Corona-Impfung-Verdammern, „Querdenkern“, Verschwörungsgläubigen, „Reichsbürgern“ und Putin-Trollen hat sich die Bedeutung des Wortes „Geschwurbel“ verändert: Gemeint ist damit nicht mehr nur ein umständlicher Ausdruck, sondern vor allem inhaltliche Leere und auch Lüge. Während der geschwurbelte (und erfundene) Verwaltungssatz aus meinem Beispiel wenigstens einen faktischen Kern hat, ist das Geschwurbel der genannten Gruppen in aller Regel substanzlos und inhaltlich nicht haltbar.

Zugleich hat das Geschwurbel eine Aufgabe: Es ist Teil der weitgehend von der russischen Regierung zur Destabilisierung westlicher Gesellschaften aufgesetzten Propaganda. Das Geschwurbel – ob von „Reichsbürgern“ oder „Querdenkern“ – soll in unserem Denken Desinformation verankern, also absichtsvoll aufgesetzte gezielte Falschinformation.

Die Absender von Geschwurbel, die „Schwurbler“, sind dabei entweder Täter, nützliche Idioten oder Ahnungslose:

  • Die Täter kennen die Grundlagen der Demagogie, also das „Lehrbuch der Demagogik“ von Rudolf Bartels, die Tagebücher von Joseph Goebbels und auch „Call me a Radical“ von Saul D. Alinsky – sowie viele weitere Literatur zur Frage, wie sich Desinformation professionell aufsetzen lässt. Die Täter haben riesige Reichweiten und steuern auch viele der nützlichen Idioten.
  • Die nützlichen Idioten sind leichtgläubige Charaktere, die sich von scheinbar plausiblen Aussagen leicht täuschen lassen – ihr Gehirn erkennt Zusammenhänge, wo keine sind, und speichert sie als Fakt ab. Sie verbreiten die Propaganda in ihrem jeweiligen Umfeld. Ein nützlicher Idiot wird mitunter zum Täter, andere erkennen den Schmu und steigen aus.
  • Die Ahnungslosen sind diejenigen, die einem Demagogen aufgrund von geringer Intelligenz oder psychischen Beeinträchtigungen unkritisch aus der Hand fressen. Sie haben üblicherweise keinen größeren Verteiler und brauchen im Wesentlichen Hilfe.

Das Ziel der Demagogie ist es, gemäß der „Schweigespirale“ nach der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann der schweigenden Mehrheit vorzugaukeln, die laute Minderheit der „Querdenker“ und Putin-Freunde sei im Recht und eine Mehrheit. Da es sich aber um eine Minderheit handelt, die im Grunde nur Lärm erzeugt, brauchen diese Demagogen das Geschwurbel, um beispielsweise die falsche Annahme, sie seien eine Mehrheit, im Denken der Leute zu verankern.

Im Zuge dieser Strategie ist es den Akteuren auch völlig egal, ob einzelne Intellektuelle im Westen den Schwindel durchschauen. Reflektierte Menschen mit Informationskompetenz (also der Fähigkeit, Informationen treffend zu bewerten) sind nicht das Ziel der russischen Desinformation. Das Ziel ist die Mehrheit, die solche Kompetenzen nie erworben hat.

Insofern nutzen Demagogen folgende Methoden:

Andeutungen

Demagogen arbeiten mit Andeutungen. Während psychisch gesunde und klar denkende Menschen sich ihre Meinungen auf der Basis von belegten Fakten bilden, deuten Demagogen ihre Ansichten oft nur an und sind damit bei ihrer leichtgläubigen Zielgruppe erfolgreich. „Es könnte doch sein, dass die Amerikaner hinter 9/11 stecken“, ist so eine Andeutung, beispielsweise transportiert von dem inzwischen öffentlich massiv kritisierten Schweizer Historiker Daniele Ganser, nach meiner Beobachtung eine der wichtigsten Stimmen der pro-russischen Propaganda im deutschsprachigen Raum. Oder: Ganz selbstverständlich von der „westlichen Dekadenz“ zu sprechen und diesen Wortlaut nebenher in eine Argumentation einfließen lassen und falsche Behauptungen einfach als anerkannt voraussetzen – das ist Geschwurbel in Gestalt einer Andeutung.

Unterstellungen

Mit der Andeutung verwandt ist die Unterstellung: „Wie oft folgen wir dem gängigen Narrativ, ohne es zu merken?“ ist so eine rhetorisch hinterhältige Unterstellung, kürzlich gehört von einer Trainerin. Welches Narrativ meint sie denn? Darüber verliert sie kein Wort, sie beantwortet die Frage schlichtweg nicht. Oder, ebenfalls gehört von einer Trainerin: „Es kann doch nicht sein, dass wir keine kritischen Fragen stellen dürfen!“ Hier haben wir ein schönes Beispiel für eine Meinungsäußerung mit einem falschen Tatsachenkern: verlogen und niederträchtig, denn natürlich dürfen wir kritische Fragen stellen – was die „Querdenker“ betrifft, ist Youtube voll von Videos mit angeblich kritischen Fragen. Diagnose: Geschwurbel.

Scheinheilige Fragen

Der Satz: „Ich stelle nur Fragen“ ist wohl inzwischen weitgehend als demagogisches Mittel der pro-russischen Propaganda und der „Querdenker“-Szene entlarvt: Hier unterstellen Demagogen ihre Falschbehauptungen indirekt, indem sie sie in eine Frage packen. „Was wäre denn, wenn doch die Amerikaner hinter 9/11 stecken würden?“ insinuiert die Lüge. Solche scheinheiligen (und verlogenen) Fragen zielen nicht auf einen Erkenntnisgewinn wie normale Fragen, sondern ihr Zweck ist einzig, die demagogische Botschaft indirekt in den Köpfen der Menschen zu platzieren. Auch diese absichtsvolle Irreführung ist Geschwurbel.

Gerüchte

„Ich glaube, dass Russland die Biowaffenlabore angreifen will, die die Ukraine mithilfe der USA unterhält“: Hier haben wir das klassische Gerücht. Demagogen nehmen hier einfach eine Behauptung, die in ihr Weltbild passt, und verbreiten sie mit der Beifügung „Ich glaube“ oder „Ich denke“, und sie insinuieren einen Eingriff in ihre Meinungsfreiheit, wenn man sie damit konfrontiert, dass sie unbelegtes Zeug verbreiten. Denn sie „meinen“ ja nur (was eine weitere Irreführung ist). Gerne auch genutzt ist der Konjunktiv. „Es könnte doch sein, dass …“ ist ebenfalls ein Alarmzeichen für Geschwurbel.

Impfgegner verteidigen Russlands Angriffskrieg

Wer mit solchen demagogischen Methoden arbeitet und insofern „schwurbelt“, findet im klassischen Wissenschaftsbetrieb und in der seriösen Publizistik irgendwann nicht mehr statt. Und das ist auch klar, weil es in Wissenschaft und Publizistik um Fakten und Belege geht, nicht um Gerüchte und Halbwahrheiten. Das hat nichts mit „Zensur“ zu tun, sondern mit Qualitätssicherung.

Im Grunde können Journalisten ihre Recherche-Ordner „Querdenker“, „Reichsbürger“ und „Russische Propaganda“ zu einem Ordner zusammenlegen und ihn „Desinformation“ nennen. Die Themen lassen sich kaum noch trennen, zumal die ganze „Querdenker“- und auch „Reichsbürger“-Propaganda am Ende tatsächlich zu einem großen Teil ihren Ursprung oder zumindest Unterstützung im Kreml findet:

Ja, das Selberdenken ist bei manchen Leuten aus der Mode gekommen, vor allem bei denjenigen, die von sich selbst sagen, sie würden „querdenken“. Mit „Denken“ hat das für meine Begriffe nicht viel zu tun. „Denken“ ist etwas völlig anderes als das, was diese Leute tun.

Propagandaopfer erkennen

Zum Schluss noch zwei Fragen, mit denen Sie schnell herausfinden, ob Ihr Gegenüber mit der Propaganda infiziert ist.

  • Fragen Sie zuerst: „Ist die Ukraine aus deiner Sicht ein souveräner Staat?“ Kommt hier nicht innerhalb von zwei Sekunden ein Ja, haben Sie es mit einem Propagandaopfer zu tun – ob Täter, nützlicher Idiot oder Ahnungsloser.
  • Vor dem Hintergrund des notorischen Amerikahasses der Kreml-Propaganda und des linken und rechten Randes in Deutschland bietet sich zudem folgende Frage an: „Angenommen, nicht die Russen hätten die Ukraine angegriffen, sondern die Amerikaner – wäre es dann legitim, die Ukraine bei der Verteidigung zu unterstützen?“ Darf sich gemäß der Antwort die Ukraine gegen die USA wehren, nicht aber gegen Russland, haben Sie es ebenfalls mit einem Propagandaopfer zu tun.

Das Thema ist insgesamt nicht ganz unterkomplex, ich weiß. Der Punkt ist nur: Wenn Sie einmal verstanden haben, wie die russische Propaganda funktioniert und wie sie ihre antiwestlichen Hassbotschaften in westliche Köpfe einschleust, dann sind die Zusammenhänge leicht zu überblicken.

Derzeit versucht die russische Propaganda, die Leichtgläubigen, die Unreflektierten und alle ohne Medien- und Informationskompetenz für sich abzugrasen. Weil bei der russischen Propaganda auch eine Vielzahl von Verschwörungsnarrativen eine Rolle spielt, zielt der Kreml im Westen bewusst auch auf diejenigen, die für Verschwörungsnarrative anfällig sind. Das sind – neben Menschen, die einfach nur naiv sind – unter anderem psychisch labile Menschen, die sich leicht von einer überwertigen Idee überzeugen lassen oder die ohnehin eine paranoide Entwicklung in Richtung Wahnvorstellung durchlaufen.

Ich will damit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht diskreditieren – im Gegenteil: Wir als Gesellschaft müssen diese sehr vulnerable Gruppe besonders vor der Propaganda schützen. Derzeit besuchen zahlreiche Menschen mit entsprechender psychischer Prädisposition beispielsweise die Vorträge Daniele Gansers und berichten begeistert von ihrer Erweckung. Welche Gefahr darin lauert, erfasst die Öffentlichkeit erst jetzt so langsam.

Daniele Gansers Fans finden es toll, dass Ganser Fragen stellt, und durchschauen die Perfidie hinter seiner Rhetorik nicht. Daniele Gansers Fans finden es großartig, wenn er behauptet, alle Menschen gehörten zur „Menschheitsfamilie“ – gerade Esoteriker gehen solchen Buzzwords leicht auf den Leim. Sie erkennen nicht, dass der Integrationsgedanke es rhetorisch ermöglicht, dem Westen und den Impfbefürwortern implizit vorwerfen zu können, dass sie spalten. Die Fans durchschauen offenbar auch die Täter-Opfer-Umkehr nicht, wenn sich der Aggressor Russland plötzlich als Opfer darstellt. Diese intendierten Narrative fressen die Leute einfach nebenbei auch noch. Auch wenn Ganser die Ungeimpften mit den Juden im „Dritten Reich“ vergleicht, fehlt seinen Fans das nötige politische Bewusstsein, um zu erkennen, dass es hier um eine historisch untragbare Einordnung geht. Sie scheinen das einfach nicht zu erfassen.

Ob die Propaganda dabei lügt oder nicht, ist dabei wie gesagt gar nicht so sehr der Punkt – entscheidend ist aus Sicht der Täter, dass die Propaganda verfängt. Und so gilt am Ende wie so oft das Sprichwort: „Und während die Klugen noch diskutieren, stürmen die Dummen die Burg.“ Nicht ohne Grund fordern viele „Querdenker“, Deutschland solle aus der NATO austreten: Das Ziel ist ein totalitäres Regime in Europa, das Putin-Kritiker ebenso mundtot macht wie das russische Regime bereits heute.