tagesschau.de bringt heute einen Bericht über die so genannte Heinsberg-Studie. In diesem Bericht zweifeln einige Wissenschaftler die Studie an. Inhaltlich will ich das jetzt nicht kommentieren; mir geht es hier um etwas Sprachliches. Genauer: um einen Satz in dem tagesschau.de-Bericht. Dort steht:

Mehrere Wissenschaftler haben auf Anfrage des SWR die fehlerhafte Hochrechnung der Zahlen des Ortes Gangelt auf Deutschland bestätigt.

Was steht in diesem Satz? In diesem Satz steht: Mehrere Wissenschaftler haben die Hochrechnung bestätigt, die allerdings fehlerhaft war. Das bedeutet, dass nach Ansicht des SWR auch die befragten Wissenschaftler in die Falle gelaufen sind. So sagt es tagesschau.de.

Gemeint ist aber etwas anderes. Gemeint ist, mehrere Wissenschaftler hätten bestätigt, dass diese Hochrechnung fehlerhaft sei. Oder: Mehrere Wissenschaftler hätten die – und jetzt kommt die ungelenke Substantivlösung – Fehlerhaftigkeit der Hochrechnung bestätigt. Und die Wissenschaftler sind nicht in die Falle gelaufen, sondern haben bei der Aufklärung geholfen.

Es ist ein schönes Beispiel aus der Praxis, in dem jemand etwas anderes sagt, als er sagen will. Der Kern des Problems ist hier, dass tagesschau.de das Adjektiv „fehlerhaft“ falsch einsetzt – die Kollegen ordnen es der bestätigten Hochrechnung zu. Und schon bestätigt jemand eine falsche Hochrechnung.

Adjektivmissbrauch begegnet uns sehr oft. Vereinfacht gesagt ist es so, wie wenn Sie zu Ihrem Kind sagen: „Sei mal leiser! Du machst ja den ganzen Hund verrückt“, statt: „Sei mal leiser! Du machst ja den Hund ganz verrückt.“ Denn natürlich machen wir keinen halben Hund verrückt. Adjektive deuten eben nicht nur auf eine Eigenschaft hin, sondern meistens auch gleich auf eine Unterscheidung. Wenn eine Konferenz im „polnischen Warschau“ stattfindet, stellt sich sofort die Frage: in welchem Warschau sonst? Bestimmt gibt es weitere Warschaus – aber wenn wir einfach nur „Warschau“ sagen, ist klar, welches gemeint ist.

Lassen wir aber beim Beispiel der „fehlerhaften Hochrechnung“ das Adjektiv weg, dann würden wir sagen, die Wissenschaftler hätten die Hochrechnung bestätigt. Und das will tagesschau.de ja eben gerade nicht sagen. Denn die Hochrechnung ist ja offenbar fehlerhaft.

Adjektive ordnen ihren Substantiven also Eigenschaften zu, und die sind manchmal trügerisch. Nehmen wir die Formulierung „der hessische Innenminister“. Die kann richtig sein (es hängt von der Besetzung des Amtes ab), aber prinzipiell kann Hessens Innenminister ein Schwabe sein und wäre damit niemals hessisch, selbst als Innenminister Hessens nicht.

So wie ein „hessischer Innenminister“ zwingend Hesse sein muss, weil sich das Adjektiv auf ihn selbst bezieht, bestätigen Wissenschaftler beim Bestätigen einer „fehlerhaften Hochrechnung“ eben mit der Hochrechnung auch das Fehlerhafte an ihr.

Das heißt: Einfach an Substantive angefügte Adjektive eignen sich nicht, um nebenbei eine Eigenschaft zu benennen. Dafür brauchen wir eine eigene Aussage:

  1. Die Hochrechnung ist fehlerhaft.
  2. Wissenschaftler bestätigen das.

Damit bezieht sich die Bestätigung nicht mehr auf die fehlerhafte Hochrechnung, sondern auf die Aussage, dass diese Hochrechnung fehlerhaft ist. Und das ist nun einmal etwas völlig anderes.

Relevant ist diese Kleinigkeit für Unternehmen, wenn es um Schriftsätze oder auch um Briefe an Behörden geht. Sollten Sie einen Corona-Wirkstoff finden, sollten Sie in Ihrem Zulassungsantrag unbedingt sprachlich sauber arbeiten. Sonst könnte es sein, dass man Ihnen die Zulassung aufgrund einer unklaren Ausdrucksweise versagt. Denn selbst wenn man sagen könnte, man könne schon vermuten, was gemeint sei, können Sie immer noch an einen Korinthenkacker geraten wie mich. Und ich nehme Sie beim Wort.