Das Europäische Parlament hat das neue Urheberrecht gebilligt. Danach müssen Netzbetreiber dafür sorgen, dass Nutzer nur noch urheberrechtlich unbedenkliche Inhalte hochladen. Der Gedanke ist so undurchdacht wie die DSGVO. Thilo Baum beschreibt, warum das neue Urheberrecht ein großer Fehler sein könnte. Denn ein Rechtsstaat verdächtigt seine Bürger niemals, unzulässig zu handeln. Er setzt das Gute voraus. Die Urheberrechtsreform aber betreibt eine Schuldumkehr. 

Natürlich: Die nationale Gesetzgebung muss das neue Urheberrecht noch bestätigen. Nach meinem Dafürhalten wird sie das aber leider tun. Warum? Weil ein Großteil derer, die darüber abstimmen, keine Ahnung vom Leben haben. Insbesondere vom Geschäftsleben. Weil die meisten noch nie produktiv gearbeitet haben. Schon die DSGVO hat bewiesen, dass das Denken der meisten Abgeordneten in relativ simplen Bahnen läuft: Man wollte das Verhältnis zwischen Konzern und Konsument bereinigen, was sicher sinnvoll war, aber man hat eben nebenbei auch das Verhältnis zwischen normalen Geschäftsleuten mit Hürden belastet, an die die Macher vorher nie gedacht hatten. Eben weil sie keine Ahnung vom Geschäftsleben haben.

Die Wikipedia beschreibt das Kernproblem sehr gut. Den fraglichen Artikel 17 zitiert die Wikipedia so:

Artikel 17

Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten

[…]

(4) Wird die Erlaubnis nicht erteilt, so ist der Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten für nicht erlaubte Handlungen der öffentlichen Wiedergabe, einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung, urheberrechtlich geschützter Werke oder sonstiger Schutzgegenstände verantwortlich, es sei denn, der Anbieter dieser Dienste erbringt den Nachweis, dass er

a) alle Anstrengungen unternommen hat, um die Erlaubnis einzuholen; und

b) nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen hat, um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind; und in jedem Fall

c) nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich gehandelt hat, um den Zugang zu den entsprechenden Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von seinen Internetseiten zu entfernen, und alle Anstrengungen unternommen hat, um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern.

Seit wann muss der Bürger beweisen, dass er rechtskonform handelt?

Das ist das Problem. Wie soll das gehen, was Absatz 4 verlangt: „Wird die Erlaubnis nicht erteilt“?

Das Gesetz verlangt also im Kern, dass Content-Anbieter nachweisen, dass ihre Inhalte urheberrechtlich unbedenklich sind. Das ist in meinen Augen eine Umkehr einer Gepflogenheit im Recht, wonach wir erst mal niemanden verdächtigen, unrechtmäßig zu handeln. Wenn Sie oder ich oder wer auch immer einen Inhalt hochlädt, wo auch immer, hat erst einmal der gutwillige Grundgedanke zu herrschen, dass Sie oder ich oder wer auch immer rechtskonform handeln.

Der grundsätzliche Argwohn gegenüber dem Bürger ist eher eine Eigenschaft eines totalitären Systems als einer Demokratie, die ihre Bürger für mündig erachtet. Das ist der Hauptgrund, der mich in große Verwunderung bringt, dass nahezu alle CDU- und CSU-Abgeordneten und weite Teile der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament (ich weiß, dass die Parteien dort anders heißen), auf eine solch fatale Weise abgestimmt haben. Eine Demokratie begegnet ihren Bürgern nicht grundlegend mit Argwohn, sondern mit Vertrauen. Man ist einander wohlgesinnt, nicht misstrauisch.

Der Bürger muss im Rechtsstaat nicht beweisen, dass er rechtskonform handelt. Sondern der Staat muss ihm nachweisen, dass er es nicht tut.

Wenn wir von diesem Grundsatz abweichen, ist die Diktatur nicht mehr weit.

Grundsätzlich muss also gelten: Wir dürfen hochladen, was wir wollen. Im Nachgang kann sich jemand darüber beschweren. Das ist die rechtsstaatliche Reihenfolge.

Upload-Filter: White list oder black list?

Dann zum Gedanken des „Upload-Filters“. Wie soll der funktionieren?

Schauen wir die technische Seite an. Sicher kennen Sie „Shazam“. Diese App findet Musik, die Sie hören, als Titel zum Runterladen. Sie halten Ihr Smartphone in den Klang, und Shazam erkennt Musiktitel.

Wie macht Shazam das? Ganz einfach. Im Grunde sind Töne, die über Datenleitungen laufen, Daten. Also Folgen aus Nullen und Einsen. Jetzt hat Shazam Zugriff auf iTunes und vielleicht auch auf andere Plattformen, und damit hat es Zugriff auf die Daten beziehungsweise Zeichenfolgen, aus denen digitalisierte Musiktitel bestehen. Was Shazam macht, ist einfach nur, die gehörte Musik mit den in der Datenbank verfügbaren Daten abzugleichen. Den ähnlichsten Titel meldet Shazam als Treffer. Es geht nicht um einen hundertprozentigen Abgleich. Der ist technisch auch nicht möglich, weil schon ein Furz vom Hund den Datenabgleich verfälscht. Die vom Smartphone aufgenommenen Daten entsprechen niemals exakt den Daten, aus denen ein Musikstück besteht. Also arbeitet Shazam mit Näherungswerten. Wer schon mal einen uralten, seltenen Titel mit Shazam abgleichen wollte, den es bei iTunes nicht gibt, hat es vielleicht schon mal erlebt: Shazam spuckt als Treffer einen völlig anderen Titel aus als den, der läuft. Allerdings sind manche Parameter ähnlich, beispielsweise der Rhythmus. Hin und wieder ist es sogar eine Cover-Version.

Also: Das ist die technische Seite. Ein Upload-Filter funktioniert wie Shazam. Er gleicht hochgeladene Daten mit irgendetwas ab. Technisch kein Problem. Und dann gibt es ein OK oder eben kein OK.

Nur: Womit gleicht so ein Filter ab? Mit einer „white list“ oder mit einer „black list“? Und ab wie viel Prozent Übereinstimmung gibt er ein OK oder eben kein OK?

Genauer: Ein Upload-Filter muss die hochgeladenen Daten mit irgendetwas vergleichen. Entweder sind alle urheberrechtlich geschützten Werke irgendwo gespeichert, und wenn wir etwas Deckungsgleiches hochladen wollen (zu wie viel Prozent deckungsgleich?), sagt das System „Stopp“. Oder aber der Upload-Filter gleicht den Upload mit etwas ab, was vom Uploader kommt. Also mit dessen eigenen, selbst produzierten Texten, Fotos, Podcast-Folgen und Videos, die der Filter dann als Positivbeispiele erkennt.

Eine „black list“ wäre also: Die Weltgemeinschaft stellt alle Daten sämtlicher urheberrechtlich geschützter Werke in einer Datenbank zusammen. Laden wir etwas hoch, was damit matcht, sagt der Filter „Stopp“, und wir dürfen den Inhalt nicht hochladen. Vor allem hier wäre die Frage: Ab wie viel Prozent Übereinstimmung zwischen den hochgeladenen und den in der Datenbank hinterlegten Daten meldet das System einen Fehler?

Eine „white list“ wäre: Jeder einzelne Urheber stellt alle von ihm als Urheber erzeugten Daten zusammen und stellt sie der Datenbank zur Verfügung. Daraufhin würde der Filter das Hochgeladene mit dem abgleichen, was er kennt, und entsprechend ein OK geben. Als Urheber müsste man also geplante Inhalte vorher einreichen. Das wiederum dürfte sicher Artikel 5 des Grundgesetzes widersprechen, wonach es keine Zensur gibt. (Ich weiß, dass damit staatliche Zensur gemeint ist; aber indem der Staat Webseitenbetreibern wie Youtube diese Aufgabe überträgt, ist es im Grunde staatliche Zensur.)

Also: Entweder gleicht der Filter neue Inhalte mit dem ab, was verboten ist, oder mit dem, was erlaubt ist. Oder vielleicht mit beidem. Lassen wir diesen dritten Fall mal außer acht – kompliziert genug ist die Sache ohnehin. Im Zweifel müsste ein solcher Filter alles ablehnen, bei dem auch nur der geringste Verdacht einer Urheberrechtsverletzung gegeben ist – also alles über null Prozent. Und damit wären wir bei der Zensur. Vom Staat übertragen auf privatwirtschaftlich organisierte Körperschaften, die zum Teil im Ausland sitzen. In vielen Fällen sogar außerhalb der EU.

Kombinationen aus zulässigen und unzulässigen Inhalten

In beiden Fällen („black list“, „white list“) sollte natürlich gelten: Etwas Neues geht immer durch, kein Problem. Aber ist das wirklich kein Problem? Wie ich unsere Bürokraten kenne, die konsequent in Eventualitäten denken und sich in Details verlieben, wird es sicher ein Problem sein. Die Frage ist, wie ein Filter auf Neues reagiert. Was macht der Filter, wenn er nichts findet? Gibt er den neuen Inhalt dann frei oder mutmaßt er eine Urheberrechtsverletzung? Oder stoppt er die neue Veröffentlichung einfach schon deshalb, weil die Situation nicht klar ist und es eventuell Ärger geben könnte?

Das Problem ist außerdem nicht nur das Neue. Das Problem sind auch Kombinationen. Ein Youtube-Video beispielsweise, das zum Teil im Studio vor Greenscreen gedreht ist mit einer Powerpoint im Hintergrund, und auch mit Aufnahmen im Hintergrund in der freien Natur, und das mit Musik unterlegt ist, die zum Teil selbstgemacht ist und zum Teil über Lizenzen zusammenlizenziert. Wie reagiert denn ein solcher Filter, wenn der als Audio gesprochene Text von mir gesprochen ist, der Inhalt meines Textes aber von einem zeitgenössischen Dichter stammt, dessen Rechte ich verletze, wobei das im Hintergrund gezeigte Foto von einem anderen stammt, während ich das Foto infolge des Greenscreen-Keyings je nach Bewegung zu 40 bis 60 Prozent verdecke und auch noch mit Text überlagere? Unterlegt mit einer Musik, die ich korrekt eingekauft habe?

Wir müssten das Thema tatsächlich dermaßen eskalieren. Aber lassen wir das: Diese zwei Möglichkeiten gibt es im Grunde. „Black list“ und „white list“.

Die erste Möglichkeit („black list“) erscheint mir technisch kaum möglich, weil kein Computersystem der Welt wissen kann, wer wann welchen Inhalt generiert hat – denn vielleicht ist der entsprechende Inhalt ja auch gar nicht im Internet. Das betrifft schon mal die meisten Bücher.

Die zweite Möglichkeit („white list“) erscheint mir noch abwegiger, weil wir dann als Content-Lieferanten ständig irgendeiner Datenbank Bericht erstatten müssten darüber, welchen Content wir gerade entwickelt haben. Diese Datenbank bräuchte Millionen von Accounts.

Woher kennt der Upload-Filter meine Verträge?

Und es wird noch komplizierter. Woher weiß ein Upload-Filter, dass meine Musik in meinen Youtube-Filmen und Podcasts zwar nicht von mir stammt, aber korrekt eingekauft ist? Die Musik ist verfügbar, also kann sie ein Upload-Filter identifizieren. Allerdings habe ich die Nutzungsrechte an jedem einzelnen Titel, den ich in Podcast-Folgen und in Videos verwende, gekauft. Dafür gibt es Verträge und Lizenzen.

Die allerdings sind nicht öffentlich. Es geht auch niemanden etwas an, was ich vertraglich vereinbare.

Was geschieht also, wenn ich eine Podcast-Episode veröffentliche, wie zum Beispiel heute, in der zahlreiche Klänge verschiedener Anbieter verarbeitet sind?

Und ich setze noch eins drauf: Ich selbst spiele auf dem Klavier ein Stück von Mozart ein, um es in meinen Videos zu verwenden. Das ist kein Problem, denn ich habe ein Tonstudio. Wie reagiert ein Upload-Filter? Das Stück von Mozart selbst ist rechtefrei, weil der Mann länger als siebzig Jahre tot ist (Disclaimer: Ich habe noch nicht verifiziert, ob die Urheberrechtsnovelle diese Frist verändert). Also darf ich Mozarts Werke jederzeit ohne jede zivil- und strafrechtliche Sanktion selbst öffentlich spielen und meine Mozart-Aufnahmen auch auf Datenträgern veröffentlichen. In diesem Moment ist meine Interpretation ein urheberrechtlich geschütztes Werk, an dem ich das Urheberrecht habe. Mozarts Erben sind raus.

Um genau zu sein: Alle Einspielungen, also alle Interpretationen von Mozarts Werken, sind ihrerseits urheberrechtlich geschützt – mal für die Wiener Symphoniker, mal für einen Chor. Mozarts Werk selbst ist frei. Urheberrechtlich irrelevant. Wenn ich Mozart einspiele, ist die Datenabfolge meiner Einspielung möglicherweise anderen Einspielungen sehr ähnlich. Im schlimmsten Fall würde Shazam keinen Unterschied finden, weil es unmusikalisch ist und die Daten beider Einspielungen für Shazam zu ähnlich sind. Was dann?

Wie soll das also gehen? Mozarts Werk an sich ist rechtefrei. Die Interpretation aber nicht. Jetzt spiele ich Mozart ein, und Shazam könnte eine Übereinstimmung mit einer bereits veröffentlichten Interpretation desselben Werkes finden – oder auch jede andere Datenbank. Was passiert dann?

Und: Läuft so ein Upload-Filter in Echtzeit und kapiert kalendarisch, welcher Urheber heute vor siebzig Jahren gestorben ist? Oder sind die Systeme mal wieder zu dumm für solche einfachen Dinge? Das sind die Fragen.

Undurchdacht und realitätsfern

Aus meiner Sicht ist das Ganze undurchdacht und realitätsfern. Und es wird Content-Lieferanten im schlimmsten Falle massiv behindern. Dass Facebook und Youtube inzwischen Marketingmodelle darstellen, auf die Branchen wie die meine nicht mehr verzichten können, war den Machern dieses Gesetzes egal – Hintergrund ist wie erwähnt mutmaßlich deren mangelnde berufliche Erfahrung.

Im schlimmsten Falle könnte die Folge sein: Youtube, Facebook, LinkedIn und iTunes sind nicht mehr brauchbar. Damit kann zwar jeder seine Inhalte auf der eigenen Website hochladen – aber Traffic wird ohne die Verstärker Youtube, Facebook, LinkedIn und iTunes kaum entstehen. Teaser zu schreiben, wird das Einzige sein, das noch möglich ist.

Wenn ich etwas bei thilo-baum.de hochlade, weiß ich, dass es urheberrechtlich in Ordnung ist (das weiß ich natürlich auch, wenn ich etwas woanders hochlade). Aber Ideen zu verbreiten, die sich dann infolge des Zuspruchs durchsetzen und Verbreitung finden, das könnte mit dem neuen Urheberrecht schwierig werden. Wenn ich einen Gedanken poste, beispielsweise in Gestalt eines Memes, dann will ich doch, dass die Leute das teilen. Und das geht nicht nur mir so.

Es ist richtig, wenn FDP-Chef Christian Lindner und andere von den Freien Demokraten diese Novelle kritisieren und scharf angreifen. Mein wichtigstes Argument ist die Abkehr vom Rechtsstaat, die diese Novelle bedeutet. Es kann nicht sein, dass wir einander nicht mehr trauen. Das ist meine Kernbotschaft. Der Grundfehler ist, dem Menschen per se das Schlechte zuzutrauen und von ihm den Beweis seiner Unschuld zu verlangen. Diese Umkehr der Beweislast beschädigt den Rechtsstaat enorm. Denn das Misstrauen gegenüber dem mündigen Bürger ist ein Schritt zu dessen Entmündigung.

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