Wir leben in Zeiten, in denen unfassbar viele Menschen das eigenständige Denken aufgegeben haben. Sie folgen unreflektiert irgendwelchen Agitatoren und glauben, sie würden „querdenken“ oder seien „kritisch“. Wobei sie dabei nicht mehr logisch denken, sondern rein emotional. Sie folgen hanebüchenen Behauptungen und Vermutungen, ohne die Unterschiede zwischen Tatsachen, Vermutungen und Meinungen zu kennen. Mein Blog und mein Podcast sind voll von Beispielen, schauen und hören Sie sich einfach die Veröffentlichungen der vergangenen Monate an.

Vor wenigen Tagen habe ich einen umfangreichen Blogbeitrag über einen aktuellen Versuch veröffentlicht, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen, der in meinen Augen fast die Qualität der „Hitler-Tagebücher“ hat. Wobei der involvierte Journalist – anders als Gerd Heidemann 1983 – nicht behauptet, die fragliche vollgeschriebene Kladde sei echt, was sehr klug von ihm ist. Aber er reitet auf einer Hörensagen-Welle und befördert das Raunen nach dem Motto: „Es könnte doch sein“. Journalistisch ist das nicht.

Merkmal von Fake-News: Persönlicher Angriff, wenn aufgeflogen

In dem erwähnten Blogbeitrag habe ich einige Merkmale von Fake-News-Pyramiden erwähnt, bei denen die eine Lüge die andere erklärt. Das Eis wird mit jeder Ersatzlegende dünner, weil auch die narrativen Pflaster ihre Lücken haben und deswegen immer weiterer Ausflüchte bedürfen. Hier ergänze ich die Logik der Fake-News-Agitatoren um einige Punkte:

Propagandisten, Fake-News-Erfinder und Verschwörungstheoretiker …

  • stellen Behauptungen auf, die sie nicht belegen.
  • verlangen von ihrem Gegenüber oder der Öffentlichkeit, das Gegenteil zu beweisen, obwohl sie ihre Behauptungen belegen müssten.
  • überschwemmen die Welt mit Schwachsinn nach dem Motto „Flood the zone with shit“, damit die Wahrheit nicht mehr sichtbar ist. Ist das Ziel eine einzelne Person, wird sie erschlagen von Erzählungen über dramatische Schicksalsschläge und eine miserable Lebenslage, an der selbstverständlich andere schuld sind.
  • gewinnen dadurch Zeit, dass ihre Gegner mühsam versuchen, die Wahrheit zu belegen und den Blödsinn zu widerlegen.
  • erklären ihre Lügen durch weitere Lügen, die sich ihrerseits nicht widerlegen lassen (die Akten seien vernichtet, die Zeugen gestorben).
  • relativieren, wenn aufgeflogen, ihre Behauptungen durch Whataboutismen („Aber die USA haben doch auch …“).
  • bagatellisieren, wenn aufgeflogen, ihre Behauptungen („Aber das war doch eine Kleinigkeit“).
  • würdigen, wenn aufgeflogen, den Gegner persönlich herab („Mit dir kann man nicht diskutieren“).
  • inszenieren Dramen, wenn es darum geht, den Gegner unglaubwürdig zu machen.

Die Rhetorik der Demagogen rund um Corona („existiert nicht“, „existiert, ist aber nicht schlimmer als eine Grippe“, „die Geimpften werden in den nächsten drei Jahren sterben“) und den Ukraine-Krieg („Russland musste sich verteidigen“, „Selenskyj ist Schauspieler“, „Butscha waren die Ukrainer“) ist identisch mit dem von Verschwörungstheoretikern („9/11 waren die Amerikaner“, „Die Eliten wollen uns mit Chemtrails gefügig machen“). Bei allen diesen Dingen – Corona, pro Putin, flache Erde – finden wir diese Merkmale fehlender Vernunft, hochgradiger Indoktrination und vor allem massiver Manipulationsversuche gegenüber allen, die noch bei Verstand sind.

Am Ende dienen alle diese Propagandaelemente der von Wladimir Putin erstrebten Destabilisierung der westlichen Gesellschaften. Sein Ziel sind der Totalitarismus und ein Ende der westlichen Werte wie der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Geht es nach Putin oder auch Medwedew, soll in einem bis nach Portugal reichenden russischen Reich ebenso wie jetzt schon in Russland Schluss sein mit den Christopher Street Days. Deshalb laufen die vielen Anwürfe von Seiten der pro-russischen Propaganda auch auf ein autokratisches und vor allem intolerantes Regime im Westen hinaus.

So allmählich sollten die westlichen Öffentlichkeiten diesen Zusammenhang einmal erkennen. Es wäre wichtig.

Ulrike Guérot: Der perfekte Vorwurf

Eine der wichtigsten Stimmen pro Putin im deutschsprachigen Raum ist bekanntermaßen Ulrike Guérot – zugleich ein Musterbeispiel dafür, dass pro-russische Positionen auch in der angeblichen „Corona-Diktatur“ prominent erscheinen dürfen und keineswegs unterdrückt werden, wie die „Querdenker“ immer wieder gerne behaupten. Guérot lehnt sich mit ihrem Verständnis für Putin aus dem Fenster, mag aber ganz offenbar den Wind nicht, der in der öffentlichen Debatte weht.

Nun hat niemand das Recht, dass die eigene Meinung unwidersprochen bleibt – das hätte ja auch mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Vor allem ist es wichtig, jeder Propaganda zu widersprechen, die auch nur geringfügig einen Kriegsverbrecher in Schutz nimmt.

Vor diesem Hintergrund nutzt Guérot nun eine rhetorisch besonders toxische Methode, um sich zu behaupten. Sie richtet sich in diesem Falle gegen Markus Lanz und den Journalisten Frederik Pleitgen. Das Prinzip ist ziemlich genial. Es ermöglicht den perfekten Vorwurf und lautet:

Vorwürfe unterstellen stets die eigene Unschuld sowie die Schuld des anderen, lassen sich nicht überprüfen und berufen sich auf ein subjektives Gefühl, das ebenfalls niemand widerlegen kann. Die Empörung ist subtil und gründet auf angeblichem persönlichen Schmerz. Kurz: „Ich fühle mich schlecht und du bist schuld.“

Wenn jemand so ein Kaliber der emotionalen Erpressung zieht und anderen auf diese Weise Schuldgefühle einzureden versucht, ist vorher in aller Regel argumentativ alles gelaufen. Und das ist es hier auch.

In Lanz’ Sendung vom 2. Juni 2022 – also vor mehr als einem Jahr – durfte Guérot schwer einstecken. Logischerweise, weil sie unter anderem von einem Bürgerkrieg in der Ukraine sprach – was schlicht pro-russische Propaganda ist, da die Ukraine vor 2014 friedlich war und erst durch das Einsickern der „grünen Männchen“ durch Putin destabilisiert wurde. Auch bekam Guérot nachvollziehbar Haue, weil sie von einem Stellvertreterkrieg sprach. Für wen kämpft Russland denn stellvertretend? Und wen verteidigt die Ukraine, wenn nicht sich selbst? Wer von einem Stellvertreterkrieg redet, spricht der Ukraine ebenso die Souveränität ab, wie Putin das tut.

Zudem weigerte sich Guérot in der Sendung immer wieder, klare Fragen zu beantworten. Lanz fragte beispielsweise: Was hat die Schwangere, die in Butscha den Mord an ihrem Mann miterlebt, mit der NATO zu tun? Guérot antwortete mit Erich Maria Remarque und seinem Roman „Im Westen nichts Neues“, lavierte also herum.

An vielen Stellen bekam Guérot heftige Widerrede, und das nach meinem Dafürhalten aus gutem Grund. Sie schien die Sachlage, wer hier wen angegriffen hat, schlicht zu ignorieren.

Lanz verursacht laut Guérot Herpes bei Guérot

Jetzt – im Sommer 2023 – meldet Guérot in dem querdenkerähnlichen Youtube-Format „Führich-Talks“, sie habe von der „Lanz“-Sendung im Juni 2022 einen Herpes davongetragen, was auf „männliche Brutalität“ zurückzuführen wäre. Ein wirrer Zusammenhang, schwer dramatisiert. Es mag sein, dass der Körper auf Stress reagiert. Aber eine solche Kausalität aufzustellen und eine solche hanebüchene ideologische Deutung anzubringen („männliche Brutalität“), dürfte Guérot kaum dabei helfen, wieder im rationalen und evidenzbasierten Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen.

Insgesamt führen Gastgeberin Petra Führich und Guérot einen Jammer-Talk, in dem es vor allem um Emotionen und Guérots moralische Erhabenheit geht, ohne dass ihre Position ausreichend begründet wäre. Guérot inszeniert sich so dermaßen selbstgerecht als Opfer, dass es kaum noch erträglich ist. Es ist ein Video zum Fremdschämen: Wie wenig Gespür für Angemessenheit und für Themen kann jemand haben?

Die Sache mit dem Herpes ist dann die Spitze der Peinlichkeit. Ein geradezu toxisches Argument, weil es Männer pauschal diskreditiert. Woran Männer so alles schuld sein können! Zumal Guérots Gegnerin in der „Lanz“-Sendung auch die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann war, die ja nun eine Frau ist und Guérot trotzdem den Kopf geraderücken wollte – erfolglos, wie zu beobachten war. In dem „Führich-Talk“ erklärte Guérot dann schließlich, Lanz könne ja „raffen“, dass er „so nicht weitermachen kann“, wenn sich „die Art und Weise, wie er mit mir umgegangen ist“ – oder auch mit Hubert Aiwanger –, herumgesprochen habe.

Zum Glück kann Lanz so weitermachen – auch wenn auch mir sein Stil nicht immer gefällt. Zum Glück hat Ulrike Guérot keinen Anspruch darauf zu bestimmen, wie der Moderator einer öffentlich-rechtlichen Talkshow sein Handwerk erledigt. Zum Glück ist in Artikel 5 des Grundgesetzes die Pressefreiheit garantiert. Zum Glück haben wir hier keine Medien wie unter russischen Verhältnissen.

Rhetorisches Foulspiel im Sinne der Propaganda

Was Guérots Herpes betrifft, haben wir es mit einem ganz typischen rhetorischen Foulspiel zu tun: Niemand wird für den Herpes einen Beweis fordern, zumal selbst ein Foto nicht den kausalen Zusammenhang belegen würde. Das ist die Parallele zu der oben erwähnten Kladde: Es gibt keinen Beleg, aber auch widerlegen ist unmöglich. Ulrike Guérot behauptet mal wieder etwas, so wie sie vieles behauptet, beispielsweise dass Putin lediglich „Sicherheitsgarantien“ wolle, obwohl die NATO Russland nie bedroht hat. Kein Mensch im Westen will Russland erobern, weil sich niemand um ein kaputtes Land ohne Sinn für Wertschöpfung kümmern will. Wozu auch? Putin ist es, der imperialistisch denkt. Die anderen freuen sich, wenn Russland stabil ist und keine Probleme macht.

Und indem es nicht um irgendeinen Herpes geht – ich erspare Ihnen hier die Details, dazu entblößt sich Guérot auf distanzlose Weise ausreichend selbst –, zieht sie ihre Gesundheit völlig unnötig in die Öffentlichkeit. Was auch übergriffig ist, denn wer will sowas hören? Alleine die Vorstellung zwingt mich dazu, einige Folgen „Giraffe, Erdmännchen & Co.“ zu schauen, um die Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen.

Hätte Guérot ein Gespür für qualifizierte Äußerungen, wüsste sie, wie daneben ihre Behauptung ist. Aber dann wüsste sie wohl auch ihre vehemente antiwestliche Propaganda professionell einzuordnen und hätte Klarheit darüber, auf welches Gesellschaftsmodell ihr enormer Einsatz für Putin am Ende hinausläuft.

Guérot deutet Widerspruch als Anfeindung

In Guérots Verweis darauf, dass ihre Erkrankung auf die Sendung bei Markus Lanz zurückzuführen sei, kommt suggestiv auch der häufig gehörte Anwurf kritisierter Vertreter abstruser Haltungen zum Ausdruck. Deren Motto lautet ungefähr so: Wer mir widerspricht, spricht mir die Meinungsfreiheit ab, mit dem kann man nicht diskutieren. Konkret sagt Guérot, sie habe die „Anfeindungen nicht mehr ertragen“. Sie frage sich, warum man mit ihr so umgehe.

Anfeindungen? Lanz könne so nicht weitermachen? Ich habe mir die Sendung angesehen und erkenne keine Anfeindungen. Ich erkenne, dass Guérot vor allem Propaganda im Putinschen Sinne betreibt und sich dafür folgerichtig Widerspruch einhandelt. Und dass sie ausweicht, statt ihre Positionen nachvollziehbar zu begründen. Insgesamt erkenne ich: Guérot demonstriert der Öffentlichkeit, dass sie die politische Realität ignoriert, jede Menge Propaganda-Narrative nachplappert und auf gegnerische Positionen nicht qualifiziert eingeht.

Und ich frage mich: Hat die Dame im Ernst noch nie eine öffentliche Debatte erlebt? Bei der Meinungsbildung in einer Demokratie geht es nun einmal zur Sache. Da sind weder Politiker noch Journalisten zimperlich. Unter dem russischen Regime, das Guérot immer wieder in der Opferrolle sieht, wandern Andersdenkende ins Straflager. Hier in Deutschland dürfen die Menschen zum Glück ihre Meinung sagen und wir haben spannende Debatten im Fernsehen.

Auch Guérots Mimimi ist eine Verzerrung der Wirklichkeit inklusive toxischer Moral und Schuldumkehr: Wer öffentlich Unsinn erzählt wie Guérot bei Lanz und wer Putins Krieg relativiert, erntet dafür natürlich berechtigte Kritik. Eine angebliche körperliche Reaktion darauf dann den Kritikern in die Schuhe zu schieben – na ja. Damit disqualifiziert man sich dann eben vor dem Hintergrund, dass Fernsehen Leute braucht, die qualifiziert kommunizieren können. Dafür kann aber das Fernsehen nichts. Und wenn Guérot nicht mehr eingeladen wird, hat das nichts mit Zensur zulässiger Meinungsäußerungen zu tun, sondern mit der Verbreitung sachlich falscher Propagandainhalte, also mit unwahren Tatsachenbehauptungen.

Wie schön wäre es, wenn die „Querdenker“-Fraktion diese Dinge endlich einmal verstünde. Es ist nicht schwer.

Wie Sie sich gegen toxische Vorwürfe wehren

Kennen Sie Menschen, die Ihnen solche toxischen Fallen stellen? Meine Empfehlung ist, die folgenden Dinge zu bedenken:

  • Nichts von dem, was ein emotional gesteuerter Mensch sagt, hat mit Ihnen zu tun. Sämtliche Assoziationskaskaden und Interpretationspyramiden finden alleine in seinem Kopf statt. Dafür, welche Kausalitäten sich andere zusammenreimen, können Sie nichts. Sie haben darauf auch keinen Einfluss.
  • Bedenken Sie, dass solche Angreifer/-innen eine ganz wichtige menschliche Konstante übersehen: Wie Menschen sich fühlen, entscheiden nur die Menschen selbst. Niemals ist jemand anders für unser Wohlbefinden verantwortlich als wir selbst. Das gilt auch für andere. Es ist also Unfug zu behaupten, Sie seien daran schuld, dass sich ein anderer Mensch schlecht fühlt.
  • Auch wenn jemand Lärm macht oder auch den leise Leidenden spielt, wird nicht zutreffender oder wichtiger, was er oder sie sagt.
  • Wenn andere Schwierigkeiten damit haben, rationalen Gedanken zu folgen, ist das nicht Ihr Problem. Es ist deren Problem. Und das können Sie nicht lösen. Das können nur diese Menschen lösen, wenn sie wollen.
  • Wenn Ihnen jemand mit Signalen kommt wie: „Mir geht es schlecht und du bist schuld“, lassen Sie ihn sich schlecht fühlen. Es ist sein Film. Dieser Mensch will sich schlecht fühlen, und das ist seine legitime Entscheidung. Die Schuld müssen Sie nicht annehmen.
  • Lassen Sie Menschen, die so mit Ihnen umgehen, mental los. Es ist völlig unmaßgeblich, was Menschen über Sie denken, die mit Mitteln der emotionalen Erpressung arbeiten oder mit unbelegten Vorwürfen, die sich nicht entkräften lassen. Es ist nicht unsere Aufgabe, andere auf ihre Denkfehler hinzuweisen. Menschen denken so, wie sie denken wollen.
  • Achten Sie auf Ihre psychische Gesundheit und bleiben Sie beim rationalen Denken und bei der Logik. Befassen Sie sich mit emotionaler Erpressung und durchschauen Sie, wie sie funktioniert.

Die Vertreter der Aufklärung und des westlichen Denkens sollten sich in diesen Zeiten unbedingt darauf besinnen, die Vernunft zu verteidigen. Wir müssen alle Beispiele für toxische Rhetorik sofort entlarven und veröffentlichen.