In Kürze erscheint unser neues Buch: „Sind die Medien noch zu retten?“ Hier aus Anlass der wallonischen CETA-Ablehnung ein Auszug. Das Buch können Sie bereits jetzt bestellen. Gerne können Sie uns dann auch per E-Mail Ihre Wünsche an die Medien von morgen schreiben: Wie sollen Journalisten arbeiten, wie sollen Medien berichten?
Von Thilo Baum und Frank Eckert
Am Ende der 20-Uhr-»Tagesschau« am 20. Oktober 2016 teaserte Sprecherin Linda Zervakis einen Beitrag in den »Tagesthemen« an mit den Worten: »Rettung in letzter Minute – wie die EU um CETA ringt«. Es geht um das nun erst einmal nicht verabschiedete Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU. Wenn Sie uns fragen, ob die Medien noch zu retten sind – ja, wenn solche Parteinahmen aufhören. Es muss Schluss sein damit, dass Medien wie die »Tagesschau« für bestimmte politische Entscheidungen wie CETA Propaganda machen, statt neutral darüber zu berichten. Eine »Rettung in letzter Minute« dient immer einer guten Sache; und wir »ringen« auch nur um das Gute. Die Medien müssen dringend damit aufhören, uns mit derart üblen rhetorischen Mitteln in unserer Meinungsbildung zu indoktrinieren.
Sie finden das übertrieben? Dann schauen Sie einmal, wie parteiisch »heute+« in der Nacht zum 19. Oktober 2016 über CETA berichtet hat. In dem Bericht der ZDF-Korrespondentin Anne Gellinek aus Brüssel war von einer »Hängepartie« mit Belgien die Rede – es ging um die Unentschlossenheit einiger EU-Staaten, die ihre Regionalparlamente doch noch extra befragen wollten; wie jetzt geschehen in der Wallonie, weswegen Belgien CETA nicht ratifiziert hat. »Hm, und da hängt das Abkommen jetzt«, spricht Frau Gellinek.
ZDF überschreitet Grenze von der Information zur Propaganda
Warum gibt es in dieser Sendung diese und ständig weitere Anspielungen darauf, dass die Wallonen plötzlich schuld daran seien, dass CETA nicht zustandekommt? Anne Gellinek und die Redakteurin Eva-Maria Lemke im Studio sprachen ebenfalls von einer Einigung, die »in letzter Minute« geplatzt sei; dann hieß es: »Wallonie weigert sich«. Dann fragt Eva-Maria Lemke aus dem Studio nach Brüssel: »Verhindern jetzt 3,6 Millionen Wallonen das Riesenprojekt?«, was so klingt wie: »Zerstören jetzt 3,6 Millionen Wallonen unseren Wohlstand?«.Die Grenze von der Information zur Propaganda ist hier längst überschritten; das ZDF interpretiert munter drauflos und sucht Schuldige. »Schuld« ist jemand nur an etwas Üblem – wie beispielsweise am Nichtzustandekommen von CETA. Die Vermittlung von Informationen kommt dagegen zu kurz: Uns würde ja wirklich interessieren, warum die Wallonen CETA ablehnen. Weil, wie in der Sendung angespielt, 3,6 Millionen Menschen zu links seien? Haben die Wallonen Angst vor der Globalisierung, Angst vor Kanada, weswegen sie »schön stramm links« wählten, wie es im Beitrag hieß? Ist es eine Retourkutsche gegen die Mitte-Rechts-Zentralregierung? Allein diese Frage suggeriert einen ideologischen Hintergrund statt einen wirtschaftlichen oder auch einen politischen. Nichts davon ist jedoch in diesem Gespräch Thema. Warum nicht? Warum stellt das ZDF hier eine Region an den EU-Pranger? Dass das geschah, ist offensichtlich – und wenn wir die Medien retten wollen, müssen Indoktrinationen wie diese aufhören. Denn kann es nicht vielmehr sein, dass das ZDF »stramm« für CETA ist?
Negative Agitationsrhetorik soll Stimmung machen
Und: Warum kommt hier beiden ZDF-Frauen nicht in den Sinn, dass Brüssel, dass die EU-Bürokratie möglicherweise daran schuld ist, wenn »mal wieder die Zeit rennt«, wie es Eva-Maria Lemke ausdrückt? Weshalb überhaupt sollte die Zeit drängen? Wer erzeugt hier Zeitdruck? Warum? Wozu? Wem dient dieser Zeitdruck? All das sind Fragen, die Journalisten hier stellen müssen. Doch sie tun es nicht, weil ihr Narrativ lautet, dass alles, was die EU veranstaltet, per se gut ist.
Dass auch die Bulgaren und die Rumänen CETA nicht zustimmen wollen – dieser Aspekt kommt erst nach einigen Minuten im Interview. Warum? Beide Länder wollen offenbar Visumfreiheit herausschlagen; dieser Vorwurf klang sehr deutlich durch. Nur: Und wenn schon! Es ist das gute Recht von EU-Nationen, Dinge einzufordern, wenn sie sich benachteiligt fühlen. In jedem Fall seien Rumänen wie Bulgaren nun »auch noch ein Problem« auf dem Weg in die Nord-Atlantik-Freihandelszone CETA – das war die Wortwahl. Unter dem Strich stellten sich »drei Länder quer«. Diese Negativrhetorik soll uns sagen, dass mal wieder andere verhindern, dass wir glücklich sind. Und natürlich bemühen die ZDF-Leute die »Weißer-Rauch«-Analogie – die Welt jubelt wie bei einer Papstwahl, wenn es endlich so weit ist. Letztlich trägt dieses Propagandagewitter nicht dazu bei, dass die Zuschauer begreifen, was beim Thema CETA eigentlich los ist; genauso wenig wie die Anspielung auf die »Möglichkeit zum Kompromiss in letzter Minute«.
Wer »blockiert« hier was?
Am 21. Oktober 2016 dann schreibt Andreas Meyer-Feist in »tagesschau.de« die Überschrift: »Ein Wallone blockiert die EU«. Geht’s noch? Erstens haben die Wallonen einfach nur eine korrekte demokratische Entscheidung getroffen, die andere Demokraten bitte respektieren. Zweitens ist nicht die EU »blockiert«, sondern einer von vielen möglichen Verträgen. Drittens ist es in einer Demokratie bitte kein Vorwurf, wenn jemand etwas blockiert – das machen Fraktionen oder auch der Bundesrat ständig. Viertens schließlich ist es eine wirklich falsche Zuspitzung, eine Mehrheitsentscheidung auf einen Menschen zu reduzieren wie hier auf den belgischen Politiker Paul Magnette. Wer weiß: Vielleicht bewahrt Magnette die EU ja mit seiner Blockade am Ende vor Schlimmerem?
Aber man sucht eben einen Schuldigen. Wir finden: Wenn Andreas Meyer-Feist und die anderen Journalisten bei ARD und ZDF für CETA sind, können sie in einer Volksabstimmung gerne dafür stimmen, sofern es eine geben sollte. In den Medien erwarten wir von ihnen aber Journalismus, nicht Propaganda. Und noch einmal vorbeugend – damit uns niemand Populismus unterstellt: Wir sind nicht für und nicht gegen CETA, sondern einfach nur für sauberen Journalismus.
Und wir werden den Verdacht nicht los, dass hier die gleichen Kontra-Mechanismen zum Tragen kamen wie beim Brexit. Es soll aus Sicht eines öffentlich-rechtlichen Senders offenbar bloß nichts passieren, was uns aus unserem europäischen Gleichgewicht bringt. Und das ist reinster Tendenzjournalismus, also kein freier. Und auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: Am meisten wurmt uns bei dieser Form von »Journalismus« die Beleidigung des Intellekts. Halten ARD und ZDF die Menschen wirklich für so blöd, dass sie dieses durchsichtige Propagandaprogramm nicht erkennen?
Warum passieren diese Dinge? Warum gibt es kaum noch sachlichen, faktenorientierten, sondern emotionsgeladenen, ideologisierten Journalismus ? Sie lügen nicht unbedingt; sie lassen nur zu oft Fakten weg oder zu viele Fragen offen – ob absichtlich oder nicht, darf keine Rolle spielen bei der Beurteilung der Lage. Denn es geht um journalistische Sorgfalt, der alle diese Medien verpflichtet sind. Um es konservativ auszudrücken: Es geht um nichts weniger als der Rettung des Journalismus, um die Rettung eines wundervollen Berufsstandes.
Aus: „Sind die Medien noch zu retten? Das Handwerk der öffentlichen Kommunikation“ (voraussichtlicher Erscheinungstermin Dezember 2016). Bestellen Sie jetzt und teilen Sie uns Ihre Wünsche an die Medien mit! Sofern Sie etwas Kluges schreiben, erscheint Ihr Statement im Buch.
Nachtrag. »heute+« reagiert über Twitter (Fehler im Original): »Wir bemühen uns sehr wohl um Neutralität. Ihr Vorwurf beruht dagegen auf Interpretationen und ›das-klingt-wie‹ Vergleichen.«
Unsere Reaktion: Interpretationen? Sicher – auf der Basis gewollt eingesetzter schmutziger Rhetorik seitens »heute+«. Der Subtext ist klar pro CETA.
Und:
»Wir bemühen uns sehr wohl um Neutralität«, schrieb »heute+«. Seltsam – wieso dringt dann aus nahezu jedem Satz des Berichtes eine Pro-CETA-Position? Wenn man sich bei »heute+« bemüht, scheint das nicht viel zu bringen.
Typisch für eine Medienreaktion auf Kritik ist es auch, dass man bei »heute+« zurückschlägt und behauptet: »Ihr Vorwurf beruht dagegen auf Interpretationen und ›das-klingt-wie‹ Vergleichen.«
Versteht man bei »heute+« etwa gar nicht, was wir meinen? Kann das sein?
Dabei ist es relativ einfach: Angenommen, »heute+« würde tatsächlich neutral berichten, dann würde man dort das Nein der Wallonen zu CETA ganz einfach hinnehmen und als legitime demokratische Entscheidung darstellen. Man würde nicht mitfiebern für CETA und die Wallonen als Schuldige darstellen.
Warum ist die Reaktion eines Mediums auf Kritik fast nie die normale? Die wäre: »Vielen Dank für Ihre Analyse! Wir werden Ihre Hinweise auf Tedenzvokabeln verfolgen und sie durch neutrale Formulierungen ersetzen.« Warum geschieht das bei Medien so gut wie niemals?