Es war mir immer ein Rätsel, warum so viele Medien so wenig Verständnis gegenüber Geschäftsleuten haben. Ein wunderbares Beispiel für eine geradezu kommunistische Sicht bringt Bernd Kramer in einem Kommentar in „Spiegel Online“. Dazu erscheint in Kürze in Frank Eckerts und meinem neuen Buch „Sind die Medien noch zu retten?“ folgender Abschnitt im Kapitel über Wirtschaftskompetenz.
Von Thilo Baum und Frank Eckert
Ein wahrhaft gleichmacherisches Weltbild zeigt sich in dem Kom­mentar von Bernd Kramer über die Deutsche Bahn AG in »Spiegel Online« am 21. Oktober 2016: »Schafft die erste Klasse ab!«, ruft er in der Überschrift. Die Gesellschaft sei ohnehin auf dem Weg zur »egalitären Einheitsgesellschaft«, zitiert er den Politikwis­sen­schaftler Siegfried Landshut – ignorierend, dass wir eine plura­listische Gesell­schaft sind und Pluralismus Vielfalt bedeutet statt Gleichmacherei.
Kramer behauptet, die Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Klasse in der Bahn seien »verschwindend klein« und beschränkten sich auf die Beinfreiheit, was wir durchaus anders sehen: In der Ersten Klasse ist mehr Ruhe, man kann meist ungestört ar­beiten, es geht kultivierter zu, es gibt Essen und Getränke an den Platz serviert, sodass man sein Gepäck nicht unbeobachtet lassen muss, es ist selte­ner überfüllt, und fast nie steht Gepäck im Weg herum.
In der Ersten Klasse gilt zudem das ungesprochene Gesetz, dass man sich gegenseitig in Ruhe arbeiten lässt – während in der Zweiten Klasse oft ignorante Bahnkunden ihr Gepäck unter den Tisch pa­cken, sodass man selbst kaum noch Platz für die Füße hat. Die Zweite Klasse ist definitiv stärker von Leuten frequentiert, die wir »Zivilisten« nennen – also von Privatleuten, Arbeitnehmern, Urlau­bern, Familien und Prosecco trinkenden Damenrunden, die auf Selbst­ständige, die gerade ein Buch schreiben, wenig bis gar keine Rück­sicht nehmen.
Die Profis in der Ersten Klasse zei­gen deutlich mehr Respekt gegenüber dem Thema »Arbeit im Zug«. Auch Probleme mit Alkohol und Rüpeleien sind uns aus der Ersten Klasse nicht bekannt – und wir haben keine Ahnung, wieso Kramer eine Studie der Harvard Business School bemüht, wonach Fluggäste in der Ersten Klasse mehr Ärger machen. Bei der Deutschen Bahn ist es mit Sicherheit genau anders herum.
Erster Klasse zu reisen, bedeutet Wertschätzung gegenüber sich selbst
Für die Unge­störtheit in der Ersten Klasse bezahlen Menschen, deren wichtigste Ressource die Zeit ist, gerne mehr Geld, und das ist normal und in Ordnung. Zumal es auch etwas mit Wertschätzung sich selbst gegenüber zu tun hat, wenn jemand mehr Service bucht.
Dann versteigt sich Kramer in die beleidigende These, wegen der angeblich geringen Unterschiede zwischen Erster und Zweiter Klas­se sei das Motiv der Erste-Klasse-Kunden letztlich »Geltungskon­sum«. Kramer unterstellt den Erste-Klasse-Kunden, sie seien »in Schlips und Anzug« unterwegs und: »Man zeigt damit, dass man es sich leisten kann.« Das Gegenteil ist der Fall: Wir tragen nur selten Schlips und Anzug, zumal es vollkommen egal ist, wie sich jemand kleidet – und dass wir Erster Klasse reisen, be­kommen die Bahnkunden in der Zweiten Klasse in aller Regel nicht mit.
Wir wollen nicht so drastisch sein und sagen, die besten Gründe, Erster Klasse zu reisen, säßen in der Zweiten – es spricht nichts gegen die Zweite Klasse, wenn wir privat verreisen. Aber wir sind Geschäftsleute und verreisen eben selten privat. Und wir schätzen, dass Kramer nicht jährlich 80.000 Kilometer mit der Bahn fährt und in dieser Zeit arbeitet. Wir vermuten in Kramers Zugang zum Thema schlichtweg den inzwischen beim »Spiegel« üblichen gleichma­che­rischen Ansatz, den wir aus dem Kommuni­smus kennen und der sich gegen jede Form von Individu­alismus richtet.
Sich von anderen zu unterschei­den, ist für Kommu­nisten nicht opportun. Natürlich sind alle Men­schen gleich viel wert – der Kommunismus will aber darüber hinaus auch, dass alle Menschen gleich sind. Doch Men­schen sind nun einmal nicht gleich. Menschen sind verschieden. Sie arbeiten auf verschiedene Weise, sie leben verschieden, sie setzen un­terschiedliche Prioritäten. Manche Menschen brauchen die Erste Klasse, um auf die Weise arbeiten und leben zu können, wie sie ar­beiten und leben wollen. Das zu entscheiden, ist in einem freien Land ihr gutes Recht.
»Geltungs­konsum« ist den uns bekannten Geschäftsleuten fremd

Uns ist es übrigens auch völlig egal, was andere über uns denken; wir kämen im Traum nicht auf die Idee, »Geltungs­konsum« – was auch immer das sein soll – als Kriterium für unser Da­sein anzulegen. Alleine sich mit dem Gedanken zu befassen, wäre schon Zeitver­schwen­dung. Kramer ist es, der diesen Neidgedanken in den Raum wirft. Die Geschäfts­leute, die wir kennen, hegen derlei Eitelkeit nicht; sie sind interes­siert an spannenden Menschen mit spannenden Ideen. Stürmt je­mand mit Vorurteilen Marke »Schlipsträger« auf sie zu, wenden sich die meisten uns bekannten erfolgreichen Geschäfts­leute ab.
Lassen Sie sich noch einmal den Vorwurf auf der Zunge zergehen, Erste-Klasse-Kunden wollten zeigen, »dass sie es sich leisten können«: Na­türlich können erfolgreiche Menschen sich die Erste Klasse leisten, und daran ist auch gar nichts außergewöhnlich. Drehen wir die Medaille aber um, wird Kramers Motivation klar: Nur ein missgünstiger Mensch kann auf den Gedanken kommen, wir wollten anderen zeigen, dass wir uns die Erste Klasse leisten können. Wie viel irrelevantes Zeug läuft in diesem Kopf ab.
Die Erste Klasse ist ein Arbeitsplatz – das bitten wir zu würdigen
Natürlich wissen wir auch, dass Kramers Text ein Kommentar ist; und dennoch kann sich der »Spie­gel« nicht davon distanzieren. Ein Blatt für Geschäftsleute würde so einen Unsinn schlicht nicht brin­gen. Verliert der »Spiegel« unter Geschäftsleuten Leser, kann er sich bei Bernd Kramer bedanken.
Und was die Bahn angeht: Weil die Erste Klasse ein Arbeitsplatz ist, fordern wir die Abschaffung der Sparpreise in der Ersten Klasse, weil dadurch schon langsam das Chaos der Zweiten Klasse einzieht; wir fordern konsequente Kontrollen, ob jemand zu Recht auf einem Komfortplatz sitzt; und wir fordern die Reservierungspflicht für alle ICEs mit Ausnahme der Komfortplätze. Und von der Presse fordern wir mehr Respekt für Geschäftsleute. Sollte die Bahn die Erste Klas­se abschaffen, werden wir Auto fahren.
Aus: „Sind die Medien noch zu retten? Das Handwerk der öffentlichen Kommunikation“ (voraussichtlicher Erscheinungstermin Dezember 2016). Bestellen Sie jetzt und teilen Sie uns Ihre Wünsche an die Medien mit! Sofern Sie etwas Kluges schreiben, erscheint Ihr Statement im Buch.